MEDIAkompakt 21: Schicksal vs. Zufall
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DIE ZEITUNG DES STUDIENGANGS MEDIAPUBLISHING<br />
DER HOCHSCHULE DER MEDIEN STUTTGART AUSGABE 01/2017 26.01.2017<br />
media<br />
kompakt<br />
FREMD IM<br />
EIGENEN KÖRPER<br />
SEITE 4 / 5<br />
MEIN ZUFALLSTAG –<br />
EIN SELBSTVERSUCH<br />
SEITE 10<br />
BRETTSPIEL: ORAKEL<br />
DIR DEIN SEMESTER<br />
SEITE 16 /17<br />
SCHICKSAL VS. ZUFALL
2<br />
EDITORIAL<br />
mediakompakt<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
3 <strong>Zufall</strong> oder <strong>Schicksal</strong>?<br />
Eine Einführung<br />
4 Fremd im eigenen Körper<br />
Wie aus Carolin Marlon wurde<br />
„<strong>Schicksal</strong> <strong>vs</strong>. <strong>Zufall</strong>“, so lautet der Titel der aktuellen <strong>MEDIAkompakt</strong>-Ausgabe, die von den<br />
Studierenden des Studiengangs MEDIApublishing an der Hochschule der Medien konzipiert,<br />
geschrieben, gestaltet und produziert wurde.<br />
<strong>Schicksal</strong> und <strong>Zufall</strong> kann uns in vielfältiger Form begegnen, dabei ist es völlig offen, ob es unser<br />
Leben in positiver oder negativer Weise beeinflusst. <strong>Schicksal</strong>sschläge, wie beispielsweise die Diagnose<br />
einer Krankheit kann eine neue Perspektive auf die irdische Existenz liefern. Nicht immer ist etwas,<br />
was wir vermeindlich nicht steuern können, aber zu unserem Nachteil. Was passiert eigentlich, wenn<br />
man einen Tag seines Lebens dem <strong>Zufall</strong> überlässt und über zunächst banale Entscheidungen am<br />
Ende ganz zufällig Menschen trifft und Dinge tut, die man sich zwar schon lange vorgenommen hat,<br />
aber zu denen man sich nie aufraffen konnte?<br />
Ist am Ende gar alles nur ein einfaches kausales Prinzip nachdem auf jede Aktion eine Reaktion<br />
erfolgt?<br />
Auch in dieser Ausgabe gibt es wieder zahlreiche lesenswerte Artikel mit interessanten Einsichten und<br />
Standpunkten. Selbst für Unterhaltung in Form eines Spieles wurde dieses Mal gesorgt und ganz<br />
Mutige können sich sogar am Backen von Glückskeksen ausprobieren.<br />
Wir danken an dieser Stelle unseren Anzeigenpartnern, die uns mit der Schaltung die notwendige<br />
finanzielle Basis für dieses Projektes bereitstellen.<br />
6 Danke, dass ich leben darf<br />
Hilfsorganisationen für den Notfall<br />
8 Multiple Sklerose – <strong>Schicksal</strong>sjahre einer Krankheit<br />
Das Leben mit der Krankheit<br />
9 Über das <strong>Schicksal</strong> gestolpert<br />
Vaihingens Stolperstein-Initiative<br />
10 Mein <strong>Zufall</strong>stag – ein Selbstversuch<br />
Laura lässt sich vom <strong>Zufall</strong> leiten<br />
12 Der <strong>Zufall</strong> in der Kunst<br />
Die Ausstellung „[un]erwartet“ in Stuttgart<br />
13 Und dann stürzt alles in sich zusammen<br />
Bestimmen Aktion und Reaktion das Leben?<br />
14 Die Sache mit den Glückskeksen<br />
Der Versuch eines Back-Tutorials<br />
16 Orakel dir dein Semester<br />
Ein Spiel<br />
18 Glück: Do‘s und Don‘ts:<br />
Symbolische Ratschläge für den Alltag<br />
20 <strong>Schicksal</strong> braucht Zufälle<br />
Eine Kurzgeschichte über die Liebe<br />
Prof. Christof Seeger<br />
Herausgeber<br />
22 Work. Eat. Sleep. Repeat<br />
Das Leben einer Flugbegleiterin<br />
24 Die geheimnisvolle Sehergabe –<br />
oder wann kommt endlich der Weltuntergang?<br />
Von Nostradamus und anderen<br />
26 Die Sucht nach Glück<br />
Die Faszination Glücksspiele<br />
28 Die Entscheidung über ein fremdes <strong>Schicksal</strong><br />
Interview mit einer BAMF-Mitarbeiterin<br />
IMPRESSUM<br />
mediakompakt<br />
Zeitung aus dem Studiengang Mediapublishing<br />
Hochschule der Medien Stuttgart<br />
HERAUSGEBER<br />
Prof. Christof Seeger<br />
Studiengang Mediapublishing<br />
Postanschrift: Nobelstraße 10<br />
70569 Stuttgart<br />
REDAKTION<br />
Prof. Christof Seeger (V.I.S.d.P.)<br />
E-Mail: seeger@hdm-stuttgart.de<br />
PROJEKTLEITUNG<br />
Susan Störkle, Nina Henning<br />
ANZEIGENVERKAUF<br />
Julia Kondraeva, Anne Kreuter, Celina Müller, Sina Sikler,<br />
Regina Spangler, Peter Stuhr<br />
PRODUKTION<br />
Andrea Hehn, Lucie Mödl, Diana Riegger<br />
BILDREDAKTION<br />
Felix Möller<br />
GRAFIK TITELSEITE<br />
Unsplash<br />
MEDIANIGHT-TEAM<br />
Kilian Baier, Alina Breunig, Laura Kibele, Miriam<br />
Rentschler, Christina von Roth<br />
DRUCK<br />
Z-Druck Zentrale Zeitungsgesellschaft GmbH & Co. KG<br />
Böblinger Straße 70<br />
71065 Sindelfingen<br />
ERSCHEINUNGSWEISE<br />
Einmal im Semester zur Medianight<br />
30 Das <strong>Schicksal</strong> der Flüchtlinge –<br />
auch unser eigenes?<br />
Ein Kommentar zum Thema
1/2017 THEMA<br />
3<br />
<strong>Zufall</strong> oder<br />
<strong>Schicksal</strong>?<br />
<strong>Schicksal</strong> – ein Ereignis<br />
oder Erlebnis, das von<br />
höheren Mächten gesteuert<br />
sein soll. <strong>Zufall</strong> – ein<br />
Ereignis oder Erlebnis,<br />
welches keinen kausalen<br />
Zusammenhang hat.<br />
VON CHRISTINA VON ROTH<br />
Bild: pixabay.de<br />
Dies sind die trockenen Erklärungen,<br />
die uns von Wikipedia gegeben<br />
werden. Hängen diese beiden nun<br />
zusammen? Gibt es das eine und ist<br />
das andere nur Aberglaube? Oder sind<br />
sie gar ein und dasselbe?<br />
Seit Menschengedenken versuchen Gelehrte<br />
diese Fragen zu ergründen. Auch in unserer Zeit<br />
werden Philosophen dieses Themas nicht müde.<br />
Wir wünschen uns bei tiefgreifenden Mo -<br />
menten unseres Lebens, dass es <strong>Schicksal</strong> ist, dass<br />
eine höhere Macht entschieden hat, dass man<br />
genau an einem bestimmten Abend genau diesen<br />
Bus nimmt und dann die Liebe seines Lebens<br />
trifft. Es klingt romantisch und gibt dem Ganzen<br />
etwas Magisches.<br />
Aber ist es nicht einfach nur <strong>Zufall</strong>, wenn<br />
man entscheidet, diesen einen Bus zu nehmen?<br />
Was, wenn einem auf dem Weg zur Haltestelle<br />
einfällt, dass man zuhause das Licht angelassen<br />
hat und man wieder zurückgehen muss? Ist man<br />
dann dazu verdammt, diesen einen Menschen<br />
niemals zu treffen?<br />
Die viel wichtigere Frage in dieser Ergründung<br />
ist jedoch: Ist alles vorbestimmt oder steuern wir<br />
unser Leben selbst? Können wir uns zurück -<br />
lehnen und warten bis etwas kommt oder sollen<br />
wir das <strong>Schicksal</strong> selbst in die Hand nehmen?<br />
Der Autor, Philosoph und Physiker Dr. Stefan<br />
Klein ist genau diesem Thema auf den Grund<br />
gegangen und hat durch aktuelle Forschungs -<br />
ergebnisse den <strong>Zufall</strong> ergründet.<br />
Laut seiner Theorie ist unser Gehirn darauf<br />
vorprogrammiert, in allem was uns geschieht<br />
einen Sinn zu suchen. Man lernt durch das<br />
Erkennen von Mustern und so suchen wir, in<br />
allem was wir erleben, nach Mustern. Wenn wir<br />
als Säugling kein Muster in den Unterhaltungen<br />
unserer Eltern erkannt hätten, hätten wir niemals<br />
Sprechen gelernt, so Klein.<br />
So erklärt er auch den „durch Gedanken<br />
ausgelösten Anruf der besten Freundin“, an die<br />
man gerade noch gedacht hat – man nimmt<br />
selektiv war. Man denke häufig an diese eine<br />
Person, jedoch klingele nicht gleich jedes Mal das<br />
Telefon – wenn es dann einmal passiert, ziehen<br />
wir gleich den Schluss, dass wir die Freundin dazu<br />
bewegt haben, uns anzurufen.<br />
Damit hätten wir eine sehr logische – wenn<br />
auch etwas zynische – Erklärung für den <strong>Zufall</strong><br />
und gegen die Existenz des <strong>Schicksal</strong>s.<br />
Doch was bewegt ganze Glaubensgemein -<br />
schaften seit Jahrhunderten dazu, an göttliche<br />
Vorhersehung oder gar den Einfluss der Gestirne<br />
auf unser Leben zu glauben? Der Glaube an Gott<br />
gibt Menschen eine gewisse Sicherheit und einen<br />
gewissen Halt und bewegt Gläubige folglich<br />
dazu, zu glauben, Gott hätte einen unmittel -<br />
baren Einfluss auf ihr Leben.<br />
Schon in der Mythologie gab es die perso -<br />
nifizierte Macht, sogenannte <strong>Schicksal</strong>sgott -<br />
heiten, wie z. B. Fortuna (lat. für Glück, Schick -<br />
sal). Diese Gottheiten sollen den Lauf der Welt<br />
beherrscht und jedem Menschen sein <strong>Schicksal</strong><br />
gesendet haben.<br />
Das Karma aus dem Hinduismus, Buddhis -<br />
mus oder Jainismus bezeichnet grundsätzlich<br />
nichts anderes als ein spirituelles Konzept, nach<br />
dem jede Handlung eine Folge hat.<br />
Eine andere Art des <strong>Schicksal</strong>s wird durch das<br />
Lesen der Gestirne beschrieben. Hier können<br />
Astrologen anhand der Gestirnskonstellation am<br />
Tag der Geburt eines Menschen dessen Charakter<br />
zeichnen. Handlungen und Entscheidungen<br />
seien durch die Sterne vorgesehen und nicht<br />
beeinflussbar. Natürlich kann man das Leben<br />
dadurch nicht genau voraussagen, aber es<br />
werden einem Möglichkeiten aufgezeigt, die<br />
man nützen könnte. Dies, beschreibt Stefan<br />
Klein in seinem Buch „Alles <strong>Zufall</strong>“, könne man<br />
mit dem <strong>Zufall</strong> auch. Denn durch Zufälle werden<br />
einem immer wieder neue Chancen und<br />
Möglichkeiten geboten, man müsse nur lernen<br />
auf sie zu achten und sie auch zu nutzen.<br />
Wie sieht nun das Meinungsbild im Land<br />
aus? In einer aktuellen Umfrage von Shell, in der<br />
rund 2.500 Personen zwischen 12 und 25 Jahren<br />
befragt wurden, beantworteten 52,6% die Frage<br />
„Glauben Sie, dass <strong>Schicksal</strong> und Vorbestim -<br />
mung Einfluss auf Ihr Leben haben?“ mit „Nein“.<br />
Somit haben aber auch 45,8% mit Ja geant -<br />
wortet.<br />
Die Einstellung, dass irgendetwas unser<br />
Leben in irgendeiner Form beeinflusst, ist also<br />
sehr weit verbreitet. So hat man eine angenehme<br />
Ausrede und kann sein Unglück auf höhere<br />
Mächte schieben.<br />
In einer weiteren Umfrage von Shell ist etwas<br />
mehr ins Detail gegangen worden, um genau<br />
herauszufinden, an welche Art von höheren<br />
Mächten nun geglaubt wird.<br />
„Welche Dinge, glauben Sie, haben Einfluss<br />
auf Ihr Leben?“ – 46% setzten ihr Kreuzchen bei<br />
<strong>Schicksal</strong> und Vorbestimmung, 23,8% bei Engel<br />
und gute Geister, 22,3% bei Sterne und<br />
Konstellationen und 15,6% bei unerklärliche<br />
Phänomene. Dies sind alles noch erwartbare<br />
Antworten. Jedoch kreuzten ganze 8,8% Satan<br />
und böse Geister und 7% Ufos oder Außer -<br />
irdische an.<br />
Dieser Artikel hat versucht, einen allge -<br />
meinen Überblick zu geben, jedoch konnte man<br />
nicht auf alle zu Beginn gestellte Fragen<br />
Antworten bieten. Es ist, wie vieles im Leben,<br />
eine Glaubensfrage. Die Wissenschaftler pochen<br />
auf ihre Forschungsergebnisse, Astrologen ste -<br />
hen fest hinter ihrer Deutung der Gestirne und<br />
Christen, Hindus, Buddhisten oder Ufo-Gläubige<br />
halten fest an ihrer höheren Macht.<br />
Was sie jedoch alle gemein haben ist, dass wir<br />
Menschen in allem, was wir erleben, einen<br />
höheren Sinn suchen. Wie Stefan Klein sagt,<br />
„sind wir dazu programmiert, ein Muster in<br />
allem zu erkennen.“ Aus diesem Muster schließt<br />
jeder Mensch für sich allein ob es <strong>Schicksal</strong> oder<br />
<strong>Zufall</strong> ist.
