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2·2012 - Österreichisches Bibliothekswerk

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nungen vor virtuellen Abgründen nicht abschrecken<br />

ließen. Vielmehr haben sie sich<br />

unerschrocken gegen die Konventionen ihrer<br />

Zeit gestellt, haben es ertragen, in ihrer Generation<br />

möglicherweise unverstanden zu<br />

bleiben, und sind ihrer Berufung gefolgt.<br />

Zwei Seiten einer Grenze<br />

Ich habe noch heute die warnenden Stimmen<br />

meiner Großeltern im Ohr: Geht da nicht hin.<br />

Bleibt bei uns. Nicht dort hinüber. In ihrer<br />

Gegend, dem nördlichen Mühlviertel, war<br />

es immer wieder passiert, dass Menschen<br />

beim Beerenpflücken oder Schwammerlsuchen<br />

den unsichtbaren Abgrund zwischen<br />

Österreich und dem angrenzenden Ostblock<br />

nicht bemerkt hatten. Er war dort ja nur einen<br />

Schritt entfernt, begann vielleicht genau<br />

dort, wo der prächtige Steinpilz wuchs.<br />

Die Erwachsenen wussten genau, dort, irgendwo,<br />

im Unterholz, patrouillierten möglicherweise<br />

tschechische Soldaten. Und<br />

immer wieder gab es Geschichten, dass<br />

diese auch geschossen hätten, nachdem sie<br />

verdächtige Bewegungen im Grenzbereich<br />

wahrgenommen hätten. Zumindest große<br />

Schwierigkeiten konnte man sich einhandeln,<br />

wenn man ohne Papiere – ja ohne sich<br />

dessen bewusst zu sein – per pedes den Ostblock<br />

betrat.<br />

bn 2012 / 2<br />

impulse<br />

Viele Jahre später, als ich längst erwachsen<br />

war, meine Großeltern tot und der Ostblock<br />

Geschichte, habe ich das einmal einem tschechischen<br />

Caritas-Mitarbeiter erzählt. Es tat<br />

mir so gut, diese Erlebnisse auszusprechen.<br />

An dem Ort, der für mich den Ursprung dieser<br />

Bedrohung von damals darstellte – auch wenn<br />

davon nichts mehr zu merken war, wenn wir<br />

ganz friedlich in einer Konditorei saßen und<br />

wunderbare Mehlspeisen genossen.<br />

Und dann kam die Antwort des Caritas-Mitarbeiters:<br />

Er war selber während seiner Militärzeit<br />

an dieser Grenze stationiert gewesen.<br />

Nicht als Wächter, das machten andere – er<br />

war für Verwaltungsangelegenheiten zuständig.<br />

Aber trotzdem, sagte er, wenn er etwas<br />

bemerkt hätte, verdächtige Bewegungen im<br />

Grenzstreifen, zufällig – er hätte den Auftrag<br />

gehabt, zu schießen. Und seine Angst, in diese<br />

Situation zu kommen, war groß gewesen,<br />

in all den Monaten. Erschreckend plastisch<br />

hatte er genau diesen Moment immer wieder<br />

vor Augen.<br />

Gründonnerstagserlebnisse<br />

In Zeichentrickfilmen sieht man immer wieder<br />

Figuren, die über Schluchten hinweglaufen.<br />

Die Beine bewegen sich dann gewissermaßen<br />

im Leeren - aber so lange die Figur nicht<br />

erkennt, dass sie keinen Boden mehr unter<br />

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