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Versicherung & Recht<br />
<strong>smartLiving</strong>.<br />
MAGAZIN<br />
WENN DER SCHLÜSSELDIENST<br />
ABKASSIERT Verbraucherschützer<br />
warnen vor den Machenschaften<br />
dubioser Notdienste<br />
Die Haustür zu, der Schlüssel in der Wohnung, alles Rütteln<br />
vergeblich: Wer schon in solch einer Situation war,<br />
der kennt das Gefühl zwischen Ohnmacht und Wut, das einen<br />
dabei überkommt. Als einzige Möglichkeit bleibt meist der<br />
Anruf beim Schlüsselnotdienst. Doch in vielen Fällen geht der<br />
Ärger damit erst richtig los. Denn die Preise, die von den<br />
Monteuren zunehmend auch in der Region Stuttgart für ein<br />
paar Minuten Arbeit und einen neuen Zylinder verlangt werden,<br />
fallen immer abenteuerlicher aus, wie nicht nur die Verbraucherschützer<br />
beklagen. Auch die Betroffenen selbst gehen<br />
zunehmend auf die Barrikaden.<br />
So haben erst jüngst etliche Leser einer Stuttgarter Tageszeitung<br />
nach einem Bericht über die fragwürdigen Methoden<br />
der Schlüsselnotdienste ihre einschlägigen Erfahrungen geschildert<br />
– von 396 Euro bis zu 946,76 Euro reichen dabei die<br />
Kosten, die von den Schlüsseldienstmitarbeitern nach getaner<br />
Arbeit in bar verlangt worden sind. Mit welchen Methoden<br />
dabei das Geld teilweise eingetrieben wird, schildert eine der<br />
Betroffenen so: Weil sie nicht so viel Bargeld im Haus gehabt<br />
hätte, habe der Monteur unnachgiebig darauf bestanden, mit<br />
ihr zum nächsten Geldautomaten zu fahren. Eine Diskussion<br />
mit dem kräftigen Mann wäre unter Umständen gefährlich<br />
geworden, also habe sie eingewilligt und die Rechnung bezahlt.<br />
Am Tag danach erstattete das Ehepaar dann Anzeige bei<br />
der Polizei und beauftragte gleichzeitig einen Anwalt, um eine<br />
zivilrechtliche Klage einzuleiten.<br />
Fälle wie dieser stapeln sich zwischenzeitlich in den Verbraucherzentralen<br />
im Land, die bundesweit regelmäßig erfolgreich<br />
Schlüsseldienste wegen überhöhter Forderungen abmahnen.<br />
Die Experten raten dabei dringend dazu, solch überhöhte<br />
Summen keinesfalls zu zahlen und auch nichts ungeprüft<br />
zu unterschreiben. Die ortsüblichen Preise für eine einfache<br />
Türöffnung tagsüber liegen bei etwa 80 Euro, in der<br />
Regel ist diese Arbeit in einer Minute erledigt und auch die<br />
Schlösser müssen dabei nicht automatisch getauscht werden.<br />
Am späten Abend oder an Sonn- und Feiertagen können sich<br />
die Kosten derweil verdoppeln, sie liegen in der Regel aber<br />
immer noch deutlich unter 200 Euro. Um sicherzugehen<br />
empfehlen die Experten, vor dem Öffnen der Türe einen Festpreis<br />
mit dem Monteur zu vereinbaren. Lässt sich der Schlüsseldienstmitarbeiter<br />
nicht darauf ein, ist es besser, sich einen<br />
anderen ortsansässigen Dienst zu suchen. Kommt es nach getaner<br />
Arbeit dennoch zum Streit über die Kosten, raten die<br />
Verbraucherschützer zudem zu einer Anzeige bei der Polizei,<br />
falls der Handwerker den Kunden mit der Zahlung unter<br />
Druck setzt und die Tür wieder verschließen will. Denn das<br />
ist ein klarer Fall von Nötigung und damit strafbar.<br />
Um den schwarzen Schafen unter den<br />
Schlüsselnotdiensten entgegenzuwirken, wurde Ende 2016<br />
das Pilotprojekt „Türöffnung zum Festpreis“ gestartet<br />
In der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gehen praktisch<br />
täglich Anfragen wegen überhöhter Rechnungen ein. „Die<br />
Abzocke beim Schlüsseldienst ist ein Topthema“, so Annette<br />
Wick von der Abteilung Bauen, Wohnen, Energie. „Die Notsituation<br />
von Menschen wird seit Jahren schamlos ausgenutzt.“<br />
Auch sie betont, dass seriöse Anbieter für das Öffnen einer Tür<br />
tagsüber nicht mehr als hundert Euro berechnen. Nachts, am<br />
Wochenende und an Feiertagen liege der Betrag höher, keinesfalls<br />
