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Juni 2017

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TITELTHEMA<br />

„Was heute das Panda-Theater ist, das war damals einfach<br />

nur ein vollgestellter Raum. Wir haben den Müll<br />

rausgetragen, irgendwelche geschenkten Kühlschränke<br />

hingestellt und kleine Veranstaltungen gemacht,<br />

später auch im Kesselhaus. Viele Konzerte, aber auch<br />

so gemischte Abende. Einmal lobten wir den ‚Goethe-<br />

Brecht-Preis‘ aus : Ein befreundeter Schauspieler rezitierte<br />

Texte von Brecht und Goethe und wir spielten<br />

dazu Musik. Also, das machten ein paar, die gleichzeitig<br />

bei den 17 Hippies mitspielten, das lief so parallel.<br />

Jedenfalls war es hier in der Kulturbrauerei wahnsinnig<br />

lebendig, es ist viel passiert und das lockte immer mehr<br />

Leute an.“<br />

In dieser Phase entstehen in der Kulturbrauerei viele<br />

Projekte, die sich für eine gewisse Zeit verstetigen<br />

oder sogar bis heute halten. Darunter das Theater<br />

RambaZamba, die Literaturwerkstatt, das Russische<br />

Kammertheater, die Musikschule TonArt, die<br />

Theaterschule Goldoni, aber auch der Frannz-Club<br />

und manches mehr. Es brodelte regelrecht in den<br />

Kulturküchen mitten in der alten Brauerei, mitten in<br />

Prenzlauer Berg, in dem Neugierige und Lebensfreudige<br />

auf Alteingesessene und Missmutige stoßen, wo<br />

Menschen, Verkehr, Betriebsamkeit und Unruhe sich<br />

addieren zum Lebensgefühl, in einer Stadt zu wohnen,<br />

einer Großstadt, womöglich. Und mitten drin die 17<br />

Hippies, die aus dieser<br />

„Der Klang einer<br />

Stadt macht was<br />

mit Dir – wenn Du<br />

hinhörst“<br />

quirligen Aufbruchskultur<br />

den Nektar für ihre<br />

Musik ziehen. Oder<br />

weshalb klingen die 17<br />

Hippies so vielfältig, so<br />

„metropolitanisch“ ?<br />

„Wir machen städtische Musik, ganz klar. Was das<br />

meint, ist mir mal vor ein paar Jahren aufgegangen, als<br />

ich von zu Hause die sieben Minuten hierher gelaufen<br />

bin. Anfangs hatte ich noch eine bestimmte Musik im<br />

Ohr, doch auf dem Weg hierher hörte ich auf der Straße<br />

von irgendwoher erst türkische danach polnische<br />

Musik ; vorne an der U-Bahn stand dann eine amerikanische<br />

Singer-Songwriterin, die niemals im Radio<br />

gespielt werden wird ; aus einem Auto tönte arabische<br />

Musik … das alles in einem schnellen Durchlauf.<br />

Wenn ich meine Ohren aufmache und diese ganzen<br />

Musiken miteinander verbinde … das geht nur in<br />

Städten.<br />

Das heißt, der Klang einer Stadt macht was mit Dir<br />

– wenn Du hinhörst. Als Musiker erkenne ich die<br />

Zusammenhänge die es zwischen diesen Klängen gibt.<br />

Ich bin fasziniert von der Rhythmik, vom Songaufbau,<br />

den Akkorden, mich interessiert die Melodie oder<br />

der Schwung einer Musik … was habe ich da gerade<br />

gehört, was spielen die ? Ah, das ist ja noch Pentatonik,<br />

und das da sind ja die gleichen Töne, aha, aber<br />

eher so, OK, das ist eine Cajun-Melodie, lass uns die<br />

doch mal mit einem Siebener spielen, OK, wir spielen<br />

‚Apache‘, erkennt man, aber lass uns das mit einem<br />

Neuner kombinieren … ich glaube, das ist städtisch<br />

und urban.“<br />

Ich werfe ein, dass viele Stücke der Hippies mit ihrem<br />

Klang, ihrem Swing und ihrer Dramaturgie zumindest<br />

mich an solche Musik erinnern, die man bestimmten<br />

geografischen Regionen oder Stilen zuordnet, etwa<br />

der Polka des Balkans oder dem Klezmer aus jüdischen<br />

Kulturen, die mitunter eher „Dorffeststimmung“<br />

assoziieren als Großstadthektik. Das mag wohl sein,<br />

entgegnet Christopher, doch die 17 Hippies spielen<br />

„originale“ Vorlagen diese Volksmusikkulturen eben<br />

gerade nicht nach, weil sie das gar nicht wollen und<br />

könnten, so Blenkinsop :<br />

„Städtische Musik ist meiner Meinung nach auch<br />

davon geprägt, dass Du keine Zeit hast, es richtig zu<br />

können. Also, wenn Du vom Land kommst, da hast Du<br />

Zeit. Und wenn Du in einer Volksmusik groß geworden<br />

bist, oder mit einer anderen Musik, die Deine kulturelle<br />

Musik ist, dann kannst Du das richtig. In Bezug auf<br />

derartige Volksmusik können wir mit den Musikern,<br />

