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„ICH KONNTE<br />
TROTZ DOKTORTITEL<br />
KEINEN JOB FINDEN.“<br />
Im ungarischen Film „The Citizen“ spielt Marcelo Cake-Baly<br />
einen afrikanischen Geflüchteten, der um die ungarische<br />
Staatsbürgerschaft und um ein neues Leben kämpft. Für Cake-Baly<br />
nichts Neues. Der Schauspieler über Ungarns Politik, Rassismus<br />
und Emotionen.<br />
<strong>BIBER</strong>: Wie führte Sie Ihr Weg von Guinea-Bissau<br />
nach Ungarn?<br />
CAKE-BALY: 1974 wurde ich von der Freiheitsbewegung<br />
nach Europa zum Studieren geschickt. Ich<br />
hatte mehrere Optionen, ich hätte in die ehemalige<br />
DDR gehen können, aber als es Zeit war für<br />
mich loszufahren, gab es dort keine freien Plätze<br />
mehr. Ungarn bat aber noch welche an und so<br />
bekam ich ein Stipendium, um dort zu studieren.<br />
Haben Sie sich bei Ihrer Ankunft willkommen oder<br />
zurückgewiesen gefühlt?<br />
Als ich ankam, waren alle sehr gastfreundlich<br />
und ich habe mich auf jeden Fall willkommen<br />
von Jelena Pantić<br />
gefühlt. Es gab keine rassistischen Vorfälle, denn<br />
ein solches Verhalten war im Sozialismus tabu.<br />
Ich habe viele schöne Erinnerungen an meine<br />
Studienzeit. Nach meinem Abschluss hatte ich mit<br />
den üblichen Schwierigkeiten zu kämpfen, einen<br />
Job zu finden. Erschwerend kam für mich dazu,<br />
als Schwarzer eine Stelle zu finden, die meiner<br />
Qualifikation entspricht. Ich konnte keine Stelle als<br />
Ökonom finden, also arbeitete ich als Kontrolleur<br />
und zeitweise als Straßenbahnfahrer.<br />
Und wie empfinden Sie die Situation heute?<br />
Die Grundhaltung hat sich seit dem Sozialismus<br />
verändert. Heute kann jeder öffentlich sagen, was<br />
Mozinet<br />
er will. Es ist mir schon widerfahren, dass ich auf<br />
der Straße beschimpft wurde. Aber<br />
dieses Problem gibt es in ganz Europa, nicht nur<br />
in Ungarn. Durch die Flüchtlingsthematik gab es<br />
europaweit Änderungen in der Einstellung der<br />
Menschen gegenüber Zuwanderern. Das betrifft<br />
nicht nur jene, die ankommen, sondern auch jene,<br />
die seit Jahrzehnten hier leben. Und das kann<br />
nicht gut sein. Die Atmosphäre, die seitens der<br />
Regierung zu spüren ist, bedeutet nichts Gutes.<br />
Nichtsdestotrotz sind die Menschen in meiner<br />
Umgebung unverändert freundlich zu mir.<br />
Wilson, ihr Charakter im Film, wünscht sich nichts<br />
sehnlicher als die ungarische Staatsbürgerschaft.<br />
Sind Sie ungarischer Staatsbürger?<br />
Ja, seit 1994. In diesem Jahr hab ich offiziell<br />
meinen Pass erlangt, dem Land meine Treue<br />
geschworen und ungarische Dokumente ausgestellt<br />
bekommen. Ich lebe mit meiner Familie in<br />
Budapest.<br />
Ihr Charakter muss sich den Schikanen der<br />
Behörden hingeben und beispielsweise<br />
schildern, wie seine schwangere Frau ausgeweidet<br />
wurde. Wie sehr erkennen Sie sich selbst in<br />
„The Citizen“ wieder?<br />
Um einen Charakter authentisch zu spielen, muss<br />
man in seine Haut schlüpfen. Ich war emotional<br />
an meine Rolle gebunden, denn sie durchlebt<br />
Situationen, die mir und Menschen in ganz Europa<br />
widerfahren und Spuren hinterlassen (Anm. d.<br />
Red.: bezieht sich auf die Schikanen der Behörden).<br />
Ich bin sehr froh, diese Rolle gespielt zu<br />
haben, denn so konnte ich mein Innerstes auf die<br />
Leinwand bringen.<br />
Das ist Ihr Schauspiel-Debüt. Wie hat sich<br />
das ergeben?<br />
Vor zwei Jahren ging ich im Zentrum von<br />
Budapest spazieren und wurde von einem Mann<br />
angesprochen. Er erzählte mir von seinen Plänen<br />
einen ganz besonderen Film zu drehen. Dieser<br />
Mann war Roland Vranik, der Regisseur. Ich habe<br />
sofort zugesagt, obwohl ich keinerlei schauspielerische<br />
Erfahrung hatte. Aber das Thema war mir<br />
so wichtig und mein Interesse so groß, dass ich<br />
nicht Nein sagen konnte. Für den Film nahm ich<br />
Schauspielunterricht bei meiner Schauspielkollegin<br />
Agnes Mahr. Letztendlich habe ich mich aber<br />
hauptsächlich auf meinen Instinkt verlassen.<br />
Erfüllt Sie das Schauspielen mehr als<br />
Wirtschaft?<br />
Ich trug für diesen Film eine große Verantwortung,<br />
weil mir der Regisseur von Anfang an vertraute.<br />
Ich wollte ihn keinesfalls enttäuschen, also<br />
gab ich mein Allerbestes. Ich versuche aber generell<br />
immer das Beste in allen Aspekten meines<br />
Lebens zu geben, ob als Manager, Straßenbahnfahrer<br />
oder Schauspieler. Ich bin überglücklich,<br />
dass der Film auf derart positive Rückmeldungen<br />
gestoßen ist.<br />
„The Citizen“ (Originaltitel: Az állampolgár)<br />
ist der Eröffnungsfilm des Let’s CEE Festival<br />
20<strong>17</strong>, das von 21. bis 27. März läuft.<br />
Spieltermine und weitere Infos unter: www.<br />
letsceefilmfestival.com/<br />
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