Juni 2017
Printausgabe Juni 2017
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Mein Viertel<br />
Mauerpark<br />
Parkringe und Trümmerberge<br />
Die verheerenden Zerstörungen des zweiten Weltkrieges,<br />
die zu großen Teilen flächendeckend zerbombte<br />
Stadt verlangt den Berlinerinnen viel ab. Sie leben zwischen<br />
Ruinen, Schutt und Asche. Gleichwohl machen<br />
die Verantwortlichen beim schweren Wiederaufbau der<br />
Stadt aus der Not eine Tugend : aus den Bergen von<br />
Trümmern schütten sie über Jahre mehrere Trümmerberge<br />
zusammen, die sie danach mehrheitlich begrünen<br />
und ganz bewusst als Erholungsflächen anlegen.<br />
Dazu zählen der Teufelsberg – mit 115 Metern der<br />
höchste aller Berliner Trümmerberge – die Oderbruchkippe<br />
im Volkspark Prenzlauer Berg, die Rudower<br />
Höhe (Dörferblick), die Weddinger Humboldthöhe,<br />
der große Bunkerberg in Friedrichshain, der Insulaner<br />
in Schöneberg, der Trümmerberg Biesdorf und die<br />
Marienhöhe.<br />
Die Idee, auf den Überresten kriegszerstörter, „toter“<br />
Gebäude neues, friedliches, grünes Leben zu ermöglichen,<br />
die hat gewiss eine erzählerische Kraft – der<br />
man sich in Berlin wohl am besten mit Demut nähert.<br />
So schlägt es jedenfalls die Rockband Silly in ihrem<br />
ikonischen Song „Mont Klamott“ vor, mit dem sie so<br />
treffend den Trümmerberg im Volkspark Friedrichshain<br />
besingt : als Erholung spendende „grüne Beule“,<br />
die „aus dem Stadtgedärm wächst“ – für die man aber<br />
den Müttern danken sollte, die die Trümmer „zusammenkarten“,<br />
nicht jenen Stadtvätern, die Deutschland<br />
in die „Himmelfahrt“ schickten. Auch so schafft man<br />
Bewusstsein für Stadtgrün, das von mehr als nur erholsamer<br />
Freizeit erzählen kann, sofern man genauer<br />
hinsieht.<br />
Die Schäden des von Deutschland begonnen Krieges<br />
betrafen bekanntermaßen insbesondere die Infrastrukturen,<br />
also Produktionsstätten, Einrichtungen zur<br />
Energieversorgung oder für Transport und Verkehr.<br />
Zahlreiche Industrie- und Gewerbeflächen sind nach<br />
dem Krieg nicht mehr in Betrieb zu nehmen oder<br />
werden stillgelegt, sie rosten und verrotten vor sich<br />
hin. Zusätzlich hat die politische Teilung der Stadt,<br />
die im Bau der Mauer gipfelte, die Stadtentwicklung<br />
praktisch auf einen Schlag mit großer Wucht und sehr<br />
nachhaltig beeinflusst : nun müssen beide Stadthälften<br />
endgültig für sich allein planen, vormals verbundene<br />
Schienenstränge oder Grundversorgungsnetze werden<br />
zu Sackgassen, leeren Leitungen und toten Gleisen,<br />
riesige Bahnanlagen und Industriegelände verkommen<br />
zu riesigen Brachen.<br />
Es braucht – in beiden „Berlins“ – so seine Zeit, bis<br />
sich der Blick auf diese Industriebrachen wandelt und<br />
Konzepte und Initiativen entwickelt werden, solche<br />
Flächen in begrünte Erholungsareale zu verwandeln<br />
oder neu nutzbar zu machen. Doch durch Beharrlichkeit<br />
und Überzeugungsarbeit von Stadtplanern und<br />
Bürgergruppen entsteht auf diese Weise nach und nach<br />
– und bis heute – immer wieder neues Stadtgrün. In<br />
Prenzlauer Berg beispielsweise der Ernst-Thälmann-<br />
Park, der in den 80er Jahren auf dem Gelände eines<br />
riesigen, alten Gaswerks errichtet wird ; oder später,<br />
nach der Wiedervereinigung der<br />
geteilten Stadt, als man den<br />
ehemaligen Grenzstreifen<br />
zum „Mauerpark“ umgestaltet<br />
– und damit ja<br />
