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FINE Das Weinmagazin - 04/2009

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: CHAMPAGNE RUINART

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: CHAMPAGNE RUINART

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E u r o p e a n F i n e w i n e m a g a z i n e<br />

D e u t s c h l a n d · Ö s t e r r e i c h · S c h w e i z · S k a n d i n a v i e n · G r o s s b r i t a n n i e n · U S A · A u s t r a l i e n<br />

4 / <strong>2009</strong> Deutschland € 15<br />

Österreich € 16,90<br />

I ta l i e n € 18,50<br />

Schweiz chf 30,00<br />

D a s W e i n m a g a z i n<br />

F ü n f u n d z w a n z i g r o t e F e s t t a g s w e i n e<br />

Fr a u e n i m We i n : E l i s a b e t t a G e p p e t t i<br />

Kaviar aus Bordeaux<br />

Tinto Pesquera<br />

Helmut Dönnhoff<br />

Gantenbein<br />

Kaiserstuhl<br />

Le Pin<br />

c h a m p a g n e R u i n a r t


38<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

62<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

120<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

Text: TILL EHRLICH<br />

Fotos: JOHANNES GRAU<br />

Text: Juha LihTonen<br />

Fotos: Pekka nuikki<br />

F I N E<br />

Text: Caro Maurer<br />

Fotos: ThoMas Jupa<br />

S c h w E I z<br />

63<br />

F I N E F r a u E N I m W E I N<br />

F I N E<br />

S p a N I E N<br />

39<br />

121<br />

Am Texas-Pass, von Kiechlinsbergen nach Oberbergen hinübergesehen<br />

48<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

112<br />

158<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

Interview: UWE KAUSS<br />

Fotos: JOHANNES GRAU<br />

Text: UWE KAUSS Fotos: JOHANNES GRAU<br />

- - - - - -<br />

Text: MARTIN WURZER-BERGER<br />

- - - - - -<br />

Fotos: JOHANNES GRAU<br />

F I N E<br />

49<br />

F I N E B A D E N<br />

I N T E R V I E W<br />

F I N E<br />

N A H E<br />

113<br />

159<br />

132<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

88<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

Verkostet und beschrieben von CARO MAURER<br />

Fotos: GUIDO BITTNER<br />

Festtagsweine.indd 88 17.11.09 23:49<br />

142<br />

Text: UWE KAUSS<br />

Genuss von Kaviar ist bereits im 15. Jahrhundert in Konstantinopel<br />

bekannt gewesen; auch die Herkunft seines<br />

Namens soll im Türkischen liegen. Fischrogen hatte an fast allen Meeresküsten<br />

Tradition auf dem Speiseplan, doch der vom kaspischen Meer galt<br />

schon damals als etwas ganz Besonderes. Bereits der berühmte Physiker<br />

Galileo Galilei (1564–1642) verzehrte ihn mit Wonne, und Papst Leo X.<br />

(1475–1521) ließ sich Kaviar mit Forellen filets vom Gardasee auf geröstetem<br />

Brot anrichten. <strong>Das</strong> spätere »schwarze Gold« war viele Jahrhunderte lang<br />

zunächst nur ein Teil der einfachen Nahrung armer Küstenbewohner des<br />

Kaspischen Meeres und der Fischer an der Wolga. Die unbefruchteten und<br />

gesalzenen Eier des mehrere Meter langen Störs waren im 18. Jahrhundert<br />

unmöglich zu transportieren. Ohne Kühlung verdarben sie binnen Stunden,<br />

daher aßen die Fischer den nahrhaften Rogen selbst. Doch die Fürsten der<br />

Region entdeckten sein zartes Aroma, und ausgerechnet die Schwierigkeit<br />

des Transports begründete seinen Ruf als seltene Delikatesse. Denn wer<br />

frischen Kaviar zum Diner servierte, demonstrierte Geschick, straffe Organisation<br />

und die Macht, eine Kutsche ohne Anhalten durchs Land brausen<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

Fotos: GUIDO BITTNER<br />

Text: ESSI AVELLAN / JUHA LIHTONEN / PEKKA NUIKKI<br />

Wohl kein anderer Wein ist so untrennbar<br />

mit seinem Markennamen verbunden wie der<br />

Champagner. Auf der ganzen Welt wird man<br />

wissen, was Sie wünschen, wenn Sie in einem<br />

Restaurant einen Veuve Clicquot bestellen.<br />

Sein Markenzeichen – die grüne Flasche mit<br />

dem charakteristischen gelben Etikett – steht<br />

dabei als Garant für höchste Qualität und<br />

edlen Stil.<br />

Eine besondere Faszination üben die jahrgangslosen<br />

Champagner aus, da diese meist<br />

nicht nur für einen großen Namen und einen<br />

einzigen Jahrgang stehen, sondern gleichzeitig<br />

die vielen Facetten der unterschiedlichen<br />

Grundweine widerspiegeln, aus denen<br />

sie komponiert wurden. Der tatsächliche<br />

Geschmack eines Champagners lässt sich am<br />

zu lassen. Auch die russischen Zaren begeisterten sich für den Geschmack<br />

des Kaviars, ließen ihn zu Pferd an ihre Höfe transportieren. Er war selten,<br />

schwer zu bekommen und damit teuer. So funktioniert Luxus.<br />

Uns erwartet ein kulinarisches Genussexperiment der Kategorie » ganz<br />

außergewöhnlich«, aber nicht im inflationär gebrauchten Sinne der Weinkartenlyrik.<br />

