zds#45
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8 | REPORT<br />
Auf Dauer<br />
wie eine<br />
Vertreibung<br />
Gestiegene Mieten haben das Viertel grundlegend verändert..<br />
.Und viele der Menschen verdrängt,.<br />
die es erst wieder attraktiv gemacht haben.<br />
Text: Frauke Kuffel<br />
Fotos: Ann-Kathrin Just<br />
Die Humboldtstraße muss man sich mittlerweile leisten können.<br />
In den letzten zehn Jahren hat sich die Humboldtstraße<br />
gewaltig verändert. Vorher, erinnert sich<br />
Michael, waren die Fassaden eher grau, auf vielen<br />
Garagentoren prangten Graffitis. Die sind mittlerweile<br />
verschwunden. Dafür, erzählt er, steht mal<br />
hier, mal da ein Baugerüst und markiert einen<br />
weiteren Schritt des Wandels, den die Humboldtstraße<br />
und seine BewohnerInnen erleben.<br />
Sieben Jahre lang wohnte Michael, 54 Jahre alt<br />
und Gitarrist einer deutschen Punkband, zur Miete<br />
in einem Haus am westlichen Ende der Straße.<br />
Als der Eigentümer starb, übernahm dessen Frau<br />
die Vermietung. Die Miete blieb niedrig und das<br />
Haus renovierungsbedürftig, mit rostigen Balkonen<br />
und Wasserleitungen aus Blei. Als voriges<br />
Jahr das Haus verkauft werden sollte, erhielten zunächst<br />
Michaels Nachbarn, eine Familie mit Kindern,<br />
den Zuschlag. Schließlich wurde das Haus<br />
aber anderweitig verkauft – zu einem höheren<br />
Preis. „Das war schon merkwürdig“, sagt Michael.<br />
Und hatte Folgen: Die neuen Eigentümer erhöhten<br />
nach einem Jahr die Mieten, später meldeten sie<br />
Eigenbedarf an und kündigten den drei Mietparteien,<br />
da das alte Haus renoviert werden sollte. Wie<br />
viele Altbremer Häuser in der Humboldtstraße.<br />
Man könne zwar nicht von einer radikalen<br />
Entwicklung sprechen, sagt Bernd Klingbeil-Jahr,<br />
Pastor der Friedensgemeinde, „aber auf Dauer<br />
wirkt das natürlich wie eine Vertreibung“. Klingbeil-Jahr<br />
beobachtet den Wandel rund um die<br />
Friedenskirche genau. „Früher haben hier mehr<br />
Familien mit Kindern und mehr ältere Menschen<br />
gewohnt“, sagt er. Seine Gemeinde ist groß und<br />
wächst sogar, aber nur, weil viele Menschen aus anderen<br />
Stadt- und Ortsteilen der Friedensgemeinde<br />
beitreten. Ohne ortsfremde Mitglieder würde die<br />
Gemeinde seit etwa zwölf Jahren schrumpfen –<br />
seit immer mehr wohlhabende Doppelverdiener<br />
ohne Kinder in dem Quartier wohnen, die sich die<br />
hohen Mieten problemlos leisten können.<br />
„Gentrifizierung“ nennen Stadtsoziologen den<br />
strukturellen Wandel von innenstadtnahen, anfangs<br />
oft heruntergekommenen Wohngebieten, die<br />
zunächst KünstlerInnen und Studierende anziehen,<br />
bevor sie zu bürgerlichen Quartieren werden.<br />
Dabei steigen die Mieten und Grundstückspreise<br />
rasant, wodurch Menschen mit geringem Einkommen<br />
vertrieben werden.<br />
Hellena Harttung, die Leiterin des Ortsamts<br />
Mitte/Östliche Vorstadt, sieht die Entwicklung des<br />
Viertels positiv: „Der Stadtteil hat sich gemausert“,<br />
sagt sie. Früher sei die Gegend sehr viel verkommener<br />
gewesen, und die Humboldtstraße, in der<br />
mal der Straßenstrich gewesen war, sei mittlerweile<br />
eine attraktive Fahrradstraße. Viele Häuser würden<br />
nach und nach modernisiert – und dadurch<br />
wahrscheinlich auch teurer. Dieser Prozess sei im<br />
Stadtteil fraglos im Gange.<br />
Mit seinen vielen Lokalen und der guten Infrastruktur<br />
ist das Viertel ein attraktiver Wohnraum,<br />
was natürlich auch zu Konflikten führt. Doch<br />
Harttung meint: „Stadt ist Bewegung und muss in<br />
Bewegung bleiben.“ Auch die Lokale konnten nur<br />
durch Veränderung entstehen, und genau die