2·2012 - Österreichisches Bibliothekswerk
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impulse<br />
234<br />
Von den Abgründen im Spiel<br />
von Andreas Waltenstorfer<br />
Abgründe als spielerisches Moti v?<br />
Schnell tauchen Assoziati onen auf<br />
mit Schluchten und Meeresti efen<br />
und ebenso schnell die dazu passenden<br />
Spiele. Vermutlich wird es vielen dabei gehen<br />
wie mir, dass unweigerlich und als erstes<br />
das Bild des sagenhaft en Konti nents Atlanti s<br />
auft aucht, der ein Opfer der Meeresfl uten<br />
wird. Wer in der Online-Spieledatenbank<br />
Luding (www.luding.org) nach dem Spielti tel<br />
„Atlanti s“ sucht, wird mit 16 Titeln fündig,<br />
darunter neben dem bekannten Ur-ATLANTIS<br />
(Schmidt-Spiele, 1988) auch das gleichnamige<br />
Amigo-Spiel „Atlanti s“, das 2010 den Wiener<br />
Spielepreis „Spiel der Spiele“ erhalten hat.<br />
Themati sches Ziel des Spiels ist natürlich die<br />
Flucht vom sinkenden Sagenkonti nent.<br />
Interessantes Detail am Rande: Autor von<br />
„Atlanti s“ ist Leo Colovini, der gemeinsam mit<br />
der Autorenlegende Alex Randolph das Spiel<br />
„Inkognito“ (MB, 1988) gestaltet hat, einen<br />
modernen Dedukti onsspielklassiker rund um<br />
die Suche nach verbündeten Agenten in Venedig.<br />
Was daran interessant sein soll? Der<br />
Ort: Venedig, die Stadt, über der das Damoklesschwert<br />
des Niedergangs schwebt, ständig<br />
davon bedroht, in den Abgründen der Lagune<br />
zu versinken, neben allen architektonischen<br />
und städtebaulichen Besonderheiten sicher<br />
auch ein Element, das den unbeschreiblichen<br />
wenngleich morbiden Reiz der Serenissima<br />
ausmacht. Interessant in diesem Zusam-<br />
bn 2012 / 2<br />
menhang ist die Tatsache, dass keines der<br />
zahlreichen Venedig-Spiele den drohenden<br />
Untergang themati siert. Im Mitt elpunkt stehen<br />
Gondeln, Kanäle, Casanova und andere<br />
Stereotype, aber (meines Wissens) niemals<br />
der Zahn der Zeit und der Gezeiten, der stärker<br />
an der Existenz der Stadt nagt als an jedem<br />
anderen Ort der Welt.<br />
Hier zeigt sich ganz eindeuti g die Tendenz<br />
des Spiels, seine Protagonisten in eine positi<br />
ve Rolle zu versetzen, die Rolle des Helden,<br />
der Prinzessinnen rett et, Länder erobert und<br />
aus minimalem Anfangskapital quasi vom<br />
Tellerwäscher zum Millionär wird. Auch der<br />
soziale Abgrund wird bestenfalls am Rande<br />
themati siert, z.B. in Form der spielerisch<br />
beliebten Figur des Bett lers. Negati v ist er<br />
in den seltensten Fällen, ganz im Gegenteil<br />
kann sein Auft reten bzw. seine Verwendung<br />
zum spielerischen Vorteil eingesetzt werden.<br />
Realer und auch spielerisch meist negati v<br />
wird es beim Nieder- oder Untergang von<br />
Einzelobjekten: Brücken, Schiff e, Floße und<br />
Eisschollen sind beliebte Objekte, die entweder<br />
selbst vom Untergang bedroht sind oder<br />
wo darauf befi ndliche Figuren Gefahr laufen,<br />
in den Abgrund zu stürzen oder von diesem<br />
verschlungen zu werden. Sehr häufi g fi nden<br />
sich diese Moti ve in Kinder- und Kleinkinderspielen,<br />
wo die Kleinsten meist vor die Aufgabe<br />
gestellt sind, möglichst viele Spielfi guren<br />
zu rett en. Unter Umständen geht es auch dar-