Wirklich außergewöhnlich. Wir wollen Kaviar verkosten. Und<br />

herausfinden, ob einer der berühmtesten Genussklassiker der vergangenen<br />

einhundertdreißig Jahre – Kaviar mit Champagner – nur ein Mythos<br />

oder Wirklichkeit ist. Der Gastgeber erklärt die Versuchsanordnung: »Wir<br />

haben fünf Sorten Kaviar und fünf große Champagner. Lasst uns gemeinsam<br />

herausfinden, welche Kombination die schönste ist, und erforschen,<br />

was warum nicht zusammengeht. Und jetzt setzt Euch.« Wir sortieren<br />

uns auf den hölzernen Bänken und blicken erwartungsvoll wie Kinder am<br />

Nikolausabend.<br />

Fotos: PEKKA NUIKKI<br />

F I N E<br />

besten im Rahmen von Blindverkostungen<br />

bewerten, denn hier wird das Urteils vermögen<br />

nicht durch bestimmte Assoziationen beeinflusst,<br />

die berühmte Marken eventuell wecken<br />

könnten. Wenngleich die Qualität von Champagnern<br />

ohne Jahrgang im Allgemeinen<br />

hauptsächlich an der geschmacklichen Konsistenz<br />

gemessen wird, die von Jahr zu Jahr<br />

garantiert werden kann, sind uns im Rahmen<br />

der Verkostung auch einige Exemplare begegnet,<br />

die in anderen Bereichen für echte Überraschungen<br />

sorgten oder herb enttäuschten.<br />

<strong>FINE</strong> hat sich der Auf gabe gestellt, momentan<br />

auf dem Markt erhältliche Champagner ohne<br />

Jahrgang im Rahmen einer Blindverkostung zu<br />

testen und die Ergebnisse auf den folgenden<br />

Seiten für Sie zusammenzufassen.<br />

D E g u s t a t I o N<br />

133<br />

18<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

Text: JAN-ERIK PAULSON Fotos: PEKKA NUIKKI<br />

F I N E B o r d E a u x<br />

19<br />

26<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

Text: UWE KAUSS<br />

Fotos: JOHANNES GRAU<br />

F I N E<br />

C H A M P A G N E<br />

27<br />

E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />

4/<strong>2009</strong><br />

I n h a l t<br />

D a s W e i n m a g a z i n<br />

Die flüssigen Edelsteine von Martha und Daniel Gantenbein<br />

Gärtner im Rebberg des Herrn<br />

Der Kaiserstuhl<br />

Ein Paradies für Winzer<br />

und Smaragdeidechsen<br />

25<br />

rote<br />

Festtagsweine<br />

Le Pin<br />

Triumph des Terroirs<br />

Wenn man den Erfolg eines Weins allein daran<br />

misst, welche Preise für ihn gezahlt werden,<br />

ist der Château Le Pin aus Pomerol wohl der<br />

erfolgreichste Wein der letzten dreissig Jahre.<br />

Die Familie Thienpont aus Etikhove<br />

in Belgien kann auf eine lange Weinhandels-Tradition<br />

zurückblicken.<br />

Gründen schon immer eine besonders<br />

enge Beziehung zu dem als Weingegend<br />

früher unbedeutenden Pomerol.<br />

Ein Dom aus Kreide für Dom Ruinart<br />

Frédéric Panaïotis und seine Passion für Blanc de Blancs<br />

D<br />

ie Kreide ist weich und feucht. Man kann mit<br />

den Fingernägeln ganz leicht hineinkratzen<br />

und in der von mittelalterlichen Werkzeugen aus dem<br />

Berg herausgeschlagenen Wand eine Spur hinterlassen.<br />

Breitet man die Arme aus, so dringt die Kühle der<br />

Kreide sanft in den ganzen Körper. Hier unten, in einem<br />

uralten Labyrinth aus langen Gängen, meter hohen<br />

Domen und tiefen Gewölben, reift grosser Champagner.<br />

Ganz, ganz langsam. Acht, manchmal zehn Jahre und<br />

noch länger liegen tausende Flaschen in den dunklen<br />

In manchen Steinen findet man Einschlüsse in der Masse, wenn nämlich granitische Magmen<br />

unter enormem Druck aus dem ursprünglich flüssigen Material beim Auskühlen kristallisiert<br />

sind. Solche Mineralien können auch Muttergestein für Edelsteine sein. So ist beispielsweise<br />

das beinahe smaragdgrüne Zoisit das Muttergestein für Rubine. Erst im Licht leuchten die<br />

Nuancen des Taubenbluts im Rubin auf. Ähnliches kann man auch über die bunten Quarze<br />

Wenn sich der Boden im Steinbruch blau färbt, bekommt Konrad Salwey richtig gute Laune. »Ich kann mich gar nicht daran<br />

satt sehen, so intensiv ist die Farbe. Wenn man’s nicht gesehen hat, glaubt man es nicht«, sagt der Winzer aus Oberrotweil<br />

am Kaiserstuhl. Obwohl ihm der Steinbruch gehört, staunt der Mittdreißiger immer wieder über das Naturschauspiel, das<br />

Tausende von Ödlandschrecken mit ihren tief blau gefärbten Flügeln im Sommer aufführen. In Europa ist die Art vom<br />

Aussterben bedroht. Am Kaiserstuhl fühlt sie sich dagegen so richtig wohl, und das hat eine Menge mit gutem Wein zu tun.<br />

