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Handbuch_Islam
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1. WELTRELIGION ISLAM<br />
1.5. glaubensrichtungen im islam<br />
1.5. GLAUBENSRICHTUNGEN IM ISLAM<br />
SUNNITEN<br />
Über 85 Prozent der Muslime weltweit sind Sunniten. Etwa seit dem 9. Jahrhundert<br />
wurden die Sunniten als Glaubensrichtung wahrgenommen. Vorher<br />
bedeutete Sunnit zu sein nur, der Sunna, also dem Weg des Propheten, zu folgen.<br />
Sunniten verehren im Gegensatz zu Schiiten die ersten vier Nachfolger Mohammeds<br />
als „rechtgeleitete Kalifen“. Diese waren Gefährten Mohammeds, aber nicht<br />
alle mit ihm verwandt. Sunniten argumentierten damals, der Glaubensführer der<br />
Muslime müsse nicht aus Mohammeds Familie stammen, sondern vor allem ein<br />
fähiger Anführer sein. 2 Später bildeten sich mehrere sunnitische Rechtsschulen<br />
(die schafiitische, malikitische, hanbalitische und hanafitische) heraus. 3<br />
SCHIITEN<br />
Mit etwa 110 Millionen Anhängern und einem geschätzten Anteil von 10-15 Prozent<br />
stellen die Schiiten die zweitgrößte Gruppierung der Muslime weltweit. 4 Ihre<br />
Entstehung geht auf den Nachfolgestreit nach Mohammeds Tod im Jahre 632 n.<br />
Chr. zurück: Bei der Wahl des Glaubensführers stimmten die späteren Sunniten<br />
für einen Nachfolger unabhängig von seiner Abstammung. Doch die Schiiten<br />
bestanden auf einen direkten Nachkommen des Propheten und stimmten für<br />
den vierten Kalifen Ali ibn Abu Talib, Vetter und Schwiegersohn Mohammeds. 5<br />
Die auf Ali folgenden Führer nennen die Schiiten Imame: Sie gelten als religiöse<br />
und politische Vorsteher der schiitischen Gemeinschaft, als von Gott auserwählte<br />
Vertreter Mohammeds. Die Lehren der Imame besitzen für Schiiten eine ähnlich<br />
große Lehrautorität wie der Koran – die Vorstellung unfehlbarer Lehrinstitutionen<br />
nach dem Tod des aus ihrer Sicht letzten Propheten lehnen Sunniten<br />
hingegen ab. 6 Die größte Gruppe unter den Schiiten – genannt Zwölfer-Schiiten<br />
– glauben an zwölf direkt von Mohammed abstammende Imame. Der zwölfte und<br />
letzte von ihnen, Muhammad al-Mahdi, an den das Imamat im Jahr 874 überging,<br />
ist laut dem schiitischen Glauben nicht gestorben, sondern befindet sich in der<br />
Verborgenheit. Er werde in der Endzeit zurückkehren und Gerechtigkeit bringen. 7<br />
ALAWITEN<br />
Alawiten, auch Nusairiya genannt, sind die Anhänger einer Gruppierung, die in<br />
Westsyrien und im Südosten der Türkei weit verbreitet ist. Muhammad ibn Nusair<br />
an-Namiri gründete diese Untergruppe der Schiiten Mitte des 9. Jahrhunderts<br />
im Gebiet des heutigen Irak. Ibn Nusair erklärte sich selbst zum Propheten. 8 Bis<br />
heute ist das Alawitentum eine Geheimreligion: Alawiten sehen ihre Doktrinen<br />
und ihr Wissen als vertraulich an. Durch ihre Dominanz in der Armee und die<br />
Machtübernahme der Baath-Partei in den 1960er Jahren gewannen die Alawiten<br />
in Syrien an politischem Gewicht, obwohl sie dort eine Minderheit sind. Weltweit<br />
werden die Alawiten auf etwa 2,5 Millionen geschätzt.<br />
ALEVITEN<br />
Der Ursprung der Aleviten liegt im Ostanatolien des 13.–14. Jahrhunderts. Ihr<br />
Name geht auf die Verehrung von Mohammeds Vetter und Schwiegersohn<br />
Ali zurück. Diese haben sie mit den Schiiten gemeinsam, von denen sie stark<br />
beeinflusst wurden. Die Glaubensvorstellungen und religiösen Praktiken der<br />
Aleviten unterscheiden sich stark vom orthodoxen Islam sunnitischer und schiitischer<br />
Prägung: 9 Die fünf Säulen des Islam werden esoterisch ausgelegt und<br />
in abgewandelter Form praktiziert. 10 Auch deswegen fühlen sich einige Aleviten<br />
nicht dem Islam zugehörig, sondern sehen sich als eigenständige Glaubensgemeinschaft.<br />
Aus Angst vor Verfolgung hielten Aleviten ihre religiösen Ansichten<br />
über Jahrhunderte geheim. Aleviten kamen seit Mitte der 1960er Jahre vorwiegend<br />
als Arbeitsmigranten aus der Türkei nach Deutschland. Die Schätzungen<br />
der Anzahl der Aleviten weltweit gehen stark auseinander und reichen von 10 bis<br />
25 Millionen.<br />
2 Radtke, B. (2005). Der sunnitische Islam. In W. Ende & U. Steinbach (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart (S. 55–69).<br />
München: C.H. Beck Verlag.<br />
3 Esen, M. (2013). Sunniten. In Lexikon des Dialogs (Band 2, S. 657-658). Eugen Biser Stiftung. Freiburg im Breisgau:<br />
Herder Verlag.<br />
4 Ende, W. (2005). Der schiitische Islam. In W. Ende & U. Steinbach (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart (S. 70–89).<br />
München: C.H. Beck Verlag.<br />
5 Bundeszentrale für politische Bildung. Schiiten. In Kleines Islam-Lexikon. Verfügbar unter http://bit.ly/2a5suTN<br />
6 Esen, M. (2013). Imam. In Lexikon des Dialogs (Band 1, S. 347). Eugen Biser Stiftung. Freiburg im Breisgau: Herder<br />
Verlag.<br />
7 Bundeszentrale für politische Bildung. Schiiten. Verfügbar unter http://bit.ly/2a5suTN<br />
8 Bundeszentrale für politische Bildung. Alawiten. In Kleines Islam-Lexikon. Verfügbar unter http://bit.ly/29IdCL9<br />
9 Sökefeld, M. (2008). Aleviten in Deutschland. In Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Religionsmonitor 2008: Muslimische<br />
Religiosität in Deutschland (S. 32–37). Verfügbar unter http://bit.ly/29Jgl8g<br />
10 Chatzoudis, G. (2016). Alawiten, Aleviten oder Nusairier? Interview mit Necati Alkan für L.I.S.A., das Wissenschaftsportal<br />
der Gerda Henkel Stiftung. Verfügbar unter http://bit.ly/29NlH1u<br />
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