Angola vor den Wahlen
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMENSCHWERPUNKT Angola vor den Wahlen // www.africanclimatevoices.com, www.afrika-sued.org
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angola <strong>vor</strong> <strong>den</strong> wahlen<br />
Wegweisendes Urteil<br />
DAS ANGOLANISCHE VERFASSUNGSGERICHT HAT DAS NRO-GESETZ GEKIPPT: Das Präsi<strong>den</strong>tendekret aus dem Jahr<br />
2015, das die Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen in <strong>Angola</strong> einschränkt, verstößt nach einem Urteil<br />
des Verfassungsgerichts vom 11. Juli 2017 gegen die Verfassung des Landes – ein Sieg für die Zivilgesellschaft.<br />
die angolanische Zivilgesellschaft kann aufatmen: das verfassungsgericht<br />
hat das Präsi<strong>den</strong>tendekret 74/15 vom 23. März 2015 –<br />
allgemein als nro-gesetz bezeichnet – zu Fall gebracht. Menschenrechtsaktivisten<br />
und zivilgesellschaftliche gruppen feierten das<br />
Urteil als Sieg und bedankten sich bei ihren internationalen Freun<strong>den</strong><br />
und Partnerorganisationen für „die breite Unterstützung während<br />
der juristischen auseinandersetzung“.<br />
„das ist einmalig in der jüngsten geschichte angolas: das verfassungsgericht<br />
stellt sich klar und deutlich gegen <strong>den</strong> Präsi<strong>den</strong>ten José<br />
eduardo dos Santos und liest ihm bezüglich der deutung der landesverfassung<br />
die leviten“, schreibt der kritische Journalist und anwalt<br />
william Tonet, herausgeber der unabhängigen wochenzeitung<br />
Folha 8.<br />
Überwachung statt Förderung<br />
Im März 2015 hatte dos Santos das dekret 74/15 erlassen, das die<br />
aktivitäten von nationalen und internationalen nro in angola<br />
einschränkt. Parallel dazu ließ er am 13. april 2015 das zweite dekret<br />
80/15 folgen. es deiniert <strong>den</strong> Status eines neuen Instituts, das<br />
sich wohlfeil „Institut zur Förderung und Koordinierung der hilfe<br />
für gemein<strong>den</strong>“ (Instituto de Promoção e Coor<strong>den</strong>ação da ajuda ás<br />
Comunidades, IProCaC) nennt. es ist dem angolanischen Ministerium<br />
für soziale wiedereingliederung und hilfe unterstellt und soll<br />
die Tätigkeiten der nro in angola begleiten und kontrollieren. nach<br />
ansicht von Juristen ist dieses Institut nichts anders als ein Überwachungsorgan<br />
und weit davon entfernt, eine hilfsstelle zur Förderung<br />
zivilgesellschaftlichen engagements zu sein.<br />
Insbesondere ausländische nro müssen sich nach dem restriktiven<br />
dekret 74/15 drei Mal registrieren lassen, was sie davon abhalten<br />
soll, in angola tätig zu sein. dos Santos bezeichnete seinen erlass<br />
als neue anstrengung der regierung im Kampf gegen internationale<br />
geldwäsche und Terrorismus. die Parallelen zu erlassen des russischen<br />
oder ägyptischen Präsi<strong>den</strong>ten liegen auf der hand.<br />
Rote Karte für die Regierung<br />
nach Inkrafttreten des dekrets mussten sich alle nro bis Juni 2015<br />
beim Kontrollorgan IProCaC gemeldet haben – ein viel zu knappe<br />
Frist, die für etliche organisationen aufgrund der anforderungen<br />
nicht zu schafen war. angolanische nro und vereine mögen zwar<br />
gut etabliert und seit Jahren vom Staat geduldet sein, der legale Status<br />
der gemeinnützigkeit wird ihnen aber verweigert. der druck auf<br />
sie erhöhte sich, als vielen kritischen nro im august und September<br />