noch immer nicht ganz<br />
fertig ist ; oder auch<br />
die fast spektakulär zu<br />
nennenden Umwandlungen<br />
des einstigen<br />
Güterbahnhofs am<br />
Priesterweg zum Südgelände-Park<br />
; oder<br />
auch die schrittweise<br />
Entwicklung des Parks<br />
am Gleisdreieck. Bei den<br />
beiden Letzteren hatte<br />
sich die Natur bereits allein<br />
über die alten Bahnanlagen hinweggesetzt,<br />
welche nun „nur noch“<br />
Teil einer faszinierenden Symbiose sind<br />
und den neuartigen Stadtparks ihre ganze eigene<br />
Geschichte geben. Eine Geschichte, die sie jenen<br />
täglich auf’s Neue vermitteln, die nicht nur kommen<br />
sondern auch sehen und nachspüren.<br />
Öffentliche Grünversorgung –<br />
für möglichst viele<br />
Diese und weitere Maßnahmen, so oft sie auch entschlossene<br />
Menschen erfordern, die sie beharrlich<br />
vorantreiben und durchsetzen, fügen sich durchaus in<br />
einen langfristigen Plan des Senats – wie auch immer<br />
man diesen bewerten mag. Laut amtlichen Angaben<br />
der Umweltbehörde hat sich jedenfalls die Anzahl der<br />
Grünflächen im Lauf der vergangenen Jahre immer<br />
weiter erhöht, in manchen Stadtteilen um das dreifache,<br />
in anderen hingegen kaum. Das klingt OK, sagt<br />
aber weder etwas aus darüber, ob insgesamt ausreichend<br />
Stadtgrün vorhanden ist, noch darüber, wie gut<br />
einzelne Bezirke, Stadtteile oder Kieze damit „versorgt“<br />
sind. Nicht zuletzt sind auch die ambitioniertesten<br />
Entwicklungspläne für Erholungsflächen immer<br />
nur so gut, wie sie sich gegenüber Bebauungen verhalten<br />
und welche prozentualen Anteile sie verglichen mit<br />
(neu) besiedelten Stadtflächen ausmachen.<br />
Und es geht ja hierbei nicht allein um Flächen zur Erholung<br />
der Stadtbewohner sondern auch um Flächen<br />
zur Erholung der berühmten und besungenen Berliner<br />
Stadtluft. Tatsächlich sind Parks und Grünanlagen,<br />
mit ihren Bäumen, Büschen, Pflanzen und Wiesen so<br />
etwas wie kleine Frischluft-Kraftwerke und Klimaanlagen<br />
der Stadt. So produziert jeder Stadtbaum durchschnittlich<br />
15 Kilo Sauerstoff pro Tag, was frische Luft<br />
für rund zehn Einwohnerinnen bedeutet. Mit etwa<br />
438.000 Straßenbäumen und zirka einer halben Million<br />
Bäumen in den Wäldern hat Berlin fast eine Million<br />
Bäume – und liegt damit im Ranking von Großstädten<br />
ziemlich weit vorne.<br />
Und das ist gut so, für Klima und Menschen : Denn<br />
Bäume spenden Schatten, schützen vor Regen, sie<br />
bremsen – wenn viele von ihnen in Reihe stehen – den<br />
Wind aus und dämpfen die Stadtgeräusche ab, sie<br />
geben Feuchtigkeit und an warmen Tagen auch kühle<br />
Luft ab. Zudem filtern sie die belastete Stadtluft : mit<br />
den Poren ihrer Blätter nehmen sie Staub- und Schadpartikel<br />
auf – sofern nicht zu viel Dreck herumfliegt,<br />
denn dann erkranken und sterben sie.<br />
Aber auch den Freiflächen der Grünanlagen kommt<br />
große Bedeutung für Luft und Klima der Stadt zu.<br />
Wie ein Team der Technischen Universität Berlin<br />
untersuchte, haben dicht bebaute Städte oft damit zu<br />
kämpfen, dass die dicht aneinander stehenden Häuser<br />
die tagsüber gespeicherte Sonnenwärme nur schlecht<br />
abgeben können, was dazu führt, dass es im Stadtzentrum<br />
auch Nachts deutlich wärmer bleibt als im Umland<br />
– bis zu acht Grad, so die Forscher.<br />
Mein Viertel<br />
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