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Ob Bandenkriege oder Austro-Dschihadismus:<br />
Junge Tschetschenen mischen an vorderster<br />
Front mit. Die Journalistin Maynat Kurbanova<br />
über Klischee und Wirklichkeit von Österreichs<br />
wohl unbeliebtester Migrantengruppe.<br />
Von Livia Klingl und Christoph Liebentritt (Fotos)<br />
Sie war Kriegsberichterstatterin in ihrer Heimat<br />
Tschetschenien, musste fliehen, nicht nur aus<br />
der kleinen Kaukasusrepublik, sondern auch<br />
aus Putins großem Russland. Fünf Jahre lebte<br />
Maynat Kurbanova in Deutschland, seit sechs<br />
Jahren ist sie in Österreich. In Tschetschenien hatte sie<br />
Philologie und Journalismus studiert. Hier kümmert sich die<br />
43-jährige Mutter einer Tochter um die traumatisierenden<br />
Folgen der grausigen Gemetzel in Tschetschenien, unter<br />
anderem in der Jugendstrafanstalt Gerasdorf um Burschen,<br />
die der Gesellschaft entglitten sind, in Kriminalität<br />
oder Islamismus.<br />
Als Maynat Kurbanova nach Österreich kam<br />
und von Journalisten mit der Frage konfrontiert<br />
wurde, wie sie mit dem schlechten Image von<br />
Tschetschenen umgehe, verstand sie die Frage<br />
nicht. Denn in Deutschland waren die Tschetschenen<br />
die Helden im Kampf gegen die russische<br />
Armee. „Als ich 2005 nach Deutschland<br />
kam, war ich ständig bei Podiumsdiskussionen<br />
und auf Konferenzen, erzählte aus dem Krieg.<br />
Die Tschetschenen waren da die Freiheitskämpfer<br />
und die Opfer. Erst in Österreich wurde ich<br />
mit dem Bild des Tschetschenen als Täter konfrontiert. Das<br />
Netteste, was man mir sagt, ist: ‚Sie sehen aber nicht wie<br />
eine Tschetschenin aus!‘ Dann frage ich immer: ‚Haben Sie<br />
viele Tschetschenen gesehen?‘. Mit ihrem Aussehen und<br />
ihrer Art durch das Leben zu gehen, betreffe das Image der<br />
Tschetschenen sie nicht sonderlich, bedrückend sei es aber<br />
sehr wohl. „Ich mag nicht jeden Tag damit konfrontiert werden,<br />
zu einer verbrecherischen Nation zu gehören, in der alle<br />
davon träumen, in Syrien oder hier Kriminelles zu tun.“<br />
Diese Stigmatisierung sei anstrengend und wirke sich<br />
bereits bei Kindern aus. „Die häufigste Frage von 13-Jährigen<br />
ist, warum hassen alle die Tschetschenen, die Muslime,<br />
„Erst in<br />
Österreich<br />
wurde ich mit<br />
dem Bild des<br />
Tschetschenen<br />
als Täter<br />
konfrontiert.“<br />
die Ausländer?“ Die tschetschenische Community sei sehr<br />
sauer auf die Medien, „und sie wissen nicht, wie sie damit<br />
umgehen sollen. Andererseits liefern die tschetschenischen<br />
Jugendlichen hier auch genügend Stoff für negative Berichte<br />
wie die Radikalisierung, die vor einem Jahr in aller Munde<br />
war.“<br />
Einen Prozentsatz kann Maynat Kurbanova nicht nennen.<br />
Die Jugendlichen, die so radikalisiert sind, dass sie<br />
mit dem Gedanken spielen nach Syrien zu gehen, seien<br />
jedenfalls eine sehr kleine Gruppe, aber die lauteste und<br />
die sichtbarste. Und die, die sich im Umfeld<br />
des 2016 in Graz zu 20 Jahren Gefängnis<br />
verurteilten Hasspredigers Mirsad O. befunden<br />
haben, dessen unseliges Wirken jahrelang vom<br />
Staat stillschweigend toleriert worden sei, die<br />
seien nicht mehr erreichbar, „die sind Zombies.<br />
Viel problematischer sehe ich aber die an, die<br />
unglaublich stark mit dem Glauben, mit der<br />
Religion herumspielen und ihre Identität, oft ihre<br />
einzige Identität dort suchen.“<br />
Eigentlich seien das österreichische Jugendliche,<br />
österreichische Jugendliche tschetschenischer<br />
Abstammung, die hier geboren<br />
wurden oder als ganz kleine Kinder hergekommen und hier<br />
sozialisiert wurden. „Die sind hier in den Kindergarten, in die<br />
Schule gegangen. Dass sie sich hier so sehr nicht wohlfühlen,<br />
nicht als Teil der Gesellschaft empfinden, ist bitter. Die<br />
suchen ihre Identität in einer sehr seltsamen Mischung aus<br />
religiösen, oberflächlichen Floskeln wie haram und halal<br />
und dann noch in so ‚coolen‘ Wörtern wie Dschihad, ohne<br />
zu wissen, was dahinter steckt. Dschihad ist für viele etwas<br />
Romantisches, es ist so etwas wie Heimat verteidigen und<br />
Krieg romantisieren. Dabei ist im Krieg überhaupt kein Platz<br />
für Romantik, Krieg ist etwas Schmutziges. Der hat nichts<br />
Ästhetisches wie in diesen Propaganda-Clips. Aber die jun-<br />
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