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FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL

FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 2|2017 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung

FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 2|2017 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung

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<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong><br />

EINE SONDERBEILAGE DES TRE TORRI VERLAGS · DER VERLAG <strong>FÜR</strong> ESSEN, TRINKEN <strong>UND</strong> <strong>GENUSS</strong> 2 |2017<br />

JOKO WINTERSCHEIDT <strong>UND</strong> SEIN GESPÜR <strong>FÜR</strong> GIN


OLYMP.COM/SIGNATURE<br />

GERARD BUTLER’S CHOICE<br />

<strong>DAS</strong> HEMD, <strong>DAS</strong> SICH WIE<br />

KEIN ANDERES TRÄGT.<br />

PHOTO: GREG WILLIAMS


ERHÄLTLICH<br />

AB OKTOBER 2017<br />

280 Seiten | zahlreiche Farbfotos<br />

28,0 × 29,0 cm | Hardcover | € 49,90 (D)<br />

ISBN: 978-3-96033-008-0<br />

… überall, wo es gute Bücher gibt,<br />

oder unter www.tretorri.de<br />

D<br />

iese Ausgabe von FRENZEL S<br />

WEINSCHULE will Ihnen Wein praktisch und unmittelbar nahebringen. Renommierte<br />

Autoren vermitteln auf neue und informative Weise das Grundwissen rund um das Thema Wein. Im Mittelpunkt stehen<br />

Charakter und Aromenprofil der wichtigsten Rebsorten und die Welt der Sensorik. Vor allem die anschauliche Bildsprache<br />

hilft dabei, die geschmacklichen Unterschiede der Weine auf einen Blick zu erfassen. Weitere Schwerpunkte bilden die<br />

umfassende und tiefgründige Geschichte des modernen Weins und das Thema Essen und Wein mit vielen hilfreichen Hinweisen<br />

für eine gelungene Wein und Speisen-Kombination. Konkrete praktische Tipps und Informationen zu den Themen Weinkauf und<br />

Weinpflege, die Weinprobe zu Hause und den wichtigsten Accessoires beschließen diesen opulenten Bildband.<br />

VERLEGER <strong>UND</strong> HERAUSGEBER<br />

Ralf Frenzel<br />

ralf.frenzel@fine-magazines.de<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

Thomas Schröder<br />

thomas.schroeder@fine-magazines.de<br />

REDAKTION<br />

Katja Richter<br />

ART DIRECTION<br />

Guido Bittner<br />

MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />

Kristine Bäder, Ursula Heinzelmann,<br />

Uwe Kauss, Robert Krispin, Dr. Stefan<br />

Pegatzky, Angelika Ricard-Wolf, Christian<br />

Volbracht, Martin Wurzer-Berger<br />

FOTOGRAFEN<br />

Guido Bittner, Johannes Grau,<br />

Marco Grundt, Thilo Weimar<br />

TITEL-FOTO<br />

Guido Bittner<br />

VERLAG<br />

Tre Torri Verlag GmbH<br />

Sonnenberger Straße 43<br />

65191 Wiesbaden<br />

www.tretorri.de<br />

Geschäftsführer: Ralf Frenzel<br />

ANZEIGEN<br />

Judith Völkel<br />

Tre Torri Verlag GmbH<br />

+49 611-57 990<br />

anzeigen@fine-magazines.de<br />

DRUCK<br />

Prinovis Ltd. & Co. KG · Nürnberg<br />

<strong>FINE</strong> Das Magazin für Genuss und Lebensstil<br />

ist eine Sonder beilage des Tre Torri Verlags<br />

und erscheint im Verbund mit <strong>FINE</strong><br />

Das Wein magazin viermal Jährlich im ausgesuchten<br />

Zeitschriftenhandel.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben<br />

nicht unbedingt die Meinung der Redaktion<br />

wieder. Der Verlag haftet nicht für unverlangt<br />

eingereichte Manuskripte, Dateien, Datenträger<br />

und Bilder. Alle in diesem Magazin veröffentlichten<br />

Artikel sind urheberrechtlich geschützt.<br />

6<br />

10<br />

14<br />

16<br />

20<br />

30<br />

34<br />

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Die wenn auch nicht ganz<br />

