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MTD_DDG_2017_04

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30 In eigener Sache<br />

diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. 4 · 26. April <strong>2017</strong><br />

Bis zur Diabetologie 4.0<br />

ist es (k)ein weiter Weg<br />

Das diatec journal tritt an, Diabetestechnologie und Digitalisierung aktiv mitzugestalten<br />

WIESBADEN. Musik-Streaming, Video-on-Demand,<br />

Navigations geräte, 3D virtuelle Welten, Siri und Smartphone …<br />

unsere Lebenswelt ist technologisch-digital geprägt. Der digitale<br />

Alltag ist in der Diabeteswelt jedoch noch nicht wirklich<br />

angekommen. So lautet zumindest die Vorstellung, die Professor<br />

Dr. Lutz Heinemann, Düsseldorf, und Manuel Ickrath, Wiesbaden,<br />

hier stellvertretend für das gesamte Redaktionsteam verfolgen.<br />

Prof. Dr. Lutz<br />

Heinemann<br />

* Science & Co<br />

Foto: privat<br />

?<br />

Braucht es wirklich noch einen<br />

weiteren Diabetestitel, auch wenn<br />

sich dieser auf die Themen Diabetestechnologie<br />

und Digitalisierung spezialisiert?<br />

Prof. Heinemann: Klares Ja. Die<br />

Themen Technologie und Digitalisierung<br />

nehmen in der Diabetestherapie<br />

einen immer größeren<br />

Raum ein. Das diatec<br />

journal wird die erste Zeitung<br />

im deutschsprachigen Raum<br />

sein, die sich schwerpunktmäßig<br />

mit diesen Themen<br />

beschäftigt. Unserer<br />

Erfahrung nach sind<br />

Informationen und<br />

Fortbildung in der Landessprache<br />

wichtig.<br />

Ickrath: Wir wollen mit<br />

dem neuen Journal die<br />

Prozesse rund um die Digitalisierung<br />

in der Diabetologie publizistisch<br />

begleiten und aktiv mitgestalten.<br />

Das diatec journal wird<br />

dieses Jahr insgesamt dreimal als<br />

Teil der diabetes zeitung erscheinen.<br />

Was sind derzeit wichtige Entwicklungen<br />

in der Diabetestechnolo-<br />

?<br />

gie?<br />

Prof. Heinemann: Die amerikanische<br />

Zulassungsbehörde FDA hat kürzlich<br />

die erste Version eines Artificial<br />

Pancreas zugelassen. Dies ist noch<br />

keine technische Heilung des Diabetes,<br />

aber ein solches Hybridsystem<br />

kann die Patienten deutlich stärker<br />

als bisher unterstützen. Gleichzeitig<br />

schreitet die Digitalisierung<br />

fort. Fast jeder Verbraucher hat ein<br />

Smartphone, das bald keine Daten<br />

mehr ausgeben wird, sondern – vergleichbar<br />

mit Navigationsgeräten –<br />

die Meldung: „du hast mehr gegessen<br />

als geplant, bitte spritze noch<br />

mal sieben Einheiten Insulin“.<br />

Ickrath: Inzwischen gibt es hunderte<br />

von Diabetes-Apps. Das<br />

stellt den Praxisalltag teilweise<br />

auf den Kopf, denn<br />

die Anwender wollen<br />

nun von ihren Ärzten<br />

und DiabetesberaterInnen<br />

wissen,<br />

welche<br />

Apps gut<br />

sind.<br />

diatec journal<br />

Weiter sind „clinical decision<br />

support systems“ im Kommen.<br />

Das sind Software-Pakete, die<br />

auf Big-Data-Analysen beruhen und<br />

in Zukunft Diagnose und Therapie<br />

erleichtern werden. Das geht nicht<br />

ohne Künstliche Intelligenz.<br />

Woran hapert es denn in der praktischen<br />

Umsetzung? ?<br />

Ickrath: Die Politik muss zum Thema<br />

Digitalisierung einen verlässlichen<br />