Bild: pixabay.de
1/2017 AUS DEM LEBEN<br />
5<br />
Fremd im<br />
eigenen Körper<br />
Marlon* ist 25 – Groß, muskulös, mit Dreitagebart. Er ist so<br />
glücklich und zufrieden wie noch nie zuvor. Doch das war nicht<br />
immer so, denn Marlon wurde als Mädchen geboren. Sein<br />
junges Leben ist gezeichnet von Verwirrung, Verzweiflung und<br />
Ausgrenzung. Erst ein Selbstmordversuch bringt ihn an den<br />
Wendepunkt seines Lebens. Er entscheidet sich zu einer<br />
Geschlechtsumwandlung.<br />
VON MIRIAM RENTSCHLER<br />
Marlon blickt in die Ferne. Er schätzt<br />
sein Motiv ab, geht in die Hocke<br />
und legt die Spiegelreflexkamera<br />
an. Ein Auge ist zugekniffen, das<br />
andere blickt konzentriert durch<br />
den Sucher. Mit gekonnten Handbewegungen<br />
fokussiert er sein Motiv – er drückt ab.<br />
Fotografieren ist Marlons große Leidenschaft.<br />
„Die Welt steht in Bildern still. Eine Aufnahme<br />
nur für diesen einen Moment“, erklärt Marlon. Er<br />
wirkt selbstbewusst. Sneakers, hochgekrempelte<br />
Jeans, Kapuzenpullover und Basecap. Ein ganz<br />
normaler junger Mann eben. Bis auf die Tatsache,<br />
dass Marlon noch vor zwei Jahren Carolin hieß.<br />
„Im Kopf bin ich ein Junge, aber stecke im Körper eines<br />
Mädchens.“<br />
Heute steht Marlon in seinem Personal -<br />
ausweis. Geschlecht: männlich. Doch die Än -<br />
derung seines Vornamens war nur eine von vielen<br />
Etappen die er, auf seinem Weg ein Mann zu<br />
werden, gehen musste. Schon als Kind fühlte sich<br />
Marlon nie als Mädchen. Zusammen mit seinen<br />
Eltern und seinem großen Bruder wuchs er in<br />
behüteten Verhältnissen auf. Die Spielsachen<br />
seines Bruders waren immer viel interessanter als<br />
die typischen Mädchen-Geschenke die er<br />
bekommen hat. Anstatt geflochtenen Zöpfen,<br />
lieber eine Kurzhaarfrisur. Anstatt Kleider, lieber<br />
eine zerrissene Jeans. „Meine Eltern dachten, dass<br />
ich nur eine Phase durchmache und meinem<br />
großen Bruder hinterhereifere. Doch ich wusste<br />
genau: Im Kopf bin ich ein Junge, aber stecke im<br />
Körper eines Mädchens“, erinnert sich Marlon.<br />
„In der Grundschule hatte ich viele Freunde,<br />
hauptsächlich Jungs. Sobald ich aber auf die<br />
weiterführende Schule ging und die Pubertät<br />
einsetzte, ging es nur noch bergab.“<br />
Mit der Pubertät veränderte sich Marlons<br />
Körper in den einer Frau und er konnte nur hilflos<br />
dabei zusehen. Er ekelte sich vor sich selbst. Band<br />
sich seine Brüste mit Mullbinden ab, trug stets<br />
lockere Kleidung und verschloss sich in seiner<br />
eigenen Welt. Das Mobbing machte es nicht<br />
besser, „Scheiß Lesbe“ oder „Zwitter“ waren noch<br />
die freundlichsten Beleidigungen, die er über sich<br />
ergehen lassen musste.<br />
„Ich wünschte mir einfach nur zu sterben, um als Junge<br />
wiedergeboren zu werden.“<br />
Doch Marlon ist bei weitem kein Einzelfall. In<br />
Deutschland leben rund 17.000 transsexuelle<br />
Menschen mit diesem <strong>Schicksal</strong>. Ein <strong>Schicksal</strong> das<br />
ihnen nicht im Laufe ihres Lebens widerfährt; ein<br />
<strong>Schicksal</strong> mit welchem sie geboren werden. Viele<br />
schämen sich dafür, kennen ihre Rolle in der<br />
Gesellschaft nicht und haben Angst deswegen<br />
verstoßen zu werden. So auch Marlon. Mit 20 will<br />
er sich das Leben nehmen und verletzt sich selbst<br />
schwer an seinen Pulsadern. Doch er überlebt.<br />
„Ich kann und möchte darüber nicht sprechen, zu<br />
diesem Zeitpunkt war ich am Tiefpunkt meines<br />
Lebens. Ich wünschte mir einfach nur zu sterben<br />
um als Junge wiedergeboren zu werden“, erzählt<br />
Marlon traurig. Doch genau dieser Tag wurde zum<br />
Wendepunkt in seinem Leben. Mit dem Selbstmordversuch<br />
wird Marlon in eine psychiatrische<br />
Klinik eingewiesen und vertraut sich Psychologen<br />
und Ärzten an. Erst jetzt wird er ernst genommen<br />
und fühlt sich verstanden. „Für meine Eltern war<br />
es schwer. Mein Vater wollte seine Tochter nicht<br />
verlieren. Ich musste ihm erklären, dass er nie eine<br />
Tochter hatte.“ Doch sie stehen hinter Marlon,<br />
geben ihm den Beistand und die Unterstützung<br />
die ihm immer gefehlt hat.<br />
Die erste Testosteronspritze war der Start in ein neues<br />
Leben<br />
Zwei Jahre verbringt Marlon in der psychiatrischen<br />
Einrichtung, wird psychologisch betreut<br />
und beginnt mit der Hormontherapie in Form<br />
von Testosteronspritzen. „Ich kann mich noch gut<br />
an die erste Injektion erinnern, das war der Start in<br />
mein neues Leben. Einem Leben als Mann.“ In<br />
den darauffolgenden Monaten verändert sich<br />
sein Körper stetig. Nicht nur die zunehmende<br />
Muskulatur freut Marlon, vor allem die ersten<br />
Bartstoppeln am Kinn waren ein besonderes Highlight<br />
für ihn. An seine tiefe Stimme musste er sich<br />
selbst erst einmal gewöhnen. „Mit <strong>21</strong> in die Pubertät<br />
zu kommen hat doch auch was. Und dieses<br />
mal in die richtige Pubertät“, sagt Marlon grinsend<br />
und fährt sich stolz durch seinen Bart. Erst<br />
vor einem halben Jahr hat er sich in einer Operation<br />
die Brüste entfernen lassen. Allein für diesen<br />
Eingriff sind vier psychologische Gutachten notwendig.<br />
Die Tage im Krankenhaus beschreibt er<br />
als einen weiteren Meilenstein auf seinem Weg<br />
zum Mann. Er sei überglücklich gewesen als er aus<br />
der Narkose aufgewacht ist, die Schmerzen habe er<br />
ohne Murren hingenommen.<br />
Marlons Familie und die Menschen in seiner<br />
Umgebung haben seine äußerliche Veränderung<br />
mit Toleranz und Respekt aufgenommen, sie<br />
sehen in ihm einen ganz anderen Menschen,<br />
obwohl er ein und dieselbe Person ist. Aber nicht<br />
nur die äußerliche Veränderung, auch die seelische<br />
Veränderung macht aus Marlon eine neue<br />
Persönlichkeit. Er beschreibt sich heute als selbstbewusst,<br />
lebensfroh und spontan. Er macht eine<br />
Ausbildung zum Fotografen, er ist sportlich und<br />
trainiert im Fitnessstudio, er trifft sich mit Freunden<br />
und geht auf Partys. „Carolin wird natürlich<br />
immer Teil meines Lebens sein und auch bleiben.<br />
Aber ich blicke jetzt nach vorne, denn ich habe<br />
meinen Lebenswillen zurück.“<br />
Für die geschlechtsangleichende Operation<br />
möchte sich Marlon jedoch noch etwas Zeit nehmen,<br />
denn er hat großen Respekt vor diesem Eingriff.<br />
„Der Tag wird kommen, auf jeden Fall“,<br />
grinst er verlegen. „Aber für den Moment bin<br />
einfach nur stolz, dass ich es bis hierhin geschafft<br />
habe. Jetzt bin ich glücklich!“<br />
* Name durch Redaktion geändert
6 AUS DEM LEBEN<br />
mediakompakt<br />
Bild: flickr.com<br />
Danke, dass ich leben darf<br />
Krebs zählt zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland – jeden Zweiten trifft es einmal im<br />
Laufe des Lebens. Nach Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems ist Krebs die zweithäufigste<br />
Todesursache. Wie es sich anfühlt Betroffener zu sein ist nur schwer vorstellbar. Doch wie<br />
reagiert man tatsächlich wenn, man von dem Arzt die Diagnose Krebs gestellt bekommt?<br />
VON ALINA BREUNIG<br />
Zahl der Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland<br />
gestiegen<br />
Wie aus dem „Bericht zum Krebsgeschehen in<br />
Deutschland“ vom Robert-Koch-Institut hervorgeht,<br />
hat sich die Zahl der Krebs-Neuerkrankungen<br />
in Deutschland seit 1970 fast verdoppelt.<br />
So erkrankten im Jahr 2013 in etwa 482.500 Menschen<br />
an bösartigen Tumoren, im selben Jahr<br />
starben ca. 223.000 Menschen an den Folgen von<br />
Krebs. Nach der Bilanz des Bundesgesundheitsministers<br />
Hermann Gröhe leben Betroffene nach<br />
der Diagnose aber deutlich länger als noch vor<br />
zehn Jahren: „Die Überlebensraten in Deutschland<br />
gehören zu den höchsten in Europa.“ Die Zunahme<br />
der Erkrankungen wird begründet durch die<br />
immer älter werdende Gesellschaft, denn bei<br />
vielen Krebsarten steigt das Erkrankungsrisiko mit<br />
dem Alter.<br />
Der Sturz aus der Wirklichkeit<br />
Die Diagnose Krebs ist ein Schock. Der<br />
darauffolgende Kampf gegen die Krankheit ist oft<br />
nicht nur eine körperliche, sondern vor allem<br />
auch eine psychische Belastung. Sehr häufig<br />
zeigen sich die Betroffenen geschockt, sind<br />
fassungslos und ungläubig. In der Psychoonkologie<br />
spricht man von dem „Sturz aus der Wirklichkeit“.<br />
Noch während des Gesprächs mit dem<br />
Arzt schalten viele Patienten deshalb einfach ab<br />
und bekommen die weiteren Therapiemöglichkeiten<br />
und Untersuchungen gar nicht mehr mit.<br />
Nach dem ersten traumatischen Entsetzen funktionieren<br />
die meisten Betroffenen erst einmal: Sie<br />
nehmen regelmäßig ihre Arzttermine wahr, lassen<br />
sich operieren, unterziehen sich der Chemotherapie.<br />
Es läuft eine Art Notfallprogramm ab,<br />
das auf das Überleben ausgerichtet ist. Die Seele<br />
versteckt sich im Grunde erst einmal. Dann ist es<br />
aber wichtig, wieder auf die Beine zu kommen. Es<br />
geht darum, auf andere Gedanken zu kommen,<br />
sich abzulenken, Ängste einzugrenzen. Denn eine<br />
positive Einstellung begünstigt, gerade wenn Betroffene<br />
sehr krank sind, immer die Lebenskraft.<br />
Auch wenn die innere Einstellung eine Krebserkrankung<br />
leider nicht heilen kann. Wer es schafft,<br />
trotz des <strong>Schicksal</strong>sschlags auf die eigenen Kräfte<br />
und Erfahrungen zu vertrauen, hat schon viel für<br />
sich erreicht. Es ist deshalb wichtig sich nicht zurückzuziehen,<br />
sondern den Kontakt zu Bekannten<br />
und Freunden aufrechtzuerhalten; aktiv auf die<br />
Ärzte zuzugehen um offene Fragen zu klären; nicht<br />
nachzulassen und seine Hoffnung nie aufzugeben;<br />
durch die Erkrankung nicht den Lebenswillen zu<br />
verlieren, sondern sein <strong>Schicksal</strong> selbst in die<br />
Hand nehmen.<br />
Ich bin krank und brauche deine Hilfe<br />
„Krebs ist ein Arschloch. Und dieses Arschloch<br />
hat heute bei mir angeklopft. Und weil Arschlöcher<br />
meistens nicht alleine kommen, brauche<br />
ich deine Hilfe.“ Mit diesen Worten beginnt<br />
Claudius Holler sein YouTube Video, das er am<br />
Tag nach seiner Krebs-Diagnose online stellte.<br />
Durch diesen öffentlichen Hilferuf versucht der<br />
38-jährige wieder auf die Beine zu kommen und<br />
sich nicht vom <strong>Schicksal</strong> fremdbestimmen zu<br />
lassen. Das Video verbreitete sich schnell über<br />
die verschiedenen sozialen Netzwerke. Zahlreiche<br />
User solidarisieren sich unter dem Hashtag
1/2017 AUS DEM LEBEN<br />
7<br />
#hollerkaputt mit ihm, schickten ihm Wünsche<br />
zur Genesung und unterstützen ihn in Form von<br />
Spenden. Mit so viel Anteilnahme hat selbst<br />
Holler nicht gerechnet und zeigt sich auf Twitter<br />
sehr berührt von der Hilfsbereitschaft der Menschen.<br />
Claudius Holler ist kein Einzelfall. Immer<br />
häufiger werden die Betroffenen und deren<br />
Angehörige selbst aktiv und rufen in den sozialen<br />
Netzwerken dazu auf, sie im Kampf gegen den<br />
Krebs zu unterstützen. Crowdfunding bietet ihnen<br />
eine gute Möglichkeit, die hohen Arzt- und Behandlungskosten<br />
zu bezahlen – Crowdfunding für<br />
Kranke sozusagen. Bisher wurden vor allem Filmprojekte,<br />
Alben oder Theaterstücke so finanziert.<br />
Jetzt bitten die Patienten selbst um Hilfe für Operationen,<br />
Medikamente, Therapien oder suchen<br />
nach passenden Spendern. Dadurch wird das Spenden<br />
persönlich. Denn über die vielen Möglichkeiten<br />
die das Internet bietet, können Kranke,<br />
deren Familien, Freunde oder Bekannte die ganze<br />
Welt erreichen. Nicht selten zeigen sich Personen<br />
des öffentlichen Lebens, wie zum Beispiel<br />
YouTuber, von den <strong>Schicksal</strong>sschlägen ergriffen<br />
und nutzen ihre Reichweite, um Geld für die<br />
Betroffenen zu sammeln oder potenzielle Spender<br />
zu erreichen. Die Resonanz ist erstaunlich: Fremde<br />
Menschen sind berührt von den <strong>Schicksal</strong>en der<br />
Patienten und unterstützen diese und ihre<br />
Familien. So können ganze Therapien finanziert,<br />
oder Organ-/Stammzellspender gefunden werden.<br />
Immer mehr Menschen entschließen sich im<br />
Laufe des Lebens dazu, sich einen Organspende-<br />
Ausweis zuzulegen. Laut einer Statista-Umfrage<br />
aus dem Jahr 2016 sind 71 Prozent der Befragten<br />
mit einer postmortalen Organtransplantation<br />
einverstanden. Mit einem solchen Ausweis kann<br />
jeder Mensch festlegen, ob und welche Organe<br />
nach dem Tod entnommen und gespendet werden<br />
Die deutsche Krebshilfe:<br />
Helfen. Forschen. Informieren.<br />
Gründung: 1974 von Dr. Mildred Scheel<br />
Ziel: Förderung von Projekten zur Ver- besserung der<br />
Prävention, Früherkennung, Diagnose, Therapie,<br />
medizinischen Nachsorge und psychosozialen Ver-<br />
sorgung einschließlich der Krebs- Selbsthilfe<br />
Wie kann ich helfen? Durch Einzelspenden oder<br />
regelmäßige Spenden, Benefizaktionen Weitere<br />
Infos: https://www.krebshilfe.de<br />
DKMS: Wir besiegen Blutkreb<br />
Gründung: 1991<br />
Ziel: Finden von passenden Spendern für Blutkrebs-<br />
patienten, Ermöglichung von Therapien, Unters-<br />
tützung der Weiterentwicklung von Therapien gegen<br />
Blutkrebs<br />
Meilensteine: 6.893.792 Registrierungen weltweit,<br />
60.024 Stammzellspenden für Patienten<br />
dürfen. Es gibt mittlerweile zahlreiche Möglichkeiten<br />
Betroffene und deren Familien zu unterstützen.<br />
Viele Organisationen und Vereine setzen<br />
sich mit viel Engagement gegen Krebs und andere<br />
schwerwiegende Krankheiten ein, um dagegen<br />
vorzugehen und die Zahl der Todesfälle nicht<br />
weiter steigen zu lassen. Im Infokasten werden die<br />
größten Hilfsorganisationen vorgestellt.<br />
Hilfsorganisationen: Die wichtigsten Eckdaten<br />
Wie kann ich helfen? Sich typisieren lassen und<br />
entweder Blut oder Stammzellen spenden, durch<br />
Geldspenden<br />
Weitere Infos : https://www.dkms.de/de<br />
Organspende: Die Entscheidung zählt!<br />
Gründung: 1963<br />
Ziel: Wartezeiten für benötigte Organe verkürzen,<br />
Menschen darauf aufmerksam machen wie<br />
wichtig es ist sich frühzeitig Gedanken über<br />
Organtransplan- tationen zu machen und<br />
diese festzuhalten, sodass im Todesfall<br />
schnellstmöglich gehandelt werden kann<br />
Meilensteine: Bisher wurden 124.269 Organe<br />
(inkl. Lebend- und Dominospenden) transplantiert<br />
Wie kann ich helfen? Sich einen Organspende-<br />
Ausweis zulegen und angeben ob man Organe<br />
spenden möchte und wenn ja welche?<br />
Weitere Infos: https://www.organspende-info.de<br />
Anzeige<br />
Die digitale Zukunft<br />
der Verlage mitgestalten...<br />
DIALOG – Das Verlagssystem<br />
... ist schon immer Dein Traum? Funkinform entwickelt innovative Softwarelösungen<br />
für die Medienbranche und ist ganz vorne dabei, wenn es um die<br />
neuesten Technologien rund um den spannenden Bereich der Informationsaufbereitung<br />
und -verbreitung geht.<br />
Als Familienunternehmen verstehen wir es seit jeher, Innovation und Tradition<br />
zu vereinbaren. Wir bauen auf Zuverlässigkeit, Kreativität, Kompetenz und<br />
Professionalität. Nach einer individuellen Einarbeitung übernimmst Du als<br />
technische(r) Berater(in) schnell Verantwortung in abwechslungsreichen und<br />
anspruchsvollen Projekten. Dabei bist Du nicht nur eine(r) von vielen, sondern<br />
kannst direkt die Zukunft mitgestalten.<br />
Haben wir Dein Interesse geweckt? Wir freuen uns über<br />
Deine Bewerbung. Sende uns diese bitte per E-Mail an<br />
Herrn Peter Müller (mueller@funkinform.de).<br />
Informations- und Datentechnik GmbH<br />
Rudolf-Plank-Straße 31, 76275 Ettlingen, www.funkinform.de
8<br />
AUS DEM LEBEN<br />
mediakompakt<br />
Multiple Sklerose –<br />
<strong>Schicksal</strong>sjahre einer Krankheit<br />
Immer häufiger liest man von der Krankheit Multiple Sklerose. Aber was ist das für eine<br />
Krankheit und wie geht man mit ihr um?<br />
VON PETER STUHR<br />
Mein Bruder und ich spielten auf dem<br />
Spielplatz und warteten darauf, dass<br />
unsere Mutter uns abholt. Sie kam<br />
in Begleitung von einem befreun -<br />
deten Pastor zu uns und sie unter -<br />
hielten sich über die Krankheit Multiple Sklerose<br />
und dass es Selbsthilfegruppen gäbe und dass das<br />
Leben weitergehe. Uns wurde erzählt, dass Papa an<br />
MS leidet und man es zum Glück diagnostizieren<br />
konnte, denn man kann gegen die Krankheit<br />
Medikamente nehmen und auch damit leben.<br />
Wir hatten damals keine Vorstellung von<br />
dieser Krankheit und wussten nicht was eigentlich<br />
los war und was es bedeutet, die Diagnose MS zu<br />
bekommen. Wir fuhren mit unserer Mutter im<br />
Auto nach Hause. Papa war schon mit dem<br />
Fahrrad vorgefahren und wir hatten ihn seit der<br />
Diagnose noch nicht wieder gesehen. Als wir<br />
zuhause ankamen, saß mein Vater auf der Bank<br />
vor dem Haus, mit einem Bier in der Hand und<br />
gedankenversunken ins Leere schauend. In der<br />
Familie von meinem Vater gab es schon einmal<br />
einen Onkel, der die Diagnose MS bekommen hat.<br />
Vor ca. 70 Jahren, ein Tischler. Noch in derselben<br />
Woche hat er sich erhängt.<br />
Wie reagiert man, wenn man von so einem<br />
<strong>Schicksal</strong>sschlag erfährt und die einzige Erfahrung<br />
mit der Krankheit in einem Selbstmord geendet<br />
ist? Mein Vater hat sein Leben umgekrempelt. Er<br />
hat mit dem Rauchen aufgehört, angefangen<br />
regelmäßig Sport zu betreiben und sich über<br />
Multiple Sklerose informiert. Eine Nerven krank -<br />
heit, die im ersten Moment nicht sichtbar ist, aber<br />
sichtbar wird, wenn man weiß worauf man achten<br />
muss. Die Krankheit ist nicht heilbar, kann jedoch<br />
mit Hilfe von Medikamenten und anderen<br />
Maßnahmen, wie zum Beispiel Therapien, günstig<br />
beeinflusst werden. Die Krankheit befällt das zen -<br />
trale Nervensystem und kann die verschiedensten<br />
Symptome hervorrufen. Sie kann zum Beispiel<br />
Muskelschwäche oder Lähmungen, eine Mind -<br />
erung der Sehschärfe, eine krampfhafte Erhöhung<br />
der Muskelspannung, sowie Gefühlsstörungen<br />
oder Missempfindungen hervorrufen. Der Krank -<br />
heitsverlauf ist nicht vorhersehbar und verläuft<br />
häufig schubweise. Das bedeutet, dass es zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt massive Beeinträchtigun -<br />
gen geben kann. Diese Beeinträchtigungen kön -<br />
nen aber wieder im Laufe der Zeit oder Therapien<br />
ver schwinden. Manchmal vollständig, manchmal<br />
aber nur teilweise.<br />
Aber nicht nur an der Krankheit leidet der<br />
MS-Patient, auch die Behandlung mit Medika -<br />
menten ist noch nicht sehr weit erforscht und es<br />
gibt viele Varianten an MS, sodass es auch hier zu<br />
Problemen kommen kann. Mit der Zeit lernt man<br />
mit der Krankheit zu leben, als einzelne Person,<br />
aber auch als Familie, auch wenn es nicht immer<br />
ganz einfach ist. Wie lange mein Vater die<br />
Krankheit wirklich hat lässt sich nicht feststellen,<br />
aber sie wurde vor ca. 15 Jahren diagnostiziert.<br />
Seitdem kommt es immer wieder zu kleineren<br />
Schüben, aber die MS-Variante an der mein Vater<br />
leidet, ist zum Glück noch eine der harmloseren<br />
Formen von MS. Die Nervenkrankheit wirkt sich<br />
überwiegend auf die Hände und Füße aus. So<br />
kommt vor, dass er Gegenstände fallen lässt und<br />
oftmals Taubheitsgefühle in Hän den und Füßen<br />
hat. Gerade beim Essen kann es sehr nervig sein,<br />
wenn die Gabel aus keinem ersicht lichen Grund<br />
aus der Hand fällt und sicherlich ist auch schon<br />
die eine oder andere Tasse zersprung en.<br />
Bild: Peter Stuhr<br />
Aber im Großen und Ganzen ist der Alltag mit<br />
einigen Einschränkungen durchaus machbar. Al -<br />
lerdings gibt es noch weitere Probleme, wie zum<br />
Beispiel mit dem Gleichgewicht. So fällt es ihm<br />
schwer, beim Sport Dehnübungen auf einem Bein<br />
zu machen und das Motorrad fahren musste er<br />
auch aufgeben. Das Gleichgewichtsproblem lässt<br />
sich aber trainieren und durch Sport und häufiges<br />
Fahrrad fahren ist es auch zu bewältigen.<br />
Von allen Formen der MS haben wir wohl<br />
noch am meisten Glück gehabt, aber zu Beginn<br />
überwiegt die Ungewissheit wie stark die MS<br />
wirklich ist und welche Formen sie annehmen<br />
kann und wird.<br />
In letzter Zeit leidet aber die Ausdauer. So ist er<br />
zu erschöpft um wirklich Sport zu treiben und nur<br />
ein kleiner Spaziergang fällt ihm schon unheim -<br />
lich schwer. Aber auch das wird sich wieder legen.<br />
Mit etwas Disziplin und Training kommt auch das<br />
wieder zurück und ich kann wieder mit meinem<br />
Vater eine ruhige Joggingtour starten.
