»Der Trinkgenuss der Nahe-Weine liegt in ihrer lichten Art – vibrierend, tänzelnd, spielerisch.« Es ist der letzte Tag der diesjährigen Weinlese im Weingut Dönnhoff. Gestern Abend haben Mannschaft und Familie in der Packhalle einen ausgelassenen und zufriedenen Abschluss gefeiert. Die Halle mit ihrem differenzierten Leimbinder-Tragwerk ist der jüngste Teil des kompakten Gebäudeensembles gegenüber dem Wohnhaus. Nur noch sechs Bütten werden heute eingebracht – von Hand gelesen wie die ganze Ernte. Aufbruchstimmung allenthalben. Ein entspanntes Sprachengewirr ist zu vernehmen, polnisch, portugiesisch, dazwischen die weichen rheinhessisch-nordpfälzischen Laute. Der schmale Anbau am Kelterhaus ist licht und freundlich. Im Probierraum liegt zwischen zwei Rüttelpulten ein einfaches Tannenholzbrett. Darauf ein Arrangement: Agraffen, ein Glaskühler mit Korken, Steine, ein Korkenzieher, den Kork noch in der Spindel, die Reste einer Kapsel. Ein kleiner Schmuckkarton mit japanischen Schriftzeichen, womöglich ein Mitbringsel von Gästen am gestrigen Dienstag. Fünf leere Flaschen stehen wie die Orgelpfeifen, alle aus dem Jahr 1949. Der Jahrgang brachte legendäre Weine hervor, unerklärlich unberührt von allem, wie zur Begrüßung einer neuen Zeit. Anheuser, Reichsrat von Buhl, Lafite Rothschild, Grand-Mayne und eine Händlerabfüllung aus Nuits-Saint-Georges stehen einträchtig beieinander. Hier trifft man sich auf Augenhöhe: Dönnhoff-Weine sind in der Weinwelt gesetzt. Mit einer im Rückblick überzeugenden Zwangsläufigkeit. Mit der Niederhäuser Hermannshöhle ist Helmut Dönnhoffs Ruhm untrennbar verbunden. Helmut Dönnhoff betritt den lichten Probierraum, schmal, sportlich, mit einer feinen Brille und hoher Stirn, umkränzt von hellgrauen Haaren. Vor wenigen Wochen hat er seinen Geburtstag gefeiert; 1949 ist sein Geburtsjahrgang. Er fühle sich jung, sagt er in einem seiner ersten Sätze. <strong>Das</strong> bestätigt und relativiert sich in den nächsten Stunden. Zeit ist immer gedehnt und forciert zugleich. Sein Gesicht ist entspannt. <strong>Das</strong> fällt auf, weil dieses Gesicht auch Sorgenfalten kennt. Jetzt wirkt es bemerkenswert gelassen und wohlgemut. Dönnhoff bekennt, dass dieser Ausdruck nur eine Momentaufnahme ist. Der Anspannung vor und während der Lese wird wie immer ein emotionales Loch folgen. Die momentane Gelassenheit – nächtens Regengeprassel zu hören in dem Bewusstsein: nichts mehr kann meine Trauben gefährden – wird nicht lange währen. Denn jetzt ruft die Arbeit im Keller. Und das heißt, in der Aufmerksamkeit keinesfalls nachzulassen. Und dann gibt es ja auch noch ein paar Trauben für den Eiswein. Aber das sei ein schönes Darüberhinaus. <strong>Das</strong> Notwendige sei eingebracht. Ein hübsche Untertreibung. Der Beobachtung, dass allenthalben gebetsmühlenartig die Bedeutung der Traubenqualität für den Wein wiederholt werde und im Keller ein Nichts-Tun das Beste sei, hält Dönnhoff anschaulich seine gesättigte Erfahrung entgegen. Zwar könne die Bedeutung einer perfekten Traubenqualität für den späteren Wein nicht hoch genug angesetzt werden. Aber keineswegs dürfe das zum Unterschätzen des Handelns im Keller führen. Denn das Wenige, was zu tun sei, habe mit höchster Präzision zu geschehen. Vor allem gelte es zu lernen, für jeden Schritt in der Weinbereitung den genau richtigen, den einzigen Zeitpunkt zu finden. Für jeden einzelnen Wein aus jeder Lage. <strong>Das</strong> differenzierte Spiel zwischen dosiertem Holzfassausbau und feinem reduktiven Ausbau im Edelstahl ist Dönnhoffs Metier. Er beherrscht die ganze Klaviatur