Fine_211_Auszug
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Jahrzehnte später verliebte er sich in ein<br />
Mädchen aus dem Schwarzwald. Nicht der<br />
geringste Vorzug dieser glückhaften Verbindung<br />
war die Bekanntschaft mit den Variationen des<br />
dortigen Schinkens. Das war, weiß Gott, schon<br />
etwas anderes als die Kindheitserinnerung an<br />
das allzu feste Fleisch: Die Fülle der ländlichen<br />
Bouquets, feine Salzigkeit, die zarten Tannenrauch-Aromen<br />
und das saftige, den Wohlgeschmack<br />
rundende Fett machten das gemeinsame<br />
Vespern zu einer lustvollen Schmauserei, zumal<br />
das eine oder andere Kirschwasser seine Wirkung<br />
dazutat. Hätte es schöner sein können?<br />
Nicht, bis er mit ihr nach Italien aufbrach<br />
und dort zwei regionale Spezialitäten entdeckte,<br />
die als Zeugnis italienischer Genusskultur längst<br />
welt berühmt geworden sind: Den Prosciutto<br />
di Parma und den Prosciutto di San Daniele,<br />
ähnliche, aber beileibe nicht identische Produkte<br />
der hohen Metzgerei, die luftgetrocknet, etwas<br />
unterschiedlich in ihrer Reifung bearbeitet, von<br />
Schweinen nur dreier Rassen, die ihrerseits nur in<br />
bestimmten Provinzen der Hal binsel auf wachsen<br />
und nur bestimmtes Futter zu sich nehmen<br />
dürfen – wo rüber bei beiden Sorten ein strenges<br />
consorzio wacht. Er bevorzugte von Beginn an<br />
den mild würzigen Prosciutto di Parma, hauchdünn<br />
geschnitten, gern mit einem Stück fruchtigsaftiger,<br />
reifer Melone. Im eleganten Parma ein<br />
spätes Frühstück in einer Bar zu nehmen, mit ein<br />
paar köstlichen Panini di Prosciutto, und dazu<br />
einen sehr trockenen leichten Lambrusco zu trinken<br />
– das eröffnete dem Tag die angenehmsten<br />
Perspektiven.<br />
Bei der Arbeit: Der Maestro Cortador<br />
Und der Jamón, Spaniens Schinken- Version<br />
als Serrano von der Pata Blanca, der »weißen<br />
Pfote«, vom weißen Hausschwein genommen,<br />
luftgetrocknet und lind gewürzt, dem Prosciutto<br />
di Parma nicht ganz unähnlich? Ach, der unausdenkbaren<br />
Stunden in den Tapas-Bars von<br />
Barcelona, Madrid und Sevilla wird er sich stets<br />
dankbar erinnern, wenn zum Genuss des frisch<br />
aufgeschnittenen Jamón ein kühler Manzanilla die<br />
Kehle spülte und zu immer neuen Bissen befreiend<br />
verleitete!<br />
Und doch: Als er schon glaubte, alles gehabt<br />
zu haben, geschah ihm ein Wunder, das er, wie es<br />
in der Natur von Wundern liegt, einfach nicht<br />
für möglich gehalten hätte. Ihm widerfuhr der<br />
schlichtweg letztmögliche Geschmackskick – mit<br />
einem Schinken, für den diese Bezeichnung als<br />
Beim Erzählen: Der Züchter José Gómez<br />
geradezu grob, ja beinahe ungehörig erscheint.<br />
Dieses Wunder trägt den Namen Jamón Joselito,<br />
und es offenbarte sich ihm im Weinkeller des<br />
<strong>Fine</strong>-Verlagshauses in Wiesbaden. Zu einer<br />
intimen, aber ausladenden Verkostung hatten sich<br />
die Granden des Joselito eingefunden, angeführt<br />
von José Gómez, einem Mann von untersetzter<br />
Statur und selbst bewusster Bescheidenheit –<br />
der Besitzer des riesigen Naturparks Dehesa, auf<br />
dessen Eichengrund die wahrscheinlich glücklichsten<br />
Schweine der Welt weiden, ein paradiesisches<br />
Leben wohl, bis ihre Stunde schlägt. In seiner<br />
Begleitung Jésus García, Joselitos Inter nationaler<br />
Direktor, sowie die Damen und Herren von<br />
Enólogos aus Frechen, die dafür sorgen, dass auch<br />
der Genießer in Deutschland nicht darben muss,<br />
wenn es ihn nach diesen und anderen spanischen<br />
Wohltaten verlangt. Und schließlich ein Meister<br />
in der Kunst, den Schinken so hauchdünn aufzuschneiden,<br />
dass alle Facetten seines Geschmacks<br />
sich schmelzend auf Zunge und Gaumen legen:<br />
ein junger Maestro Cortador. Und damit zum<br />