aber über 250 Euro. Beim Austausch von Schlössern oder<br />
Zylindern würden grundsätzlich zwar höhere Kosten entstehen.<br />
Oft sei solch eine Maßnahme aber gar nicht notwendig, auch<br />
wenn der Schlüsseldienst etwas anderes behaupte.<br />
Weil sich die Fälle in letzter Zeit immer mehr häufen, in denen<br />
Schlüsselnotdienste um ein Vielfaches dessen verlangen,<br />
was üblich ist, haben die Verbraucherschützer auch für die<br />
Wahl des Anbieters eine ganze Reihe an Tipps zusammengestellt.<br />
So warnen sie etwa vor den Suchtreffern, die bei Google<br />
oder einer anderen Suchmaschine ganz oben erscheinen. Dabei<br />
handle es sich in der Regel um Werbeanzeigen, die auch<br />
als solche klein gekennzeichnet sind. Auch der Stadtname im<br />
Link, also Stuttgart, Böblingen, Ludwigsburg oder Fellbach<br />
müsse nicht zwangsläufig bedeuten, der der Schlüsseldienst<br />
tatsächlich ortsansässig ist. Um sicherzugehen empfehlen die<br />
Experten, in jedem Fall das Impressum anzuschauen oder<br />
noch besser die Gelben Seiten zur Hand zu nehmen.<br />
Doch auch dort landet man nicht unbedingt bei einem seriösen<br />
Anbieter, wie Betroffene in der gesamten Region Stuttgart<br />
immer wieder erleben mussten. Denn die schwarzen Schafe<br />
unter den Schlüsselnotdiensten firmieren in den Gelben Seiten<br />
nicht selten unter gekauften örtlichen Vorwahlen und unter<br />
falschem Namen, um alphabetisch ganz vorne aufgeführt<br />
zu werden, beispielsweise mit dem Vorsatz „AA“, „AAA“ oder<br />
gar „AAAA“ im Namen. Um dieser durchaus gängigen Praxis<br />
einen Riegel vorzuschieben, hat die Gelbe Seiten Marketing<br />
Gesellschaft Ende vergangenen Jahres ein Pilotprojekt gestartet,<br />
das „Türöffnung zum Festpreis“ verspricht. Alle Monteure,<br />
die im Auftrag der Gelben Seiten unterwegs sind, müssen dabei<br />
einen festgelegten Kodex einhalten und zu einem Festpreis<br />
arbeiten. Zudem müssen die Schlüsselnotdienstmitarbeiter<br />
zuvor nachweisen, dass sie qualifiziert sind und über<br />
ein eingetragenes Gewerbe verfügen. In der Praxis funktioniert<br />
das Ganze dann wie folgt: Der Kunde meldet über die<br />
Webseite der Gelben Seiten sein Problem, woraufhin örtliche<br />
Schlüsseldienste ermittelt und über den Auftrag informiert<br />
werden. Meldet ein Monteur zurück, dass er den Auftrag zu<br />
den vereinbarten Konditionen übernimmt, erhält der Kunde<br />
noch vor Auftragsvergabe sämtliche relevanten Informationen<br />
wie Anfahrtsweg und Festpreis.<br />
Bisher läuft dieses Pilotprojekt zwar lediglich in Hannover<br />
und Essen, nach und nach soll es aber auch in anderen Regionen<br />
eingeführt werden. Die Rückmeldungen auf das Angebot<br />
sind laut der Gelbe Seiten Marketing Gesellschaft bisher<br />
überaus positiv. So kostet bei diesem System das Öffnen einer<br />
zugefallen Tür, die nicht zugeschlossen wurde, an Werktagen<br />
zwischen 8 und 20 Uhr lediglich 69 Euro. Hinzu kommen<br />
noch Pauschalkosten in Höhe von 20 Euro für die Anund<br />
Abfahrt des Monteurs. Den Betrag bezahlt der Kunde<br />
nach getaner Arbeit vor Ort. Zudem hat er anschließend<br />
auch noch die Möglichkeit, den Monteur zu bewerten. Auf<br />
diesem Weg hoffen die Initiatoren des Projekts und auch die<br />
Verbraucherschützer, den schwarzen Schafen unter den<br />
Schlüsselnotdiensten möglichst schnell das Handwerk legen<br />
zu können. Bis es soweit ist, raten die Experten zu überlegtem<br />
Vorgehen und sorgfältiger Auswahl, wenn die Türe ins<br />
Schloss gefallen ist und der Schlüssel in der Wohnung liegt.<br />
Im Zweifelsfall, so die Empfehlung, lieber die Polizei anrufen.<br />
Und dazu gibt es noch den allerbesten Tipp: Immer irgendwo<br />
einen Zweitschlüssel deponieren.<br />
© Autor: Markus Heffner<br />
Überzogene Rechnungen für die Beauftragung eines<br />
Schlüsselnotdienstes sind keine Seltenheit<br />
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