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BIBER 03_17

Die biber Ausgabe vom März 2017

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Welche Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

gibt es für euch?“, leitet<br />

Mirela den Block ein. Sie zeichnet<br />

die verschiedenen Schulwege auf<br />

ein Flipchart. Ein Mann fragt, was<br />

mit seiner 16-jährigen Tochter<br />

passiert, die bald nach Österreich<br />

nachkommt. Mit 16 Jahren fällt<br />

sie immerhin aus der österreichischen<br />

Schulpflicht heraus.<br />

„Das ist oft ein Problem, dass die<br />

Schulen die Kinder ab 15 nicht<br />

mehr annehmen. Dann braucht<br />

es viel Eigeninitiative!“, erklärt<br />

Mirela, die selbst einst aus Bosnien<br />

geflüchtet ist.<br />

ÖSTERREICH: LAND DER<br />

EIGENINITIATIVE<br />

Stichwort Eigeninitiative: Das ist<br />

quasi der Ober-Wert, der hier<br />

vermittelt wird. Nicht als eigene<br />

Einheit, sondern als Mantra<br />

quer durch den Stoff: Wer sich<br />

in Österreich erfolgreich integrieren<br />

will, muss eigeninitiativ sein. Denn Job, Haus, Auto<br />

und Ehefrau regnet es nicht vom Himmel. Das sei nämlich<br />

oft die Erwartungshaltung von Neuankömmlingen, wird mir<br />

erklärt. Die Anwesenden heute sind jedenfalls eigeninitiativ<br />

hier. Noch ist die Teilnahme an einem Wertekurse nicht verpflichtend,<br />

sondern lediglich ein Angebot. Die 20 Besucher<br />

heute erhoffen sich Infos über Jobperspektiven, Schulsystem<br />

und Deutschkurse. Stellt sich die Frage, was mit jenen<br />

Flüchtlingen ist, die mehr traumatisiert als engagiert<br />

sind – fallen sie durchs Raster? Das neue Integrationsgesetz<br />

scheint in dieser Hinsicht greifen<br />

zu wollen. Anerkannte Flüchtlinge müssten<br />

dann verpflichtend sowohl Deutschkurse als<br />

auch einen Werte- und Orientierungskurs<br />

absolvieren.<br />

Ja, so sehen Flüchtlinge auch aus: Die Syrerinnen Midia, 21, Robina, 23 und Chahnaz,<br />

32 haben abgeschlossene Studien in Wirtschaft, Ingenieurwesen und Marketing.<br />

„Wenn<br />

Haschisch<br />

verboten ist,<br />

warum gibt es<br />

dann Hanf-<br />

Shops in<br />

Wien?“<br />

ÖSTERREICH: LAND DER ZEUGNISSE<br />

Zurück in die Schule. Weil viele Eltern anwesend<br />

sind, schärft Mirela ihnen ein: „Es ist<br />

nicht schlimm, wenn eure Kinder wiederholen<br />

müssen und die Ältesten in der Klasse sind. Auch<br />

genügend österreichische Kinder wiederholen – einfach<br />

weil sie nichts lernen.“ Dann erkundigt sie sich nach<br />

den Zeugnissen der Anwesenden. Immerhin, Österreich sei<br />

ein Land der Zeugnisse – sie bestimmen über die Zukunft.<br />

Ebenso wie Deutsch. Die Trainerin gibt ihnen Tipps: „Macht’s<br />

Hausübungen mit den Kindern! Macht’s Einkaufslisten auf<br />

Deutsch! Probiert die „Heute“ zu lesen – nicht wegen der<br />

Qualität, aber zum Deutsch lernen!“ Mit einem Zwinkern fügt<br />

sie noch hinzu: „Und eine Österreicherin heiraten, das hilft<br />

auch!“<br />

Wer sich unter dem „Wertekurs“ eine moralphilosophische<br />

Grunderziehung vorgestellt hat – so wie ich – wird<br />

überrascht sein. Es geht vor allem um praxisbezogene<br />

Orientierung: Geschichte, Geographie, eine Einführung<br />

in die Grundsysteme, also Gesundheit, Wohnen, Bildung<br />

und Arbeit. Mit Humor und Alltagsbezug werden Kulturunterschiede<br />

angesprochen, bedeutende Kleinigkeiten, wie<br />

zum Beispiel, dass man in Österreich Babys von fremden<br />

Personen nicht einfach anfasst, egal wie süß sie sind. Und,<br />

natürlich, es werden die großen Grundwerte durchgenommen:<br />

Gleich als erstes wurde am Vortag Österreich<br />

als Rechtsstaat und Demokratie behandelt.<br />

Auf einem Flipchart lese ich noch die Begriffe<br />

Menschenwürde, Meinungsfreiheit und<br />

Gleichberechtigung von Mann und Frau.<br />

ÖSTERREICH: LAND DES<br />

AUGENKONTAKTS<br />

Bei uns geht es praktisch weiter. „Wenn<br />

das Bewerbungsgespräch um 14 Uhr ist, um<br />

wie viel Uhr sollte man da sein?“, fragt Mirela.<br />

„13.50 Uhr?“, bietet ein Teilnehmer. „Zu spät! 13.45<br />

Uhr!“ Mirela führt in die Welt der Arbeitssuche ein: Was<br />

ist ein Motivationsschreiben? Was ziehe ich zum Gespräch<br />

an? Dass man keine Shorts trägt, nicht Kaugummi kauen<br />

sollte und seinem Gegenüber in die Augen schaut, scheint<br />

den anwesenden Syrern nicht gerade neu zu sein. Bei<br />

afghanischen Männern hätte die Trainerin als Frau allerdings<br />

schon andere Erfahrungen in Punkto Augenkontakt und<br />

Händedruck gemacht. Dann zeichnet sie die Steuerabgaben<br />

vom Lohnzettel auf. „Wie viele Gehälter bekommen wir?“,<br />

fragt Mirela die Runde. „14!“ Das weiß jeder. Anders als in<br />

Österreich sind die Menschen in Syrien allerdings häufiger<br />

/ POLITIKA / 23

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