So wurde die Firma im historischen<br />

Herren haus »Hof te Cattebeke« – noch<br />

heute Wohn- und Geschäftssitz der<br />

Familie – schon 1842 gegründet. Belgien<br />

hatte aus handelsgeschichtlichen<br />

1924 hatte Georges Thienpont »Vieux<br />

Château Certan« erworben. Im selben<br />

Jahr kaufte die Familie Loubie die<br />

benachbarte Parzelle Land, die heute<br />

den Kern von Le Pin bildet.<br />

Hier, in diesem bescheiden kleinen Weinbergshäuschen,<br />

entsteht, kaum glaublich, einer der kostbarsten Weine der Welt.<br />

Galerien, mehr als dreissig Meter tief im Bauch der<br />

Champagne, umgeben nur von Bögen und Wänden der<br />

fast weissen Kreide. Irgendwann kommen Gabel stapler,<br />

greifen die akkurat zu hohen Mauern aufgeschichteten<br />

Flaschen und bringen sie in grossen Aufzügen<br />

nach oben ans Tageslicht, ins Lager des Hauses Ruinart.<br />

der Alpen sagen, die für sich genommen schon fast Juwelen sind. Man muss sie nur fassen –<br />

und freilich wissen, wonach man die Besonderheit der Sache erkennt.<br />

Seite 38 Martha und Daniel Gantenbein Seite 48 Der Kaiserstuhl<br />

Seite 88 Fünfundzwanzig Seite 18 Château Le Pin<br />

Festtagsweine<br />

Seite 26 Dom Ruinart<br />

Frauen im Wein: Zweite Folge<br />

»Jede Cuvée<br />

ist wie ein<br />

neues Kind«<br />

Elisabetta Geppetti<br />

und ihr Saffredi<br />

Die erste liebevolle attacke kommt aus<br />

dem hinterhalt: Giftgrüne schaumstoffkugeln<br />

fliegen quer durchs Wohnzimmer,<br />

bis die elfjährige Domitilla ihre spielzeugpistole<br />

leergeschossen hat. Der nächste<br />

angriff erfolgt frontal von Tochter Didi,<br />

sieben Jahre alt, die nach dem ponyreiten<br />

durch die Tür stürmt und ihrer Mutter<br />

mit anlauf um den hals fällt. Gleichzeitig<br />

piepst das handy – sohn ettore, zwölf,<br />

schickt aus dem ersten stock eine sMs,<br />

dass er morgen eigentlich keinen Bock auf<br />

schule hat. ein ganz alltäglicher Familien-<br />

Kuddelmuddel. und mittendrin, gelassen<br />

auf einem sessel vor dem großen Kamin: La<br />

Mamma. hier und jetzt, am abend zu hause<br />

in der Maremma bei Castiglione della<br />

pescaia, ist elisabetta Geppetti ausschließlich<br />

Mutter – von insgesamt fünf Kindern.<br />

Clara, neunzehn, gesellt sich später noch<br />

dazu; nur die siebzehnjährige Ginevra fehlt,<br />

sie geht derzeit in der schweiz zur schule.<br />

Wein im Klima-Wandel (III)<br />

DER WANDEL IST EIN<br />

GROSSES<br />

GESCHENK<br />

Der deutsche Spitzenwinzer Werner Näkel vom Ahr-Weingut<br />

Meyer-Näkel über langweiligen Spätburgunder, tropische<br />

Nächte, brennende Autoreifen und burgundisches Klima oberhalb<br />

der Nordgrenze des europäischen Weinbaus.<br />

Von der Hand<br />

Kaviar und Champagner<br />

in den Mund<br />

Unten im Weinkeller. Ein langer Holztisch, zwei Bänke. In den Regalen an den Wänden liegen, schön indirekt<br />

beleuchtet, gut geordnet hunderte Flaschen. Davor stehen wir, zwölf Männer. Wir sind gut gekleidet,<br />

also besser: Herren. Wir plaudern, lachen, begrüßen die wie immer zu spät Eintreffenden. Champagner<br />

schäumt in die bereitstehenden Gläser. Als er schön und fein darin perlt, ergreift der Gastgeber ein Glas<br />

und sagt einfach: »Schön, dass Ihr da seid!« Trotz überfüllter Kalender sind die Geladenen alle, mehr oder<br />

weniger pünktlich, im Weinkeller erschienen. Kaufleute, ein Fabrikant, ein Winzer, Verlagsleute, Medienmacher,<br />

Werbemanager, ein Hotelier, Angestellte, Freiberufler. Alle geübte Genießer. Der Gastgeber will<br />

nicht viele Worte machen. Gute Entscheidung. Er sagt nur: »Heute gibt’s Kaviar.«<br />

er<br />

D<br />

Erforschen, was zusammengeht<br />

13 Fine Editorial Thomas Schröder<br />

14 Fine Degustation Die Fine-Kriterien<br />

18 Fine Bordeaux Château Le Pin<br />

26 Fine Champagne Dom Ruinart<br />

38 Fine Schweiz Gantenbein<br />

48 Fine Baden Der Kaiserstuhl<br />

62 Fine Frauen im Wein Elisabetta Geppetti<br />

Seite 62 Elisabetta Geppetti<br />

Seite 112 Werner Näkel<br />

Seite 132 Kaviar &<br />

Champagner<br />

74 Fine Weinprobe & Kunst Château Mouton Rothschild 1984 bis 1991<br />

82 Fine <strong>Das</strong> Große Dutzend Mondavi Cabernet Sauvignon Reserve<br />

88 Fine Degustation Fünfundzwanzig rote Festtagsweine<br />

Tinto PESQUERA<br />

Der »Pétrus Spaniens«<br />

Bei der Gründung seiner ersten Bodega im Jahr 1972 hätte sich Alejandro Fernández nicht<br />

im Entferntesten vorstellen können, für welches Aufsehen er einmal mit seinen Weinen<br />

sorgen würde. Doch als er sechzehn Jahre später seinen reinsortigen Tempranillo Tinto<br />

Pesquera präsentiert, löst er damit nicht nur auf dem spanischen Weinmarkt, sondern auf<br />

der ganzen Welt wahre Begeisterungsstürme aus. Bis heute gilt der Schöpfer dieses Ausnahmeweins,<br />

der bereits mit dem legendären Château Pétrus verglichen wurde, zu Recht<br />

als einer der bedeutendsten Pioniere und Vorbilder des modernen spanischen Weinbaus.<br />