die sie spielen, gar nicht mithalten.<br />

Mir ist das sehr bewusst, dass wir das überhaupt nicht<br />

können. Und dass mich das auch überhaupt nicht<br />

interessiert. Was wir machen und gut können, ist diese<br />

ganzen Versatzstücke irgendwie zusammen basteln.<br />

Ah, das ist Blues, finde ich auch geil, und das passt<br />

mit dem zusammen, das finde ich cool. Du verbindest<br />

schnell, Du verbindest Dinge, die überhaupt nicht<br />

zusammengehören. Du findest das und das spannend,<br />

Du stolperst über eine andere Idee, dann vergisst Du<br />

es, baust woanders weiter, es muss fertig werden. Das<br />

ist städtisch ! Zeitmangel, Überfluss an Angeboten und<br />

das Bedürfnis und auch die Lust, fertig zu werden –<br />

aber das eben auch gelernt.<br />

Und so entsteht ja Musik. Genau da, wo extrem viele<br />

Kulturen aufeinander treffen, da geschehen ja die<br />

Dinge, wo man denkt … ich meine, einen ‚Wok-Döner‘<br />

gibt es doch nur in der<br />

„Unsere Musik ist<br />

in gewissem Sinne<br />

kaleidoskopisch“<br />

Stadt. Ein Wok-Döner !<br />

Was ist das denn ? ! Aber<br />

in Friedrichshain gibt es<br />

das, irgendeiner hat ihn<br />

erfunden.“<br />

Genau das mache Musik spannend, so Christopher.<br />

Und die Musik der 17 Hippies spiegele eben auf ihre<br />

Weise das Berlin, in dem die meisten von ihnen leben,<br />

wo sie proben und schöpferisch tätig sind, im Kiez von<br />

Kulturbrauerei, Prenzlauer Berg und Umgebung.<br />

„Unsere Musik hat einen osteuropäischen Anteil, weil<br />

es hier diese Kulturen gibt, die es im Westen nicht so<br />

gab. Aber ebenso enthält unsere Musik auch westliche<br />

Anteile, etwa aus dem Französischen oder auch aus<br />

den amerikanischen Südstaaten, Cajun, texanische<br />

Musik. Ein großer Teil von uns stammt ja aus dem<br />

Westen. Einige wiederum sind mit Klassik aufgewachsen,<br />

wir haben aber auch einen studierten Jazzer dabei.<br />

Das alles hat Einfluss auf unsere Musik, sie ist in<br />

gewissem Sinne kaleidoskopisch.“<br />

Dass sie mit dieser bunten „Vielerweltsmusik“ dann<br />

auch Assoziationen an ferne Gegenden und ländliches<br />

Leben wecken, habe seiner Meinung nach eher mehr<br />

mit Sehnsüchten zu tun, die in die Stadt gezogene und<br />

alteingesessene Städter damit verbinden oder auf sie<br />

projizieren. Und das sei völlig OK, zumal sie als Band<br />

über die Jahre feststellten, dass sie beim Publikum desto<br />

besser ankommen und schneller verstanden werden,<br />

je größer die Stadt ist, in der sie auftreten.<br />

„Diese Art von Umgang mit Kultur unterscheidet eine<br />

Großstadt von allem anderen. Nämlich, das geräubert<br />

wird, genommen wird, das Dinge sich gegenseitig<br />

befruchten. … Ich persönlich wollte immer in einer<br />

Großstadt leben. Und ich glaube auch, in einer anderen<br />

Stadt als Berlin wären die 17 Hippies nicht möglich<br />

gewesen.“<br />

XXX<br />

Großer Umbau – viel Unbehagen<br />

Bei so viel Identifikation mit dem Biotop „Großstadt“<br />

könnte sich die Frage womöglich erübrigen, ob die<br />

17 Hippies nicht auch mal weg wollten – weg aus der<br />

Stadt oder zumindest aus der Kulturbrauerei. Denn<br />

das einstige Mekka der künstlerischen Freiräume hat<br />

sich im Lauf der Jahre erheblich gewandelt. Beginnend<br />

mit den ebenso notwendigen wie aufwändigen<br />

Sanierungen und Umbauten kommen nicht nur tiefer<br />

gelegte Autostellplätze und modernisierte Elektrik,<br />

sondern auch ganz neue Mieter aus ganz anderen,<br />

kommerziellen Gewerben hinzu : Supermarkt, Computerhändler,<br />

Kinokomplex, Werbeagentur, Fitnesscenter,<br />

Fahrrad-Verleiher und Radtouren-Veranstalter<br />

für Berlin-Besucher, Museum (über den Alltag in der<br />

DDR). Dazwischen ein Verlag, Veranstaltungssäle, eine<br />

Tanzschule und zahlreiche Firmen unterschiedlicher<br />

Genres.<br />

Sie alle ziehen neue Publikumsschichten an, verändern<br />

Atmosphäre und Alltag in der ehemaligen Bierbrauerei,<br />

verdrängen das „Kreative“. Weg von Sub-/Kultur,<br />

hin zu Kommerzialisierung und Tourismus. Nicht untypisch<br />

für den, bei vielen noch immer als hip geltenden<br />

TITELTHEMA<br />

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