PROJECT PITCHFORK - NEGAtief
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de so viele Dinge ausgedrückt werden, davon sind<br />
wir bei der Elektronik noch weit entfernt.<br />
Dein ehemaliger Kollege Michael Popp umschrieb<br />
es so: „Das scheinbar in die Ewigkeit<br />
reichende Zeitempfinden des Mittelalters findet<br />
in der stehenden, nimmer endenden Welle<br />
sein Gleichnis.“<br />
Schön gesagt, ja, aber wie so vieles natürlich auch<br />
der Spiegel unserer Sehnsüchte. Heute<br />
surfen auch viele unter dem Firmenschild<br />
„Esoterik“ auf dieser Welle,<br />
verwechseln Meditation mit Wellness.<br />
Das, was der Michael da so schön<br />
beschreibt, empfinde ich am ehesten<br />
in der traditionellen Mittelaltermusik<br />
– unendliche Gesänge, bei denen der<br />
Raum anfängt zu musizieren und die<br />
Zeit sich entfernt. Aber eines ist mir<br />
wichtig: Ich versuche hier immer, nicht<br />
in ein Klischee zu geraten! Ich möchte<br />
da keine „Mittelalter-Tapete“ kleben, sondern,<br />
im Gegenteil immer darstellen, dass diese Welt von<br />
Menschen wie Du und ich bevölkert war, dass diese<br />
Vorstellung von Unschuld, von eingesponnen sein in<br />
den Kosmos der höheren Mächte, ein tiefer Wunsch<br />
der Menschen aller Zeiten ist und die Wirklichkeit zu<br />
allen Zeiten oft ganz anders klingt.<br />
Warum harmoniert deiner Meinung nach gerade<br />
Elektronik und mittelalterliches Sprachgut<br />
so hervorragend?<br />
Ein paar Sachen, und das ist sehr subjektiv bei mir:<br />
Ich maße mir nicht an, authentisch mittelalterlich<br />
zu musizieren, ich bin sogar historisch ziemlich<br />
unbeschlagen, aber ich habe eine tiefe Neigung<br />
zu dieser Welt, oder was ich mir darunter einbilde.<br />
Der „Eskapistenakkord“, die leere Quint, lässt sich<br />
großartig im Klang formen, verzerren und ist immer<br />
unaufdringlich, sodass die Sänger sich darauf entfalten<br />
können, ohne gleich zum „Gefühlsdrücken“<br />
aufgefordert zu sein. Es ist weder fröhlich Dur noch<br />
traurig Moll, nur erstmal Klang. Die Elektronik kann<br />
auch wunderbar Räumlichkeit gestalten. Auch die<br />
Litaneien in manchen lateinischen Texten, mit ihrer<br />
Wiederholung ähnlicher Silben, dem Stabreim, den<br />
ja auch die Rapper so mögen, eignen sich hervorragend<br />
für die „Patternwiederholungen“ eines Sequenzers.<br />
Helium Vola ist eine Band, die den Spagat<br />
zwischen Kunstlied und Tanzfläche schafft.<br />
Dennoch ist der Abstand zwischen dem durch-<br />
„Wir wollen<br />
das haben,<br />
was wir nicht<br />
besitzen und<br />
dort sein,<br />
wo wir nicht<br />
sind.“<br />
schnittlichen Szenegänger und Schubert mindestens<br />
so fern wie das Instrumentarium eines<br />
Ernst Horn zu einem dem Klavier verbundenen<br />
Geistes Schuberts. Sind die von Kulturkritikern<br />
und Wissenschaftlern gezogenen Grenzen unbedeutender<br />
als es den meisten scheint?<br />
Es scheint schon einen Grund zu geben, warum Schubert<br />
heute noch aufgeführt wird und nicht irgendeiner<br />
seiner damaligen Konkurrenten. Der Grund liegt<br />
wohl in der Qualität und der Grund für<br />
diese Qualität liegt in der Begabung<br />
von Schubert und der Tatsache, dass er<br />
als Junge komponiert und nicht Gameboy<br />
