„Fest“-gehalten von Sarah Koska - Draußen
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Bericht | Text und Foto: Michael Heß<br />
Die Schönste im ganzen Land?<br />
Von Würfeloptik und Kundenströmen<br />
Sie sei unter Deutschlands Städten die<br />
schönste, befanden sinngemäß die<br />
Schriftstellerin Ricarda Huch und der<br />
Bundespräsident Theodor Heuss. Es<br />
war bemerkenswert viel Lob für eine<br />
vergleichsweise kleine Stadt wie Münster.<br />
Ob solche Anerkennung heute<br />
noch angebracht ist, ist zu bezweifeln.<br />
Gedanken zur jüngsten Entwicklung<br />
der Innenstadt machte sich ~-<br />
Autor Michael Heß.<br />
_“Der Architekt verspürt bei der Gestaltung<br />
einen Moment der Macht.“ Dies<br />
sagte der international erfolgreiche Architekt<br />
Christoph Sattler - in Münster<br />
baute er das Picasso-Museum und die<br />
„Klostergärten“ - vor wenigen Wochen<br />
vor Architekturstudenten auf dem Leonardo-Campus.<br />
Der Architekt müsse sich<br />
aber dieser Macht bewusst sein, es sei<br />
sehr wichtig, bereits Bestehendes in das<br />
Neue einfließen zu lassen. Im Ergebnis<br />
definiert dies das sich harmonisch entwickelnde<br />
Gemeinwesen als ausgewogene<br />
Balance <strong>von</strong> Neu und Alt, als Rahmen<br />
für zeitgemäß urbanes Leben.<br />
_Bis heute gerne kolportiert wird die<br />
Geschichte <strong>von</strong> Münsters Stadtvätern,<br />
die nach 1945 den Wiederaufbau der<br />
Stadt an anderer Stelle erwogen hätten.<br />
Auch in dieser Erzählung steckt ein wahrer<br />
Kern: Die schweren Bombenschäden, besonders<br />
in der Innenstadt, nach etwa hundert<br />
Luftangriffen machten solche Gedanken<br />
nachvollziehbar. Die Geschichte verlief<br />
glücklicherweise anders. Münsters heutiges<br />
Zentrum erstand nicht nur am alten<br />
Platz, es erstand auch historisierend<br />
und anknüpfend an die zerbombte Architektur<br />
einer alten Bischofs- und<br />
Fernhandelsstadt. Prinzipiell beging<br />
man nicht dieselben Bausünden wie<br />
anderenorts - man denke nur an die<br />
Hohe Straße in Köln oder an den Burgwall<br />
in Dortmund - und erntete wenig<br />
später dafür viel Lob. Nicht unbedingt<br />
für den Turm am Stadthaus I, umso<br />
mehr aber für Prinzipalmarkt und Domplatz<br />
oder einige Jahre später für den<br />
Karstadt-Neubau in den 70er Jahren, der<br />
sich betont an den regionalen architek-<br />
tonischen Traditionen orientierte. Auch<br />
Architektur steht in historischer Verantwortung.<br />
_Diese Erkenntnis der früheren Stadtväter<br />
scheint vergessen. Die Bauprojekte der<br />
jüngsten Zeit, der Kettlersche Hof, die<br />
Münster-Arkaden, die Stubengasse oder<br />
der vorerst geplatzte Neubau des Hafens<br />
zeichnen sich bei aller vordergründigen<br />
Detailverschiedenheit durch starre Uniformität<br />
aus: Die Quaderform dominiert,<br />
die gerade Linie bestimmt die Architektur,<br />
zeitgeistige Baustoffe prägen die Erscheinung.<br />
Diese Gebäude wirken seelenlos<br />
- vorgehängte Fassaden an Betonskeletten,<br />
die den ursprünglichen<br />
Geist des Wortes „bauen“ nicht mehr<br />
treffen. Von der städtischen Tradition<br />
der Jahrhunderte, in der der goldene<br />
Baumberger Sandstein und der rote<br />
Klinker als Leitmaterialien etwas galten,<br />
ist kaum etwas übrig geblieben. Im<br />
Ergebnis passen solche Gebäude gut<br />
