6 o.T. Ausstellungen | Kritik Ausstellungen | Kritik o.T. 7 HAMBURG Psycho Revival WHITE TRASH CONTEMPORARY PRÄSENTIERT OLIVER ROSS Knallbunt, meist ungewöhnlich groß und material- intensiv sind die Bilder und Paravants des 1967 in München geborenen Oliver Ross. Der in <strong>Hamburg</strong> lebende <strong>Künstler</strong> baut an einem vielschichtigen, anders als bei Studienkollege Jonathan Meese aber grellfarbigem Universum, in dessen Ornamente, Überlagerungen und Durchbrüche auch Wörter und Statements, mitunter auch triviale Zitate wie Mülleimer und Klorollen, Reinigungs- und Lebensmittel eingearbeitet sind. Oliver Ross | Zuhandenheit, c-print, 2005 Die selbst in kleinem Format raumgreifenden, explosiven Hirnschaltkreis-Schautafeln und Materialassemblagen sehen ein bisschen so aus, als ob sie eine psychedelische Seelenverwandschaft mit den spätsechziger Hippiezeiten des Summer of Love verbände. | HAJO SCHIFF Oliver Ross: „emergentia multiplex“, Eröffnung mit der glam punk band Saboteur: 13. Mai, 19 Uhr. Willy-Brandt-Str. 56, T. 36099935, www.whitetrashcontemporary.com, bis 30. Juni LÜBECK Bildbühnen <strong>für</strong> ästhetische Ereignisse LOIS RENNER IN DER OVERBECK-GESELLSCHAFT Die ganze Welt in einer Nussschale: Lange Zeit war <strong>für</strong> Lois Renner sein erstes Atelier Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt einer vielschichtigen Auslotung der Grenzen und Potenziale von Malerei Lois Renner | „Atelierwand 750“, 2003, C-print/diasec, 190 x 150 cm heute. Modelle seines Salzburger Studios dienten Renner, dessen mehrstufige Arbeitsprozesse paradoxerweise stets in fotografischen Bildern münden, als Schauplätze komplexer räumlicher Inszenierungen. In ihnen überlagern sich mehrere Ebenen der Wirklichkeitsrepräsentation – bis zur unentwirrbaren gegenseitigen Verschränkung. Die Nichtfestlegbarkeit auf ein einziges Medium teilt Renner mit seinem Lehrer an der <strong>Kunst</strong>akademie Düsseldorf, Gerhard Richter. Während jedoch Richter immer wieder die Möglichkeiten erforscht hat, „Malerei als Mittel <strong>für</strong> das Foto“ zu erschließen, so scheint es sich bei Renner genau umgekehrt zu verhalten: Er setzt Fotografie als Mittel <strong>für</strong> die Malerei ein. Die Overbeck-Gesellschaft Lübeck zeigt jetzt eine Ausstellung mit aktuellen Arbeiten des mehrfach ausgezeichneten <strong>Künstler</strong>s. In ihnen werden die Betrachter mit zusehends widersprüchlichen Kompositionen konfrontiert, wo nichts ist wie es zu sein scheint. Von der „Modellwelt“ des nachgebauten Ateliers hat sich Renner nun zum realen Setting seines Wiener Studios bewegt. Die Orte verfließen miteinander in einer dritten Dimension, in der gemalte und fotografische Elemente zusätzlich digital bearbeitet werden, bevor das collagierte Gesamtszenario als fotografische Großansicht seine abschließende Gestalt erhält. Zwischen introspektivem Kammerspiel und kompositorischem Raffinement verwandelt er somit Bühnenbilder in Bildbühnen <strong>für</strong> überraschende ästhetische Ereignisse. | BELINDA GRACE GARDNER 7.5.