1/2017 AUS DEM LEBEN<br />
9<br />
Über das<br />
<strong>Schicksal</strong><br />
gestolpert<br />
Bild: Andrea Hehn<br />
Die ersten Steine Vaihingens<br />
„Die Würde des Menschen ist<br />
unantastbar. Sie zu achten<br />
und zu schützen ist<br />
Verpflichtung aller staatlichen<br />
Gewalt“(Art. 1 GG). Die<br />
Stolpersteine erinnern an<br />
Menschen deren Würde von<br />
staatlicher Gewalt Verfolgung,<br />
Unterdrückung und Leid<br />
erfahren haben.<br />
VON ANDREA HEHN<br />
Jeder Mensch hat seine Geschichte. Einige<br />
Geschichten werden erzählt und überdauern<br />
Jahrzehnte und Jahrhunderte – die meisten<br />
aber geraten in Vergessenheit. Allerdings<br />
gibt es Geschichten, die nicht in Vergessenheit<br />
geraten dürften. Geschichten hinter denen<br />
<strong>Schicksal</strong>e stehen, die es wert sind beachtet und in<br />
Ehren gehalten zu werden. Dazu zählen Menschen,<br />
die es gewagt haben in der dunkelsten Stunde des<br />
20. Jahrhunderts für ihre Überzeugung und für die<br />
Menschlichkeit einzusetzen. Dazu zählen Menschen<br />
die ihr Leben riskierten, weil sie zur falschen Zeit<br />
am falschen Ort das Richtige zu sagen wagten und<br />
dazu gehören Menschen, die von einer herrschenden<br />
Gruppe unterdrückt wurden. Dass diese<br />
Menschen und ihre <strong>Schicksal</strong>e nicht vergessen<br />
werden, dazu leistet die Initiative Stolpersteine<br />
einen wichtigen Beitrag.<br />
Schon über 500 Stolpersteine wurden allein in<br />
Stuttgart verlegt, weltweit über 50.000. Unter<br />
anderem in Österreich, den Niederlanden, Polen,<br />
Tschechien und Ungarn findet der aufmerksame<br />
Zu-Fuß-Geher die ca. 10 x 10 cm großen Messingplatten<br />
auf seinem Weg eingelassen. Die Stolpersteine<br />
gibt es bereits seit 1992 als der Berliner<br />
Künstler Gunter Demnig das Projekt zum<br />
50. Jahrestag des Ausschwitz-Erlasses (Heinrich<br />
Himmler befiehlt Deportation von Sinti und<br />
Roma) startete. Heute sind die Stolpersteine als<br />
Marke patentrechtlich geschützt.<br />
In Stuttgart gibt es auf unterschiedliche<br />
Stadtteile verteilt 15 Initiativen, wie mir Karl-<br />
Horst Marquart und Harald Habich von der<br />
Vaihinger Stolpersteininitiative erzählen. Jede<br />
dieser Gruppen trifft sich regelmäßig, die daraus<br />
resultierenden Vorschläge für neue Stolpersteine<br />
in Vaihingen, Rohr und Dürrlewang werden bei<br />
den zwei Mal jährlich stattfindenden Gesamttreffen<br />
aller 15 Initiativen vorgestellt. Unter allen<br />
eingebrachten Vorschlägen einigt man sich auf<br />
zwei <strong>Schicksal</strong>sträger, die einen Gedenkstein<br />
bekommen sollen und im nächsten Schritt<br />
bekommt Gunter Demnig Bescheid, der die Steine<br />
selbst verlegt.<br />
Der erste Stuttgarter Stein wurde kurz nach der<br />
Jahrtausendwende verlegt, 2002/2003. Die Stadt,<br />
in Person des damaligen Oberbürgermeister<br />
Schusters, unterstützte das Projekt von Anfang an<br />
berichten Marquart und Habich. Selbstverständlich<br />
ist dies nicht, in München beispielsweise sind<br />
die Stolpersteine verboten. Die ersten beiden<br />
Steine in Vaihingen wurde im November 2006 in<br />
der Hauptstraße vor dem Gebäude der deutschen<br />
Bank gelegt. Die Bank hat das Projekt unterstützt,<br />
auch finanziell. Die Steine erinnern an das<br />
Ehepaar Franz und Henriette Fried. Franz Fried<br />
war Bankvorsteher, bevor er als Jude seine Arbeit<br />
nicht weiter ausführen konnte und die Frieds<br />
1941 von den Nationalsozialisten nach Riga<br />
deportiert und ermordet wurden. Über die Frieds<br />
wurde viel Positives berichtet, sie waren in<br />
Vaihingen angesehene Leute. Ihre Stolpersteine<br />
setzen ein Zeichen der Erinnerung für die von den<br />
Nationalsozialisten ermordeten Vaihinger Bürger.<br />
Aber wie kommen die Initiativen um Marquart<br />
und Habich an die jeweiligen Informationen zu<br />
den einzelnen <strong>Schicksal</strong>strägern? Dahinter steckt<br />
viel Archivarbeit, Mund-zu-Mund-Propaganda<br />
und eine Portion Glück und <strong>Zufall</strong>. Da gibt es<br />
ältere Vaihinger, die sich noch erinnern, wenn es<br />
aus datenschutzrechtlichen Gründen schwierig<br />
wird Verwandte und Angehörige zu ermitteln.<br />
Durch diese entsteht dann wie im Falle der Frieds<br />
vielleicht ein Kontakt zu direkten Verwandten in<br />
Australien und über Australien zu einem Onkel<br />
nach England. Dieser Onkel war bei der Verlegung<br />
in Vaihingen dann tatsächlich dabei.<br />
Während in den Anfängen der Stolperstein-<br />
Initiativen jüdischen Mitbürgern gedacht wurde,<br />
die zum Opfer der Nationalsozialisten wurden, ist<br />
die Auswahl heute nicht mehr darauf beschränkt.<br />
Unter den 16 Vaihinger Steinen gibt es vergleichsweise<br />
viele Opfergruppen. Erst im Herbst<br />
2016 wurde ein Stein für Nikolaus Tschermuk<br />
verlegt, einem russischen Zwangsarbeiter, der sich<br />
im Alter von 19 Jahren das Leben nahm. Und<br />
Euthanasieopfer, wie Johan Uebler, der <strong>21</strong>-jährig<br />
in eine Heilanstalt eingewiesen wurde, da er die<br />
traumatisierenden Erlebnisse des 1. Weltkriegs<br />
nicht verarbeiten konnte, und im Alter von 43<br />
Jahren von den Nationalsozialisten ermordet<br />
wurde. Oder dem Mahnmal für Gerhard Durner,<br />
der im Alter von 6 Jahren wegen seiner<br />
Behinderung ermordet wurde. Dies war<br />
stuttgartweit der erste Stein für ein Opfer der<br />
Kindereuthanasie.<br />
Über das Thema Kindereuthanasie kam<br />
Habich zur Initiative der Stolpersteine. Durch<br />
seine Arbeit im sozialen Bereich, sowie durch<br />
seinen behinderten Sohn, hat ihn seine persönliche<br />
Betroffenheit sich intensiver mit dem Thema<br />
beschäftigen lassen. Das Unverständnis über die<br />
Taten von damals ist jedoch nie ganz gewichen.<br />
Wie könnte es auch.<br />
Marquart hingegen kam durch seine Arbeit im<br />
Gesundheitsamt zu den Stolpersteinen. Als das<br />
Amt umzog und unter anderem eine falsche Darstellung<br />
der Geschichte kommuniziert wurde,<br />
begann er sich intensiver mit alten Akten und<br />
<strong>Schicksal</strong>en zu beschäftigen.<br />
Wie die Zukunft der Stolperstein Initiative<br />
aussieht, ist ungewiss. Der feste Kern der Vaihinger<br />
Gruppe besteht aus fünf Mitgliedern. Quer<br />
durch die Initiativen liegt das Durch- schnittsalter<br />
über 70 Jahre. Zudem werden die Zeitzeugen, die<br />
einen wesentlichen Teil der Rekonstruktion ausmachen,<br />
rarer.<br />
Abschließend darf ich mir einen persönlichen<br />
Kommentar erlauben: Hoffentlich findet<br />
die Stolperstein-Initiative einen guten Weg in die<br />
Zukunft. Damit wir Menschen nicht vergessen.<br />
Denn wie Theodor Heuss einst sagte: „Vergessen<br />
ist Gefahr und Gnade zugleich“.<br />
Stolpersteine in Stuttgart Vaihingen<br />
Bachstr. 22 für Wilhelm Merk<br />
Büsnauer Str. 260 für Friederike Reinhardt<br />
Dachswaldweg 178 für Johann Uebler<br />
Ernst-Kachel-Str. 48 für Fritz Schäfer<br />
Goldregenweg 41 für Gerhard Durner<br />
Hauptstr. 11 für Franz Fried<br />
Hauptstr. 11 für Henriette Fried<br />
Katzenbachstr. 50 für Robert Rebmann<br />
Keltenberg 10/1 für Gottlob Häberle<br />
Peterstr. 24 für Christian Elsässer<br />
Reginenstr. 18 für Reinhold Bürkle<br />
Schockenriedstr. 11 für Eugen Banz<br />
Schockenriedstr. 20 für Nikolaus Tschermuk<br />
Schockenriedstr. 1–11 für Katharina Karanowa<br />
Vaihinger Markt 12 für August Leitz
10 AUS DEM LEBEN<br />
mediakompakt<br />
Mein <strong>Zufall</strong>stag –<br />
ein Selbstversuch<br />
Wir neigen dazu, in unserem Leben nichts dem <strong>Zufall</strong> zu<br />
überlassen. Aber verbauen wir uns so die Möglichkeit Großes<br />
zu erleben? Die Dinge auf sich zukommen lassen, den<br />
Augenblick leben – viele von uns sind gefangen im Trott des<br />
Alltags. Um genau dem entgegenzuwirken, beschloss ich,<br />
einen Tag den <strong>Zufall</strong> (oder doch das <strong>Schicksal</strong>?) über mein<br />
Leben regieren zu lassen.<br />
VON LAURA KIBELE<br />
Natürlich standen an dem von mir<br />
auserkorenen Tag keine lebensver -<br />
ändernden Entscheidungen an. Ich<br />
bin ja nicht bescheuert. Trotzdem war<br />
ich etwas angespannt, denn am Ende<br />
sollte ja ein halbwegs unterhaltsamer Artikel<br />
herausspringen. Unterstützung bei meinem Vor -<br />
haben erhielt ich von meiner Freundin Regina.<br />
Schon von Anfang an war klar: Entweder wird das<br />
richtig super oder eben super langweilig. Um<br />
wenigstens eine Sache, nämlich den Spaßfaktor,<br />
nicht dem <strong>Zufall</strong> zu überlassen, beschlossen wir,<br />
dass eine Flasche Sekt für unser Projekt durchaus<br />
förderlich wäre. So gestärkt konnte es dann los<br />
gehen. Ausgestattet mit einer Münze, Zetteln und<br />
einem Stift machten wir uns auf in die Stadt.<br />
Einfache Ja-Nein-Entscheidungen sollten mithilfe<br />
der Münze getroffen werden, die Zettel und der<br />
Stift kamen zum Einsatz, wenn mehrere Optionen<br />
zur Wahl standen.<br />
Wie es der <strong>Zufall</strong> wollte, fand in der Innenstadt<br />
gerade der Weihnachtsmarkt statt und der erste<br />
Münzwurf bestätigte, dass es um 11 Uhr morgens<br />
definitiv Zeit für einen Glühwein war. Und dann<br />
noch einen. Nach zwei Glühwein knurrte dann<br />
auch schon der Magen. Wir standen vor ein<br />
Problem das jeder kennt: Man ist gefühlt am<br />
Verhungern, kann sich aber nicht entscheiden.<br />
Bild: Laura Kibele
1/2017 AUS DEM LEBEN<br />
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abcdefghijklmnopqrstuvwxyz234567890<br />
abcdefghijklmnopqrstuvwxyz1234567890<br />
11<br />
Bild: Laura Kibele<br />
Bild: Laura Kibele<br />
Oder man ist in einer Gruppe unterwegs und jeder<br />
möchte etwas Anderes essen. Schwierigkeiten<br />
dieser Art kamen im Zuge des Experimentes nicht<br />
auf. Auf mehrere Zettel schrieben wir, was an den<br />
umliegenden Ständen angeboten wurde, und<br />
losten dann unser Mittagessen aus.<br />
Die zufällige Wahl fiel auf Lángos: in fett aus -<br />
gebackene Hefeteig-Fladen. Die sind zwar nicht<br />
gerade kalorienarm, dafür aber sehr lecker. Ich war<br />
zufrieden mit der Wahl. Und wir stellten fest, wie<br />
angenehm es war, sich nicht mit solchen Kleinig -<br />
keiten aufzuhalten. Da wir aber nicht den ganzen<br />
Tag auf dem Weihnachtsmarkt verbringen und<br />
abwechselnd Glühwein trinken und fettige Snacks<br />
essen konnten (Wieso eigentlich nicht?), war es<br />
an der Zeit, unsere nächste Aktivität zu planen.<br />
Aber vorher mussten wir dringend eine Toilette<br />
aufsuchen.<br />
Auf dem Weg zum stillen Örtchen kamen wir<br />
an einem Shop für Partyzubehör vorbei, in dem<br />
auch Helium-Luftballons verkauft wurden. Wie so<br />
ziemlich jeder wollte auch ich als Kind immer<br />
einen Helium-Luftballon besitzen, und natürlich<br />
haben meine Eltern mir nie einen gekauft. Auch<br />
Regina war von den süßen Hündchen und Ren -<br />
tieren ganz angetan. Ob das an den nost algischen<br />
Gefühlen, welche die luftigen Tierchen in uns<br />
weckten, oder dem Glühwein lag, lässt sich im<br />
Nachhinein nicht mehr zweifelsfrei bestimmen.<br />
Die Münze entschied, dass wir uns definitiv eines<br />
dieser Ballon-Tiere zulegen sollten, und mit Hilfe<br />
unseres ausgeklügelten Zettel-Systems fiel die<br />
Wahl auf ein Rentier, das wir kurzerhand „Carlos“<br />
tauften. Mit Carlos im Schlepptau setzten wir<br />
unseren Weg fort. Ob die Leute, die uns auf dem<br />
Weg begegneten mit oder über uns lachten, ließen<br />
wir links liegen. Regina und ich waren auf jeden<br />
Fall sehr glücklich über unseren Kauf. Mein Konto<br />
eher weniger. Ganze 13 Euro für einen Ballon ...<br />
Nach dem Toiletten-Pitstop ging es für uns<br />
weiter zur Buchhandlung Wittwer. Unser Plan<br />
war, in einem der vielen Stuttgart-Reiseführer<br />
unsere nächste Aktivität auszuwählen. Also<br />
schlugen wir eine zufällige Seite auf und landeten<br />
bei einem Eintrag zum Schlosspark. Ich muss<br />
sagen, etwas enttäuscht waren wir durchaus.<br />
Besonders spannend war das ja nicht.<br />
Rückblickend betrachtet, muss es aber<br />
<strong>Schicksal</strong> gewesen sein. Denn als wir auf einer<br />
Parkbank im Schlosspark in der Sonne ent -<br />
spannten und uns Gedanken über die nächsten<br />
Aktionen machten, kam eine Gruppe von Fuß. -<br />
gängern auf uns zu. Es waren Freunde von Regina,<br />
die gerade auf dem Weg zum Hauptbahnhof<br />
waren, um sich dort mit einem befreundeten<br />
Architekturstudenten zu treffen, der ihnen ein<br />
bisschen etwas über Stuttgart im Allgemeinen und<br />
den Bahnhof im Speziellen er zählen wollte. Wir<br />
ergriffen diese Chance und schlossen uns der<br />
Gruppe an. Ich wollte schon oft hoch auf den<br />
Bahnhofsturm, aber irgendwie hatte ich es nie ge -<br />
schafft. Das Ganze im Rahmen einer Führung<br />
machen zu dürfen, das war toll!<br />
Und so beendeten Regina und ich unseren<br />
entspannten, vom <strong>Zufall</strong> oder <strong>Schicksal</strong> geleiteten<br />
Tag. Großes haben wir zwar nicht erlebt, dafür<br />
aber einige schöne und komische Situationen, die<br />
uns normalerweise so wohl nicht passiert wären.<br />
Lustig war es allemal und ich kann absolut jedem<br />
weiterempfehlen, einmal etwas Neues auszupro -<br />
bieren und einen <strong>Zufall</strong>stag (oder <strong>Schicksal</strong>stag?)<br />
zu verbringen.<br />
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12<br />
NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
mediakompakt<br />
Das Phänomen „<strong>Zufall</strong>“ ist grenzüberschreitend, und man findet es auch in der bildenden<br />
Kunst. Im Kunstmuseum Stuttgart (der gläserne Würfel am Schlossplatz) läuft noch bis zum<br />
19.2.2017 die Ausstellung „[un]erwartet. Die Kunst des <strong>Zufall</strong>s.“ Diesem Bericht liegt ein<br />
Gespräch mit Frau Dr. Eva-Marina Froitzheim zugrunde, die die Ausstellung als Kuratorin<br />
betreut und gestaltet hat.<br />
VON ANNE-MIRJAM KREUTER<br />
Der <strong>Zufall</strong> in der Kunst<br />
Künstlerinnen und Künstler arbeiten seit<br />
den 20er Jahren ganz bewusst mit dem<br />
<strong>Zufall</strong> als Gegenstand des kreativen<br />
Prozesses. Besonders in Zeiten poli -<br />
tischen Umbruchs ist der <strong>Zufall</strong> als<br />
Methode der Kunst en vogue. Solange alles gut<br />
„DER ZUFALL KOMMT AUS<br />
DER LEERE. DEM KÜNSTER<br />
BRINGT ER DIE FÜLLE.“<br />
laufe, möge keiner auf eine Veränderung von<br />
Zuständen hindrängen, aber sobald eine Situation<br />
gestört ist, sei man eher dazu bereit sich dem<br />
Experiment zuzuneigen, beschreibt die Museums -<br />
kuratorin Frau Dr. Eva-Marina Froitzheim dieses<br />
Phänomen. Ein gutes Beispiel aus dem Alltag seien<br />
Bewerbungsphasen. Wenn man bereit sei, alt -<br />
bekannte Muster zu verlassen, merke man, wie<br />
viel Interessantes und Unerwartetes einem plötz -<br />
lich widerfahren könne und dass das Leben sich<br />
auch in eine ganz gute Richtung bewegen ließe.<br />
