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Handbuch_Islam
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1. WELTRELIGION ISLAM<br />
1.10. die geschichte des islams in europa<br />
SPÄTES<br />
20.<br />
JAHRHUNDERT<br />
in der Dresdner “Mullah Schule” zu Nazi-Propagandisten umzuschulen. Wieder<br />
blieben die ideologischen Mobilisierungsversuche der Nationalsozialisten zu<br />
militärischen Zwecken unter religiösem Deckmantel unterhalb den Erwartungen<br />
deutscher Kriegsstrategen: Die meisten Überläufer desertierten nach der Bombardierung<br />
Dresdens. Doch auch auf der anderen Seite der Front spielten Muslime<br />
eine Rolle: Viele kämpften für Frankreich und Großbritannien. Auch unter<br />
den rund 12 Millionen Menschen, die im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeit in der<br />
deutschen Kriegswirtschaft leisteten, befanden sich zahlreiche Muslime.<br />
MUSLIME ALS TEIL DES EUROPÄISCHEN WIEDERAUFBAUS UND ALS<br />
SCHUTZSUCHENDE<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden für den Wiederaufbau Westeuropas<br />
zusehends ausländische Arbeitskräfte vom Balkan, aus der Türkei,<br />
Südasien sowie dem Nahen Osten und Nordafrika angeworben,<br />
die vor dem Hintergrund der schlechten ökonomischen, politischen<br />
und sozialen Lage ihrer Länder die Gelegenheit zur Arbeitsaufnahme<br />
in Europa ergriffen.<br />
Nach dem Bau der Mauer und angesichts eines rapiden Wirtschaftsaufschwungs<br />
in Westdeutschland schloss die Bundesregierung Ende der 1950er und 1960er<br />
Jahre Verträge zur Anwerbung von Arbeitskräften: Auf diesem Wege kamen zahlreiche<br />
Muslime nach Deutschland, die meisten aus der Türkei. Sie sollten den<br />
Arbeitermangel beheben, der als Spätfolge des Zweiten Weltkriegs und des Mauerbaus<br />
in Westdeutschland herrschte. Zur Zeit des Anwerbestopps im Jahr 1973<br />
gab es etwa 2,6 Millionen ausländische Arbeitnehmer in Westdeutschland, ein<br />
erheblicher Anteil war muslimischen Glaubens. Manche dieser Muslime kamen<br />
selbst aus Europa, zum Beispiel aus dem ehemaligen Jugoslawien. Darüber hinaus<br />
kamen Muslime als Studierende an die europäischen Universitätsstädte.<br />
Andere waren als ehemalige Soldaten und Kriegsgefangene ohnehin da und richteten<br />
sich nach dem Krieg dauerhaft vor Ort ein.<br />
FAZIT: Die Geschichte des Islams in Europa ist weder eine Geschichte von unversöhnlicher<br />
Gegensätzlichkeit, dauerhafter Auseinandersetzung oder Konfliktszenarien,<br />
die entlang einer religiösen Trennlinie verlaufen – egal wie sehr sich<br />
populistische Nationalpatrioten in Europa derzeit um eine solche Darstellung<br />
bemühen. Ebenso wenig lässt sich die Geschichte als ein ungetrübtes Miteinander<br />
in Harmonie und Frieden erzählen. Wie diese geschichtliche Skizze anhand<br />
verschiedener Beispiele illustriert, ist sie vielmehr eine Geschichte der Verwobenheit<br />
von Menschen unterschiedlicher Regionen und Hintergründe, die in<br />
Wechselbeziehung zueinander stehen. Im Sog von Globalisierung, wachsender<br />
Mobilität und grenzüberschreitenden Kommunikationswegen wird es künftig<br />
eine noch intensivere Verflechtung von Kultur, Wissen und Waren über die Grenzen<br />
unserer Nationen, Kontinente und sogenannten Kulturräume hinaus geben.<br />
Diesen Austausch als Weiterführung des historischen Erbes Europas zu verstehen,<br />
wäre ein Weg zur Überwindung einer vermeintlichen Gegnerschaft von Islam<br />
und Europa.<br />
Autoren: Prof. Dr. Bekim Agai und Dr. des. Raida Chbib<br />
1.11. TOP-5 LÄNDER MIT MUSLIMISCHER BEVÖLKERUNG IN EUROPA<br />
(2010 UND 2030)<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
Vereinigtes<br />
Königreich<br />
Italien<br />
1,6<br />
2,9<br />
3,2<br />
4,1<br />
4,7<br />
5,5<br />
5,6<br />
6,9<br />
Flucht- und Asylmigration spielte erst Ende der 1970er Jahre eine Rolle, insbesondere<br />
als Menschen aus dem damaligen „Ostblock“ in die Bundesrepublik zuwanderten.<br />
Weitere Muslime gelangten zu jener Zeit meist über den Familiennachzug<br />
in die BRD. In den 1980er Jahren wuchs die Zahl an Asylbewerbern aus nichteuropäischen<br />
Ländern an. Unter ihnen befanden sich auch zahlreiche Geflüchtete<br />
muslimischen Glaubens.<br />
Spanien<br />
1,0<br />
1,9<br />
0 1 2 3 4 5 6 7<br />
Bevölkerung in Millionen<br />
2010 2030<br />
Quelle: Prognose des Pew Research Center. (2011). The Future of the Global Muslim<br />
Population: Projections 2010-2030, S. 124.<br />
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