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Welche Weiterbildungsmöglichkeiten<br />
gibt es für euch?“, leitet<br />
Mirela den Block ein. Sie zeichnet<br />
die verschiedenen Schulwege auf<br />
ein Flipchart. Ein Mann fragt, was<br />
mit seiner 16-jährigen Tochter<br />
passiert, die bald nach Österreich<br />
nachkommt. Mit 16 Jahren fällt<br />
sie immerhin aus der österreichischen<br />
Schulpflicht heraus.<br />
„Das ist oft ein Problem, dass die<br />
Schulen die Kinder ab 15 nicht<br />
mehr annehmen. Dann braucht<br />
es viel Eigeninitiative!“, erklärt<br />
Mirela, die selbst einst aus Bosnien<br />
geflüchtet ist.<br />
ÖSTERREICH: LAND DER<br />
EIGENINITIATIVE<br />
Stichwort Eigeninitiative: Das ist<br />
quasi der Ober-Wert, der hier<br />
vermittelt wird. Nicht als eigene<br />
Einheit, sondern als Mantra<br />
quer durch den Stoff: Wer sich<br />
in Österreich erfolgreich integrieren<br />
will, muss eigeninitiativ sein. Denn Job, Haus, Auto<br />
und Ehefrau regnet es nicht vom Himmel. Das sei nämlich<br />
oft die Erwartungshaltung von Neuankömmlingen, wird mir<br />
erklärt. Die Anwesenden heute sind jedenfalls eigeninitiativ<br />
hier. Noch ist die Teilnahme an einem Wertekurse nicht verpflichtend,<br />
sondern lediglich ein Angebot. Die 20 Besucher<br />
heute erhoffen sich Infos über Jobperspektiven, Schulsystem<br />
und Deutschkurse. Stellt sich die Frage, was mit jenen<br />
Flüchtlingen ist, die mehr traumatisiert als engagiert<br />
sind – fallen sie durchs Raster? Das neue Integrationsgesetz<br />
scheint in dieser Hinsicht greifen<br />
zu wollen. Anerkannte Flüchtlinge müssten<br />
dann verpflichtend sowohl Deutschkurse als<br />
auch einen Werte- und Orientierungskurs<br />
absolvieren.<br />
Ja, so sehen Flüchtlinge auch aus: Die Syrerinnen Midia, 21, Robina, 23 und Chahnaz,<br />
32 haben abgeschlossene Studien in Wirtschaft, Ingenieurwesen und Marketing.<br />
„Wenn<br />
Haschisch<br />
verboten ist,<br />
warum gibt es<br />
dann Hanf-<br />
Shops in<br />
Wien?“<br />
ÖSTERREICH: LAND DER ZEUGNISSE<br />
Zurück in die Schule. Weil viele Eltern anwesend<br />
sind, schärft Mirela ihnen ein: „Es ist<br />
nicht schlimm, wenn eure Kinder wiederholen<br />
müssen und die Ältesten in der Klasse sind. Auch<br />
genügend österreichische Kinder wiederholen – einfach<br />
weil sie nichts lernen.“ Dann erkundigt sie sich nach<br />
den Zeugnissen der Anwesenden. Immerhin, Österreich sei<br />
ein Land der Zeugnisse – sie bestimmen über die Zukunft.<br />
Ebenso wie Deutsch. Die Trainerin gibt ihnen Tipps: „Macht’s<br />
Hausübungen mit den Kindern! Macht’s Einkaufslisten auf<br />
Deutsch! Probiert die „Heute“ zu lesen – nicht wegen der<br />
Qualität, aber zum Deutsch lernen!“ Mit einem Zwinkern fügt<br />
sie noch hinzu: „Und eine Österreicherin heiraten, das hilft<br />
auch!“<br />
Wer sich unter dem „Wertekurs“ eine moralphilosophische<br />
Grunderziehung vorgestellt hat – so wie ich – wird<br />
überrascht sein. Es geht vor allem um praxisbezogene<br />
Orientierung: Geschichte, Geographie, eine Einführung<br />
in die Grundsysteme, also Gesundheit, Wohnen, Bildung<br />
und Arbeit. Mit Humor und Alltagsbezug werden Kulturunterschiede<br />
angesprochen, bedeutende Kleinigkeiten, wie<br />
zum Beispiel, dass man in Österreich Babys von fremden<br />
Personen nicht einfach anfasst, egal wie süß sie sind. Und,<br />
natürlich, es werden die großen Grundwerte durchgenommen:<br />
Gleich als erstes wurde am Vortag Österreich<br />
als Rechtsstaat und Demokratie behandelt.<br />
Auf einem Flipchart lese ich noch die Begriffe<br />
Menschenwürde, Meinungsfreiheit und<br />
Gleichberechtigung von Mann und Frau.<br />
ÖSTERREICH: LAND DES<br />
AUGENKONTAKTS<br />
Bei uns geht es praktisch weiter. „Wenn<br />
das Bewerbungsgespräch um 14 Uhr ist, um<br />
wie viel Uhr sollte man da sein?“, fragt Mirela.<br />
„13.50 Uhr?“, bietet ein Teilnehmer. „Zu spät! 13.45<br />
Uhr!“ Mirela führt in die Welt der Arbeitssuche ein: Was<br />
ist ein Motivationsschreiben? Was ziehe ich zum Gespräch<br />
an? Dass man keine Shorts trägt, nicht Kaugummi kauen<br />
sollte und seinem Gegenüber in die Augen schaut, scheint<br />
den anwesenden Syrern nicht gerade neu zu sein. Bei<br />
afghanischen Männern hätte die Trainerin als Frau allerdings<br />
schon andere Erfahrungen in Punkto Augenkontakt und<br />
Händedruck gemacht. Dann zeichnet sie die Steuerabgaben<br />
vom Lohnzettel auf. „Wie viele Gehälter bekommen wir?“,<br />
fragt Mirela die Runde. „14!“ Das weiß jeder. Anders als in<br />
Österreich sind die Menschen in Syrien allerdings häufiger<br />
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