Allerfeinsten das angemessen Allerbeste kommt,<br />
war auch Vincent chaperon, önologe bei Dom<br />
Pérignon, aus Epernay zur Keller gesellschaft<br />
gestoßen, mit etlichen ausgesuchten Jahrgangsflaschen<br />
im Gepäck: Joselito und Dom Pérignon –<br />
eine Mariage jedenfalls wie eine Fürstenhochzeit.<br />
In vier, im Genuss sich stetig noch steigernden,<br />
Flights tauchte er nun ein in das kulinarische<br />
Ur erlebnis dieser spanisch-französischen<br />
Allianz. Der erste Flight schien ihm schon der<br />
Höhepunkt: Feine Scheiben vom Joselito 2007<br />
zu Dom Pérignon 2002. Wie sich der Schmelz<br />
des perfekt durchmusterten Fleischs, das zart und<br />
süß-nussig mit einem Hauch von Salz den Mund<br />
erfüllte, mit der Mineralität des champagners<br />
verband, schien ihm einzigartig. Wenn er sich<br />
ein kleines Stück Schinken auf den Handrücken<br />
legte und ganz leicht über das Fett strich,<br />
floss es ihm sogleich wie ein feines Öl über die<br />
Haut – ver blüffender, beeindruckender Effekt,<br />
der die Qualität des Produkts gewissermaßen<br />
hand greiflich aufwies. Flight zwei: Joselito 2006<br />
bei Dom Pérignon Œnothèque 1996 – mit einer<br />
ihm kaum möglich erschienenen Steigerung des<br />
extremen Fein geschmacks und der überzeugenden<br />
Verbindung von Schinken und Champagner.<br />
Ähnlich der Joselito 2004, der sich mit dem Wein<br />
perfekt vermählte.<br />
Gern plauderte während des Tastings José<br />
Gómez Geheimnisse der Joselito-Pro duktion aus:<br />
Einmal sind es natürlich die iberischen Schweine,<br />
die im mediterranen Ökosystem der Dehesa in<br />
Freiheit aufwachsen, sich von den Eicheln der<br />
Stein- und Korkeichen sowie von Kräutern nähren<br />
und einen Lebens- und Entfaltungsraum von<br />
vier Hektar pro Tier haben, in dem sie sich zwischen<br />
Oktober und Dezember, wenn die Eicheln<br />
zu Boden fallen, ganz und gar satt fressen. Wird<br />
das riesige Land gehegt? José Gómez lachte: »Die<br />
Schweine sind meine Gärtner«, sagte er, der aber<br />
doch dafür sorgt, dass Jahr um Jahr etwa achtzigtausend<br />
mediterrane Eichen neu gepflanzt<br />
werden – ein gewaltiges privates Aufforstungsprogramm.<br />
Nach der Auswahl der am besten<br />
geeigneten Schweine und dem Schlachten durchläuft<br />
der Schinken bestimmte Prozeduren des Salzens,<br />
des Ruhens und Ent wässerns, des Einziehens<br />
der bekömmlichen feinen Fette in die Fasern des<br />
Muskelfleischs und immer wieder des ruhigen Reifens,<br />
damit alle Aromen und sensorischen Merkmale<br />
ganz zur Wirkung kommen können. Die<br />
Aromen qualitäts kontrolle durch einen Schinkenmeister<br />
beendet die Entwicklungsphase dieses<br />
(auch höchst gesunden) Naturprodukts, dessen<br />
Vintage- Kriterien ebenfalls ganz von der Natur<br />
gesetzt werden.<br />
Den Gipfel des Genusses sollte er aber<br />
erst jetzt, im vierten Flight, erklimmen,<br />
da ihm die ultimative Erfahrung geschenkt wurde:<br />
Mit einigen Schnitzen des Ibérico de Bellota<br />
Joselito Gran Reserva Vintage 2004 kamen Stücke<br />
eines Schinkens auf den Teller, den es überhaupt<br />
nur, jedenfalls noch bis dahin, fünfundfünfzig<br />
Mal gibt. (Er wird für 4 900 Euro nur im<br />
Ganzen verkauft, und seine rund zehn Kilo sollten<br />
auch in einer Gesellschaft an einem Tag verzehrt<br />
werden.) Dazu öffnete Vincent Chaperon eine<br />
Flasche des hinreißenden Dom Pérignon Œnothèque<br />
1969 – und wer immer glaubt, schon alles<br />
über Schinken- und Champagnergenuss zu wissen,<br />
ohne diesen wahrlich überirdischen Akkord<br />
geschmeckt zu haben und ihn in sich hat nachklingen<br />
lassen können, der darf sich freuen: Das<br />
Schönste steht ihm noch bevor. ><br />
Beim Genießen: Vincent Chaperon, Önologe bei Dom Pérignon<br />
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F I N E 2 / 2011 F I N E G o u r m a n d i s e