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Handbuch_Islam
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1. WELTRELIGION ISLAM<br />
1.7. salafismus<br />
• Regeln des Zusammenlebens von Muslimen und Nicht-Muslimen: Die<br />
Muslimbrüder sehen soziale Probleme als moralische Probleme. Wenn<br />
sich alle Muslime an die Glaubenspflichten und an die übrigen ethischen<br />
Regeln des Islams hielten, würden sich soziale Probleme rasch beheben<br />
lassen, so das Argument. Diese Grundvoraussetzung setzen die Muslimbrüder<br />
in tätiges Handeln um, auch indem sie zum Beispiel karitative<br />
Einrichtungen gründen, durch die sie Muslime, aber auch Nicht-Muslime<br />
unterstützen.<br />
• Gesetzgebung: Die „Islamische Ordnung“ soll durch entsprechende<br />
Gesetze verwirklicht werden. Deren Grundlage ist die Scharia. Sie muss<br />
sich auf alle gesellschaftlichen und öffentlichen Bereiche beziehen.<br />
• Die Muslimbrüder fordern ihre Mitglieder zu einem aktiven Leben in<br />
Wirtschaft und öffentlichem Leben auf und lehnen Weltflucht, Schicksalsergebenheit<br />
und Fatalismus – sprich: die Überzeugung, dass das ganze<br />
Leben vorherbestimmt sei – ab.<br />
Verschiedene Versuche der Muslimbruderschaft, über Ägypten hinaus wirksam<br />
zu werden, blieben nach der Gründerzeit weitgehend erfolglos. Lediglich in Syrien<br />
(bis zu ihrer gewaltsamen Unterdrückung in den 1980er Jahren) und in Jordanien<br />
(zwischen 1960 und 2000) waren sie von politischer Bedeutung. Auch die<br />
in Palästina aktive HAMAS-Bewegung war in den 1980er Jahren vom Gedankengut<br />
der Muslimbrüder geprägt, hat sich aber in ihrer Haltung gegenüber Israel<br />
radikalisiert. Verschiedene Versuche der Bruderschaft im 21. Jahrhundert, ihre<br />
politischen Vorstellungen durch gewalttätige Aktionen durchzusetzen, blieben in<br />
Syrien und in Ägypten erfolglos. Zwar konnten die Muslimbrüder nach dem arabischen<br />
Frühling von 2011 die Wahlen gewinnen und mit Mohammed Mursi den<br />
Staatspräsidenten stellen. Nach einer Regierungsübernahme durch das Militär<br />
werden die Muslimbrüder dort als „terroristische Organisation“ verfolgt.<br />
Autor: Prof. Dr. Peter Heine<br />
1.7. SALAFISMUS<br />
Der Begriff Salafismus geht auf die as-salaf as-salih, die rechtgeleiteten Gefährten 14<br />
des Propheten Mohammed, zurück. Für viele Muslime gelten die Weggefährten<br />
als Vorbilder, da sie direkten Kontakt zum Propheten hatten. Als salafistisch wird<br />
heute jedoch eine Bewegung bezeichnet, die für sich beansprucht, den Koran so<br />
wörtlich wie möglich auszulegen und gemäß dieser Interpretation zu leben. Zu<br />
ihren Wurzeln zählen die ägyptische Reformbewegung um 1900, die sich für eine<br />
Rückkehr zu den Ausgangsquellen des Islams (Koran und Sunna) einsetzte, und<br />
der Wahhabismus. Die letztgenannten Strömungen und Teile der salafistischen<br />
Bewegung eint das Bestreben, einen Staat mit islamischen Grundlagen zu schaffen.<br />
Jedoch trifft diese Zielsetzung nicht auf alle Salafisten zu: Einigen Salafisten<br />
reicht es, ein islamkonformes Leben führen zu können, was sie auch in multireligiösen<br />
Staaten für möglich halten.<br />
Salafistische Milieus werden in puristisch, politisch und dschihadistisch unterteilt:<br />
Die erste Gruppe ist bewusst unpolitisch. Für sie gelten Proteste gegen<br />
Regierungen und Gewalttaten als unislamisch, ebenso wie die Beteiligung an<br />
Parlamentsarbeit. Die Regierungen einiger islamischer Länder – zum Beispiel die<br />
Saudi-Arabiens – unterstützen derartige Salafisten-Gruppen aus genau diesem<br />
Grund: Im Gegensatz zu Bewegungen wie etwa der Muslimbruderschaft geht es<br />
puristischen Salafisten nicht um politische Machtergreifung, weshalb Politiker in<br />
islamischen Ländern sie mitunter als systemstabilisierend einstufen. Diese Form<br />
der Unterstützung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass salafistische Bewegungen<br />
erst in islamischen Ländern und später in Europa erstarkten.<br />
Politische Salafisten lehnen demokratische Regierungssysteme aktiv ab und propagieren<br />
ein auf der Scharia aufbauendes Rechtssystem als radikale Alternative.<br />
Sie verweigern sich Systemen, die von Menschen geschaffenes Recht über Gottesrecht<br />
stellen und Nicht-Muslime den Ton angeben lassen. Dschihadistische<br />
Salafisten befürworten darüber hinaus Gewalttaten zur Erreichung der religiösen<br />
Ziele. In Deutschland bewegen sie Jugendliche zur Ausreise in Kampfgebiete und<br />
geraten so ins Sichtfeld der Sicherheitsbehörden, die Verbote für einschlägige<br />
Vereine und Gruppierungen erteilt haben. 15<br />
14 Damit sind in der Regel die ersten drei Generationen der Muslime gemeint, ausgehend vom prophetischen<br />
Wirken Mohammeds ab dem Jahre 610 bis zum Jahre 850.<br />
15 Am 26. Februar 2015 wurde beispielsweise der Verein „Tauhid Germany“ verboten, der sich in seinen Veröffentlichungen<br />
zum gewaltsamen Dschihad als Verteidigungskrieg der Muslime bekannte.<br />
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