Rahmen liefern. Konkret<br />

betrifft dies Dinge wie die Datensicherheit,<br />

Haftungsfragen und auch<br />

»Wir wollen die Digitalisierung der<br />

Diabetologie publizistisch begleiten«<br />

die Schweigepflicht. Hier sind eindeutige<br />

Lösungen vom Gesetzgeber<br />

gefragt. Und dabei dient das diatec<br />

journal als Informationsmedium<br />

und Impulsgeber für die Diskussion.<br />

Prof. Heinemann: Das betrifft den<br />

größeren Rahmen, es gibt jedoch<br />

auch viele einzelne Schritte, die von<br />

der Deutschen Diabetes Gesellschaft<br />

unterstützt werden. Auch darüber<br />

wird im diatec journal viel zu lesen<br />

sein.<br />

Herr Ickrath, Sie sind zum Koordinator<br />

Digitalisierung der <strong>DDG</strong> berufen<br />

?<br />

worden. Was bedeutet das in diesem<br />

Zusammenhang?<br />

Ickrath: Es gibt<br />

sechs Handlungsfelder,<br />

mit denen sich<br />

die <strong>DDG</strong> jetzt strategisch beschäftigt:<br />

Interoperabilität, Behandlungsstandards<br />

in der Diabetologie,<br />

Aus- und Weiterbildung, Schulungsprogramme,<br />

Datenschutz und Sprechende<br />

Medizin. Diese gilt es nun zu<br />

koordinieren.<br />

Prof. Heinemann: Darüber hinaus<br />

und etwas konkreter betrifft das<br />

zum Beispiel die Bedienbarkeit der<br />

Geräte. Je leichter die Geräte zu bedienen<br />

sind, umso einfacher wird<br />

auch der Zugang für die Patienten<br />

werden. Erst wenn die Geräte so kinderleicht<br />

zu bedienen sind wie ein<br />

Smartphone, kann das Potenzial, das<br />

sie bieten, auch von Arzt und Patient<br />

genutzt werden.<br />

Wo liegen die Schnittstellen von<br />

? Diabetestechnologie und Digitalisierung?<br />

Ickrath: Die Diabetologie hat sich<br />

bisher zu wenig mit dem eHealth-<br />

Gesetz beschäftigt, das einen rechtlichen<br />

Rahmen schaffen will für die<br />

Digitalisierung der gesamten Medizin.<br />

Die Firma Gematik aus Berlin<br />

stellt dieses bisher größte digitale<br />

Projekt weltweit im Gesundheitsbereich<br />

auf die Beine. Es umfasst ca.<br />

70 Millionen Versicherte, 200 000<br />

Ärzte, 20 000 Apotheken und 2000<br />

Krankenhäuser. Teil dieses Ganzen<br />

ist die Diabetologie.<br />

Da tauchen dann Fragen zu den<br />

Schnittstellen auf, beispielsweise:<br />

Wie passt die datengetriebene Diabetologie<br />

in die Architektur der<br />

Praxisverwaltungssysteme (PVS)<br />

oder im Krankenhausbereich in die<br />

KISS-Systeme? Hier muss über einen<br />

gemeinsamen Standard nachgedacht<br />

werden.<br />

Wie fit ist eine durchschnittliche<br />

Diabetes-Schwerpunkt-<br />

?<br />

praxis für Diabetes 4.0?<br />

Prof. Heinemann: Die IT-<br />

Strukturen in einer durchschnittlichen<br />

Arztpraxis<br />

sind kompliziert. „Nur“ ein<br />

Update aufspielen kann andere<br />

Programme zum Absturz<br />

bringen. Da muss in<br />

den nächsten Jahren viel passieren<br />

– Stichwort „Interoperabilitätsstandards“.<br />

Ziel ist, dass<br />

die Praxen die Datenmengen,<br />

die die Patienten mitbringen,<br />

handhaben, auswerten und mit<br />

den Patienten besprechen können.<br />

Ickrath: Die gesamte Medizin ist –<br />

wenn überhaupt – erst bei 2.0 angekommen.<br />

Das ist schon relativ<br />

ernüchternd, wenn man das mit<br />

anderen Branchen vergleicht. Das<br />

ist jedoch nicht die Schuld der<br />

