Juni 2017
Printausgabe Juni 2017
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Mein Viertel<br />
BERLINS STADTGRÜN<br />
Markenzeichen, Lebensgefühl, Herausforderung<br />
Mein Viertel<br />
In Berlin gibt es nicht nur vergleichsweise viel<br />
Stadtgrün, es hat zudem für seine Bewohner<br />
einen ganz besonderen Stellenwert : geerbt<br />
und übernommen von Natur und Schlossherren,<br />
geplant und angelegt von weitsichtigen Stadtentwicklern,<br />
verteidigt und aufgebaut von engagierten<br />
Bürgern. Die großen Waldflächen wie auch<br />
die zahlreichen Volks- und Stadtparks, Gartenanlagen<br />
und Freifelder sind das Markenzeichen der<br />
lebenswerten Metropole – und in seiner DNA verankert.<br />
Das Verantwortungsbewusstsein für ihren<br />
Erhalt ist dennoch stets auf’s Neue gefordert.<br />
Text Henry Steinhau • Fotos Markus Beeth<br />
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Man kann es praktisch täglich und rund ums Jahr sehen :<br />
Die Berliner*innen mögen ihre Parks und Grünflächen.<br />
Egal wie eingekesselt oder hügelig, egal wie groß oder<br />
klein sie sind, (fast) egal wie die Witterung ist : in den<br />
weit über 100 Volksparks und Stadtparks, den hunderten<br />
Gartenanlagen und vielen weiteren Grünflächen sind<br />
praktisch immer Menschen. Selbst spät abends oder<br />
noch vor dem Morgen wird gejoggt oder spaziert, geeilt<br />
oder verweilt, gespielt, geturnt, gefeiert – oder einfach<br />
nur herzhaft rumgelungert.<br />
Immerhin rund ein Drittel der Berliner*innen besucht<br />
täglich städtische Grün- und Parkanlagen. Das ermittelte<br />
eine Erhebung der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz<br />
von 2013. Mehr als drei Viertel der Befragten gab<br />
an, ein bis drei Mal wöchentlich ins Stadtgrün zu gehen.<br />
Und über 90 Prozent würden „regelmäßig“ einen oder<br />
mehrere Parks besuchen. Ein bis zwei Stunden pro Woche<br />
verweilen sie in einer Grün- und Parkanlage, gaben<br />
rund 80 Prozent an. An Wochenenden würde etwa 56<br />
Prozent der befragten Berlin*innen sogar mehr als zwei<br />
Stunden nach Erholung in den urbanen Grünanlagen<br />
suchen.<br />
Auch die trockenen Zahlen zeigen also : Das Stadtgrün<br />
spielt für das Leben, die Lebensqualität und das Lebensgefühl<br />
in Berlin eine wichtige, ja, entscheidende Rolle.<br />
Ob sich das die Stadtplaner des 19. und 20. Jahrhunderts<br />
wohl genau so vorgestellt haben ?<br />
Nun, zumindest war ihnen wohl klar, dass die immer<br />
dichter neben- und aufeinander wohnende Bevölkerung<br />
möglichst viel, möglichst nah liegende Natur gut gebrauchen<br />
kann, damit sie es in der rasant wachsenden Großstadt<br />
auch aushält. Und eigentlich stellte das anfangs<br />
– also in den ersten Jahrhunderten der Stadtgeschichte<br />
– auch kein Problem dar, denn Berlin gründete sich ja in<br />
einer Landschaft mit vielen Wäldern und Seen.<br />
Und doch kommt es im Laufe der Jahrhunderte immer<br />
öfter darauf an, das Grün auch zu wollen und zu kultivieren.<br />
Bis ins 18. Jahrhundert hinein besitzen – neben<br />
den Königs- und Kaiserfamilien – zumeist adelige Großgrundbesitzer<br />
große Areale und lassen dort weitläufige<br />
Grünanlagen als Schloss- oder Gutsparks gestalten, die<br />
jedoch den Privilegierten ihres Standes zum Flanieren<br />
und Lustwandeln vorbehalten waren. Hinzu kommen<br />
beispielsweise extra angelegte Jagdreviere, wie der im<br />
16. Jahrhundert errichtete große Tiergarten, oder auch<br />
romantisch gemeinte Anlagen, wie der große Lustgarten.<br />
Aber auch heute als beliebte Volksparks genutztes<br />
Stadtgrün gehörte einst komplett den Bessergestellten,<br />
wie der Park am Weißen See, der heutige Bürgerpark<br />
Pankow oder der Gutspark Britz, um auch hierfür nur<br />
ein paar wenige beispielhaft zu nennen.<br />
Beginn der amtlichen Grünflächenplanung<br />
Parallel dazu begründete die Berliner Stadtverwaltung<br />
in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts die öffentliche<br />
Gärten- und Grünflächenplanung mit der erstmaligen<br />
Berufung eines Gartendirektors (Gustav Meyer). Er<br />
nahm unter anderem die Areale des Treptower Parks,<br />
des Friedrichshains und den Humboldthains unter seine<br />
gestalterische Obhut. Später gehen der Kreuzberger<br />
Viktoriapark und weitere Anlagen auf das Wirken der<br />
Gartenverwaltung zurück.<br />
Ende des 19. und erst recht im ersten Drittel des 20.<br />
Jahrhunderts gehen die meisten der einstmals adeligen<br />
Gärten in öffentlichen Besitz über, werden zu offenen<br />
Parks. Zugleich dominieren die Stadtentwicklung in<br />
dieser, als „Gründerjahre“ bekannten Zeit, Ende des 19.,<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts, meist rigorose wirtschaftliche<br />
Erwägungen. Die Industrie prosperiert, braucht viel<br />
Platz und noch mehr Arbeitskräfte, und die brauchen<br />
Wohnungen. Also wird wie wild und im Grunde überall<br />
da gebaut, wo irgendwie Platz ist und wo es die Beschaffenheit<br />
des Bodens zulässt. Dem Bauboom müssen schöne<br />
Freiflächen und lange gewachsene Natur weichen.<br />
Nun wachsen Fabriken, Gewerbe- und Wohngebäude in<br />
den Himmel – wenn auch nur bis zu 22 Metern „Trauf-<br />
Wasserlauf im Volkspark<br />
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