Wenn etwas zu lange eingefahren ist, sei die<br />
Bereitschaft, aus alten Mustern auszusteigen,<br />
höher. Dann öffne man dem Unbekannten<br />
beziehungsweise dem Zufälligen den Raum. So<br />
ginge es vielen Künstlern der Ausstellung.<br />
Natürlich hängt ein solches Verhalten, bei<br />
dem man das Ergebnis der eigenen Schöpfung<br />
dem <strong>Zufall</strong> überlässt, auch mit der Persönlichkeit<br />
des Künstlers zusammen. Eine andere Reaktion<br />
auf Zeiten der Krise stellt beispielsweise die<br />
„konkrete Kunst“ dar. Diese Kunstrichtung wurde<br />
in den 30er Jahren populär und hat den Anspruch,<br />
Kunstwerke im Geiste vollständig zu konzipieren<br />
und zu gestalten, bevor sie ausgeführt werden. Die<br />
Künstler der zufälligen Kunst, darunter viele<br />
Künstlerinnen, erfanden im Gegenzug unter -<br />
schiedliche Methoden, um den <strong>Zufall</strong> auszuloten<br />
und in ihre Werke einzubringen. Bis heute gelingt<br />
es ihnen, durch geplante Zufälle während des<br />
DIETRICH MAHLOW<br />
Werkprozesses künstlerisches Neuland zu betre -<br />
ten. Viele der methodischen Verfahren stammen<br />
ursprünglich aus der Biologie und Mathematik.<br />
Ausgangspunkte sind zum Beispiel die Zahl Pi<br />
oder aleatorische Verfahren wie Würfelwürfe. Mit<br />
dem <strong>Zufall</strong> gelingt es den Künstlern, subjektive<br />
Eigenheiten aus ihren Werken her -<br />
auszuhalten und durch objektive<br />
Konzepte dem Betrachter größere<br />
Freiheiten einzuräumen. Die Tat -<br />
sache, dass <strong>Zufall</strong> ein grenzüber -<br />
schreitendes Phänomen ist, führt zu<br />
der zweigeteilten Struktur der Aus -<br />
stellung:<br />
Der erste Bereich widmet sich der<br />
mathematisch-methodischen Annä -<br />
herung an das Phänomen „<strong>Zufall</strong> in der Kunst“.<br />
Der zweite Bereich konzentriert sich auf den<br />
philosophischen Aspekt des <strong>Zufall</strong>s, welcher sich<br />
an die Tatsache knüpft, dass wir nicht alle Abläufe<br />
Bild: Frank Kleinbach<br />
unseres Lebens kontrollieren können. Was be -<br />
deutet <strong>Zufall</strong> für unser <strong>Schicksal</strong>? Performance-<br />
Künstlerin Patrycja German legt in ihrer Instal -<br />
lation „Kartenlegen“ den Besucherinnen und<br />
Besuchern im dritten Stock der Ausstellung die<br />
Karten.<br />
Die Bewegung, die man bräuchte, um Zufälle<br />
ereignen zu lassen, würde Dr. Froitzheim immer<br />
so sehen, wie ein Engländer auch das Wort <strong>Zufall</strong><br />
übersetzen würde, nämlich als „chance“. Wenn<br />
ihr Leben komplett vom <strong>Schicksal</strong> bestimmt wäre,<br />
würde sie das nervös machen. Für viele sei Schick -<br />
sal ja auch etwas, was sie beruhigt. Umgekehrt<br />
könne es ja abert auch etwas Negatives bedeuten,<br />
denn schließlich können wir keinen Einfluss<br />
darauf nehmen. Der Mensch käme nicht darum<br />
herum bei der Frage „<strong>Zufall</strong> oder <strong>Schicksal</strong>“ für<br />
sich selbst eine Position zu finden, um sich damit<br />
durch sein eigenes Leben zu navigieren, so Dr.<br />
Froitzheim.<br />
Ausstellungsansicht „[un]erwartet. Die Kunst des <strong>Zufall</strong>s“,<br />
Kunstmuseum Stuttgart, 24. September 2016 – 19. Februar 2017
1/2017 NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
13<br />
Und dann<br />
stürzt alles in sich zusammen.<br />
Bild: Sina Sikler<br />
Der erste Stein wird angestoßen, kippt und reißt den nächsten<br />
mit sich, dieser den folgenden und so geht es weiter, Stein für<br />
Stein, bis schließlich auch der letzte auf den Stoß seines<br />
direkten Nachbarn reagiert.<br />
VON SINA SIKLER<br />
Warum geschieht einem das, was<br />
einem tagtäglich geschieht? Wenn<br />
man diese Frage stellt, erhält man<br />
so viele verschiedene Antworten<br />
wie man Menschen gefragt hat. Die<br />
einen beteuern, dass das Karma-Konto des<br />
jeweiligen Akteurs für das verantwortlich ist, was<br />
ihm geschieht. Die Gedanken, Wünsche und<br />
Taten aus allen seinen Leben werden gespeichert<br />
und die Summe entscheidet über den Fortlauf des<br />
Lebens, beziehungsweise über das Leben als<br />
solches. Denn je nachdem wie viel gutes und<br />
schlechtes Karma man so angesammelt hat, wird<br />
man wieder geboren, oder erlangt irgendwann das<br />
End-Ziel der Erkenntnis. Wieder andere glauben<br />
an den Grundgedanken des Christentums und<br />
meinen, Gottes Macht reiche zwar aus, um alles<br />
Geschehen zu lenken, aber: der Mensch habe den<br />
freien Willen, er könne also letztendlich über sein<br />
Tun und somit über das Geschehen auf der Welt<br />
selbst bestimmen. Passiert einem etwas Schreck -<br />
liches, ein sogenannter <strong>Schicksal</strong>sschlag, wird das<br />
später oft als Erfahrung ausgelegt, als Etwas an<br />
dem derjenige reifen und stärker daraus hervor -<br />
gehen könne.<br />
Konfuzius’ Statement lautet: man begegnet<br />
den Menschen und Ereignissen, welchen man<br />
entspricht. All diese Wahrheiten haben eines<br />
gemeinsam: die Folge einer Handlung ist nichts<br />
Unabhängiges. Im Physikunterricht wird uns<br />
beigebracht, dass das Gesetz der Aktion und<br />
Reaktion universell gültig ist. Heißt: Man tut<br />
etwas, woraufhin unweigerlich etwas Anderes<br />
geschieht – drückt man mit vier Kilogramm Ge -<br />
wicht gegen eine Wand, drückt diese auch mit vier<br />
Kilogramm zurück. Die Reaktionen auf Taten sind<br />
zwar viel schwerer bis überhaupt nicht voraus -<br />
zusehen und der zeitliche Abstand zwischen den<br />
Taten und den darauffolgenden Reaktionen ist<br />
nicht berechenbar, ein Zusammenhang besteht<br />
dennoch. Der kippende Dominostein, der in der<br />
nächsten Sekunde alle anderen mit sich reißen<br />
wird, könnte ein Wort sein. Ein Wort, das ein<br />
Startsignal gibt, das Signal, auf welches hin alle<br />
Läufer losstürmen. In diesem Beispiel folgen<br />
Aktion und Reaktion unmittelbar aufeinander<br />
und jeder versteht den Zusammenhang.<br />
Wir alle entscheiden so viel. Täglich. Immer<br />
wieder aufs Neue. Tausende dieser Entschei -<br />
dungen wirken unbedeutend. Zum Beispiel: Laufe<br />
ich zur Uni, oder nehme ich den Bus? Diese<br />
Entscheidung wirkt zunächst unwichtig, für die<br />
Welt ist egal ob du läufst oder in den Bus steigst,<br />
der sowieso, auch ohne dich die gleiche Strecke<br />
fährt. Bis dir etwas passiert. Bis du zum Beispiel<br />
unterwegs von einem Auto angefahren wirst.<br />
Dann wirst du denken: Wäre ich doch mit dem<br />
Bus gefahren! Wie oft haben wir wohl schon eine<br />
Entscheidung getroffen, die uns vor etwas<br />
Schlimmem bewahrt hat? Wir können es nicht<br />
wissen. Andere Entscheidungen sind von Anfang<br />
an bedeutungsschwer. Wie zum Beispiel: soll ich<br />
in Stadt A oder B ziehen? Studieren oder arbeiten?<br />
In solchen Fällen wissen wir, dass die Ent -<br />
scheidung unseren weiteren Lebensweg prägen<br />
wird. Eine dritte Kategorie von Entscheidungen<br />
bilden die, die unbedeutend daherkommen, dann<br />
aber eine Kette von Reaktionen auslösen, die man<br />
nicht beabsichtigt hatte. So erinnern wir uns<br />
vielleicht gar nicht mehr an unsere auslösende<br />
Aktion, wenn die zugehörige Reaktion eintritt<br />
und nennen sie Karma, göttliche Vorsehung, Zu -<br />
fall, oder wie auch immer.<br />
Einen Tag vor der Präsidentschaftswahl in<br />
Amerika konnte man bei einem interaktiven Film<br />
von Galileo „You are President“ per App in die<br />
Rolle des Präsidenten schlüpfen und Entschei -<br />
dungen treffen. Den russischen Präsidenten an -<br />
gehen oder nachgeben? Die eigene Familie ins TV<br />
zerren oder den Präsidenten mit Under statement<br />
geben? Solche und weitere Fragen tauchten im<br />
Laufe der Story auf und die Mehrheit entschied.<br />
Auch jetzt gibt es das Ganze noch online zum Mit -<br />
machen. Galileo warnt in der Beschreibung des<br />
Spiels, dass eine Entscheidung, die man zu Beginn<br />
getätigt hat, einen am Schluss einholen und zur<br />
Katastrophe führen kann.<br />
Der erste Dominostein, der im interaktiven<br />
Spiel angestoßen wird, ist die Entscheidung, ob<br />
man nach einem Amoklauf zu Beginn die Waffen -<br />
gesetze lockern oder verschärfen möchte. Ent -<br />
scheidet man sich beispielsweise für verschärfen,<br />
stellt man das Recht eines Amerikaners sich zu<br />
verteidigen, also eine Waffe zu besitzen, infrage<br />
und dieses Recht ist in Amerika in der Verfassung<br />
verankert. Mit der Waffenlobby schafft man sich<br />
einen finanzkräftigen Gegner und viele der Bürger<br />
fühlen sich ihrer Freiheit beraubt. Andererseits<br />
sind 55 % der Amerikaner für schärfere Waffen-<br />
Kontrollen und befürworten diese Entscheidung.<br />
Fragen dieser Art werden im Verlauf des inter -<br />
aktiven Spieles viele gestellt und wohin das Ganze<br />
führt wird einem erst ganz am Ende klar, wenn die<br />
Reaktionen auf einen einprasseln. Hier wird noch<br />
einmal auf alle Entscheidungen, die man ge -<br />
troffen hat zurückgeblickt und es wird deutlich:<br />
was im ersten Moment wie eine gute Ent -<br />
scheidung wirkt, kann am Ende eine Katastrophe<br />
hervorrufen.<br />
Neugierig geworden?<br />
Es kann mitgespielt werden unter:<br />
http://www.galileo.tv/ausprobiert/you-are-president-der-inter<br />
aktive-film-zum-nachspielen/
14<br />
NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
mediakompakt<br />
Die Sache mit<br />
den Glückskeksen ...<br />
Bild: Nina Henning<br />
Ein Versuch Glücksekse zu backen oder: Wie aus einem netten<br />
Back-Tutorial schnell ein Test für meine Geduld, meine Improvisationskünste<br />
und mein Selbstvertrauen wurde (denn ich<br />
kann eigentlich backen, wirklich!!).<br />
VON NINA HENNING<br />
1<br />
2 3<br />
4<br />
5<br />
Ich habe mir im Internet ein Rezept für Glückskekse<br />
herausgesucht und mich noch darüber<br />
gefreut, dass es sehr einfach aussieht; kein<br />
großer Aufwand, nur 4 Zutaten, Eiweiß, Mehl,<br />
Puderzucker und Butter. Zubereitungszeit:<br />
50 Minuten. Und die auch nur, weil man bei<br />
30 Stück insgesamt immer nur 2 –3 gleichzeitig<br />
backen soll, sonst kommt man nicht mit dem<br />
falten der Kekse hinterher bevor sie hart sind. Eine<br />
Herausforderung war mir aber von Anfang an<br />
bekannt: mein Backofen. Es ist ein Gasherd, aus<br />
den Anfängen der 80er Jahre, ohne Fenster und<br />
die Zahlen auf den Knöpfen müssen nicht immer<br />
die richtige Angabe machen. Mit diesem Backbegleiter<br />
wird stets nach Gefühl gebacken. Grundsätzlich.<br />
Als erstes muss man ein bisschen was vorbereiten,<br />
Backofen vorheizen, Glückskeksbotschaften<br />
schreiben und ein Backpapier mit Kreisen mit<br />
8 cm Durchmesser vorzeichnen.<br />
Für die Glückskeksbotschaften habe ich mir<br />
zwei Varianten überlegt, einmal die klassische<br />
Nachricht (z.B. „Der Weg ist das Ziel!“) und etwas<br />
Weihnachtlicheres („Frohe Weihnachten!“) (Bild 1),<br />
denn die Hälfte der Kekse wollte ich mit grüner<br />
Lebensmittelfarbe einfärben und meiner Familie<br />
zu Weihnachten mitbringen.<br />
Auch die Kreise waren schnell mit einem Zirkel<br />
aufs Backpapier gezeichnet, das Backpapier habe<br />
ich dann umgedreht, damit der Teig später nicht<br />
direkt auf den Bleistiftlinien war. (Bild 2)<br />
Das Rezept selbst fängt leicht an: 3 Eiweiß so<br />
lange aufschlagen, bis sie schaumig sind: Gesagt,<br />
getan. Ich habe das sogar mit dem Schneebesen<br />
von Hand gemacht, wegen der Fotos.<br />
Im nächsten Schritt werden gesiebter Puderzucker<br />
und Butter untergemischt. Da zum Thema<br />
Butter an keiner Stelle im Rezept von „gekühlt“,<br />
„zimmerwarm“ oder gar „geschmolzen“ die Rede<br />
war, habe ich mein benötigtes Klümpchen wohl<br />
wissentlich vorher rausgestellt und warm werden<br />
lassen. Und es hat sich herausgestellt, dass das gar<br />
nicht so falsch war, denn trotz der zimmerwarmen<br />
Butter hatte ich Butterflöckchen in meinem Teig.<br />
Ich habe mir noch nichts dabei gedacht, das<br />
bekommt man schon raus, ist ja sonst auch kein<br />
Problem.<br />
Schritt 3 ist es, das Mehl unterzuheben bis ein<br />
glatter Teig entsteht. Butterflöckchen: noch da.<br />
Man weiß sich ja zu helfen, die Teigschüssel wurde<br />
kurzerhand auf die Heizung gestellt, damit die<br />
Butter schmelzen kann und sich anschließend<br />
besser untermischen lässt. Das hat super funktioniert,<br />
nach dreimaligem Umrühren hatte ich einen<br />
glatten Teig. Konsistenz: flüssig. (Bild3)<br />
Flüssig hilft aber auf jeden Fall beim Verteilen<br />
des Teiges auf den Kreisen, 1 ½ Teelöffel sind pro<br />
Kreis vorgesehen. Diese werden dann mit einem<br />
Messer im Kreisumriss verteilt. (Bild 4) Hier gab es<br />
schon erste Probleme durch die sehr flüssige<br />
Konsistenz: das Backpapier wellte sich! Aber jetzt<br />
war der Teig schon drauf, kein Zurück mehr, ab in
1/2017<br />
NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
15<br />
den Backofen damit. Nach 5 Minuten – die Ränder<br />
sollen leicht braun sein, wenn man sie rausholt –<br />
nahm ich die ersten 3 total zerlaufenen Glückskeksrohlinge<br />
aus dem Backofen. Machte ein Foto.<br />
Legte in den ersten einen der Zettel und knickte<br />
ihn vorsichtig der Länge nach. Dann wollte ich<br />
ihn über den Tassenrand „hängen“ damit er den<br />
typischen zweiten Knick bekommt – zu spät. Der<br />
Keks war schon ausgehärtet. Die anderen beiden<br />
waren sogar für den ersten Knick schon zu hart.<br />
(Bild 5) Und furchtbar fettig!<br />
Erstmal die nächste Fuhre in den Backofen,<br />
mit noch schlimmeren Ergebnis. Durch die welligen<br />
Stellen im Backpapier sind sie mir schon auf<br />
dem Blech auseinandergefallen.<br />
Der dritte Versuch sollten die ersten grünen<br />
Kekse werden, diesmal auf einer Silikonmatte statt<br />
Backpapier. Sie kamen sogar einigermaßen rund<br />
aus dem Backofen, auch das Falten und über den<br />
Tassenrand hängen hat geklappt – nur härteten sie<br />
überhaupt nicht aus.<br />
Bei der zweiten Fuhre der grünen Glückskekse<br />
wollte ich dann dem fettigen der Butter etwas<br />
entgegenwirken und habe etwas mehr Mehl<br />
untergemischt. Konsistenz: teigig. Das machte das<br />
ausbreiten im Kreis zwar etwas schwerer, aber ich<br />
konnte sie formtechnisch genau so aus dem Backofen<br />
herausholen, wie sie hineingekommen waren.<br />
Nur waren sie nicht mehr faltbar.<br />
Der Teig war leer, in keinem Glückskeks war<br />
ein Zettel, und ich war bedient.<br />
Aus dem Potenzial von 30 Keksen konnte ich<br />
nicht einen einzigen herausholen. Nicht mal<br />
einen krummen, nein, überhaupt keinen!<br />
Glückskekse backen war an diesem Tag wohl<br />
nicht mein <strong>Schicksal</strong> ...<br />
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16 NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
mediakompakt<br />
VON REGINA SPANGLER
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18 NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
mediakompakt<br />