nach Berlin, Hongkong oder London,<br />
nach Münster nur dann, wenn über den<br />
Zeitgeist die lokale Baugeschichte konsequent<br />
ausgeblendet wird. Das kleinteilige<br />
Hanse-Carreé neben der<br />
Stubengasse galt da fast schon als<br />
Revolution.<br />
_Ob das Neue mit längst bestehenden<br />
Strukturen abgestimmt wurde, darüber<br />
gibt es seit Jahren eine Debatte in der<br />
Bürgerschaft. Und die Antwort lautet<br />
viel zu oft nein. Die stilistischen Brüche<br />
sind zu stark und zu zahlreich. Sie schaffen<br />
eine kommerzielle Atmosphäre, nicht<br />
aber urbanes Leben nach Ladenschluss.<br />
_Der Mut zum Neuen ist begrüßenswert.<br />
Aber er muss Mittel zum Zweck bleiben,<br />
er darf nicht zum Selbstzweck verkommen.<br />
Er muss das Neue als Kontrapunkt<br />
setzen zur gewachsenen, Identitäten<br />
stiftenden Umgebung. Eine Stadtbücherei<br />
ist phänomenales Erleben. Vier, fünf<br />
solcher Bauten zerstören den genius<br />
loci, dieses durchaus schutzwürdige Gut.<br />
Doch vom dazu berufenen Beirat für<br />
Stadtgestaltung ist kaum Kritik zu hören<br />
an den gesichtslosen Würfeln, bar aller<br />
Traditionen. Wenn sich öffentlicher Protest<br />
erhob, kam und kommt er aus der<br />
Bürgerschaft, nicht <strong>von</strong> den dazu bestimmten<br />
Experten.<br />
_Aber es geht nicht nur um architektonische<br />
Eintönigkeit, unterm Strich bewirken<br />
die Neubauten auch eine Umlenkung<br />
der Kaufkraftströme. Die langjährig<br />
gewachsene Struktur der Innestadt<br />
gerät aus den Fugen, die Fleischtöpfe<br />
werden neu verteilt. Natürlich gibt es<br />
Gewinner und Verlierer. Zu den Siegern<br />
gehören die neue Stubengasse und das<br />
Hansa-Carré. Sie fangen die Kundenströme<br />
aus Richtung Bahnhof zu Lasten<br />
der weiter nordwestlichen gelegenen<br />
Areale auf. Neben Abschnitten der Salzstraße<br />
ist besonders das Kiepenkerl-<br />
Viertel betroffen. Die dortigen Kaufleute<br />
versuchen zwar gegenzusteuern, aber<br />
dies scheint auf Dauer ein hoffnungsloses<br />
Unterfangen, das Verzweiflungsideen<br />
wie die der Brückenverschmalerung<br />
am Spiekerhof - die draußen! berichtete<br />
bereits mehrfach - gebiert. Wo man mit<br />
Preisen keine Kunden mehr locken<br />
kann, soll es der „Erlebnischarakter“<br />
richten. Die bedenkliche Entwicklung im<br />
Großen setzt sich im Kleinen fort. Am<br />
Ende bedingt der Verlust <strong>von</strong> Identitäten<br />
ein mehr an Gesichtslosigkeit.<br />
_Fast schon glücklich muss man vor diesem<br />
Hintergrund über das (vorläufige?)<br />
Ende des Bahnhofsumbaus sein. Es wäre<br />
der nächste überdimensionierte Quader<br />
geworden und der nächste Quell verschobener<br />
Kundenströme. Zumindest<br />
dieser Kelch geht vorerst an Münsters<br />
Bürgern vorbei und manche öffentliche<br />
Klage über das Ende des Projektes darf<br />
privat als erleichterter Seufzer übersetzt<br />
werden. Moderne Architektur muss vorhandene<br />
städtische Strukturen aber<br />
weiterführen anstatt aus ihnen herauszuragen,<br />
erinnert nochmals Christoph<br />
Sattler zu Recht. Es ist eine schöne Vision,<br />
den Neubau des Bahnhofs als Wendepunkt<br />
zu begreifen, die münsterländischen<br />
Bautraditionen wieder aufzugreifen.<br />
Denn es geht um Münster, nicht<br />
um Berlin oder London oder Tokio. #<br />
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