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Wissenschaft & Forschung<br />
Der Dreckapotheke auf der Spur<br />
Mediziner Paullini: Zwei Jahrhunderte<br />
später als Quacksalber<br />
dargestellt<br />
War er nun Quacksalber oder ernst zu nehmender<br />
Mediziner? Christian Franz Paullini,Autor der<br />
barocken „Dreckapotheke“, wurde von der modernen<br />
Schulmedizin wegen seiner heute kurios<br />
anmutenden Rezepte als Volksmediziner, ja als<br />
Scharlatan abgetan. Doch aus zeitgenössischer<br />
Perspektive erscheint der Mann, der <strong>mit</strong> Gottfried<br />
Wilhelm Leibniz korrespondierte und <strong>mit</strong> Athanasius<br />
Kircher bekannt war, als streng wissenschaftlich<br />
arbeitender Arzt. Der heute wenig bekannten<br />
Person Paullinis hat sich Anne-Christin<br />
Lux angenommen. Über den barocken Universalgelehrten<br />
schrieb die Studentin der Johannes<br />
Gutenberg-Universität ihre Magisterarbeit im<br />
Fach Kulturanthropologie, gerade stellte sie Ergebnisse<br />
ihrer Auseinandersetzung <strong>mit</strong> Leben<br />
und Werk des schillernden Mediziners im Wella-<br />
Museum Darmstadt unter dem Titel „Ungewöhnliche<br />
Schönheitspflege: Die Dreckapotheke des<br />
Christian Franz Paullini“ vor.<br />
„Paullini war alles andere als ein ungebildeter<br />
Quacksalber“, erzählt die 1979 geborene Kulturwissenschaftlerin<br />
von ihrem Forschungsgegenstand.<br />
1643 in Eisenach geboren, machte sich<br />
Paullini nicht nur als Arzt, sondern auch als<br />
Schriftsteller, Historiker, Philosoph und Ethnograph<br />
einen Namen. „Er war einer der letzten<br />
Polyhistoren“, ordnet Anne-Christin Lux Paullini<br />
in die Reihe der vielseitig gebildeten Wissenschaftler<br />
seiner Zeit ein.<br />
Dass der Sohn eines Kaufmanns und einer Pfarrerstochter<br />
seit dem 19. Jahrhundert abschätzig<br />
als typischer Vertreter der Volksmedizin einge-<br />
[JOGU] 194/2005<br />
Zeitgenössische Medizin im Barock Heilen <strong>mit</strong><br />
Hundekot, kurieren <strong>mit</strong> Kuhmist? Einige Rezepte aus<br />
der „Dreckapotheke“ des barocken Arztes Christian<br />
Franz Paullini muten heute eher abstoßend an. Doch<br />
der Mediziner und Philosoph war kein Kurpfuscher,<br />
sondern ein unter seinen Zeitgenossen angesehener<br />
Wissenschaftler. Das hat die Mainzer Kulturwissenschaftlerin<br />
Anne-Christin Lux <strong>mit</strong> ihren Forschungen<br />
zu Paullini gezeigt und dabei das in der Medizingeschichte<br />
überlieferte Bild des Eisenacher Universalgelehrten<br />
revidiert.<br />
ordnet wird, sieht Anne-Christin Lux vor allem<br />
durch die Beurteilung einer Ära lange nach dem<br />
Tod Paullinis gegeben. In Danzig und Königsberg,<br />
in Rostock, Lübeck, Kiel und Kopenhagen studierte<br />
der junge Eisenacher. Seine akademischen<br />
Grade erlangte er in ausgesuchten Universitäten:<br />
Magister in Wittenberg, Doktor in Leiden. Dazwischen<br />
lagen Reisen nach England, wo Paullini in<br />
Cambridge und Oxford wichtige Kontakte<br />
knüpfte. Von dieser exzellenten akademischen<br />
Ausbildung war nicht mehr die Rede, als Paullini<br />
von Medizinhistorikern zwei Jahrhunderte später<br />
als Quacksalber und bloßer Kompilator von Rezepten<br />
aus dem Volk dargestellt wurde.<br />
Paullini reiste durch ganz Europa, wurde Leibarzt<br />
und Historiograf des Bischofs von Münster und<br />
später „Leib-Medicus“ von Wolfenbüttel. 1685<br />
kehrte er in seine Geburtsstadt zurück und nahm<br />
den Posten eines „Herzoglichen Stadtphysicus“<br />
in Eisenach an, wo er auch 1712 starb.<br />
Alle Abb.: © Stadtarchiv Eisenach<br />
14<br />
Im Lauf seines Lebens publizierte Paullini 61<br />
Werke in deutscher und lateinischer Sprache, darunter<br />
auch <strong>–</strong> in einem Zeitalter der fast ausschließlich<br />
männlich dominierten Wissenschaft -<br />
eine Sammlung von Biografien bedeutender Wissenschaftlerinnen.<br />
„Paullini war alles andere als<br />
ein ungebildeter Quacksalber“<br />
Mit seiner „Dreckapotheke“, die noch im 18.<br />
Jahrhundert Neuauflagen erlebte, versuchte<br />
Paullini Rezepte zu verbreiten, die gerade den ärmeren<br />
Schichten Zugang zu wirksamen Heilmethoden<br />
bieten sollten. In seinen Rezepten richtete<br />
sich der Arzt nach der antiken Humoralpathologie<br />
(der so genannten „Vier-Säfte-Lehre“) und<br />
stand da<strong>mit</strong> ganz im Einklang <strong>mit</strong> dem medizinischen<br />
Diskurs seiner Zeit.<br />
Von seinen Ansätzen und Zielen, so Anne-Christin<br />
Lux, darf man Paullini zwar noch nicht zu den<br />
medizinischen Aufklärern rechnen, aber einige<br />
seiner Ansätze gehen bereits in diese Richtung.<br />
Die spätere Einordnung als Volksmediziner einfachster<br />
Stufe und Scharlatan hat der Eisenacher<br />
Arzt also nicht verdient. Sowieso seien solche<br />
Unterscheidungen gar nicht zulässig, argumentiert<br />
die Mainzer Kulturwissenschaftlerin: „In<br />
Paullinis Zeiten waren seine Methoden anerkannte<br />
<strong>Verfahren</strong>sweisen der zeitgenössischen<br />
Medizin. Eine Unterscheidung zwischen Schulund<br />
Volksmedizin im Barock hat es sowieso nicht<br />
gegeben, das sind Zuordnungen aus dem 19. und<br />
20. Jahrhundert.“ Peter THOMAS ■<br />
Die Dreckapotheke: 1734 bereits<br />
in der 4. Auflage erschienen