W<br />

Heimat<br />

ein<br />

ist auch<br />

Helmut Dönnhoffs untrügliches Gespür für das Essentielle von Rebstock und Lage<br />

Oberhausen liegt an der Nahe – und hat doch steile Weinberge fast hundert Meter in die<br />

kein eigenes Grundwasser. Immer wieder hat Höhe. Rechts ist es eine ansehnliche Felswand,<br />

die den Fluss in eine enge Kurve zwingt.<br />

es Versuche gegeben, Brunnen zu graben. Alle<br />

sind gescheitert. Der kleine, unscheinbare Wäre nicht Anfang des vorigen Jahrhunderts<br />

Ort, umgeben von Wiesen und Feldern, steht einige Kilometer flussabwärts bei Niederhausen<br />

eine breite Staustufe zur Strom gewinnung<br />

auf Felsen. Sie verbergen sich unter einer nur<br />

dünnen Erdschicht.<br />

entstanden, rauschte die Nahe noch heute<br />

Unmittelbar hinter dem Ort verengt sich das hier eilig ihrem Zusammenfluss mit dem<br />

Tal der Nahe. Der Fluss hat sich seinen Weg Rhein bei Bingen entgegen. Jetzt aber ist sie<br />

durch das Gestein vorwiegend vulkanischen noch mehr als drei Kilometer flussaufwärts<br />

Ursprungs gebrochen. Links geht es über beruhigt. Fast scheint sie still zu ruhen.<br />

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D<br />

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n-Vintage-<br />

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mpagner<br />

98 Fine Wein & Speisen Die Dollase-Kolumne<br />

108 Fine Degustation Vertikale Ornellaia<br />

112 Fine Interview Werner Näkel über Wein im Klimawandel<br />

120 Fine Spanien Tinto Pesquera<br />

130 Fine Reiner Wein Anne Zielke<br />

132 Fine Degustation Kaviar & Champagner<br />

142 Fine Champagne Non-Vintage-Champagner<br />

158 Fine Nahe Helmut Dönnhoff<br />

Seite 120 Tinto Pesquera<br />

Seite 158 Helmut Dönnhoff<br />

Seite 142 Non-Vintage-<br />

Champagner<br />

170 Fine Abgang Ralf Frenzel<br />

10<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

I n h a l t<br />

11


Die flüssigen Edelsteine von Martha und Daniel Gantenbein<br />

Gärtner im Rebberg des Herrn<br />

Text: TILL EHRLICH<br />

Fotos: JOHANNES GRAU<br />

In manchen Steinen findet man Einschlüsse in der Masse, wenn nämlich granitische Magmen<br />

unter enormem Druck aus dem ursprünglich flüssigen Material beim Auskühlen kristallisiert<br />

sind. Solche Mineralien können auch Muttergestein für Edelsteine sein. So ist beispielsweise<br />

das beinahe smaragdgrüne Zoisit das Muttergestein für Rubine. Erst im Licht leuchten die<br />

Nuancen des Taubenbluts im Rubin auf. Ähnliches kann man auch über die bunten Quarze<br />

der Alpen sagen, die für sich genommen schon fast Juwelen sind. Man muss sie nur fassen –<br />

und freilich wissen, wonach man die Besonderheit der Sache erkennt.<br />

38<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

S c h w e i z<br />

39


Stilvoll und wandelbar im Walten der Natur:<br />

Die Trauben, vor dem ragenden Massiv des Rätikons in<br />

Wettern gereift, werden in den Gärfässern der ungewöhnlich<br />

gestalteten Domäne Gantenbein zu Wein.<br />

So ruhen die Weine von Martha und Daniel Gantenbein<br />

in Fässern aus kostbarer Tronçais-Eiche. Den guten Wein,<br />

der ohne Künstlichkeit und ohne jede Effekthascherei entsteht,<br />

bewahren sie in diesen Fässern und überlassen es dem Holz, wie<br />

viel Wein es in sich lässt und wie es mit seinen Säften zur Metamor<br />

phose des Weins beiträgt. Gelassenheit und Achtung waltet<br />

in den Menschen, die die Anarchie der Gezeiten auch als Zwiesprache<br />

mit Gott begreifen, in den Anhöhen der Bündner Herrschaft.<br />

Hier kam alles von oben. Im Geröll die zermahlenen<br />

Steine, mit ihrem zu Brei geriebenen organischen Material, mit<br />

der Erinnerung des hochgedrückten, versteinerten Meeresbodens.<br />

<strong>Das</strong> Schiefermassiv des Fläscherbergs und die Zweieinhalbtausender der<br />

westlichen Rätikonkette mit dem schneehellen Gipfel des Falknis sind im<br />

Churer Rheintal bei Fläsch allgegenwärtig und werfen ihre Schatten. Edelweiß,<br />

Enzian und Rebstock wachsen hier nicht weit voneinander entfernt.<br />

Alles gedeiht langsamer und ist enormen Temperaturschwankungen ausgesetzt.<br />

Dadurch hat auch der Wein seine Eigenart. Mehr als fünfhundert<br />

Meter über dem Meeresspiegel ist der Rebstock besonders temperaturempfindlich,<br />

wetterabhängig und nässeanfällig. Wer hier lebt und Wein<br />

anbaut, muss sich auf Naturvorgänge einlassen. Die Nähe zu den Elementen<br />

lebt im Wein. Kälte, Fön, Gewitter, Hagel, Schmelzwasser, Eis, Schnee. Man<br />

kann das an der Farbe der Weine von Martha und Daniel Gantenbein erkennen.<br />

Diese Röte des Pinot, dieser kaum sichtbare beryllgrüne Schimmer des<br />

Chardonnay – das will die Natur so. Alles kommt aus den Beeren und den<br />

Konstellationen ihres Wachstums.<br />

Die Rebkulturen im Kanton Graubünden haben römische Wurzeln.<br />

Teile gehörten später auch zum alten Königreich von Burgund. Seit eh und je<br />

sind die Rebpflanzungen klein und zerstreut, doch die Weinkultur ist in der<br />

kleinen Schweiz lebendig geblieben, und das Selbstvertrauen der Winzer ist<br />

stark. »Überhaupt ist nicht groß oder klein, was auf der Landkarte so scheint.<br />