2015 willkürlich und ohne weitere erklärungen die Konten bei ihren<br />
hausbanken gesperrt wur<strong>den</strong>. Personal und honorarkräfte konnten<br />
über Monate nicht entlohnt wer<strong>den</strong>. Manche nro mussten in <strong>den</strong><br />
letzten zwei Jahren <strong>den</strong> gerichtsweg einschlagen, um zumindest<br />
an einen Teil ihrer willkürlich gesperrten Konten herankommen zu<br />
können.<br />
Mit <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> dekreten ließ dos Santos sozusagen über nacht<br />
die arbeit der nro in seinem reich stoppen. Im gegensatz dazu<br />
bekommen vereine und Stiftungen staatliche anerkennung und<br />
<strong>den</strong> <strong>vor</strong>zug öfentlicher Subventionen, die von Mitgliedern der elite<br />
gegründet wur<strong>den</strong> oder deren Mitbegründer der regierungspartei<br />
angehören oder ihr nahestehen. ein klarer Fall von politischer diskriminierung<br />
– und ein grober verstoß gegen die angolanische verfassung,<br />
wie sich damals schon Juristen und aktivisten einig waren.<br />
deshalb klagte der angolanische anwaltsverband „ordem dos advogados<br />
de angola“ noch 2015 gegen beide Präsi<strong>den</strong>tendekrete und<br />
stellte <strong>den</strong> antrag an das verfassungsgericht, ihre verfassungsmäßigkeit<br />
zu prüfen und sie gegebenenfalls zu annullieren.<br />
genau diesem antrag des anwaltsverbandes hat das verfassungsgericht<br />
in seinem zukunftsweisen<strong>den</strong> Urteil vom 11. Juli 2017 stattgegeben.<br />
Kurz <strong>vor</strong> seinem abgang bekommt dos Santos von neun<br />
der 10 richterinnen und richter die rote Karte gezeigt. Zukünftige<br />
regierungen müssen sich an die gewaltenteilung halten. das ist es,<br />
was die Zivilgesellschaft jubeln lässt. Im laufe seiner regentschaft<br />
hat dos Santos selten respekt <strong>vor</strong> der Staatsverfassung gezeigt. das<br />
verfassungsgerichtsurteil 447/2017 mahnt <strong>den</strong> schei<strong>den</strong><strong>den</strong> Präsi<strong>den</strong>ten:<br />
das Parlament, die assembleia nacional, ist laut verfassung<br />
das einzige gesetzgebende organ des landes und nicht das Präsidialamt<br />
oder die exekutive! die regierung muss sofortige Maßnahmen<br />
einleiten, um die vereinbarkeit der bestehen<strong>den</strong> nro-gesetze mit<br />
der verfassung wiederherzustellen. diese Kompetenz obliegt dem<br />
Parlament und seinen abgeordneten.<br />
außerdem missbilligt das Urteil die haltung der Machthaber, die<br />
Zivilgesellschaft argwöhnisch als staatsfeindlich zu betrachten. es<br />
stellt klar: die Zivilgesellschaft ist kein Staatsfeind, sie gehört nicht<br />
bekämpft, sondern als Kraft für Staatsbildung gefördert und unterstützt.<br />
So manche gesellschaftlichen aufgaben im Staat könne sie<br />
übernehmen. Zudem muss nach dem Urteil die diskriminierung<br />
zwischen <strong>den</strong> nro als Politik der gesellschaftlichen Spaltung beendet<br />
wer<strong>den</strong>. dies gilt auch für die hür<strong>den</strong> bei der registrierung<br />
ausländischer und internationaler nro, die zum wohl des landes in<br />
angola tätig sein wollen.<br />
die bisherigen nro-gesetze gelten noch so lange, bis das neu gewählte<br />
Parlament <strong>vor</strong>schläge einbringt, die im einklang mit der verfassung<br />
sind und im Interesse der nro liegen.<br />
>> Emanuel Matondo<br />
afrika süd wahldossier angola 2017 37