wir kaum ein Zweiter. Eine steile Treppe führt in den Dönnhoffschen Keller hinab, der über viele Jahre planvoll erweitert wurde. Es blubbert in allen Tonlagen aus unzähligen Gärverschlüssen. Mehr als siebzig Gebinde sind nötig, um den neuen Wein, fein säuberlich getrennt nach Lesedurchgängen und Parzellen, zu vergären. Zum weiteren Ausbau wird das eine oder andere zusammengelegt werden. Lange Gänge sind flankiert von mächtigen traditionellen Stückfässern aus Eiche mit ihren zwölfhundert Litern Fassungsvermögen, mit Halbstückfässern und blitzenden Edelstahltanks. Auch wenn der Ablauf nach einem bewährten Grundschema erfolgt, ist doch eines ganz klar: Bei aller Freiheit und auch Unkontrollierbarkeit der Vorgänge, die aus dem Most einen Wein werden lassen, hat Helmut Dönnhoff umfassende Vorstellungen für jeden seiner Weine und kennt das Ziel, den idealen Endzustand. Er weiß, wie der Wein aus der Brücke, aus dem Dellchen, aus der Hermannshöhle zu sein hat. Der Wein ist in seinem Kopf schon da. <strong>Das</strong> provoziert Nachfragen. Ist die Entstehung eines Weines aus dem Most nicht etwas, was dem Zugriff des Winzers letztlich entzogen ist? Zumindest, wenn er auf den Einsatz der vielen technischen Manipulationshilfen verzichtet? Helmut Dönnhoffs Arbeit bezeugt das Gegenteil. Er weiß genau, wie ein Wein aus einem bestimmten Weinberg zu schmecken hat. Diesem Wissen immer wieder neu gerecht zu werden, ist seine Aufgabe. <strong>Das</strong> geht nicht von allein, da hilft keine Brechstange, nur höchste Aufmerksamkeit und das präzise Handeln im richtigen Moment. Seine Arbeit ist der eines Bildhauers vergleichbar, der im noch unbearbeiteten Marmorblock schon die fertige Skulptur erkennt. Dönnhoff hat eine Idee von seinem Traumwein. Ebenso unbestechlich und sicher wird er das Ergebnis beurteilen. Und er wird hadern, wenn er aus eigenem Unvermögen sein Ziel verfehlt. <strong>Das</strong> Trinken seiner Weine müsse Genuss und Vergnügen auslösen, wird er nicht müde zu betonen. Er sei stolz darauf, dass sein Stil sich nicht verändert hat. Moden kämen und gingen, und auch die Akzente hätten sich verschoben. Der Stil aber sei von Anfang an definiert und derselbe geblieben. Die Lagen müssten zu ihrem Recht gebracht werden: Der Felsenberg bringe karge und rauchigwarme Weine hervor, die Hermannshöhle aristokratische Rieslinge zurückhaltender Art, mit Stärke und aufrechtem Gang. Die Norheimer Weine seien weiblicher und wie mit einem hohen Kragen verschlossen. Der Leistenberg schließlich sei der bäuerlichste, aber ein selbstbewusster Wein. Alle neun Lagenweine des VDP-Guts stammen aus Ersten Lagen. Der Trinkgenuss der Nahe-Weine liege in ihrer lichten Art, die wie der Frühling Optimismus ausstrahle, vibrierend, tänzelnd, spielerisch, klingend, Spannung erzeugend. Ihre Säure müsse ziehen, und das Ausklingen gehaltvoll sein. Dönnhoffs Motor ist seine unbändige Imaginationskraft. <strong>Das</strong> bezieht sich nicht nur auf seine Weine. Entwicklungslinien lassen sich bis in seine Jugendzeit zurückverfolgen. Sie haben ihren Ursprung in sonntäglichen Frühschoppen zu Hause oder bei befreundeten Verwaltern, Kellermeistern und Winzern. Der kleine Helmut saß dabei und lauschte aufmerksam den Gesprächen – aber vor allem im Erkunden der engeren Heimat. Seine Erinnerungen an gemeinsame Spiele mit seinen Freunden beim kleinen Turm im Felsenberg sind lebendig. Eigentlich ist es nur ein Weinberghäuschen, aber eines der schönsten in Deutschland. Damals gehörte es noch zum Weingut Reichsgraf 160 F I N E 4 / <strong>2009</strong> F I N E N a h e 161