Es kommt auf den Geist an.« <strong>Das</strong> notierte vor gut zweihundert Jahren der<br />

Schweizer Geschichtsschreiber und Staatsmann Johannes von Müller. Was<br />

für die Landkarte gilt, lässt sich auch von der Weinkarte sagen. Der Geist<br />

des Weinbaus ist in der Ostschweiz gegenwärtig, wobei das schweizerische<br />

40<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

S c h w e i z<br />

41


Wein im Klima-Wandel (III)<br />

Der Wandel ist ein<br />

groSSes<br />

Geschenk<br />

Der deutsche Spitzenwinzer Werner Näkel vom Ahr-Weingut<br />

Meyer-Näkel über langweiligen Spätburgunder, tropische<br />

Nächte, brennende Autoreifen und burgundisches Klima oberhalb<br />

der Nordgrenze des europäischen Weinbaus.<br />

Interview: Uwe Kauss<br />

Fotos: Johannes Grau<br />

112<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

I n t e r v i e w<br />

113


<strong>FINE</strong>: 1982 haben Sie im Weingut ihres Vaters angefangen.<br />

Welche Reife und Qualität der Trauben hat man damals erreicht<br />

im Vergleich zu heute?<br />

Meyer-Näkel: Die Dinge haben sich völlig verändert. Als ich anfing, waren<br />

unsere Weine sehr bescheiden. Wir liegen in einem Anbaugebiet, das<br />

geographisch und klimatisch an der Grenze des Weinbaus lag. Innerhalb<br />

von zehn, fünfzehn Jahren sind wir aber mit der Reife immer weiter<br />

nach vorne gerutscht. Anfangs haben wir das gar nicht bemerkt. Heute<br />

ernten wir im Schnitt vierzehn Tage bis drei Wochen früher als damals.<br />

In den achtziger Jahren hatten wir zudem zu wenig Vegetationszeit, weil<br />

die Winter sehr lange dauerten. Ich denke da zum Beispiel an das Katastrophenjahr<br />

1984, in dem die Mindestgrenze beim Qualitätswein von 60<br />

auf 50 Oechsle herabgesetzt wurde, weil nichts reif wurde. <strong>Das</strong> hat aber<br />

auch nichts genutzt. Ein Drittel der Trauben mussten wir hängen lassen,<br />

einfach, weil sie unreif geblieben waren. Aus diesen Zeiten stammt übrigens<br />

das alte Weingesetz, das heute so oft gescholten wird. Die darin<br />

festgelegten Mostgewichte für Kabinett, Spät- und Auslese waren damals<br />

durchaus anspruchsvoll, heute sind sie dagegen ein Witz.<br />

Wohin hat sich die Situation für Ihren Betrieb entwickelt?<br />

Die kleinsten Weine, die wir machen, haben – laut Weingesetz – Auslesequalität.<br />

100 Grad Oechsle sind für uns heute einfach kein Problem mehr.<br />

Vor fünfundzwanzig Jahren hätten die Kirchenglocken geläutet, hätten<br />

wir Trauben mit diesem Mostgewicht ernten können! In diesem Jahr zum<br />

Beispiel haben wir in unserem Betrieb einen Durchschnitt von 100 Grad<br />

Oechsle über alle Weine hinweg erreicht. Die niedrigsten Grade lagen bei<br />

92 bis 95, die besten bei 105 – aber nur, weil wir hier rechtzeitig geerntet<br />

haben, um nicht noch mehr Zucker in den Trauben zu haben. <strong>Das</strong> ergibt<br />

zuviel Alkohol. Der Oechslegrad spielt seit einigen Jahren kaum noch eine<br />

Rolle. Der ist in jedem Jahr hoch genug.<br />

Wie hat sich das Klima an der Ahr denn verändert?<br />

Die Klimaveränderung wird von den Winzern an der Ahr sehr positiv<br />

bewertet. Wir haben wenige Klimaprobleme. <strong>Das</strong> Wetter hat sich nicht<br />

verschlechtert, sogar eher verbessert. Es ist deutlich wärmer geworden.<br />

Die früher schlechten Lagen bringen daher heute deutlich bessere Ergebnisse.<br />

Im Gegensatz zu einigen Weingebieten im südlichen Deutschland<br />

verzeichnen wir recht geringe September-Niederschläge. Daher haben<br />

wir sehr wenige Fäulnisprobleme – damit haben wir vor zwanzig Jahren<br />

noch heftig gekämpft. Wenn die Vegetationsperiode sehr spät begann,<br />

zog sich die Reife bis Ende Oktober hin, und da gibt es einfach viel Regen.<br />

