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2·2012 - Österreichisches Bibliothekswerk

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egründet werden. Aus der Tabula-rasa des<br />

Weltuntergangs kann eine neue, möglicherweise<br />

dystopische Gesellschaft entstehen.<br />

Science Fiction<br />

Diese sozusagen zweite Vision der Menschheit<br />

hat in der Literatur viele Varianten gefunden.<br />

Insbesondere die gegenwärtige Jugendliteratur<br />

gestaltet sie oft mit Motiven der Science<br />

Fiction, wobei Science hier auch jenseits von<br />

technisierter Naturwissenschaft verstanden<br />

werden soll. Genmanipulation, totale Überwachung<br />

oder Gedankenkontrolle referieren<br />

auf aktuelle Diskurse, die bisweilen phantastisch<br />

überzeichnet werden. In „Delirium“ von<br />

Lauren Oliver wird die Liebe als gefährliche<br />

Krankheit – „Amor deliria nervosa“ – deklariert<br />

und bei Beginn des 18. Lebensjahres<br />

operativ entfernt. Symptome wie Euphorie,<br />

wechselnder Appetit und Realitätsverzerrung<br />

gelten in diesem zukünftigen Amerika als gefährlich.<br />

Der erwachende Protest gegen den<br />

schwerwiegenden Eingriff manifestiert sich<br />

unter anderem in einer Website, die Zugriff<br />

auf die „Vollständige Sammlung gefährlicher<br />

Wörter und Gedanken“ – unter anderem auch<br />

Liebesgedichte – erlaubt.<br />

Die weltweite Vernetzung ist es auch, die den<br />

Widerstand in Cory Doctorows „Litte Brother“<br />

trägt. Der unter Creative-Commons-Lizenz veröffentlichte<br />

Roman ist Beispiel dafür, dass sich<br />

die „Science Fiction“, also die Fiktionalisierung<br />

bn 2012 / 2<br />

impulse<br />

von Wissenschaft, Technik oder Medizin nicht<br />

immer weit von der tatsächlichen Realität<br />

entfernen muss. Die „Heimatschutzbehörde“<br />

beschneidet unter dem Vorwand „War on terror“<br />

jede Privatsphäre; die zentralen Figuren<br />

wehren sich ihrerseits mit einem Untergrund-<br />

Netz, das sie über die tatsächlich existierende<br />

Spielkonsole Xbox realisieren. Trotz der unterschiedlichen<br />

Verortung auf der Realitätsskala<br />

erzählen beide Texte – „Delirium“ und „Little<br />

Brother“ – von einem negativ, weil totalitär<br />

geprägten System. Der Schritt zur Dystopie<br />

wäre also geschafft.<br />

Dystopie<br />

Die möglichen Bausteine der literarischen<br />

Dystopie wären hiermit geklärt: Aus einer<br />

Nullpunktsituation wie z.B. einem postapokalyptischen<br />

Szenario entwickelt sich eine neue<br />

Gesellschaft, die durch Elemente der Science<br />

Fiction geprägt und negativ dargestellt ist.<br />

Zentral ist dabei die bereits angesprochene<br />

politische Dimension, die die Dystopie von<br />

anderen düsteren Zukunftsvisionen abgrenzt.<br />

Dabei greift die Literatur nicht nur auf die<br />

jüngste Geschichte der Diktaturen zurück,<br />

sondern auch auf die Machtstrukturen der<br />

Antike. Das bereits angesprochene Land Panem<br />

aus der gleichnamigen Trilogie geht zurück<br />

auf „Panem et Circenses“, also „Brot und<br />

Spiele“ und verweist auf das Propaganda-Ereignis,<br />

das das Kapitol jährlich ausruft: In einer<br />

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