Glück: Dos & Don‘ts<br />
Wer auf der Suche nach mehr Glück in seinem Leben ist oder<br />
Unglück so weit wie möglich aus dem Weg gehen will, der kann<br />
sich hier ein paar Vorschläge suchen, die vielleicht<br />
weiterhelfen.<br />
VON LUCIE MÖDL<br />
Dos<br />
Vierblättrige Kleeblätter einsammeln<br />
Erst einmal braucht es einiges an Glück, eins in der Natur zu finden. Und<br />
außerdem heißt es, dass Eva ein vierblättriges Kleeblatt aus dem Paradies<br />
mitgenommen hat. Also besitzt jeder Finder dadurch ein Stück vom Paradies.<br />
ABER: gezüchtete Exemplare bringen nichts – eher im Gegenteil.<br />
Scherben machen<br />
Scherben bringen Glück, heißt es ja bekanntlich. Vielmehr wenden sie Unheil<br />
aber ab, nämlich dadurch, dass böse Geister durch den Lärm, der dabei entsteht,<br />
verjagt werden. Deswegen auch kein Polterabend ohne einen Haufen zerdeppertes<br />
Geschirr!<br />
Beim Anstoßen in die Augen schauen<br />
Gilt vielleicht heute nicht mehr so, aber früher, als es durchaus hin und wieder vorgekommen ist, etwas Gift<br />
in das Glas des Trinkpartners zu schütten, sollte der vertrauensvolle Blick in die Augen während des<br />
Anstoßens böse Absichten verraten. Außerdem schwappen die Getränke in den randvoll gefüllten Gläsern so<br />
leicht über und die Inhalte vermischen sich, also auch das eventuell vergiftete Getränk mit dem eigenen.<br />
Einen Glückspfennig bei sich tragen<br />
Oder heute eher einen Glücks-Cent. Der ist das Überbleibsel von Tauftalern oder Weihgroschen, die zur Taufe<br />
eines Kindes geschenkt wurden. Er verhindert, dass dem Besitzer das Geld ausgeht. Deshalb sollte man immer<br />
einen (möglichst blank polierten) Cent im Geldbeutel haben, damit er sich auch schön vermehren kann.<br />
Sollte man einmal einen Geldbeutel verschenken, dann immer nur mit einem Glücks-Cent darin. Sonst gibt<br />
es anstatt viel Geld viel Unglück für den Besitzer.<br />
Hufeisen finden<br />
Es dient zum Schutz des Pferdes, was noch besonders wichtig war als Pferde noch Kriegs- und Arbeitstiere<br />
waren. Dadurch schützt es auch den Menschen. Ein richtig an Haus und Hof angebrachtes Hufeisen soll<br />
Unglück und Unheil abwenden. Zu „richtig angebracht“ gibt es aber mehrere Meinungen: entweder mit der<br />
Öffnung nach oben, damit das Glück hinein-, aber nicht wieder herausfällt oder mit der Öffnung nach unten,<br />
damit man dem Glück ein Tor baut.<br />
Allerdings muss es ein gefundenes Hufeisen sein. Wenn verzweifelt danach gesucht wird, bringt es nichts.<br />
Fliegenpilze<br />
Jedes Kind weiß: er ist giftig. Die Vergiftungserscheinungen zeigen sich aber als rauschhafte Wirkung, die<br />
Euphorie, Glücksgefühle, Halluzinationen und Schmerzunempfindlichkeit hervorrufen kann. Passionierte<br />
Pilzsucher freuen sich aber eher über einen Fliegenpilz, weil in seiner Nähe oft auch viele essbare Pilze zu<br />
finden sind. Vielleicht aber doch besser nicht zuhause nachmachen...<br />
Sternschnuppen beobachten<br />
Früher waren Sterne als göttliche Lichtfunken angesehen, die die dunkle Nacht erhellten. Eine Stern -<br />
schnuppe kam dadurch zustande, dass die Engel beim Putzen der Himmelskerzen einen Docht fallen gelassen<br />
haben. Deswegen hoffte man, wenn man eine sah, auf Gottes Hilfe, wenn es um unerfüllte Wünsche ging. Da<br />
die Engel anscheinend vor allem Mitte August den Hausputz erledigen, hat man zu dieser Zeit die beste<br />
Chance auf einige erfüllte Wünsche.<br />
Aber wehe, man verrät seinen Wunsch jemand anderem! Dann wird er nicht erfüllt. Genauso, wenn man zu<br />
langsam ist und der Wunsch noch nicht fertig gedacht ist bis die Sternschnuppe verblasst.
1/2017 NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
19<br />
Don‘ts<br />
Salz verschütten<br />
Früher war Salz sehr wertvoll, da es mühevoll aus Bergwerken und Meerwasser gewonnen wurde.<br />
Außerdem hatte es eine konservierende und heilende Wirkung, weshalb es als Schutzsymbol, das Glück<br />
und Reichtum sicherte, angesehen war. So einen Schatz zu verschütten lockte den Teufel persönlich an.<br />
Einer Schwarzen Katze begegnen<br />
Im Mittelalter sahen christliche Geistliche zunehmend eine Gefahr in schwarzen Katzen, weil sie als<br />
Symbol für heidnische Gottheiten galten und oft Teil von heidnischen Ritualen waren. So wurden sie mit<br />
dem Teufel in Verbindung gebracht. Aber sogar heute noch lassen sich schwarze Katzen in Tierheimen<br />
schlechter als anders farbige vermitteln.<br />
Freitag, der 13.<br />
Was der Großteil der arbeitenden Bevölkerung heutzutage nicht mehr so ganz versteht ist, dass Freitag<br />
der Unglückstag der Woche ist. Da Jesus an einem Freitag gekreuzigt wurde, wird freitags getrauert.<br />
Außerdem sollen Adam und Eva an einem Freitag aus dem Paradies verbannt worden sein. In<br />
Kombination mit der Zahl 13, die sowieso Unglück bedeutet da sie die runde Zahl 12 (12 Apostel – der 13.<br />
hat Jesus verraten, 12 römische Hauptgötter, 12 Monate…) überschreitet, kann an diesem Tag nichts<br />
Gutes passieren.<br />
Spiegel zerbrechen<br />
Was für zerbrochenes Geschirr gilt, ist ein Tabu<br />
bei Spiegeln oder Gegenständen aus Glas – Sa -<br />
chen, in denen man sich eben mehr oder weniger<br />
spiegeln kann. Hier heißt es: geht einer zu Bruch,<br />
fol gen 7 Jahre Pech. Der Spiegel beherbergt<br />
nämlich die Seele von demjenigen, der hin -<br />
einschaut und die braucht 7 Jahre bis sie wieder<br />
vollständig genesen ist.<br />
Bilder: Pixabay, Wikimedia Commons<br />
Unter einer Leiter durchgehen<br />
Eine einfache Leiter an eine Wand gelehnt oder eine freistehende ist dabei egal. Es geht um das<br />
entstehende Dreieck an sich. Dieses gilt nämlich als heilige Form, beispielsweise als Symbol für die<br />
Dreifaltigkeit oder das allsehende Auge Gottes. Geht man durch das Dreieck hindurch, zerstört man diese<br />
Heiligkeit und zieht das Unglück an. Ganz davon abgesehen ist es auch nicht ratsam, vor allem, wenn<br />
weiter oben gearbeitet wird und etwas wie ein Hammer, eine Säge oder ein Backstein herunterfällt.<br />
Glück: Funny Facts<br />
VON REGINA SPANGLER<br />
Chance von 1 : 283 000 000 000<br />
Innerhalb von zwei Jahren gewinnt ein Britisches Paar zum zweiten Mal<br />
im Lotto.<br />
Lottogewinn<br />
Eine Statistikerin der Stanford Universität hat vier Mal im Lotto<br />
gewonnen und damit bereits über 20 Millionen Dollar erhalten.<br />
Glück oder Pech? – Unglaublich!<br />
Der Amerikaner Roy Sullivan wurde in seinem Leben acht Mal vom Blitz<br />
getroffen – und acht Mal hat er überlebt.<br />
Ungerecht?<br />
Die Chance von einem umfallenden Getränkeautomaten getötet zu<br />
werden ist höher als die Chance auf einem 6er im Lotto.<br />
Gerechtigkeit?<br />
Die V2 Rakete der Nazis führte zu dreimal mehr Todesopfern unter<br />
denen, die sie bauten, als unter den Bombardierten.<br />
Na, wer hat Angst vor Sektkorken?<br />
Pro Jahr sterben mehr Menschen an Sektkorken als durch den Biss einer<br />
giftigen Spinne. Dabei ist jede dritte Frau und jeder fünfte Mann von<br />
Spinnenangst besessen.<br />
Und wer vor Hirschen oder Ameisen?<br />
Hirsche töten durchschnittlich 130 Menschen im Jahr, Kühe 22,<br />
Ameisen 30, Nilpferde 2 900, Pferde 20 und Haie lediglich 5. Aber wer<br />
rennt schon vor einer Kuh weg?<br />
Fakten, Fakten, Fakten<br />
Der Glaube, dass jedes Leben unabänderlich vorbestimmt ist, nennt<br />
sich Fatalismus.<br />
Hol mir Sterne vom Himmel!<br />
Das Kalzium in unseren Knochen stammt aus den Explosionen von<br />
Sternen.<br />
Ausritt oder Trip?<br />
Ein Ausritt auf einem Pferd birgt für einen Menschen in etwa das<br />
gleiche Todesrisiko wie eine einmaliger Ecstasy-Konsum.<br />
Im Ländle<br />
Menschen aus Baden-Württemberg haben die höchste Lebenser -<br />
wartung in Deutschland.<br />
Lebensverändernd<br />
Täglich werden 12 Neugeborene falschen Eltern gegeben.
20<br />
NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
mediakompakt<br />
Bild: Diana Riegger<br />
<strong>Schicksal</strong> braucht Zufälle<br />
Kann man über Online-Dating<br />
einen Partner finden? Ist die<br />
große Liebe vom <strong>Schicksal</strong><br />
vorherbestimmt oder haben wir<br />
einfach nur großes Glück,<br />
wenn wir sie treffen? Lina<br />
jedenfalls hat genug davon,<br />
darauf zu warten, dass etwas<br />
passiert und nimmt die Sache<br />
selbst in die Hand.<br />
Eine Kurzgeschichte über die<br />
Liebe und das Zusammenspiel<br />
von <strong>Zufall</strong> und <strong>Schicksal</strong>.<br />
VON DIANA RIEGGER<br />
Max war der erste, den Lina über die<br />
Online-Partnervermittlung traf.<br />
Nachdem sie nervösen Smalltalk<br />
und einige peinliche Gesprächs -<br />
pausen hinter sich gebracht hatten,<br />
lief es eigentlich ganz gut. Max war lustig und<br />
wusste viel über Politik, genau wie er geschrieben<br />
hatte. Als sie das Restaurant nach über zwei<br />
Stunden verließen, fühlte Lina sich entspannt<br />
und gut unterhalten. Nur leider fehlte etwas: der<br />
Funke. Der nicht übergesprungen war. Max war<br />
nett, aber es fühlte sich an, als ob sie mit ihrem<br />
Geschichtslehrer essen war: Intelligente Ge -<br />
spräche, vollendete Manieren, null romantische<br />
Gefühle.<br />
Lina hatte sich für Online-Dating entschieden,<br />
weil sie seit über zwei Jahren Single war. Auf<br />
einem Ratgeber-Blog hatte sie Folgendes gelesen:<br />
Vor allem in Liebesdingen muss man dem<br />
<strong>Schicksal</strong> manchmal etwas unter die Arme greifen.<br />
Das konnte man tun, indem man offen für Zufälle<br />
war. Denn nur, wenn man dem <strong>Schicksal</strong><br />
genügend zufällige Situationen zuspielte, konnte<br />
es seine Arbeit machen und sich daraus die<br />
richtige aussuchen. Klingt logisch, dachte sich<br />
Lina, und weil es im Internet eine große Zahl<br />
beziehunginteressierter Männer und damit viel<br />
Potential für zufällige Glücksgriffe gibt, meldete<br />
sie sich bei einem Dating-Portal an. Nach der<br />
ersten Erfahrung mit Max war sie positiv<br />
gestimmt. Zwar hatte es nicht gefunkt, aber es war<br />
auch keine Katastrophe gewesen. Noch ein paar<br />
mehr solcher Dates und das <strong>Schicksal</strong> würde<br />
schon in Schwung kommen. Ihr war allerdings<br />
nicht klar, dass es von nun an steil abwärts gehen<br />
würde. Der zweite Mann, den sie traf, hieß Chris,<br />
war Personal Trainer und bediente jedes Klischee.<br />
Der Abend gipfelte darin, dass er Lina einen<br />
detaillierten Trainingsplan für die nächste Woche<br />
auf ihrer Serviette aufstellte. Edgar war der<br />
nächste. Trotz seines altbackenen Namens war er<br />
ein lockerer Typ. So locker, dass er während des<br />
Treffens sein Handy auf den Tisch legte und<br />
Tinder öffnete. Als Lina ihn ungläubig anstarrte,<br />
zwinkerte er nur und fragte – ganz easy – ob sie was<br />
dagegen habe? Man müsse seine Optionen<br />
schließlich offen halten. Als Lina an diesem<br />
Abend im Bett lag, fragte sie sich, ob es möglicher -<br />
weise doch der bessere Weg war, sich nicht aktiv<br />
um einen Partner zu bemühen sondern zu warten,<br />
bis das Universum den Richtigen vorbeischickte.<br />
Nachdem sie weitere Männer getroffen hatte<br />
und jeder ein weiterer Griff ins Klo war – wenn es<br />
überhaupt zu einem Treffen kam – beschloss Lina<br />
schließlich, dass die Theorie mit den vielen<br />
Zufällen, die dem <strong>Schicksal</strong> zugespielt werden<br />
mussten, wohl doch nicht stimmen konnte. Der<br />
letzte Mann, den sie traf, hieß Thomas und spielte
1/2017<br />
NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
<strong>21</strong><br />
ihr in seiner Wohnung eine geschlagene Stunde<br />
lang selbst geschriebene Rap-Songs vor. Als es Lina<br />
dämmerte, dass Thomas weniger eine Frau suchte,<br />
sondern vielmehr einen Fanclub aufbauen wollte,<br />
versprach sie schnell, Thomas‘ Facebookseite zu<br />
liken und machte sich auf den Heimweg. Der<br />
Abend war angenehm warm und einige<br />
Menschen waren unterwegs. Die Hände tief in den<br />
Taschen ihres Mantels vergraben, schlenderte<br />
Lina die Straßen entlang Richtung Bahnhof und<br />
dachte nach. Nicht alle ihre Dates waren totale<br />
Reinfälle wie Thomas gewesen. Manche waren<br />
nett und angenehm verlaufen, aber nie war es zu<br />
einem zweiten Treffen gekommen. Jetzt war ihr<br />
Limit einfach erreicht, sie hatte genug. Dann blieb<br />
sie eben ihr Leben lang alleine, wenigstens musste<br />
sie dann keine kostbaren Stunden ihrer Freizeit<br />
mit langweiligen oder skurrilen Männern mehr<br />
ver bringen.<br />
Mit schlechter Laune kam sie am Bahnhof an<br />
und durfte auch noch feststellen, dass alle Bahnen<br />
ausfielen. Na prima, das passte doch zum Abend.<br />
Fast hätte Lina gelacht.<br />
„Entschuldige bitte, brauchst du zufälligerweise<br />
auch ein Taxi in die Südstadt?“<br />
Lina wandte sich nach der Stimme um und sah<br />
einen verlegen lächelnden, braunhaarigen Mann<br />
vor sich stehen. „Das ist zwar echt peinlich, aber<br />
ich hab keine Geldbörse mehr und das Bargeld aus<br />
meiner Hosentasche reicht nicht mehr bis nach<br />
Hause. Wenn ich jemand finde, der ein Taxi mit<br />
mir teilt, würde es gehen“, erklärte er. Das kam<br />
Lina ziemlich gelegen und nachdem sie Adrians<br />
Hand geschüttelt hatte, suchten sie sich gemein -<br />
sam ein Taxi.<br />
„Du musst aber vor mir aussteigen sonst kannst du<br />
sehen, wo ich wohne und bist am Ende noch ein<br />
Stalker“, sagte sie, als sie gemeinsam auf der<br />
Rückbank saßen. Erst wenige Wochen zuvor<br />
wollte ein Kerl, mit dem sie einen Abend lang<br />
gechattet hatte, unbedingt ihre Adresse –<br />
angeblich, um ihr ‚eine Pizza liefern zu lassen‘.<br />
Seitdem war sie noch vorsichtiger geworden.<br />
„Kein Problem. Ich will einfach nur schnell weg<br />
von hier.“<br />
„Bist du überfallen worden?“<br />
„Was? Wie kommst du denn darauf?“<br />
„Weil deine Geldbörse weg ist.“<br />
„Ach so, das“, Adrian zuckte die Schultern. „Wenn<br />
ich ehrlich bin, ich habe sie nicht verloren,<br />
sondern dem Kellner im Restaurant gegeben.<br />
Morgen hole ich sie wieder ab. Ich hatte ein<br />
furchtbares Date und deshalb hab ich so getan, als<br />
wäre mein Portemonnaie plötzlich weg. Meine<br />
Verabredung glaubt, ich wäre jetzt bei der Polizei.<br />
Leider gefällt es ihr wohl auch ohne mich ganz gut<br />
in dem Restaurant, sie sitzt nämlich immer noch<br />
dort. Deshalb konnte ich nicht direkt wieder rein<br />
und meinen Geldbeutel holen, wie ich es ur -<br />
sprünglich geplant hatte. Und deshalb hab ich<br />
jetzt nicht mehr genügend Geld für die Heim -<br />
fahrt.“<br />
Lina starrte ihn ungläubig an. „Das ist eine<br />
reichlich bescheuerte Ausrede, um ein Date zu<br />
beenden. Du hättest auch einfach so tun können,<br />
als würde dein Kumpel dich anrufen weil sein<br />
Auto liegen geblieben ist.“ Adrian hob interessiert<br />
die Augenbrauen. „Aha, da hat wohl jemand<br />
Erfahrung in diesem Bereich?“<br />
Lina wurde rot. Adrian lachte: „Hattest du also<br />
