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Handbuch_Islam
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6. MUSLIME IN <strong>MEDIEN</strong><br />
6.2. „pegida ist nicht vom himmel gefallen“<br />
schließlich nicht die Medien im<br />
Alleingang erfunden. Sie aktualisieren<br />
etwas, was sich in Europa seit 1.400<br />
Jahren eingespielt hat.<br />
Das negative Islambild in der<br />
Gesellschaft ist wissenschaftlich<br />
belegt. Gleichzeitig warnt die<br />
Forschung davor, es nur mit der<br />
Wirkung der Berichterstattung<br />
zu erklären. Überschätzen wir<br />
die Bedeutung der Medien in der<br />
Islamdebatte?<br />
BAX: Ich glaube nicht. Die Kontakttheorie<br />
gilt ja nicht nur in Ostdeutschland,<br />
sondern auch in Ungarn oder Bulgarien,<br />
wo Politiker Muslime in Medien<br />
pauschal mit Gewalt und Kriminalität<br />
in Zusammenhang bringen. Auch dort<br />
sind Ressentiments gegen Muslime<br />
auf dem Land stärker verbreitet als<br />
in den Städten, wo viele Muslime<br />
wohnen. In Teilen Deutschlands<br />
vertrauen Menschen den allgegenwärtigen<br />
Medienbildern mehr als<br />
vereinzelten Alltagserfahrungen. Privat<br />
kennen sie vielleicht “gute” Muslime.<br />
Die werden dann als Ausnahmen<br />
verbucht, das bedrohliche Medienbild<br />
halten sie hingegen für repräsentativ.<br />
Diese Wahrnehmung wird auch von<br />
Sendungen untermauert, in denen<br />
vermeintlich sachlich diskutiert wird<br />
– Fragestellungen wie „Wie viel Islam<br />
verträgt Deutschland?“ geben eine<br />
klare Richtung vor.<br />
HAFEZ: Wir unterschätzen die Rolle<br />
der Medien eher. Theoretiker wie Jean<br />
Baudrillard sprechen diesbezüglich<br />
von der „Simulationsfunktion“ der<br />
Medien: Wir reproduzieren in den<br />
Medien unsere limitierten, kulturellen<br />
Sichtweisen immer wieder aufs Neue.<br />
Wir haben, um bei Baudrillard zu<br />
bleiben, keinen Zugriff auf die Realität<br />
„des Islams“ und „der Muslime“. Den<br />
meisten von uns fehlt hier jeglicher<br />
direkter Kontakt, was zu einem großen<br />
Erfahrungsvakuum führt. Deswegen<br />
kommen Fortschritte beziehungsweise<br />
alternative Lesarten in der<br />
Berichterstattung nur langsam voran.<br />
Die simulierte Realität der Medien hat<br />
„echte“ Auswirkungen im täglichen<br />
Leben, nämlich immer dann, wenn<br />
Menschen anfangen, sich gegenüber<br />
Muslimen so zu verhalten, wie es die<br />
simulierte Realität vorgibt: So entsteht<br />
Diskriminierung, die sogar mit Gewalt<br />
verbunden sein kann. Es gibt natürlich<br />
kleinere Medien, die sich schneller<br />
entwickeln, aber der Mainstream aktualisiert<br />
meist eine konstante Schleife.<br />
Aus dem Teufelskreis unserer liebgewonnenen<br />
Stereotype sind wir bis<br />
heute nicht wirklich herausgekommen.<br />
Wie ist der Wissensstand deutscher<br />
Journalisten zum Thema<br />
Islam? Gibt es Veränderungen in<br />
den letzten Jahren?<br />
HAFEZ: Noch in den 1980er und<br />
1990er Jahren war der Wissensstand<br />
sehr niedrig. Natürlich gab es einige<br />
Spezialisten wie Peter Scholl-Latour<br />
– die wussten viel, hatten aber auch<br />
ihre eigenen Stereotype. Heute ist<br />
der deutsche Journalismus besser<br />
aufgestellt. Zumindest bei großen<br />
Medien gibt es hochgradig ausgebildete<br />
Fachjournalisten. Gleichwohl klagen<br />
diese hinter vorgehaltener Hand über<br />
eingeschränkte Themenagenden, über<br />
bestimmte Konjunkturen, an denen<br />
man nicht vorbeikommt, etwa wie<br />
Herrn Sarrazin oder die Silvesternacht<br />
von Köln.<br />
BAX: Das Interesse für den Islam hat<br />
sich leider erst nach 9/11 entfaltet.<br />
Davor hat der Islam kaum jemanden<br />
interessiert, genau wie das Thema<br />
Integration. Bei einem Teil der Journalisten<br />
kann man sehen, wie sich<br />
eine Kampf-der-Kulturen-Ideologie in<br />
Form eines geschlossenen Weltbildes<br />
verfestigt hat: Alles ist Scharia, alles ist<br />
damit erklärbar. Das behaupten Leute<br />
wie Alice Schwarzer oder Bassam<br />
Tibi schon seit 30 Jahren. Andere<br />
sind später lediglich auf diesen Zug<br />
aufgesprungen. Aber es gibt natürlich<br />
auch Journalisten, die sich schlau<br />
gemacht haben und immer differenzierter<br />
berichten. Das Bestätigen von<br />
Ressentiments ist aber leider auch ein<br />
lukratives Geschäft für Medien. Denn<br />
manche Leute wollen sich ihre Ängste<br />
und Vorurteile bestätigen lassen.<br />
Wird über den Islam denn sensationalistischer<br />
berichtet als über<br />
andere Themen? Welche Dynamiken<br />
greifen hier?<br />
BAX: Nehmen wir die Islamisten.<br />
Sie wissen genau, was sie tun. Sie<br />
triggern Journalisten, provozieren<br />
Ängste, generieren Unsicherheit, das<br />
ist ihr Erfolg. Die Medien reagieren<br />
auf bestimmte Reize: Wenn das Wort<br />
„Islam“ oder „Scharia“ vorkommt – wie<br />
bei der sogenannten „Scharia-Polizei“<br />
– dann geht der Film im Kopf los.<br />
Ähnlich gehen die „Pegida“-Demonstranten<br />
vor, sie stellen sich wichtiger<br />
dar, als sie sind, weil sie es eben immer<br />
wieder schaffen, negative Aufmerksamkeit<br />
zu generieren. Der Negativismus<br />
bringt Quote, macht Auflage. Oft<br />
wollen Journalisten wahrscheinlich<br />
gar nicht unbedingt Stimmung gegen<br />
Minderheiten machen, es ist einfach<br />
ein zynisches Quotenkalkül.<br />
HAFEZ: Da findet einfach das statt,<br />
was man in der Psychologie Stereotypisierung<br />
nennt. Die Struktur ist<br />
vor der Tatsache da, und dann filtert<br />
man die Welt nach Fakten, die in diese<br />
Struktur reinpassen. Die Muslime sind<br />
autoritär, sie kennen keinen Säkularismus,<br />
in der islamischen Welt sind<br />
Staat und Religion verschmolzen und<br />
so weiter. Diese Mechanismen wirken<br />
beim kleinsten thematischen Anlass:<br />
Wie etwa bei der “Scharia-Polizei”,<br />
einer Eintagsfliege eines Halbverrückten.<br />
Themen werden teils so<br />
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