Heute ernten wir bereits Anfang Oktober. Die Zeit von Mitte September<br />

bis Mitte Oktober ist sehr stabil, von starken Niederschlägen bleiben wir<br />

relativ verschont. Unter Wassermangel leiden wir höchstens sporadisch.<br />

Wir liegen nur noch geographisch an der Nordgrenze des Weinbaus, aber<br />

nicht mehr klimatisch.<br />

Die Ahr liegt zwischen dem 50. und dem 51. Breitengrad. Viele<br />

Jahrzehnte war der 50. Breitengrad, der Polarkreis, die welt weite<br />

Nordgrenze für Weinanbau. Heute ist es hier sehr mediterran,<br />

Tendenz steigend. Wie wird das hier in der Region gesehen und<br />

diskutiert?<br />

Die Winzer an der Ahr mussten erst langsam lernen, dass es Grenzen<br />

gibt, wenn man Qualität erzeugen will. <strong>Das</strong>s nicht ein hoher Zucker gehalt<br />

in den Trauben zugleich bedeutet, besonders hochwertige Weine zu<br />

machen. <strong>Das</strong>s man sie ernten muss, obwohl wir bei gutem Wetter noch<br />

viel Zeit hätten, sie hängen zu lassen. <strong>Das</strong> haben sicher noch nicht alle<br />

Betriebe verstanden. Die Winzergenossenschaft in Mayschoss beispielsweise<br />

geht hier vorbildlich voran. Seit den siebziger Jahren werden die<br />

Trauben nach Qualität und Zuckergehalt bezahlt. Wie andere Genossenschaften<br />

legt sie einen Mittelwert als Jahresreferenz für den zu zahlenden<br />

Preis fest. Für jedes Grad Oechsle mehr gibt es einige Cent mehr pro Kilo.<br />

Vor einigen Jahren hat sie aber dieses System grundlegend reformiert und<br />

zum Beispiel den »Zwölf-Trauben-Wein« geschaffen, weil dafür nicht mehr<br />

als zwölf Trauben am Stock hängen durften. Für diese trauben gibt es<br />

mehr Geld. So hat sie ihre Mitglieder motiviert, die Menge zu reduzieren.<br />

Nun wurde im Preissystem eine Obergrenze für den Oechslegrad festgelegt.<br />

Der Höchstpreis wird bei 105 Grad bezahlt, für noch mehr Zucker<br />

gibt es nichts extra. Wer also eine Woche zu lange wartet und 108 Grad<br />

Oechsle erreicht, der verliert etwa zehn Prozent der Menge, bekommt<br />

aber denselben Preis wie für 105 Grad. Er hat also nichts davon. Daher<br />

wird der Weinbauer darauf sehen, punktgenau bei 105 Grad zu ernten. So<br />

entsteht auch in der Breite der Betriebe eine automatische Anpassung<br />

an die klimatische Veränderung.<br />

Ist das Wissen der Väter und Großväter damit wertlos geworden?<br />

In den achtziger Jahren hatten die Winzer im Burgund genau das Klima,<br />

das wir heute an der Ahr fast jedes Jahr erleben. <strong>Das</strong> Burgund liegt aber<br />

zwischen dem 47. und dem 48. Breitengrad. Es war ein völlig neues lernen<br />

in den vergangenen fünfzehn bis zwanzig Jahren. Nun kommt es zum<br />

Beispiel entscheidend auf die physiologische Reife an. Im Idealfall sollte<br />

man hundertzwanzig Tage nach der Blüte ernten. <strong>Das</strong> haben wir früher<br />

einfach nicht erreichen können. Die Stöcke haben durch die kalten Frühjahrsperioden<br />

erst im Juli geblüht, und oft blieben nur drei oder dreieinhalb<br />

Monate bis zur Ernte Ende Oktober.<br />

Der Spätburgunder, aber auch der Riesling braucht kühles Klima.<br />

Suchen Sie nun Weinberge mit mehr Schatten?<br />

Wir haben schon jetzt immer wieder Jahre, in denen vor allem die nicht<br />

ganz südlich ausgerichteten Weinberge ganz hervorragende Qualität<br />

erbringen. Es wird kommen, dass man beim Neuerwerb von Weinbergen<br />

die Lagen anders bewertet. Wind und Schatten spielen dann auch eine<br />

Rolle, nicht nur die reine Südneigung.<br />

Im September 2008 haben Sie bei den Decanter World Wine<br />

Awards die »Top International Trophy for Pinot Noir« gewonnen.<br />

<strong>Das</strong> ist noch vor zehn Jahren völlig undenkbar gewesen.<br />

Lag es am erweiterten Wissen, wie man großen Rotwein erzeugt,<br />

oder an besser ausgereiften Trauben?<br />

Der Klimawandel ist für uns ein Geschenk, das wir im Anbau und im Keller<br />

aber erst schätzen lernen mussten. Es ist eben nicht allein der Klimawandel,<br />

der uns hervorragenden Wein beschert. Wenn wir im Weinberg so<br />

arbeiten würden wie vor fünfundzwanzig Jahren, würde mir auch der beste<br />

Herbst nichts bringen. Die Grundlage ist die Traube. Um sie perfekt reif<br />

ernten zu können, brauche ich allerdings das richtige Klima. So wie jetzt.<br />

Auch die »tropischen Nächte« im Spätsommer und Herbst<br />

nehmen laut Klimastatistik deutlich zu. Doch der Spätburgunder<br />

braucht kalte Nächte.<br />

Wir haben hier beispielsweise mittlerweile wesentlich mehr tropische<br />

Nächte als in Südafrika. Wenn es nachts aber 25 Grad warm ist, besteht<br />

die Gefahr, dass die Trauben später im Keller zu schnell zu gären beginnen<br />

und daher heruntergekühlt werden müssen, um eine Mazerationszeit von<br />

zwei bis drei Tagen zu erreichen. Mehr tropische Nächte wären mit Sicherheit<br />

für den Spätburgunder nicht gut. Ich würde gern drauf verzichten.<br />

Werner Näkel in seinen Weinbergen an der Ahr:<br />

Einer der agilsten, beweglichsten und erfolgreichsten<br />

Winzer Deutschlands – wohl Urgestein,<br />

aber ein rolling stone seiner Zunft.<br />

114<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

I n t e r v i e w<br />

115


W<br />

Heimat<br />

ein<br />

ist auch<br />

Helmut Dönnhoffs untrügliches Gespür für das Essentielle von Rebstock und Lage<br />