einen ähnlichen Abend wie ich oder warum gehst<br />
du schon nach Hause?“<br />
Beinahe froh, einen Leidensgenossen gefunden zu<br />
haben, brach es aus ihr heraus und Lina erzählte<br />
von ihrem frühzeitig abgebrochenen Treffen mit<br />
Thomas und von all den anderen unerträglichen<br />
Dates. Adrian hörte mit großen Augen zu und<br />
letztendlich stellten sie fest, dass sie beide online<br />
nach Partnern suchten – nur bei verschiedenen<br />
Portalen.<br />
Als das Taxi vor Adrians Wohnung stoppte,<br />
stieg Lina mit ihm aus. Gemeinsam setzten sie<br />
sich in die nächste Bar und toppten sich gegen -<br />
seitig mit Geschichten von skurrilen Verabre -<br />
dungen. Und auch Jahre später gingen sie immer<br />
an diesem einen Tag im Jahr, dem 15. August, in<br />
dieselbe Bar und stießen darauf an, dass sie sich<br />
doch irgendwie über das Online-Dating gefunden<br />
hatten. Und Adrian dachte sich jedes Jahr aufs<br />
Neue, was für ein <strong>Zufall</strong> es doch war, dass sie beide<br />
an diesem Abend unterwegs waren, sein eigent -<br />
liches Date nicht aus dem Restaurant ver -<br />
schwinden wollte und er so Lina getroffen hatte.<br />
Und Lina fragte sich jedes Jahr aufs Neue, ob es<br />
vorherbestimmt gewesen war, dass sie all diese<br />
miesen Dates hinter sich bringen musste, um<br />
schließlich zur gleichen Zeit wie Adrian am Bahn -<br />
hof zu stehen. Oder war es am Ende doch eine<br />
Kombination aus beidem?<br />
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22<br />
NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
mediakompakt<br />
Work.<br />
Eat.<br />
Sleep.<br />
Repeat.<br />
Obwohl die Bezahlung gut ist,<br />
ist Tanja Hilt mit ihrem Job<br />
unzufrieden und entscheidet<br />
sich für einen radikalen<br />
Tapetenwechsel. 2014 sucht<br />
sie sich einen neuen Job in<br />
einem anderen Land. Von<br />
Backnang nach Dubai. Von der<br />
AOK zu Emirates. Warum es<br />
sich lohnt, mutig zu sein.<br />
VON CELINA MÜLLER<br />
Bild: Celina Müller<br />
Ein Airbus 380 treibt im Wasser, die<br />
Notausgänge sind geöffnet. Die Ma -<br />
schine ist flugunfähig. Die Cabin Crew –<br />
darunter Tanja – muss die Passagiere<br />
evakuieren. Einen kühlen Kopf bewahr -<br />
en. Alles, was sie über eine Notlandung auf dem<br />
Wasser gelernt haben, müssen sie jetzt abrufen.<br />
Ein Alarm tönt regelmäßig. Stress. Einer nach dem<br />
anderen verlässt die Maschine. Rettungsweste an,<br />
alle Gegenstände bleiben im Flugzeug. Der Letzte<br />
verlässt die Maschine, jetzt steigt auch die Cabin<br />
Crew aus. Im Wasser treiben viele gelbe Punkte,<br />
alles Menschen mit Rettungswesten. Tanja muss<br />
nun die Rutsche in ein Rettungsboot umfunk -<br />
tionieren und anschließend den Passagieren mit<br />
ihren patschnassen Klamotten hineinhelfen.<br />
Dann sind alle drin. Applaus. Der Trainer sagt:<br />
„Well done! Lunchbreak.“ Tanja steigt aus dem<br />
Trainings-Pool, zieht sich um und geht mit ihren<br />
Kollegen Mittagessen.<br />
Tanja ist 26 Jahre alt und eine hübsche junge<br />
Frau, sie hat blonde Haare, blaugraue Augen,<br />
Modelmaße und ein sympathisches breites Lä -<br />
cheln. Sie arbeitet seit zwei Jahren als Flug -<br />
begleiterin bei der Airline Emirates in den<br />
Vereinigten Arabischen Emiraten. Seit 2014 lebt<br />
sie wegen ihres Berufs in Dubai und fliegt von dort<br />
aus in die ganze Welt. 37 Länder hat sie bereist.<br />
„Meine Liste mit Ländern, die ich sehen möchte,<br />
wird nicht kürzer, sondern immer länger. Reisen<br />
macht süchtig!“, sagt sie. Tanja lebt ihren Traum<br />
von Freiheit und sie lebt ihn nach der Yoga -<br />
Philosophie.<br />
Die Philosophie des Yoga basiert auf einer<br />
positiven Sicht auf den Menschen mit der zu -<br />
grundeliegenden Vorstellung, dass unser wahres<br />
Selbst aus Glückseligkeit besteht. Yoga kann alles<br />
und nichts sein, so findet jeder seine eigene<br />
Herangehensweise auf dem Pfad der Glückselig -<br />
keit. Physisch und psychisch Yoga zu praktizieren<br />
ist für Tanja sehr wichtig. Es mache sie belastungs -<br />
fähiger für diesen anstrengenden Beruf.<br />
Die Entscheidung, Flugbegleiterin zu werden,<br />
kam allerdings später. Tanja hat in Backnang bei<br />
Stuttgart ihr Abitur gemacht. Schon während der<br />
Schulzeit arbeitete sie als Zeitungsausträgerin und<br />
in den Ferien im Schichtbetrieb. Zudem modelte<br />
und kellnerte sie nebenher. Es war ihr immer<br />
wichtig, selbstbestimmt zu sein und deshalb<br />
arbeitete sie mehr als ihre Klassenkameraden. So<br />
konnte sie sich bereits mit 18 Jahren eine kleine<br />
Mietwohnung leisten. Nach dem Abitur machte<br />
sie eine Ausbildung zur Sozialversicherungs -<br />
fachangestellten bei der AOK in Backnang. Später<br />
hatte sie die Möglichkeit, sich in München bei<br />
einer Betriebskrankenkasse zu bewerben. Sie ver -<br />
handelte hart um ihr Gehalt – glaubt man den<br />
Statistiken, ist dies für weibliche Bewerber un -<br />
gewöhnlich – und es zahlte sich aus. Ein neuer<br />
Abschnitt begann. Sie zog nach München.<br />
Doch dann kam die Ernüchterung, Tanja, die<br />
noch so viel erleben und entdecken wollte, fühlte<br />
sich fehl am Platz. Fachlich sowie persönlich. Sie<br />
verdiente gut und trotzdem war sie unglücklich.<br />
Da war für sie klar: Es kann so nicht weitergehen.<br />
Tanja sagt rückblickend: „Mir war es das nicht<br />
wert für einen Job, der mir keinen Spaß machte<br />
und für Kollegen, die mich nicht mochten, so viel<br />
Zeit zu investieren.“ Sie kündigte und suchte sich<br />
Nebenjobs. Durch <strong>Zufall</strong> sah sie, dass es einen<br />
Emirates-Bewerber-Tag in München geben würde,<br />
und meldete sich an. Sie wollte einen Tapeten -<br />
wechsel und dieser Beruf klang verlockend.<br />
Der Bewerbertag in München war erfolgreich,<br />
sie schaffte es durch alle Instanzen. Die Zusage<br />
kam einige Wochen später. Diese leitete einen<br />
ganz neuen Abschnitt in ihrem Leben ein. Tanja<br />
musste ihre Wohnung räumen und innerhalb von<br />
zwei Wochen nach Dubai ziehen, ihr Leben in<br />
zwei Koffer packen und alle Freunde und die<br />
Familie zurücklassen. Sie wagte den Schritt ins<br />
Ungewisse.<br />
Die Ausbildung zur Flugbegleiterin dauert<br />
zwei Monate. Es werden Evakuierungen geübt<br />
und beispielweise Feuer im Flugzeug gelöscht.<br />
Flugzeugentführungen werden durchgespielt und<br />
die Auszubildenden machen einen Selbstver -<br />
teidigungskurs, falls Passagiere handgreiflich wer -<br />
den. Die zukünftigen Flugbegleiter erhalten ihre<br />
Uniform und der Dresscode wird ihnen beige -
1/2017 NACHGEFRAGT & AUSPROBIERT<br />
23<br />
bracht. Zudem werden die Hygiene-Vorschriften<br />
aufgezeigt, wie die Maniküre auszusehen hat und<br />
wie das Make-up aufzulegen ist. Sie erhalten ein<br />
Erste-Hilfe-Training aber auch Geburtskurse und<br />
lernen, wie Knochenbrüche behandelt werden. Zu<br />
guter Letzt erfahren sie beispielsweise wie der<br />
Ofen an Bord funktioniert und wie Kaffee zu<br />
servieren ist. Anschließend gibt es eine Prüfung<br />
und die Ausbildung ist abgeschlossen.<br />
39. Stock – ein Hochhaus in JLT (Jumeirah<br />
Lake Towers) einem Stadtteil von Dubai. Tanja<br />
fährt von ihrer Wohnung auf das Dach des<br />
Gebäudes und legt sich an den Pool. „Ich liebe das<br />
Wetter in Dubai, lieber ist es mir drei Monate zu<br />
heiß als zu kalt“. Sie sitzt im Januar bei 25°C im<br />
Bikini bei Sonnenschein am Pool. Vom Dach aus<br />
kann man auf die Marina, auf das Meer aber auch<br />
in die Wüste schauen, die direkt hinter der Stadt<br />
beginnt. Eine unwirkliche Szenerie für Europäer.<br />
Tanja fühlt sich hier mittlerweile sehr wohl. Ihre<br />
kleine Wohnung, die sie sich mit einer anderen<br />
Deutschen teilt, ist spartanisch, aber liebevoll<br />
eingerichtet: Das typische Ikea Interieur gespickt<br />
mit Mitbringseln aus aller Welt. Zwei Schlaf -<br />
zimmer, zwei Bäder, zwei Balkone und eine<br />
Wohnküche.<br />
Der Tower, in dem sie lebt, wurde zwar erst<br />
2012 gebaut, hat allerdings bereits Risse und das<br />
Wasser wird auch nicht mehr heiß. Aber bei 45°C<br />
im Sommer braucht keiner heißes Wasser. In<br />
ihrem Gebäude gibt es einen Supermarkt und<br />
einen Friseur mit Massagestudio. Taxis stehen<br />
immer bereit und auch die Metro zum Flughafen<br />
ist nicht weit. In ihrer Wohnung ist sie im Schnitt<br />
zehn Tage im Monat, den Rest verbringt sie in der<br />
Luft oder in Hotels weltweit.<br />
Es war für sie erstaunlich leicht sich einzu -<br />
leben. Alle sprechen sehr gut Englisch in Dubai<br />
und so konnte sie ihre Sprachkenntnisse perek -<br />
tionieren. Manche, denen Tanja erklärt wo sie<br />
wohnt, setzen Dubai mit Saudi Arabien gleich<br />
und haben Vorurteile. Doch als Expat (kurz für<br />
Expatrieate von lateinisch ex „aus“ und patria<br />
„Vaterland“) lebt es sich sehr gut in Dubai. In den<br />
Einkaufsmalls findet man alles was man braucht<br />
und noch viel mehr. Dubai versucht immer und<br />
überall zu überraschen. So ist es nicht unge -<br />
wöhlich in einem Einkaufszentrum einen Hai<br />
oder eine Meeresschildkröte an sich vorbei -<br />
schwimmen zu sehen. Tanja fasst es zusammen<br />
mit: „Bigger, higher, faster. Es ist schon teilweise<br />
verrückt hier zu leben“. So kann man Schlitt -<br />
schuhlaufen wenn einem danach ist, oder spon -<br />
tan Jet Ski fahren. Als Emirates Mitarbeiterin<br />
profitiert Tanja von exklusiven Angeboten in der<br />
Stadt.<br />
Die Stadt lebt in Extremen. Wasser und Wüste;<br />
das Trinkwasser Dubais wird über ölbetriebene<br />
Verfahren aus dem Meer gewonnen. Islam und<br />
Alkohol; in dem muslimischen Land ist das<br />
Freitagsgebet eine religiöse Verpflichtung, doch<br />
gleichzeitig finden in der ganzen Stadt Freitags -<br />
brunche statt, bei denen wie selbstverständlich<br />
auch Alkohol serviert wird. Überwachung und<br />
Sicherheit; Dubai überwacht seine Bevölkerung<br />
stark, es gibt keine Obdachlosen und auch keine<br />
an AIDS erkrankten Menschen, denn diese wer -<br />
den ausgewiesen.<br />
Die Emirate sind eindeutig anders als<br />
Deutschland, es gibt Regeln und diese werden ein -<br />
gehalten, auch von Expats. Tanja kann sich damit<br />
gut arrangieren und hat nicht das Gefühl, sich<br />
einschränken zu müssen. Im Gegenteil: Sie ge -<br />
nießt die Möglichkeiten, die diese Stadt und ihr<br />
Job bieten.<br />
Für Tanjas Umfeld kam ihre Entscheidung,<br />
nach Dubai zu ziehen, überraschend. Ihre engsten<br />
Freunde haben sie von Anfang an unterstützt und<br />
versuchen, sie so oft wie möglich zu sehen. Da sie<br />
so viel und gerne unterwegs ist, kann sie ihre<br />
Freunde auf der Welt verteilt treffen. Als deutsch -<br />
sprachige Flugbegleiterin hat sie zudem viele<br />
Flüge nach Deutschland. Wenn sie allerdings ihre<br />
Eltern und Großeltern besuchen möchte, muss sie<br />
sich frei nehmen und kann mit dem Crew-Nach -<br />
lass in die Heimat fliegen.<br />
Auch in Zukunft möchte sie viel reisen, ver -<br />
schiedenen Kulturen kennenlernen und interes -<br />
siert und neugierig auf die Welt zugehen. „Men -<br />
schen etwas Gutes tun ist für mich erfüllend.“ sagt<br />
sie. Bei Emirates kann sie das. Die vielen Kinder an<br />
Bord unterhält sie gern. Sie sieht viel von der Welt<br />
und Yoga tut ihr gut, um die anstrengende kör -<br />
perliche Arbeit zu meistern und geistig ausge -<br />
glichen zu bleiben. Der Mut zur Entscheidung hat<br />
sich für sie gelohnt.<br />
Bild: Celina Müller
24<br />
WEITER GEDACHT<br />
mediakompakt<br />
Bild: pixabay.de<br />
Die geheimnisvolle Sehergabe –<br />
oder wann kommt denn endlich der<br />
Weltuntergang?<br />
Am <strong>21</strong>. Dezember 2012 sollte<br />
dem Maya-Kalender zufolge<br />
der Weltuntergang eintreten.<br />
Über Weltuntergangsszenarien<br />
und die Frage was die Zukunft<br />
bringen wird.<br />
VON YULIA KONDRAEWA<br />
Diese Prophezeiung, wie auch unzählige<br />
davor und danach, hat sich nicht<br />
erfüllt. Warum glaubt der Mensch<br />
überhaupt an den Weltuntergang, und<br />
dass dieser unbedingt nach dem<br />
allerschlechtesten Szenario ablaufen wird?<br />
Laut Psychologen liegt die Antwort in unserer<br />
Psyche, die wir von unseren Urahnen geerbt<br />
haben. Die Todesangst diente den Urmenschen als<br />
Fluchtimpuls, welcher deren Überleben und somit<br />
die Weiterexistenz der Menschheit sicherte. Wir<br />
sind so programmiert, dass negative Informationen<br />
einen Alarm in unserem Gehirn auslösen,<br />
deshalb besitzen schlechte Nachrichten generell<br />
einen höheren Aufmerksamkeitswert als positive<br />
Meldungen.<br />
Der eigene Tod bei gleichzeitiger Weiterexistenz<br />
der Menschheit und des Lebens an sich<br />
sind für uns so schwer vorstellbar, dass wir das<br />
Ende der eigenen Existenz mit dem Wunsch nach<br />
einem allgemeinen Untergang verbinden. Der<br />
eigene Tod stellt demzufolge eine unver- meid -<br />
liche persönliche Apokalypse dar.<br />
Die Frage, was passiert vor und nach dem Tod,<br />
versuchen seit Jahrtausenden alle Weltreligionen<br />
zu beantworten. Parallel hat es aber zu allen Zeiten<br />
auch Propheten gegeben, die schon vor vielen<br />
Jahrhunderten beeindruckend präzise Visionen<br />
über unsere Gegenwart hatten. Sind deren Vor-<br />
hersagen eher zufällige Treffer ins Blaue hinein,<br />
oder gibt es die Sehergabe wirklich? Bei dieser<br />
Frage wird man ziemlich unsicher, besonders<br />
wenn es sich um die Vorhersagen der bulgarischen<br />
Prophetin Baba Wanga handelt, deren Genauigkeit<br />
laut Forschern bei 85 Prozent läge.<br />
Baba Wanga (1911–1996) war eine einflussreiche<br />
bulgarische Hellseherin. Wörtlich übersetzt<br />
aus dem Bulgarischen bedeutet ihr Name<br />
„Großmutter Wanga“. Im Alter von 13 Jahren<br />
wurde Wanga bei einem Wirbelsturm so schwer<br />
verletzt, dass sie für den Rest ihres Lebens das<br />
Augenlicht verlor. Manche vermuten, dieses<br />
Ereignis könnte der Anstoß zur Entfaltung ihrer<br />
hellseherischen Fähigkeiten gewesen sein.<br />
Erstmals brach Baba Wanga ihr Schweigen im<br />
April 1941. In diesem Jahr erschien der damals<br />
30-jährigen Frau aus dem mazedonischen Dorf<br />
Novo Selo ein „strahlender Reiter“, der ihr<br />
„schreckliche Dinge“ verkündet hatte. Unmittelbar<br />
danach, am 6. April 1941, marschierte die deutsche<br />
Wehrmacht in Jugoslawien ein, wovon auch<br />
Mazedonien betroffen war. Manchen Menschen<br />
hat Wanga über das <strong>Schicksal</strong> deren Familienangehörigen<br />
im Krieg berichtet. Wanga wurde<br />
beliebt, und ihre Sehergabe hat sich schnell<br />
herumgesprochen.<br />
Kurze Zeit, nachdem Wanga begonnen hatte,<br />
ihre Visionen preiszugeben, begegnete sie ihrem
1/2017 WEITER GEDACHT<br />
25<br />
künftigen Ehemann, einem Bulgaren, mit dem<br />
sie in dessen Heimatstadt Petritsch zog. Wanga<br />
wurde zur „Seherin von Petritsch“, und ihre<br />
Weissagungen machten sie so berühmt, dass selbst<br />
