BOLD THE MAGAZINE No.31
ELEGANZ SPECIAL TOPIC: INTERIEUR | DESIGNTEMPEL ZUHAUSE: WIE WIR WOHNEN | IM GESPRÄCH: DIANE KRUGER | 60 JAHRE FIAT 500 | IM INTERVIEW: CARL F. BUCHERER CHEF SASCHA MOERI | MYTHOS TOSKANA
ELEGANZ
SPECIAL TOPIC: INTERIEUR | DESIGNTEMPEL ZUHAUSE: WIE WIR WOHNEN | IM GESPRÄCH: DIANE KRUGER | 60 JAHRE FIAT 500 | IM INTERVIEW: CARL F. BUCHERER CHEF SASCHA MOERI | MYTHOS TOSKANA
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ART | SEHENSWERT<br />
<strong>BOLD</strong> <strong>THE</strong> <strong>MAGAZINE</strong> | 39<br />
„Vor mir ist nichts sicher,“ verspricht<br />
Erwin Wurm und fragt gleichzeitig:<br />
„Was ist Skulptur?“ Wurm hat es sich zur<br />
Aufgabe gemacht, den Kunstbegriff an<br />
seine Grenzen und weit darüber hinaus<br />
zu führen. Bestrickte Wände, Autos mit<br />
übertrieben rundlichen Formen oder<br />
riesenhafte Essiggurken: Erwin Wurm<br />
provoziert Verwirrung. Seine kreative<br />
Strategie: Jederzeit und überall kann<br />
für den erlebenden Betrachter eine<br />
hintergründige Überraschung lauern.<br />
Bei ihm sind die Dinge nicht das, was<br />
sie scheinen. Seine Objekte offenbaren<br />
eine Transformation. Wurm dazu: „Ich<br />
finde spannend, was passiert, wenn<br />
man Alltagsgegenständen den Nutzwert<br />
entzieht und bekannte Formen neu<br />
interpretiert.“<br />
Im MKM hat Erwin Wurm nicht weniger<br />
als 90 Meter Wand flächendeckend mit<br />
grasgrüner Strickware ausgestattet. Der<br />
übergroße Pullover transformiert zur<br />
Wandskulptur, und der unvorbereitete<br />
Besucher befindet sich überraschend<br />
umgeben von diesem monumentalen<br />
Kunstwerk, das mit seinen, in Relation<br />
zum großen Ganzen, winzigen Ärmeln,<br />
eine Menge von Wurms Humor zeigt<br />
– und das komplexe bildhauerische<br />
Fragen nach Körper, Objekt, Volumen<br />
und Leere einfach mit einer riesigen<br />
Fläche aus grüner Wolle beantwortet.<br />
Der Betrachter ist gefordert, seine Kunstbegrifflichkeit<br />
in Frage zu stellen, neu<br />
zu überdenken und gegebenenfalls zu<br />
erweitern – oder einfach genussvoll zu<br />
betrachten. In der gläsernen Eingangshalle<br />
des Lehmbruck Museums wird<br />
das Automobil Wurms präsentiert. Die<br />
Situation ähnelt der in einem Autohaus.<br />
Das Objekt der Begierde wird von<br />
neugierigen Besuchern aus der Nähe<br />
inspiziert. Die Außenhaut des „Carrera“<br />
glänzt verführerisch rot – eine überbordende<br />
Sinnlichkeit der Formen springt<br />
dem Betrachter ins Auge. Das Objekt<br />
selbst hat natürlich auch vier Räder unter<br />
seinem geschwollenen Kleid – es kann,<br />
wie auf den zweiten Blick ersichtlich,<br />
jedoch nicht fahren. Die pummeligen<br />
Formen zaubern jedem Betrachter ein<br />
anhaltendes Lächeln ins Gesicht. Hier<br />
ist die Skulptur als Kunstgenre greifbar<br />
nah und irgendwie auch wieder fern. Bei<br />
Wurm birgt eine zunächst als zugänglich<br />
erscheinende Formensprache eine<br />
komplex-hintersinnige Vielschichtigkeit.<br />
Die oft zugeschriebene Sozialkritik, als<br />
Spiegel der gesellschaftlichen Zustände,<br />
ist sicher auch ein Bestandteil – den<br />
sinnlichen Dimensionen von Wurms<br />
Werken wird dies allein jedoch nicht<br />
gerecht.<br />
Ein begeisternder Höhepunkt sind die<br />
One Minute Sculptures, welche die<br />
Mitmacher direkt in das Kunstwerk integrieren,<br />
und es durch sie vollendet.<br />
Die Drinking Sculptures im Lehmbruck<br />
Museum gehen indes noch einen Schritt<br />
weiter: Die umgebauten Möbelstücke<br />
erscheinen zuerst harmlos, in den Barfächern<br />
ist jedoch Alkohol gelagert. Hier<br />
erhält der Besucher eine kurze, handgeschriebene<br />
Anweisung: „Follow the instructions<br />
and get drunk“. Das Museum<br />
wird augenblicklich von seiner starren<br />
Förmlichkeit befreit und transzendiert<br />
zu einer Art Kellerbar. Es mutiert zum<br />
persönlichen Happening und offener<br />
Heiterkeit. Von der umgebenden Tapete,<br />
schaut der Künstler von allen Seiten, auf<br />
die museal-ungewohnte Szenerie. Mal<br />
verdreifacht sich hämisch-lächelnd sein<br />
Kopf, mal kommen ihm Zeitungen aus<br />
den Ohren, oder eine comicartige Figur<br />
mit dem Kopf des Künstlers zeigt auf<br />
eine Campari-Flasche.<br />
Söke Dinkla (Direktorin Lehmbruck<br />
Museum) und Walter Smerling (Direktor<br />
MKM Museum Küppersmühle) sagen<br />
zur Ausstellung: „Wir freuen uns, dass es<br />
gelungen ist, Erwin Wurm in einer breit<br />
gefächerten gemeinsamen Retrospektive<br />
ins Ruhrgebiet zu holen. Mit seinen<br />
Werken erschafft er eine fantastische<br />
Welt – eine Welt, so, wie sie sein könnte.“<br />
Wurm selbst äußert sich zu seinen künstlerischen<br />
Absichten meist eher rätselhaft,<br />
beispielsweise so: „Es geht um<br />
die Schwierigkeit, das Leben zu meistern.<br />
Egal, ob mit einer Diät oder mit<br />
einer Philosophie“. Zwei außergewöhnlich<br />
spannungsreiche Ausstellungen im<br />
Kunstjahr 2017: Highly recommended!<br />
Erwin Wurm<br />
Lehmbruck Museum<br />
Bis: 29. Oktober 2017<br />
www.lehmbruckmuseum.de<br />
MKM – Museum Küppersmühle<br />
Bis: 3. September 2017<br />
www.museum-kueppersmuehle.de