Text: MARTIN WURZER-BERGER<br />

Oberhausen liegt an der Nahe – und hat doch<br />

kein eigenes Grundwasser. Immer wieder hat<br />

es Versuche gegeben, Brunnen zu graben. Alle<br />

sind gescheitert. Der kleine, unscheinbare<br />

Ort, umgeben von Wiesen und Feldern, steht<br />

auf Felsen. Sie verbergen sich unter einer nur<br />

dünnen Erdschicht.<br />

Unmittelbar hinter dem Ort verengt sich das<br />

Tal der Nahe. Der Fluss hat sich seinen Weg<br />

durch das Gestein vorwiegend vulkanischen<br />

Ursprungs gebrochen. Links geht es über<br />

Fotos: JOHANNES GRAU<br />

steile Weinberge fast hundert Meter in die<br />

Höhe. Rechts ist es eine ansehnliche Felswand,<br />

die den Fluss in eine enge Kurve zwingt.<br />

Wäre nicht Anfang des vorigen Jahrhunderts<br />

einige Kilometer flussabwärts bei Niederhausen<br />

eine breite Staustufe zur Strom gewinnung<br />

entstanden, rauschte die Nahe noch heute<br />

hier eilig ihrem Zusammenfluss mit dem<br />

Rhein bei Bingen entgegen. Jetzt aber ist sie<br />

noch mehr als drei Kilometer flussaufwärts<br />

beruhigt. Fast scheint sie still zu ruhen.<br />

158<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

N a h e<br />

159


»Der Trinkgenuss der Nahe-Weine liegt in ihrer<br />

lichten Art – vibrierend, tänzelnd, spielerisch.«<br />

Es ist der letzte Tag der diesjährigen Weinlese im Weingut Dönnhoff.<br />

Gestern Abend haben Mannschaft und Familie in der Packhalle einen<br />

ausgelassenen und zufriedenen Abschluss gefeiert. Die Halle mit ihrem<br />

differenzierten Leimbinder-Tragwerk ist der jüngste Teil des kompakten<br />

Gebäudeensembles gegenüber dem Wohnhaus. Nur noch sechs Bütten werden<br />

heute eingebracht – von Hand gelesen wie die ganze Ernte. Aufbruchstimmung<br />

allenthalben. Ein entspanntes Sprachengewirr ist zu vernehmen,<br />

polnisch, portugiesisch, dazwischen die weichen rheinhessisch-nordpfälzischen<br />

Laute.<br />

Der schmale Anbau am Kelterhaus ist licht und freundlich. Im Probierraum<br />

liegt zwischen zwei Rüttelpulten ein einfaches Tannenholzbrett. Darauf<br />

ein Arrangement: Agraffen, ein Glaskühler mit Korken, Steine, ein Korkenzieher,<br />

den Kork noch in der Spindel, die Reste einer Kapsel. Ein kleiner<br />

Schmuckkarton mit japanischen Schriftzeichen, womöglich ein Mitbringsel<br />

von Gästen am gestrigen Dienstag. Fünf leere Flaschen stehen wie die<br />

Orgelpfeifen, alle aus dem Jahr 1949. Der Jahrgang brachte legendäre Weine<br />

hervor, unerklärlich unberührt von allem, wie zur Begrüßung einer neuen<br />

Zeit. Anheuser, Reichsrat von Buhl, Lafite Rothschild, Grand-Mayne und<br />

eine Händlerabfüllung aus Nuits-Saint-Georges stehen einträchtig beieinander.<br />

Hier trifft man sich auf Augenhöhe: Dönnhoff-Weine sind in der<br />

Weinwelt gesetzt. Mit einer im Rückblick überzeugenden Zwangsläufigkeit.<br />

Mit der Niederhäuser Hermannshöhle ist Helmut Dönnhoffs Ruhm untrennbar verbunden.<br />

Helmut Dönnhoff betritt den lichten Probierraum, schmal, sportlich, mit<br />

einer feinen Brille und hoher Stirn, umkränzt von hellgrauen Haaren. Vor<br />

wenigen Wochen hat er seinen Geburtstag gefeiert; 1949 ist sein Geburtsjahrgang.<br />

Er fühle sich jung, sagt er in einem seiner ersten Sätze. <strong>Das</strong> bestätigt<br />

und relativiert sich in den nächsten Stunden. Zeit ist immer gedehnt<br />

und forciert zugleich.<br />

Sein Gesicht ist entspannt. <strong>Das</strong> fällt auf, weil dieses Gesicht auch Sorgenfalten<br />

kennt. Jetzt wirkt es bemerkenswert gelassen und wohlgemut.<br />

Dönnhoff bekennt, dass dieser Ausdruck nur eine Momentaufnahme ist.<br />

Der Anspannung vor und während der Lese wird wie immer ein emotionales<br />

Loch folgen. Die momentane Gelassenheit – nächtens Regengeprassel<br />

zu hören in dem Bewusstsein: nichts mehr kann meine Trauben gefährden<br />

– wird nicht lange währen. Denn jetzt ruft die Arbeit im Keller. Und das<br />

heißt, in der Aufmerksamkeit keinesfalls nachzulassen. Und dann gibt es ja<br />

auch noch ein paar Trauben für den Eiswein. Aber das sei ein schönes Darüberhinaus.<br />

<strong>Das</strong> Notwendige sei eingebracht. Ein hübsche Untertreibung.<br />