-18.6., Overbeck-Gesellschaft, Königstraße 11, 23552 Lübeck, T. 0451-747 60, www.overbeck-gesellschaft.de Ausstellungen | Kritik HAMBURG Mehr Licht! www.galerien-in-hamburg.de REMBRANDT- LEHRER PIETER LASTMAN IN DER KUNSTHALLE Rembrandts Schatten sind lang. Darin stehen nicht nur die Zeitgenossen, seine Schüler und Weggefährten, deren eigene Werke von denen Rembrandts kaum zu unterscheiden sind. Er fällt sogar in die Vergangenheit, auf seinen Lehrer Pieter Lastman, bei dem er die letzten sechs Monate seiner Lehrzeit absolvierte. Eine verkehrte Welt, galt Lastman doch seinerzeit als einer der berühmtesten holländischen Historienmaler. Doch seit das Genie Rembrandts alles überstrahlt, wurde Lastman nur mehr als Lehrer Rembrandts wahrgenommen. “Im Rembrandts Schatten?” fragt deshalb die <strong>Kunst</strong>halle in der ersten Lastman-Ausstellung seit 1991 und holt den Maler ins Rampenlicht. Pieter Lastman | Die Verstoßung der Hagar, 1612, Öl auf Eichenholz Sehr anschaulich stellt die von Martina Sitt kuratierte Schau 25 Werke Lastmans – überwiegend Leihgaben – Rembrandts Radierungen aus den eigenen Beständen gegenüber und zeigt, wie dieser sich zeitlebens an den Bildfindungen seines Lehrers abgearbeitet hat. Dabei steht keiner der beiden dem anderen nach. Lastmans Bibelinterpretationen, seine Vorliebe <strong>für</strong> selten dargestellte, apokryphe und alttestamentliche Themen und seine dramatische Erzählweise, sind grundlegend <strong>für</strong> Rembrandts Schaffen. In verknappten, schlaglichtartig ausgeleuchteten Räumen präsentiert Lastman die biblischen FOTOS: 1. OLIVER ROSS/WHITE TRASH CONTEMPORARY, 2. LOIS RENNER/GALERIE KUCKEI+KUCKEI, 3. © HAMBURGER KUNSTHALLE, FOTO ELKE WALFORD, FOTOS: 1. PAUL WINSTANLEY/GALERIE VERA MUNRO 2. ERIK BULATOV Historien und spitzt mit kräftigen Farben, gewaltigen Stoffmassen und expressiver Gestik das Geschehen auf den eigentlichen dramatischen Höhepunkt zu. Rembrandt verdichtet später Lastmans Schilderungen kompositorisch und wendet die gestenreiche Dramatik nach Innen ins Psychologische – eine Erzählweise, <strong>für</strong> die er berühmt geworden ist. Lastman ist jedoch sein Wegbereiter, nicht sein Schattengefolge oder gar Gegenspieler. So holt diese Ausstellung zwar endlich den Lehrer aus dem Schatten seines berühmten Schülers, doch betrachtet sie Lastman im Lichte Rembrandts, dessen 400. Geburtstag in diesem Jahr mit zahlreichen Ausstellungen gefeiert wird. Die vielfältigen anderen Bezüge, etwa zur italienischen Renaissance, werden nur angedeutet. Nach dieser erhellenden Ausstellung wünscht man sich: noch mehr Licht auf Lastman! | VERONIKA SCHÖNE Bis 30. Juli., Glockengießerwall, 20095 <strong>Hamburg</strong>, T. 428 131-200, www.hamburger-kunsthalle.de HAMBURG Die Langsamkeit der Malerei PAUL WINSTANLEY IN DER GALERIE VERA MUNRO Einmal mehr erweist sich der britische Maler Paul Winstanley als Meister der subtilen malerischen Illusion. Wohl kaum jemand beherrscht wie er einen derart kühl verführerischen Realismus, bei dem sich Wirklichkeit in Nahsicht zu nebelhaften Spiegelungen aufzulösen scheint. Vor zwei Jahren stellte Winstanley erstmals bei Vera Munro aus, zeigte stille Bilder der klassischen Genres Landschaft und Interieur. Die Themen sind geblieben, doch hat er seinen Ansatz seither nochmal deutlich zugespitzt. In der gesteigerten Reduktion der neuen Gemälde und in genau justierter Langsamkeit wird erkennbar, dass im Zugriff aufs Gegenständliche noch ein anderes Thema verborgen liegt. Leerer denn je wirken die Räume, unbehauster erscheint die Natur in dieser Malerei. Umso