gespielt, und als Erwachsener<br />
komponiert und nicht Welt-promo-getourt<br />
hat. Vielleicht wird mancher aus<br />
der Szene mal Schubert entdecken,<br />
warum nicht? Ein Problem sind sicher<br />
heute die Hörgewohnheiten durch den<br />
Mikrofongesang und die lautkomprimierte<br />
Popmusik, aber die Grenzziehungen<br />
gibt es doch heute genauso zwischen einzelnen<br />
Popszenen. Darf man sich natürlich nicht drum<br />
scheren, ist eh klar.<br />
Wie würdest du die Faszination eines klassisch<br />
ungeschulten Szenegängers für Schubert erwecken?<br />
Nicht viel zulabern, ins Konzert gehen oder eine CD<br />
einlegen, sich hinsetzen, zuhören, den Text dazu lesen.<br />
Sind es Textsammlungen, die einen Ernst Horn<br />
beflügeln, oder sind es spontane Klangexperimente?<br />
Erstmal eine völlig ungenaue irgendwas-<br />
Vorstellung von Inhalten mit Musik, viel<br />
lesen, dann wird es schon genauer, meist<br />
erst später das Rumgeschraube an den<br />
Synthies, das allerdings manchmal eine<br />
andere Richtung vorgeben kann. Viele<br />
Gedichte denke ich aber erstmal eher als<br />
Vokalstücke, da geht es dann mehr um das<br />
Notenschreiben.<br />
Zu „Manifesto“: Ist der Ursprung des<br />
Kommunismus in einer unreligiösen<br />
Form der Nächstenliebe zu finden? Ist<br />
das zum Prinzip Erklärte nicht per se<br />
schlecht?<br />
Sicher hat der Kommunismus christliche<br />
Wurzeln und das Christentum Wurzeln<br />
in älteren Kulturen. Der Mensch ist Ego-<br />
ist und Gemeinschaftswesen in einer Person und<br />
soziale Themen beschäftigten zu allen Zeiten die<br />
Kulturen. Die Ablehnung jeglicher Ideologie ist letztendlich<br />
auch eine Ideologie, wenn auch vielleicht die<br />
relativ richtigste. Mit „Manifesto“ wollte ich aber etwas<br />
anderes: In dem lateinischen Text geht es um die<br />
Raffgier der Kirche, die damals eine ganz einmalige<br />
Ausgangsposition zur Bereicherung hatte. Das Kommunistische<br />
Manifest ist nun der Versuch, den Opfern<br />
(in dem Fall frühkapitalistischen) der Besitzgier<br />
eine politische Strategie in die Hand zu geben.<br />
Helium Vola scheint viel freier in der Gestaltung<br />
von Form und Inhalt. Besonders im Vergleich<br />
zu deinem kommerziell erfolgreichen<br />
Hauptprojekt Deine Lakaien, das auch immer<br />
wieder auf gewisse Erfolgsschemata zurückgreift.<br />
Ist Helium Vola sozusagen deine Kür?<br />
Helium Vola gibt es noch nicht lange, es ist inhaltlich<br />
nicht unbedingt festgelegt, auch nicht in der Besetzung,<br />
wenn man von Sabine Lutzenberger absieht.<br />
Und es ist schon ein Soloprojekt von mir, das ich<br />
ohne Erfolgszwang vor mich hinwursteln kann. Bei<br />
Deine Lakaien sind wir zwar für eine „Erfolgsband“<br />
immer noch vergleichsweise unabhängig, aber die<br />
Erwartungen von außen sind natürlich da. Das berufliche<br />
Umfeld ist viel größer, es müssen Termine<br />
eingehalten werden, es gibt die Vorstellungen, auch<br />
der Fans, wie Deine Lakaien klingen (sollen). Naja,<br />
warten wir’s ab, vielleicht kriegen wir diesmal die<br />
Kurve in eine unerwartete Richtung, wer weiß.<br />
www.helium-vola.de<br />
VÖ „Für Euch, die Ihr liebt“: 27.03.09<br />
GERt DRExl<br />
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