Dia betologen, die Rahmenbedingungen<br />

für Diabetes 4.0 sind<br />

noch nicht gegeben.<br />

Prof. Heinemann: Das hängt auch<br />

am „lieben Geld“. Wenn die Praxen<br />

keine adäquate Kostenerstattung<br />

für den Einsatz neuer Technologien<br />

erhalten, dann können sie diese auch<br />

nicht anwenden.<br />

Wie beurteilen Sie die Gefahr des<br />

? Missbrauchs von Gesundheitsdaten?<br />

Da gab es ja bereits Fälle<br />

von „Datenklau“, die für Aufsehen<br />

sorgten.<br />

Ickrath: Das ist eine juristische Herausforderung.<br />

Die gesetzlichen Kassen<br />

beziehen hier klar Stellung, ein<br />

Datenmissbrauch ihrerseits sei ausgeschlossen.<br />

Auch wird der Gesetzgeber<br />

streng dafür sorgen, dass über<br />

die elektronische Gesundheitskarte<br />

(eGK) keine Patientendaten an die<br />

Krankenversicherer oder Arbeitgeber<br />

weitergegeben werden dürfen.<br />

Wir wünschen uns zudem, dass das<br />

Strafmaß für Datenmissbrauch –<br />

wie in Österreich – stark angehoben<br />

wird. Damit ist klar, dass Datenmissbrauch<br />

eine kriminelle Handlung ist.<br />

Prof. Heinemann: Vorsicht ist richtig,<br />

Manuel<br />

Ickrath<br />

* Berater<br />

Foto: privat<br />

aber Datenschutz darf auch nicht als<br />

„Killerargument“ eingesetzt werden.<br />

Blockieren hilft nicht weiter, es geht<br />

darum, gemeinsam einen konstruktiven<br />

Weg zu einer sinnvollen Datennutzung<br />

zu finden. Patienten verstehen<br />

oft nicht, warum manche Dinge<br />

nicht funktionieren. Sie wollen nicht<br />

mehr warten ...<br />

Kürzlich wurde eine Insulinpumpe<br />

? gehackt – wie kann man da hohe<br />

Sicherheit garantieren?<br />

Ickrath: Beim ATTD (Advanced Technologies<br />

& Treatments for Diabetes)<br />

in Paris habe ich einen Vortrag gehört,<br />

den der Hacker gehalten hat,<br />

der kürzlich die Insulinpumpe „Animas“<br />

gehackt hat. Er ist selbst Typ-<br />

1-Diabetiker und Softwareanalytiker.<br />

Sein Fazit war: Es geht nicht darum,<br />

Angst zu erzeugen. Vielmehr ist es<br />

wichtig, die Sicherheitslücken zu<br />

schließen. Das hätte die Firma auch<br />

so gesehen und genutzt. Sie hat sich<br />

entschuldigt bei den Anwendern und<br />

sich bei dem Hacker bedankt, dass er<br />

die Sicherheitslücke aufgezeigt hat.<br />

Wir stehen am Anfang einer Entwicklung,<br />

Digitalisierung heißt auch<br />

fleißige Arbeit am Detail: Probleme<br />

erkennen und lösen.<br />

Prof. Heinemann: Die gehackte Insulinpumpe<br />

ist ein gutes Beispiel.<br />

Datenmissbrauch ist möglich. Aber<br />

es gab auch in analogen Zeiten nie<br />

eine 100%ige Sicherheit. Auch früher<br />

konnte man mit entsprechender<br />

krimineller Energie Patientendaten<br />

„klauen“, indem man in die Praxis<br />

eingebrochen ist und den Aktenschrank<br />

aufgebrochen hat.<br />

Wenn die Digitalisierung fortschreitet<br />

und zunehmend Künst-<br />

?<br />

liche Intelligenz (KI) oder Deep<br />

Learning Systeme wie Watson eingesetzt<br />

werden – kann man diesen<br />

Systemen überhaupt vertrauen?<br />

Stephen Hawking zum Beispiel ist<br />

ein prominenter Warner vor der KI.<br />

Prof. Heinemann: Wir müssen uns<br />

angesichts möglicher Gefahren fragen,<br />

ob wir direkt die zu 100 %

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