der bulgarische König Boris III. sie aufsuchte. Sie<br />
hat ihm seinen baldigen Tod vorausgesagt. Der<br />
König war erst 49, aber kurz darauf starb er<br />
wirklich. Nach offizieller Erklärung versagte sein<br />
Herz, gerüchteweise hieß es jedoch, er sei vergiftet<br />
worden.<br />
Spektakulär ist die Baba Wangas Prophezeiung<br />
über den Anschlag auf das World Trade Center<br />
am 11. September 2001: „Die amerikanischen<br />
Zwillinge werden fallen, nachdem sie von<br />
stählernen Vögeln angegriffen wurden.“<br />
Außerdem wird ihr die Aussage zugeschrieben,<br />
dass in Amerika ein „dunkelhäutiger Präsident<br />
gewählt werden“ und dass dieser der „44. und<br />
letzte Präsident der USA“ sein wird.<br />
Darüber hinaus sagte Wanga die Gründung<br />
der terroristischen Organisation „Islamischer Staat“<br />
voraus, die ihren Angaben zufolge „Europa im<br />
Jahre 2016 angreifen werde“. Sie prophezeite<br />
einen „großen mohammedanischen Krieg“, der<br />
nach „dem arabischen Frühling“ 2010 beginnen<br />
und im Jahr 2043 mit der „Bildung des Kalifats“<br />
enden wird. Die Seherin prophezeite, dass sich<br />
viele europäische Länder im Zuge dieses Krieges in<br />
leere Territorien verwandeln werden. Interessant<br />
ist zudem ihre Weissagung aus dem Jahr 1979,<br />
dass die Menschheit in 200 Jahren in Kontakt mit<br />
Außerirdischen treten kann, die sich übrigens<br />
längst unter uns befinden und vom dritten<br />
Planeten VAMF stammen. Der dritte Planet, von<br />
der Erde aus gesehen, ist der Saturn.<br />
Auch in Deutschland gab es einen bekannten<br />
Propheten. Der Brunnenbauer Alois Irlmaier<br />
wurde im Juni 1894 im oberbayrischen Siegsdorf<br />
geboren. Schon als kleiner Junge hatte er die Gabe,<br />
Wasseradern zu finden. Der Ursprung seiner<br />
hellseherischen Visionen geht angeblich auf ein<br />
Ereignis im Ersten Weltkrieg zurück: Irlmaier war<br />
vier Tage lang ohne Nahrung und Wasser in<br />
Russland verschüttet. Seine Kameraden fanden<br />
ihn, doch er hatte ein schweres Trauma erlitten.<br />
Die Verletzung hatte etwas Seltsames ausgelöst:<br />
„Es strömen Bilder auf mich ein“, sagte er danach.<br />
Ähnlich wie bei Baba Wanga wird über Alois<br />
Irlmaier auch berichtet, dass die Einheimischen<br />
ihn nach Vermissten und nach Soldaten in der<br />
Kriegsgefangenschaft fragten. Mit einem Blick auf<br />
die Fotos dieser Menschen soll Irlmaier sofort<br />
gewusst haben, ob diese noch lebten oder schon<br />
tot waren. Irlmaier sagte im Zweiten Weltkrieg<br />
auch Bombenangriffe voraus und soll so viele<br />
Menschenleben gerettet haben. Nach dem Krieg<br />
soll er erfolgreich bei der Aufklärung von<br />
Mordfällen geholfen haben.<br />
Viele Experten schreiben den Prognosen von<br />
Alois Irlmaier eine überaus hohe Qualität zu, denn<br />
zahlreiche vorhergesagte Geschehnisse sind<br />
nachweislich eingetroffen. Es existieren sogar<br />
amtliche Dokumente, die die seherischen Gaben<br />
von Alois Irlmaier juristisch belegen. Irlmaier hat<br />
unter anderem die Vorboten für den 3. Weltkrieg<br />
beschrieben. Durch den Zuzug zahlreicher Fremder<br />
in Deutschland wird laut dem bayrischen<br />
Hellseher ein großer Umbruch ausgelöst:<br />
„Es kommt Wohlstand wie noch nie<br />
Es folgt der Glaubensabfall mit einer nie da<br />
gewesenen Sittenverderbnis<br />
Eine große Anzahl Fremder strömen ins Land<br />
Das Geld verliert nach und nach an Wert<br />
Es folgen Revolutionen und ein Angriff der Russen<br />
auf Westeuropa.“<br />
Kaum zu glauben, aber zu einer Zeit, als vom<br />
Klimawandel noch niemand etwas ahnte und<br />
sprach, wusste Alois Irlmaier von den drastischen<br />
Naturveränderungen: „Der Januar ist amal so warm,<br />
dass die Mücken tanzen. Es kann sein, dass wir<br />
schon in eine Zeit hineinkommen, in der bei uns<br />
überhaupt kein richtiger Winter mehr ist.“<br />
Wenn man über die Vorhersagen spricht,<br />
kommt man an dem Namen des größten<br />
Wahrsagers aller Zeiten Michel de Nostredame,<br />
besser bekannt als Nostradamus, kaum vorbei.<br />
Geboren am 14. Dezember 1503 in Südfrankreich<br />
als Sohn des Kornhändlers und kirchlichen Notars<br />
Jaume de Nostredame jüdischen Ursprungs, war er<br />
der älteste Sohn unter den mindestens acht<br />
Kindern in der Familie. Wie sein Großvater<br />
entschied sich Nostradamus für medizinische<br />
Laufbahn und machte sich einen Namen als Arzt<br />
von Königen und Fürsten.<br />
Die Bedeutung von Nostradamus als Arzt ist<br />
jedoch heute nur insoweit interessant, als sie<br />
seinen Charakter beleuchtet. Es ist der „Prophet“<br />
Nostradamus, der uns heute vornehmlich interessiert.<br />
Der Seher wurde schon zu seinen Lebzeiten<br />
von den Zeitgenossen als „Prophet“ gewürdigt.<br />
Maßgeblich dafür ist die Tatsache, dass der größte<br />
Teil seiner Vorhersagen bereits im Jahre 1555 im<br />
Druck erschien. Da die meisten Prophezeiungen<br />
von Nostradamus sehr kryptisch formuliert sind<br />
(bekanntlich bediente sich der Seher gerne<br />
geschickter Wortspiele, Allegorien und Anagramme),<br />
versuchen schon seit Jahrhunderten viele<br />
Wissenschaftler und Experten seine Verse, von<br />
denen er in seiner Schaffenszeit mehr als 6000<br />
verfasst hat, zu entschlüsseln. Es wird manchen<br />
seiner Kommentatoren vorgeworfen, sie hätten<br />
bei der Auslegung mancher Stellen zu viel<br />
Erfindergabe gezeigt, um mit dem Wissen nach dem<br />
Ereignis dessen Voraussage zu bestätigen.<br />
Zu den Ereignissen, die Nostradamus vorausgesagt<br />
hat, und die bereits eingetroffen sind,<br />
gehört zum Beispiel der Machtantritt von<br />
Napoleon Bonaparte:<br />
Century IIX, Quatrain 1<br />
PAU NAY LORON wird mehr aus Feuer sein<br />
als aus Blut.<br />
Im Ruhm zu schwimmen.<br />
Der Große der flieht vor der Konfluenz.<br />
Er wird den Piusen verweigern.<br />
Die Verdorbenen und die Haft werden sie gefangen<br />
halten.<br />
Dieser Vers ist klassisch für Nostradamus. Er<br />
benutzt hier eine seiner liebsten Methoden – das<br />
Anagramm. PAU NAY LORON wird, wenn man<br />
es anders zusammensetzt zum korsischen Wort<br />
NAPAULON ROY, oder Napoleon der König. Der<br />
Vers beschreibt ihn als einen Mann des Feuers, des<br />
Krieges, mehr als des Blutes oder königlicher<br />
Linie. Die Piuse sind die Päpste Pius VI und Pius<br />
VII. Beide wurden von Napoleon gefangen<br />
genommen.<br />
In den Versen von Nostradamus gibt es<br />
außerdem klare Deutungen auf die Grausam -<br />
keiten des Hitler-Regimes:<br />
Century III, Quatrain 35<br />
Vom tiefsten Teil Westeuropas,<br />
wird ein kleines Kind geboren zu armen Leuten,<br />
das verführen wird eine große Vielzahl durch<br />
seine Reden.<br />
Sein Ruf wird sich weiten, im Königreich des<br />
Ostens.<br />
Century II. Quatrain 24<br />
Grausame Bestien überqueren die Flüsse.<br />
Der größere Teil des Schlachtfelds wird gegen<br />
Hister sein.<br />
In einen eisernen Käfig wird der Große<br />
hineingezogen.<br />
Während das Kind von Deutschland nichts weiß.<br />
Der Name Hister bezieht sich hier auf Hitler,<br />
nicht aber auf dessen Namen, sondern auf die<br />
lateinische Bezeichnung des Flusses Donau, wo<br />
Hitler geboren wurde. Der erste Vers nimmt Bezug<br />
auf Hitlers Hintergrund: seine Eltern waren arm.<br />
Sein Talent als Redner wird ebenfalls betont. Und,<br />
Hitler hatte einen katastrophalen Einfluss auf<br />
Japan, dem Königreich des Ostens.<br />
Weitere Ereignisse, die Nostradamus vorhergesagt<br />
haben soll, und die sich punktgenau erfüllt<br />
haben, sind zum Beispiel die Französische Revolution<br />
und das Attentat, infolgedessen John<br />
Kennedy gestorben ist.<br />
Resümierend kann man sagen, dass der<br />
Weltuntergang vielleicht irgendwann doch<br />
passieren wird, was möglicherweise auch das Ende<br />
der Menschheit herbeiführt – genauso unver -<br />
meidlich wie unser individueller Tod. Was aber<br />
die Prophezeiungen angeht, können sie nie sicher<br />
sein, denn sie sind immer ein Hinweis auf<br />
mögliche Szenarien. Sie sind nie endgültig,<br />
sondern stellen eine Momentaufnahme für einen<br />
bestimmten Zeitpunkt dar, die zeigt, was<br />
passieren kann, wenn wir gewisse Dinge nicht<br />
ändern. Letztlich sollte jeder sorgsam mit<br />
Weissagungen umgehen. Durch Worte,<br />
Gedanken und Handlungen erschaffen wir,<br />
Menschen, unsere Realität immer wieder neu.
26<br />
WEITER GEDACHT<br />
mediakompakt<br />
Bild: Billy Abbott | Flickr<br />
Die<br />
nach Glück
1/2017 WEITER GEDACHT<br />
27<br />
Glückspiel bedeutet, dass der Gewinn<br />
bei einem Spiel ganz oder teilweise<br />
vom <strong>Zufall</strong> abhängt. Der Einsatz dabei<br />
ist meist Geld. Jeder zweite Deutsche<br />
nimmt gelegentlich an Glückspielen<br />
teil. Die Einsätze liegen meist unter 30 Euro. In<br />
Deutschland sind laut der Bundeszentrale für<br />
gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und der<br />
Deutsche Lotto- und Totoblock<br />
(DLTB) etwa 500.000 Personen<br />
glücksspielsüchtig. Das Geld wird<br />
vor allem an Geldspiel automaten,<br />
bei Sportwetten oder bei Ca -<br />
sino-Spielen im Internet verzockt.<br />
Die Spiel sucht ist eine zwanghafte<br />
Krank heit, genau wie bei<br />
Alkoholikern oder Drogen a b -<br />
hängigen. Aller dings steht die<br />
körperliche Gesundheit weniger<br />
im Mittel punkt bei der Spielsucht,<br />
son dern eher der soziale Faktor. Spielsüchtige<br />
schotten sich ab, haben meist Schulden und<br />
vernachlässigen ihr Sozialleben.<br />
Ahmed* ist Mitte zwanzig und begleitet seine<br />
Freunde regelmäßig in Spielhallen. Das Glücks -<br />
spiel gehört schon immer zu seinem Leben. Im<br />
Gegensatz zu vielen anderen spielt er aber immer<br />
nur um kleine Beträge bis 50 Euro. Darauf ist er<br />
sehr stolz, denn er hat eine traurige Geschichte zu<br />
berichten. Sein Vater, das Oberhaupt einer acht -<br />
köpfigen Familie, hat sein Leben lang das Geld der<br />
Familie verzockt. „Das ist für ihn wie arbeiten<br />
gehen“ erzählt Ahmed. „Mein Vater ist Hartz IV<br />
Empfänger und konnte mit Glückssträhnen das<br />
Geld teilweise verdoppeln – oder aber komplett<br />
verlieren.“ Gewinne und Fast-Gewinne sind am<br />
gefährlichsten für Spielsüchtige. Das Gefühl, den<br />
<strong>Zufall</strong> und somit die Wahrscheinlichkeit über<br />
Tätigkeitsabfolgen beeinflussen zu können treibt<br />
Birne, Birne, 7,… tadam, 7, Pflaume, Birne,…<br />
tadam. … Die Glückspielautomaten dudeln und<br />
klingeln rund um die Uhr. Sie setzen die Spieler in<br />
Trance. Vom <strong>Zufall</strong> getrieben werden immer wieder<br />
neue Beträge gesetzt ...<br />
VON SUSAN STÖRKLE<br />
den Spieler zu immer höheren Einsätzen. „Es geht<br />
ums Hoch drücken, noch mehr Geld und noch<br />
mehr Geld.“, so Ahmed. Gewinne werden meist<br />
gar nicht aus bezahlt, sondern direkt in neue<br />
Spiele investiert. Doch was genau passiert im<br />
Gehirn beim Glücks spiel? Warum fällt es vielen so<br />
schwer wieder damit aufzuhören? Beim Spielen<br />
kommt man in Rage, je mehr man sich darin<br />
vertieft und und je mehr Gewinne man erzielt,<br />
desto mehr Dopamin wird vom Gehirn aus -<br />
geschüttet. Dopamin ist unter anderem das Hor -<br />
mon, welches uns beim Sex zeitweise glücklich<br />
macht. Im Gehirn des Spielers wird das Beloh -<br />
nungs system aktiviert. So geht es ihm nur gut,<br />
wenn er wieder Geld setzen und den Rest dem<br />
<strong>Zufall</strong> überlassen kann. Alleine die Aussicht auf<br />
einen Gewinn reicht schon aus, um vom Gehirn<br />
mit Glücksgefühlen belohnt zu werden. Im Alltag<br />
wird die Lust nach dem Spielen immer weiter<br />
konditioniert. Egal in welcher<br />
Situation, ein Spiel ist immer<br />
verlockend. Das Internet stellt<br />
eine weitere Gefahr da. Denn<br />
egal ob mobil, am<br />
Arbeitsplatz oder zu Hause:<br />
Die Möglichkeiten, Geld in<br />
das Glücksspiel zu setzen,<br />
sind groß. Es gibt im mensch -<br />
lichen Gehirn jedoch ein<br />
Zentrum, das uns wieder zur<br />
Vernunft bringt: Der prä -<br />
frontale Kortex. Bei Kindern und Jugendlichen ist<br />
dieses Zentrum im Gehirn noch nicht richtig<br />
ausgereift. Daher sind besonders Jugendliche<br />
sucht ge fährdet. Die Kontrolle über sich selbst zu -<br />
rück zubekommen ist also nicht unmöglich, aber<br />
nicht einfach. Die Spuren, die das Glücksspiel im<br />
Ge hirn hinterlässt, vertiefen sich mit der Zeit.<br />
Sobald ein Suchtverhalten zu erkennen ist, sollte<br />
daher um gehend gehandelt werden. Der Ausstieg<br />
wird sonst immer schwerer.<br />
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28<br />
WEITER GEDACHT<br />
mediakompakt<br />
BAMF Pressefoto<br />
Die Zentrale des BAMF in Nürnberg.<br />
Die Entscheidung über ein fremdes<br />
<strong>Schicksal</strong><br />
Eine ehemalige Entscheiderin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge berichtet von ihrer<br />
Arbeit und erklärt, warum es wichtig ist, bei der Bearbeitung der Asylanträge Distanz zu wahren<br />
und die <strong>Schicksal</strong>e objektiv und nach geltendem Recht zu beurteilen.<br />
VON KILIAN BAIER<br />
Das größte Problem der Jahre 2015 und<br />
2016 war die Flüchtlingskrise, die<br />
immer noch andauert und in deren<br />
Rahmen Millionen von Menschen in<br />
die EU eingewandert sind. Die meisten<br />
Flüchtlinge stammen aus Syrien, Afghanistan<br />
oder dem Irak und sind auf der Flucht vor Krieg<br />
und Verfolgung. Die riesige Menge an Flücht -<br />
lingen stellt die deutschen Behörden vor einige<br />
Probleme und hat zu Kritik an den Abläufen ge -<br />
führt. Für die <strong>MEDIAkompakt</strong> haben wir ein Inter -<br />
view mit einer ehemaligen Entscheiderin des Bun -<br />
desamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF)<br />
zum menschlichen Aspekt ihrer Arbeit führen<br />
können. Die befragte Person will nicht nament -<br />
lich genannt werden.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Könnten Sie zuerst bitte ganz kurz<br />
Ihren Werdegang schildern?<br />
Antwort: Ich habe eine klassische Ausbildung zur<br />
Diplom-Verwaltungswirtin gemacht und war fast<br />
zehn Jahre in der Arbeits- und Sozialverwaltung<br />
tätig, bevor ich in den Bereich Asyl zum Bundes -<br />
amt für Migration und Flüchtlinge gewechselt<br />
bin.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Sie waren bis vor nicht allzu langer<br />
Zeit eine Entscheiderin des BAMF. Können Sie<br />
kurz beschreiben, was das für eine Aufgabe ist?<br />
Antwort: Entscheider sind für die Prüfung von<br />
Asylanträgen zuständig. Diese Aufgabe umfasst<br />
sowohl die wichtige persönliche Anhörung als<br />
auch die darauffolgende Entscheidung über Asyl -<br />
anträge. Der Entscheider gibt Tage an, an denen er<br />
anhören möchte, und Tage, an denen er Zeit für<br />
Recherchen und Bescheiderstellungen braucht.<br />
Zudem sollte ein Entscheider gerne mit Menschen<br />
zu tun haben. Denn letztlich geht es darum, mit<br />