klarer aber fällt darin der Blick aufs Wesentliche, auf den Grund von Sichtbarkeit – aufs Licht. Winstanley malt nicht unmittelbar die Dinge, viel eher fängt er ihren Abglanz ein und offenbart damit das eigentlich Nichtdarstellbare. Paul Winstanley | Birch 1, 2005, Oil on linen, 220 x 165 cm <strong>Das</strong> leistet nur Malerei, und wahrhaftig nicht jede. Winstanley konstruiert das bemerkenswerte fade Zwielicht nicht übers Clairobscure - so in den Innenräumen der “Utopia”-Bilder -, sondern lässt es direkt aus blasser Farbigkeit entspringen. Es erfüllt die Räume wie ein Schleier, umgibt die Dinge wie eine zweite Schicht, die sie sehr weit entrückt erscheinen lässt. Noch intensiver gilt das im Bezug auf Natur: <strong>Das</strong> faszinierend lapidare “Birch 1” zeigt eine fahle Heidelandschaft mit Birken und Kiefern. Auch hier herrscht merkwürdig gedämpftes Licht, und das schüttere Flirren des zartgrünen Geästs erscheint darin wie ins Zeitlose versetzt. | JENS ASTHOFF Bis 26. Mai., Heilwigstraße 64, 20249 <strong>Hamburg</strong>, T. 47 47 46, www.veramunro.de, www.paulwinstanley.com HANNOVER Freiheit ist Freiheit ERIK BULATOV IN DER KESTNERGESELLSCHAFT „Freiheit ist Freiheit“ heißt Erik Bulatovs erste große Einzelausstellung in Deutschland seit 1988. Im Zentrum der eindrucksvollen Schau steht der zwölfteilige, zwischen 1999 und 2005 entstandene Bilderzyklus „Bot“ (Deutsch: „Da“). „Bot“ zeigt sich überraschend vielgestaltig: Konstruktivistische Schriftbilder hängen neben realistisch stimmungsvollen Landschafts- oder Stadtan- sichten. Und immer wieder blickt man schlicht ins Offene eines azurblauen Wolkenhimmels – man könnte wohl auch sagen: ins Freie. Meist verknüpft Bulatov Schrift- und Landschaftsdarstellung, lässt Worte perspektivisch ins Bild hineinlaufen oder betont umgekehrt die zweidimensionale Oberfläche. Gedichtzeilen von Blok und Nekrassow werden darin zu einem Stück konkreter Poesie. In multipler Stilverknüpfung führt Bulatov damit zwei große Traditionen russischer <strong>Kunst</strong> zusammen, die Avantgarde der Abstrakten aus den 1920-er Jahren – Malewitsch, Lissitzky, Tatlin – und die realistische Tradition des 19. Jahrhunderts – also Maler wie Repin, Surikow oder Lewitan – und kreuzt das mit literarischen Bildern. In der Verbindung dieser Elemente kann Bulatov den freien Blick durch Worte mal öffnen, mal verstellen, in jedem Falle kommentieren. „Freiheit ist Freiheit II“ (2000/01) führt das vor: Es ist bündig ausgefüllt durch ein siebenfaches „Freiheit ist“. Die propagandahafte Formel verspricht im wahrsten Wortsinn vordergründig Freiheit, während sie den Bildraum sperrt. Erik Butlatov | Freiheit ist Freiheit, 2000/2001, Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm Generell identifiziert Bulatov Oberfläche mit gesellschaftlichem Raum, dem er die tiefere, perspektivisch entrückte Bildebene als Ort der Imagination entgegenstellt. <strong>Das</strong> versteht er wörtlich: „Ich bin überzeugt, dass es im sozialen Raum keine Freiheit geben kann. Freiheit ist immer ein Durchbruch, das Verlassen des sozialen Raums.“ In seiner <strong>Kunst</strong> gerät das aber nie illustrativ, sondern wird zur poetischen Chiffre individueller Freiheit. | JENS ASTHOFF Bis 28.Mai. Kestnergesellschaft, Goseriede 11, 30159 Hannover, T. 0511-70 12 00, www.kestner.org