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Handbuch_Islam

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7. SICHERHEIT<br />

7.2. islamfeindlichkeit in deutschland<br />

Ursachen für das Erstarken der modernen Islamfeindlichkeit können zudem in<br />

den 1990er Jahren gesucht werden. Nach dem Ende des „Kalten Krieges“ kam<br />

dem Islam anstelle des Kommunismus eine zentrale Feindbildfunktion zu, die<br />

offenbar zum Zwecke der Selbstdefinition existenziell notwendig war und es noch<br />

heute ist. Nicht zu vernachlässigen ist auch die deutsche Wiedervereinigung, die<br />

mit der Suche nach einer neuen deutschen Identität einherging. In Teilen der<br />

Bevölkerung gab es ein Erstarken nationalistischer Einstellungen.<br />

Die moderne Form der Islamfeindlichkeit will Muslime beziehungsweise vermeintliche<br />

Muslime, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, zurück an den<br />

gesellschaftlichen Rand drängen. Ehemalige Gastarbeiter haben ihren Lebensmittelpunkt<br />

auf Dauer in die Bundesrepublik verlegt – als mündige Bürger dieses<br />

Landes beanspruchen sie Rechte und Rollen, die für sie nicht vorgesehen waren.<br />

Die Nachkommen der ursprünglich zugewanderten „Gast“-Arbeiter konkurrieren<br />

nun nicht mehr nur mit Hilfsarbeitern, sondern mit Angestellten und Beamten.<br />

Der Kampf um die Ressourcen und um die Platzierung in der Gesellschaft findet<br />

mit der zunehmenden Integration nicht mehr nur an den Rändern, sondern<br />

auch in der Mitte statt.<br />

ANSCHLÄGE AUF MOSCHEEN<br />

Die erstarkende Islamfeindlichkeit in Deutschland lässt sich nicht nur anhand von<br />

Umfragewerten dokumentieren. Sie spiegelt sich auch ganz konkret in zahlreichen<br />

Angriffen auf Moscheen wider. Diese reichen von Schändungen mit Schlachtabfällen<br />

oder Fäkalien bis hin zu Brandanschlägen. 5 Zwischen 2001 und 2011<br />

wurden insgesamt 219 Angriffe auf Moscheen/Religionsstätten aktenkundig. 6 Von<br />

2012 bis 2015 sind die Übergriffe auf Moscheen/Religionsstätten kontinuierlich<br />

gestiegen: 35 Übergriffe sind für das Jahr 2012 dokumentiert, 37 Fälle für das Jahr<br />

2013, 45 für 2014 und 75 für 2015. 7<br />

ÜBERGRIFFE AUF MOSCHEEN UND RELIGIONSSTÄTTEN SEIT 2001 8<br />

Anzahl der Übergriffe<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015<br />

Jahr<br />

Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Grundlage von Bundestagsdrucksachen<br />

(siehe Fußnote 7).<br />

Es stellen sich zwei Fragen: Weshalb ist die Zahl der Übergriffe innerhalb von drei<br />

Jahren um rund 100 Prozent gestiegen? Und warum gab es besonders in den<br />

letzten Quartalen 2014 und 2015 so viele Straftaten?<br />

Aus der Rechtsextremismusforschung 9 ist bekannt, dass zunehmende rassistische<br />

Diskurse für die Täter eine gewaltlegitimierende Funktion haben können. 10<br />

Das könnte auch den Anstieg der Straftaten gegen Moscheen erklären. Denn<br />

gerade in den letzten Quartalen 2014 und 2015 gab es eine Verschärfung von<br />

Islam-Diskursen. Pegida mobilisierte seit dem ersten Protestzug vom Oktober<br />

2014 immer mehr Teilnehmer für die Montagsdemonstrationen. Auch „Hooligans<br />

gegen Salafisten“-Demonstrationen (HoGeSa) erregten im Oktober 2014 in Köln<br />

und im November in Hannover 2014 11 öffentliche Aufmerksamkeit. Beide Kundgebungen<br />

hatten einen deutlich islamfeindlichen Hintergrund. 12<br />

Verfügbar unter http://bit.ly/2bAcRDK; Çakır, N. (2014). Islamfeindlichkeit: Anatomie eines Feindbildes in Deutschland.<br />

Bielefeld: transcript Verlag.<br />

5 Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland (04.06.2014), Drucksache 18/1627.<br />

6 Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland (07.05.2012), Drucksache 17/9523.<br />

7 Ein Bericht der DITIB-Antirassismus- und Antidiskriminierungsstelle zu Moscheeübergriffen in den Jahren<br />

2014 und 2015 kommt zu höheren Zahlen als die Bundesregierung. DITIB zählte 73 Übergriffe im Jahr 2014 und 99<br />

Übergriffe im Jahr darauf.<br />

8 Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland (07.05.2012) Drucksache 17/9523; (04.06.2014) Drucksache<br />

18/1627; (10.03.2015) Drucksache 18/4269; (30.04.2015) Drucksache 18/4776; (31.07.2015) Drucksache<br />

18/5685; (23.11.2015) Drucksache 18/6762; (11.02.2016) Drucksache 18/7498; (29.04.2016) Drucksache 18/8290;<br />

9 Heitmeyer, W., & Sitzer, P. (2007). Rechtextremistische Gewalt von Jugendlichen. Aus Politik und Zeitgeschehen<br />

(ApuZ), 37/2007, 3–10, S. 8.<br />

10 Im Jahre 2014 gab es nicht nur einen Anstieg der Übergriffe auf Moscheen/Religionsstätten, sondern auch auf<br />

Flüchtlingsunterkünfte. Das hängt mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen zusammen, aber auch mit den Kundgebungen<br />

und der Mobilisierung der Pegida-Bewegung im letzten Quartal 2014. Vgl. Spiegel Online. (10.02.2015).<br />

Rechtsextremismus: Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime hat sich verdreifacht. Verfügbar unter http://bit.<br />

ly/1E9LjfY<br />

11 Spiegel Online. (18.11.2014). Hogesa in Hannover: Polizei ermittelt nach Prügel-Attacke wegen versuchter Tötung.<br />

Verfügbar unter http://bit.ly/2bFXE8J<br />

12 Çakır 2014, S. 150.<br />

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