Neue Blickwinkel - DAAD-magazin
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14 TITEL<br />
100-Jährige<br />
90<br />
80<br />
70<br />
1910 2050 (Prognose)<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
500 500<br />
auf. „Ambient Assisted Living“ oder kurz AAL<br />
heißt das Stichwort, unter dem sich die technische<br />
Entwicklung den Bedürfnissen im Alter<br />
zuwendet: Fußböden zum Beispiel, die in der<br />
Hausarztpraxis Signale auslösen, wenn ein<br />
Mensch längere Zeit auf ihnen liegt.<br />
Auf ein besonderes Krankheitsrisiko des<br />
Alterns muss sich nicht nur das Gesundheitssystem<br />
einstellen, sondern die ganze<br />
Gesellschaft: Demenz. 2050 wird von den<br />
90-Jährigen voraussichtlich jeder Dritte geistig<br />
verwirrt sein. „Pflegeheime für alle, die von<br />
Demenz betroffen sind – das wird nicht funktionieren“,<br />
sagt Reiner Klingholz. Im sächsischen<br />
Hoyerswerda kommen schon heute auf<br />
100 000 Einwohner 2 190 Demenzkranke. Die<br />
Versorgung in Pflegeheimen überfordert viele<br />
Kommunen. Noch ist nicht klar, was zu tun ist.<br />
„Wir müssen eine Kultur schaffen, in der das<br />
zivilgesellschaftliche Engagement sehr viel<br />
normaler wird als heute“, sagt der Demograf<br />
Künftig länger im Beruf: Heute ist bei jedem Zweiten<br />
meist schon mit 55 Jahren Schluss<br />
Alterskurve: 1910 gab es 100 000<br />
70-Jährige in Deutschland – 2050<br />
werden es voraussichtlich 800 000<br />
sein<br />
Altersstruktur der deutschen Bevölkerung<br />
in Tausender-Angaben<br />
und appelliert an mehr menschliche Nähe,<br />
um herumirrende Personen in den Alltag zu<br />
integrieren. Polizisten, Bankangestellte oder<br />
Kassierer in Kaufhäusern, die erkennen, wenn<br />
ein Mensch den Überblick verloren hat und<br />
Angehörige anrufen, sind wichtig. „Es geht<br />
nicht um Engagement nur aus Mitleid“, sagt<br />
Klingholz. „Der respektvolle Umgang mit alten<br />
dementen Menschen erfordert zunächst, dass<br />
die Gesellschaft das Alter an sich aufwertet.“<br />
Den Silberschatz heben<br />
Alter und Erfahrung gewinnen für die Arbeitswelt<br />
zentrale Bedeutung. Wo junge Ärzte<br />
fehlen, sorgen sich auch Betriebe um den<br />
Nachwuchs. Viele Unternehmen klagen, dass<br />
sie Ausbildungs- und Arbeitsplätze nicht besetzen<br />
können, weil die Altersgruppe der Erwerbstätigen<br />
ab 20 Jahre so stark abnimmt.<br />
Deutschland hat in Europa die wenigsten Jugendlichen<br />
unter 18 Jahre – nur 16,5 Prozent<br />
der Bevölkerung. In Island sind es dagegen 25<br />
Prozent. Wie sich das deutsche Bildungssystem<br />
auf schrumpfende Schüler- und Studierendenzahlen<br />
einstellt, ist völlig offen. „2014 wird<br />
© picture alliance/ZB<br />
die letzte große Welle von Studierenden an den<br />
Hochschulen landen. Danach sind die Zahlen<br />
rückläufig“, sagt Professorin Victoria Büsch,<br />
Vizepräsidentin der privaten SRH Hochschule<br />
Berlin. Für die Arbeitswelt sei es umso wichtiger,<br />
den Silberschatz zu heben. Gemeint sind<br />
ältere Menschen mit silbergrauem Haar. Die<br />
für Bewerbungen häufig gesuchten Eigenschaften<br />
„fit, flexibel und dynamisch“ scheinen<br />
auf sie nicht zuzutreffen – doch das sind<br />
Klischees. „Stereotype Altersbilder müssen<br />
sich ändern“, so Bürsch.<br />
Falsch sei zum Beispiel die Annahme, dass<br />
die Leistungsfähigkeit im Alter generell abnimmt.<br />
Die Vorstellung basiere auf einer statistischen<br />
Verzerrung, erklärt die Volkswirtin.<br />
„Diese Entwicklung trifft jedoch für 70 Prozent<br />
der Berufstätigen nicht zu.“ Im Gegenteil:<br />
Studien zeigen, dass die Leistungsfähigkeit<br />
sogar vielfältiger wird, je älter die Menschen<br />
sind.<br />
Solche Informationen kommen bei den Personalleitern<br />
vieler Unternehmen gut an. Sie werden<br />
zunehmend aktiv beraten – zum Beispiel<br />
vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />
im Rahmen des Programms „Perspektive<br />
50plus“. Im Demografie Netzwerk tauschen<br />
sich Unternehmen aus. Es geht um Weiterbildung,<br />
Gesundheit oder Arbeitsplatzgestaltung<br />
für Ältere. Einige schreiten mit guten Ideen<br />
voran: Das Kreditinstitut Ing-DiBa bildet im<br />
Projekt „Azubis 50+“ gezielt Menschen über<br />
50 Jahre aus. Der Autobauer BMW ermöglicht<br />
älteren Arbeitnehmern die Gestaltung ihres<br />
Arbeitsplatzes. Der neue Bundesverband Initiative<br />
50Plus tritt auch an, um die Potenziale<br />
dieser Generation stärker ins Licht zu rücken.<br />
Nur die älteren Bewerber und Arbeitnehmer<br />
selbst können den Wandel auf dem Arbeitsmarkt<br />
noch nicht ganz glauben. „Ihnen fehlt<br />
die Wertschätzung der eigenen Fähigkeiten“,<br />
sagt Victoria Büsch. Doch auch hier wird die<br />
deutsche Gesellschaft wohl mit fortschreitendem<br />
Alter dazulernen.<br />
www.berlin-institut.org/online-handbuchdemografie<br />
Bettina Mittelstraß<br />
<strong>DAAD</strong> Letter 3/11<br />
© Jens Koenig/STOCK4B