Der Beobachtung, dass allenthalben gebetsmühlenartig die Bedeutung<br />

der Traubenqualität für den Wein wiederholt werde und im Keller ein<br />

Nichts-Tun das Beste sei, hält Dönnhoff anschaulich seine gesättigte Erfahrung<br />

entgegen. Zwar könne die Bedeutung einer perfekten Traubenqualität<br />

für den späteren Wein nicht hoch genug angesetzt werden. Aber keineswegs<br />

dürfe das zum Unterschätzen des Handelns im Keller führen. Denn das<br />

Wenige, was zu tun sei, habe mit höchster Präzision zu geschehen. Vor allem<br />

gelte es zu lernen, für jeden Schritt in der Weinbereitung den genau richtigen,<br />

den einzigen Zeitpunkt zu finden. Für jeden einzelnen Wein aus jeder<br />

Lage. <strong>Das</strong> differenzierte Spiel zwischen dosiertem Holzfassausbau und feinem<br />

reduktiven Ausbau im Edelstahl ist Dönnhoffs Metier. Er beherrscht<br />

die ganze Klaviatur wir kaum ein Zweiter.<br />

Eine steile Treppe führt in den Dönnhoffschen Keller hinab, der über viele<br />

Jahre planvoll erweitert wurde. Es blubbert in allen Tonlagen aus unzähligen<br />

Gärverschlüssen. Mehr als siebzig Gebinde sind nötig, um den neuen<br />

Wein, fein säuberlich getrennt nach Lesedurchgängen und Parzellen, zu<br />

vergären. Zum weiteren Ausbau wird das eine oder andere zusammengelegt<br />

werden. Lange Gänge sind flankiert von mächtigen traditionellen Stückfässern<br />

aus Eiche mit ihren zwölfhundert Litern Fassungsvermögen, mit<br />

Halbstückfässern und blitzenden Edelstahltanks. Auch wenn der Ablauf<br />

nach einem bewährten Grundschema erfolgt, ist doch eines ganz klar: Bei<br />

aller Freiheit und auch Unkontrollierbarkeit der Vorgänge, die aus dem Most<br />

einen Wein werden lassen, hat Helmut Dönnhoff umfassende Vorstellungen<br />

für jeden seiner Weine und kennt das Ziel, den idealen Endzustand. Er<br />

weiß, wie der Wein aus der Brücke, aus dem Dellchen, aus der Hermannshöhle<br />

zu sein hat. Der Wein ist in seinem Kopf schon da.<br />

<strong>Das</strong> provoziert Nachfragen. Ist die Entstehung eines Weines aus dem<br />

Most nicht etwas, was dem Zugriff des Winzers letztlich entzogen ist?<br />

Zumindest, wenn er auf den Einsatz der vielen technischen Manipulationshilfen<br />

verzichtet? Helmut Dönnhoffs Arbeit bezeugt das Gegenteil. Er weiß<br />

genau, wie ein Wein aus einem bestimmten Weinberg zu schmecken hat. Diesem<br />

Wissen immer wieder neu gerecht zu werden, ist seine Aufgabe. <strong>Das</strong> geht<br />

nicht von allein, da hilft keine Brechstange, nur höchste Aufmerksamkeit und<br />

das präzise Handeln im richtigen Moment. Seine<br />

Arbeit ist der eines Bildhauers vergleichbar, der<br />

im noch unbearbeiteten Marmorblock schon die<br />

fertige Skulptur erkennt. Dönnhoff hat eine Idee<br />

von seinem Traumwein. Ebenso unbestechlich<br />

und sicher wird er das Ergebnis beurteilen. Und<br />

er wird hadern, wenn er aus eigenem Unvermögen<br />

sein Ziel verfehlt.<br />

<strong>Das</strong> Trinken seiner Weine müsse Genuss und<br />

Vergnügen auslösen, wird er nicht müde zu betonen.<br />

Er sei stolz darauf, dass sein Stil sich nicht verändert<br />

hat. Moden kämen und gingen, und auch<br />

die Akzente hätten sich verschoben. Der Stil aber<br />

sei von Anfang an definiert und derselbe geblieben.<br />

Die Lagen müssten zu ihrem Recht gebracht<br />

werden: Der Felsenberg bringe karge und rauchigwarme<br />

Weine hervor, die Hermannshöhle aristokratische<br />

Rieslinge zurückhaltender Art, mit Stärke<br />

und aufrechtem Gang. Die Norheimer Weine<br />

seien weiblicher und wie mit einem hohen Kragen<br />

verschlossen. Der Leistenberg schließlich sei<br />

der bäuerlichste, aber ein selbstbewusster Wein.<br />

Alle neun Lagenweine des VDP-Guts stammen<br />

aus Ersten Lagen. Der Trinkgenuss der Nahe-Weine<br />

liege in ihrer lichten Art, die wie der Frühling<br />

Optimismus ausstrahle, vibrierend, tänzelnd, spielerisch,<br />

klingend, Spannung erzeugend. Ihre Säure<br />

müsse ziehen, und das Ausklingen gehaltvoll sein.<br />

Dönnhoffs Motor ist seine unbändige Imaginationskraft.<br />

<strong>Das</strong> bezieht sich nicht nur auf seine<br />

Weine. Entwicklungslinien lassen sich bis in seine<br />

Jugendzeit zurückverfolgen. Sie haben ihren<br />

Ursprung in sonntäglichen Frühschoppen zu Hause<br />

oder bei befreundeten Verwaltern, Kellermeistern<br />

und Winzern. Der kleine Helmut saß dabei<br />

und lauschte aufmerksam den Gesprächen – aber<br />

vor allem im Erkunden der engeren Heimat. Seine<br />

Erinnerungen an gemeinsame Spiele mit seinen<br />

Freunden beim kleinen Turm im Felsenberg sind<br />

lebendig. Eigentlich ist es nur ein Weinberghäuschen,<br />

aber eines der schönsten in Deutschland.<br />

Damals gehörte es noch zum Weingut Reichsgraf<br />

160<br />

F I N E 4 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

N a h e<br />

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