Fremden in Kontakt zu treten, eine vertrauens -<br />
volle Basis aufzubauen und mit ihnen zu spre -<br />
chen. Immerhin geht es hier um Verfolgungs -<br />
schicksale, es gehört Empathie dazu, Offenheit<br />
und Authentizität.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Hatten Sie auch persönlichen<br />
Kontakt zu Flüchtlingen? Wenn ja, wie sah der<br />
aus?<br />
Antwort: Alleine durch die Anhörungen hat man<br />
fast täglich persönlichen Kontakt zu Asylsu -
1/2017 WEITER GEDACHT<br />
29<br />
chenden. Nach der Anhörung sieht man die Per -<br />
sonen in aller Regel jedoch nicht wieder.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Wie wichtig ist die Entscheidung<br />
über den Asylantrag für die Betroffenen? Hatten<br />
Sie ein großes Gefühl von individueller Ver -<br />
antwortung?<br />
Antwort: Die Anhörung ist der wichtigste Be -<br />
standteil im Asylverfahren. Er ist besonders<br />
wichtig für die Antragsteller. Auf Grundlage der<br />
in der Anhörung vorgetragenen persönlichen<br />
Fluchtgeschichte wird entschieden, ob jemand<br />
bleiben darf oder gehen muss. Natürlich ist man<br />
sich seiner Verantwortung und auch der<br />
Tragweite der getroffenen Entscheidungen be -<br />
wusst. Dennoch weiß ich, dass ich die Entschei -<br />
dung aufgrund des Gesetzes treffe.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Wie viel Interpretationsspielraum<br />
lassen die gesetzlichen Vorschriften, die der<br />
Entscheidung über Asyl zu Grunde gelegt wer -<br />
den?<br />
Antwort: Die gesetzlichen Vorschriften an sich<br />
lassen mir keinen Interpretationsspielraum. Der<br />
Vortrag des Asylantragstellers ist auf die Voraus -<br />
setzungen für die verschiedenen Schutz formen<br />
zu prüfen.<br />
Vielmehr geht es darum zu entscheiden, ob ein<br />
Sachvortrag glaubhaft ist. Dies ist ein ganz<br />
normaler Prüfschritt im Asylverfahren. Vielfach<br />
haben Flüchtlinge keine Beweise für ihre Verfol -<br />
gung, Narben können beispielsweise nur schwer<br />
auf bestimmte <strong>Schicksal</strong>e zurückgeführt werden.<br />
Das Bundesverwaltungsgericht hat schon 1989<br />
festgelegt, was einen Vortrag glaubhaft macht:<br />
Kann jemand etwas detailreich, ohne Wider -<br />
sprüche wiedergeben, und wenn es Widersprüche<br />
gibt, können diese aufgeklärt werden? Es muss sich<br />
ein schlüssiges Bild ergeben, und etwas muss auch<br />
auf Nachfrage noch detailreich erzählt werden<br />
können.<br />
Gleichzeitig müssen wir immer darauf achten, ob<br />
es für jemanden zumutbar ist, noch alles präsent zu<br />
haben und ins Detail zu gehen. Wenn jemand zum<br />
Beispiel eine Vergewaltigung erlebt hat, kann es<br />
sein, dass er bestimmte Dinge verdrängt hat und<br />
diese bewusst ausspart.<br />
Des wegen ist es immer wichtig, ein <strong>Schicksal</strong><br />
insgesamt zu betrachten. Ob etwas glaubhaft ist,<br />
muss aus der Gesamtschau heraus beurteilt<br />
werden.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Ist es als Entscheiderin wichtig, Dis -<br />
tanz zu wahren?<br />
Antwort: Man weiß worauf man sich einlässt vor den<br />
Anhörungen, gerade wenn man bestimmte Länder<br />
bearbeitet. Natürlich gesteht man sich aber auch<br />
zu, dass es schwierigere und traurigere Fälle gibt.<br />
Dennoch habe ich immer versucht, das objektiv zu<br />
sehen.<br />
In der Anhörung ist man durchaus emphatisch,<br />
man ist offen und versucht, eine gute Basis<br />
aufzubauen, aber eben auch klar zu machen,<br />
worum es in dem Gespräch geht. Dass man eben<br />
nicht verhört, und dass man nicht neugierig ist,<br />
sondern sich ein Bild machen muss.<br />
Wenn man dann eine Entscheidung trifft,<br />
versucht man, sich abzugrenzen und das einfach<br />
rechtlich zu be trachten.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Sie haben als Sonderbeauftragte für<br />
unbegleitete Minderjährige und Frauen gear -<br />
beitet. Gibt es viele solcher Fälle? Werden Betrof -<br />
fene besonders berücksichtigt?<br />
Antwort: Ich wurde zur Sonderbeauftragten aus -<br />
gebildet und war für unbegleitete Minderjährige<br />
und Menschen, die geschlechtsspezifische Verfol -<br />
gung erlebt haben, zuständig.<br />
Ich habe Frauen kennengelernt, denen eine<br />
Zwangs heirat drohte oder die häusliche Gewalt<br />
erlebt haben.<br />
Es gilt hier behutsam und mit möglichst viel<br />
Empathie vorzugehen.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Wie wird man Sonderbeauftragter?<br />
Antwort: Sonderbeauftragte müssen persönlich<br />
geeignet sein und über Berufserfahrung im Asyl -<br />
verfahren verfügen. Wer dies mitbringt und<br />
Interesse hat, sich zu spezialisieren, kann zur Son -<br />
derbeauftragten ausgebildet werden. Sonder be -<br />
auftragte erhalten zu Beginn und im späteren Ver -<br />
lauf Schulungen.<br />
<strong>MEDIAkompakt</strong>: Was ist Ihre neue Aufgabe in der<br />
Zentrale des BAMF? Seit wann üben Sie diese aus?<br />
Antwort: Ich arbeite seit ein paar Jahren in der<br />
Zentrale und befasse mich mit Öffentlichkeits -<br />
arbeit und politischer Kommunikation, das Asyl -<br />
recht ist mir als Arbeitsschwerpunkt geblieben.<br />
Das BAMF<br />
Gründung<br />
Am 12. Januar 1953 wurde es als „Bundesdienststelle für die Anerkennung<br />
ausländischer Flüchtlinge“ gegründet. 1965 folgte die Umbenennung in<br />
„Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“ und seit 1. Januar<br />
2005 trägt es den Titel „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“.<br />
Aufbau<br />
Das BAMF hat eine dezentrale Struktur und hat neben der Zentrale in Nürnberg<br />
noch zahlreiche Außen- und Regionalstellen sowie Entscheidungs- und<br />
Ankuntszentren über Deutschland verteilt.<br />
Aufgaben<br />
Die Aufgaben des BAMF sind neben der Durchführung von Asylverfahren und<br />
Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes auch die Koordination der bundesweiten<br />
Integration und die Migrationsforschung, bei der Daten und Erkenntnisse für<br />
Politik und Gesellschaft ermittelt werden.<br />
Mitarbeiter<br />
2016 waren etwa 7.300 Mitarbeiter in Vollzeit, 1.600 Mitarbeiter in Teilzeit<br />
beim BAMF beschäftigt (Stand April 2016). Ende 2015 bestand die Belegschaft<br />
noch aus 3.300 Mitarbeitern.<br />
Rückblick auf 2016<br />
Im Jahr 2016 hat das Bundesamt über die Anträge von 695.733 Personen<br />
entschieden. Dies ist ein Anstieg von circa 146% gegenüber dem Vorjahr<br />
(282.726 Entscheidungen).<br />
Bild: Pixabay
30<br />
WEITER GEDACHT<br />
mediakompakt<br />
Das <strong>Schicksal</strong> der Flüchtlinge –<br />
auch unser Eigenes?<br />
Während des zweiten Weltkriegs gab es Millionen von Flüchtlingen. Deutschland trug mit seiner<br />
Feindseligkeit erheblich dazu bei. Doch die damals Geflüchteten haben wieder eine Heimat<br />
gefunden und so war dieses Thema jahrelang für die Öffentlichkeit nicht mehr präsent. Umso<br />
überraschender dann die letzten Wochen und Monate. Von Januar 2016 bis zum November gab<br />
es knapp 724.000 Asylanträge, das sind mehr Anträge als in den letzten 15 Jahren zusammen<br />
(2015 außen vorgelassen). Warum lassen wir es zu, dass andere <strong>Schicksal</strong>e sich mit unserem<br />
verknüpfen?<br />
VON FELIX MÖLLER<br />
Warum verlassen die Menschen ihre<br />
Heimat? Es fällt mir schwer zu<br />
sagen, warum das alles passiert.<br />
Denn wir Deutschen haben weder<br />
einen Krieg angefangen, noch sonst<br />
ein Land in Europa. Tatsächlich waren wir alle<br />
froh eine so schöne und so heile Welt in unserer<br />
EU aufgebaut zu haben. Und haben wir uns selbst<br />
nicht eine schöne Zukunft aufgebaut?<br />
Das wann lässt sich leichter feststellen. Seit<br />
2015 spricht man im europäischen Raum davon.<br />
Im Jahr 2015 waren nach UNHCR (dem Hoch -<br />
kommissar der Vereinten Nationen für Flücht -<br />
linge) 60 Millionen Menschen weltweit auf der<br />
Flucht. Bei so vielen Menschen wundert es dann<br />
doch eben weniger, dass auch Europa davon<br />
betroffen ist. Nach Robert Barros Migrations -<br />
potential- For mel setzt ein Einkommens unter -<br />
schied von 10 % zwischen einer ärmeren und<br />
einer reicheren Region grund -<br />
sätzlich eine Wan derungsbe we -<br />
gung von 0,05 % bis 0,15 % frei.<br />
Zwar wird Angela Merkel dafür<br />
kritisiert, dieses Wanderungs po -<br />
tential unterschätzt zu haben, als<br />
sie Deutschland (und damit auch<br />
Eu ropa) durch ihre Politik im<br />
Sommer 2015 als ein flüchtlings -<br />
offenes Land hervorgehoben hat.<br />
Denn damit soll sie einen Teil der<br />
weltweiten Ströme der „Wirt schaftsflüchtlinge“<br />
nach Deutsch land umdirigiert haben. Aber ein<br />
großer Teil der Flüchtlinge, die nach Deutschland<br />
2015 waren<br />
60 Millionen<br />
Menschen<br />
auf der<br />
Flucht.<br />
kommen, fliehen vor dem Bürger krieg in Syrien.<br />
Oder aus den Westbalkan staaten: Dort fliehen<br />
Menschen vor dem Exis tenz min imum. In<br />
Afghanistan und Pa kistan flie hen<br />
die Bewohner vor den Taliban und<br />
den instabilen politischen<br />
Systemen. Aus Eritrea kommen<br />
Men schen, wegen dem<br />
unbegrenzten Militärdienst und<br />
den willkür lichen Verhaf tungen,<br />
in Nigeria haben die Einwohner so<br />
große Angst vor der Boko Haram,<br />
dass sie sich eine neue Heimat<br />
suchen. Die islamistische Terror -<br />
miliz Al-Shabaab, der Bürgerkrieg und die<br />
Rekrutierung von Kinder soldaten erschrecken die<br />
Einwoh ner Somalias. Die Jugendlichen aus den<br />
Mahgreb- Staaten Algerien, Marokko und Tu -<br />
nesien fliehen vor der hohen Jugendarbeits -<br />
losigkeit und damit vor der Existenzlosigkeit. Ein<br />
Wort das sich schon komisch anhört, weil es<br />
wenig vorstellbar ist. Doch auch dort gibt es<br />
darüber hinaus will kürliche Verhaftungen und<br />
Menschenrechts verletzungen. Und mit dem Hin -<br />
ter grund des Ukrainekriegs suchen auch einige<br />
russische Staats bürger in Europa Asyl.<br />
Setzt man sich also mit dem Warum dieser<br />
Flüchtlingskrise auseinander, dann versteht man,<br />
dass viele bereitwillig ihre Zeit und ihr Geld für<br />
diese Menschen aufwenden. Denn auch wir<br />
Deutschen haben ähnlich Schlimmes erlebt, oder<br />
von unseren Eltern oder unseren Großeltern<br />
dieses oder jenes gehört. Mein Großvater hat mir<br />
erzählt, dass man manchmal nur überlebt, weil<br />
andere einem helfen. Er hat beide Weltkriege<br />
überstanden. In uns allen steckt dieses Gefühl,<br />
dass auch wir einmal in einer solchen Situation<br />
sein könnten und auch wir irgendwann Hilfe<br />
brauchen. Wie können wir Hilfe annehmen,<br />
wenn wir nie bereit waren zu helfen?<br />
Bild: pixabay.de<br />
Warum nur, warum?<br />
„Warum lassen wir es zu, dass alle nach<br />
Deutschland kommen?“ Diese Aussage zeigt
1/2017 WEITER GEDACHT<br />
31<br />
mehrere negative Punkte, wie diese Flüchtlings -<br />
debatte geführt wird. Aufge bauschte Nachrichten<br />
mit Flücht lings zahlen, die ohne jede Be zugs -<br />
punkte genannt wer den. Genau wie oben in die -<br />
sem Kom mentar zu der Entwick lung der Asyl -<br />
anträge. Wir haben 724.000<br />
Asylanträge auf ein Land mit über<br />
80 Millionen Einwohner. Wenn<br />
alle Asylanträge angenom men<br />
werden sollten, dann wäre das ein<br />
Zuwachs von weniger als 1 % der<br />
Bevölkerung Deutschlands.<br />
Es steckt aber auch der Hin weis<br />
darin, dass die Flüchtlinge in an -<br />
deren Ländern überleben könn ten<br />
und daher unsere Hilfe gar nicht<br />
direkt be nötigen. Doch das weist eher auf eine<br />
Charak terschwäche hin. Denn wenn alle so<br />
denken und handeln würden, dann könnten die<br />
Flüchtlinge nicht überleben. Wenn man etwas<br />
verändern möchte auf dieser Welt, dann tut man<br />
gut daran mit gutem Beispiel voranzugehen.<br />
Am kritischsten ist allerdings die fehlende<br />
Tiefe in der Flüchtlingsdebatte. Es gibt nur zwei<br />
Pole, diejenigen die komplett schwarzsehen, was<br />
das Aufnehmen von Flüchtlingen betrifft und die<br />
weißen strahlenden Helden unserer Nation. Es<br />
fehlen jene die „aber“ sagen können, ohne als<br />
„Aber-Nazis“ abgestraft zu werden. Das soziale wie<br />
mediale Umfeld zwingt einen dazu Pro Flücht -<br />
Was, wenn<br />
wir einmal<br />
in so eine<br />
Situation<br />
kommen?<br />
linge zu sein. Oder wenn man das nicht ertragen<br />
kann, dann bleibt einem fast nichts anderes übrig<br />
als komplett dagegen zu sein. Und damit gerät<br />
man einfach in Alternative für Deutschland-,<br />
Pegida- oder, noch schlimmer, NPD-Gruppier -<br />
ungen, bzw. man wird dort<br />
hineingesteckt. Es fehlt die Mutter<br />
die öffentlich sagen kann, dass sie<br />
ihr Kind nicht bei einem Anschlag<br />
verlieren möch te, weil es die<br />
Terroristen dank der Flücht -<br />
lingsströme sehr einfach ha ben<br />
nach Deutschland zu kommen. Es<br />
fehlt auch derjenige, der mit Stolz<br />
sagen kann, er hilft gerne<br />
Menschen, aber er möchte eben<br />
nicht, dass sein eigenes Leben da runter leidet. Er<br />
möchte nicht einen Einkom mens -<br />
verlust von 10 % haben oder 20 %<br />
oder 50 %, je nachdem wie viele<br />
Flüchtlinge aufgenommen werden.<br />
Wenn man nicht sagen kann,<br />
was man denkt, dann kann man<br />
darüber auch nicht (mit diesem<br />
Menschen) diskutieren. Dann kann<br />
man eben nicht sagen, woran dieser nicht gedacht<br />
hat, wobei er Recht haben mag, aber wie man das<br />
Pro blem auch anders lösen könnte. Und man<br />
kann ihm auch nicht sagen, dass es für manches<br />
Kann man<br />
jemanden<br />
zum Helfen<br />
zwingen?<br />
keine Lösung gibt, aber man besser etwas macht<br />
als gar nichts. Wenn man das nicht er möglicht,<br />
wenn man Menschen unreflektiert in die<br />
„Aber-Irgend was“ Ecke steckt, dann tut man<br />
letzten Endes nichts anderes als sie zu etwas zu<br />
zwingen, was sie nicht möchten oder vor dem sie<br />
Angst haben. Darf man einen Menschen dazu<br />
zwingen jemand anderem zu helfen, wenn er<br />
Angst vor dieser Situation, vor den Verän -<br />
derungen oder Angst um sein Leben hat?<br />
Das <strong>Schicksal</strong><br />
Wir können nicht verhindern, dass diese Schick -<br />
sale sich mit unserem verknüpfen. Weisen wir sie<br />
ab, dann werden wir wissen, dass wir nicht ge -<br />
holfen haben. Das wir einige von ihnen, die nir -<br />
gend wo anders unterkommen konnten, dem Tod<br />
überlassen haben. Oder dass wir<br />
uns gewaltsam wehren mussten,<br />
damit keine Flüchtlinge mehr<br />
nach Deutsch land kommen.<br />
Oder wir werden in Deutschland<br />
wieder eine Mau er haben. Nein,<br />
unser <strong>Schicksal</strong> ist schon lange<br />
mit dem der Flücht linge ver -<br />
bunden. Aber es ist einfach ro -<br />
man tischer, sich vor stellen zu können, man habe<br />
es zugelassen. Oder das man notfalls alles noch<br />
im mer ignorieren kann. Man ist ja schließlich<br />
seines eigenen Glückes Schmied.<br />
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