gesicherte Provenienz dieses Lenin-Spruchs widerlegt nicht<br />

dessen Wahrheitsgehalt. Denn: Womit erwirbt sich beispielsweise<br />

eine Verbrauchermarkt-Kette das Vertrauen ihrer Klientel, sollte ihr<br />

die Wertschätzung ihres Sortiments und der in ethisch verant wortetem<br />

Handel begründeten Qualität ihres Angebots etwas bedeuten? Was etwa<br />

schätzt ein Weingenießer an seinem Champagner besonders, wenn er<br />

sich für dessen Produktions- und Reifegeschichte interessiert? Was<br />

schließlich muss man heute von einem Metzgereibetrieb erwarten,<br />

wenn es um Herkunft der Fleisch-und Wurstwaren, artgerechte Tierhaltung<br />

und humane Schlachtung geht? In all diesen Fällen heißt eines<br />

der Zauberwörter: Transparenz. Was bedeutet: Durchsichtigkeit zu<br />

gewähren, den Durchblick des Kunden auf Grundsätze, Methoden<br />

und Praktiken des Unternehmens zu ermöglichen, ja zu wünschen. So<br />

gewinnt er Klarheit, kann nach sauberen Kriterien prüfen und Kontrolle<br />

über seinen Einkauf erlangen – und so wächst begründetes Vertrauen<br />

in Markt und Produkt. Wie ein großer Verbrauchermarkt, ein<br />

weltberühmtes Champagnerhaus und ein Wormser Metzger sich dem<br />

Transparenz-Ideal stellen, erzählen wir samt manch anderem in diesem<br />

Heft. Klar, Kontrolle ist besser. Aber: Vertrauen zählt. So folgen<br />

auch wir dem Gebot nach Klarheit und legen offen, dass der Verleger<br />

und Herausgeber dieser Beilage beratend an der Neukonzeptionierung<br />

des beschriebenen Verbrauchermarkts beteiligt ist. Soviel nur zu Lenin<br />

und der modernen Markt-Wirtschaft!<br />

INHALT<br />

KRUG ID 316028<br />

Ein Champagner gibt sein Geheimnis preis<br />

VON DER SCHNAPSIDEE ZUM TREND-GETRÄNK<br />

Gin und Wodka aus deutschen Destillen sind so begehrt wie nie<br />

»WAS HABE ICH ZU VERLIEREN?«<br />

TV-Star Joko Winterscheidt über das Gin- und Wodka-Startup »A Witch, A Dragon & Me«<br />

<strong>DAS</strong> BESTE ZWEIER WELTEN<br />

Opus One: Die perfekte Synthese aus Napa und Médoc<br />

HANDEL MIT HALTUNG<br />

Wie sich eine deutsche Hypermarkt-Kette für seine Kunden neu erfindet<br />

WEIN, DER IN DIE WOLKEN WÄCHST<br />

Hoch in den Anden kultiviert Donald Hess einen großen Malbec und Lichtkunst von James Turrell<br />

LIMETTE AUS DEM HANDSCHUHFACH<br />

Luxuriösen Fahrgenuss versprechen die für Stuttgarter Edelkarossen entwickelten exklusiven Düfte<br />

38<br />

RUHMESHALLE <strong>FÜR</strong> RINDERRÜCKEN<br />

Die Metzgerei David in Worms und ihr begehrtes Dry Aged Beef<br />

42<br />

»WIR WOLLEN DEN BESTEN WEIN AUS LUCCA MACHEN«<br />

Der Manager Wolfgang Reitzle setzt auch als Winzer in der Toskana auf Perfektion<br />

Tre Torri Verlag GmbH | Sonnenberger Straße 43 | 65191 Wiesbaden | info@tretorri.de | www.tretorri.de<br />

46<br />

SCHOKOLADE <strong>UND</strong> WEIN<br />

Warum die Zartbittere eine perfekte Begleitung zum Wein sein kann<br />

<strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 5


KRUG-ID 316028 –<br />

EIN CHAMPAGNER<br />

GIBT SEIN<br />

GEHEIMNIS PREIS<br />

MARGARETH HENRIQUEZ HAT <strong>DAS</strong> CHAMPAGNERHAUS KRUG AUS DEM DÄMMER­<br />

SCHLAF INS DIGITALE ZEITALTER GEFÜHRT. DIE SÜDAMERIKANERIN ERFAND DIE<br />

KRUG-ID, EINEN UNSCHEINBAREN CODE AUF JEDEM FLASCHENETIKETT <strong>UND</strong><br />

ÖFFNETE DEN LIEBHABERN VON SPITZENCHAMPAGNERN DAMIT DIE TÜR ZU FRÜHER<br />

SORGSAM GEHÜTETEN GEHEIMNISSEN. KEINE ANDERE CHAMPAGNERMARKE HAT<br />

EIN SO FORTSCHRITTLICHES KOMMUNIKATIONSKONZEPT <strong>UND</strong> ERZÄHLT SO VIELE<br />

INTERESSANTE GESCHICHTEN ÜBER SICH SELBST.<br />

Von CHRISTIAN VOLBRACHT<br />

Fotos MARCO GR<strong>UND</strong>T<br />

Die Präsidentin und CEO von Krug strahlt sympathische Energie aus. Maggie, wie sie<br />

sich auch auf der offiziellen Visitenkarte nennt, ist nach Hamburg gekommen, um den<br />

»jüngsten« Jahrgangschampagner des Hauses vorzustellen. Nach langem Reifen im Keller<br />

kommt Krug 2004 dreizehn Jahre nach der Lese auf den Markt. Die Gäste sind zum Lunch<br />

ins Restau rant Louis C. Jacob hoch über der Elbe geladen.<br />

Den Apéritif gibt es auf der Lindenterrasse des Restaurants,<br />

mit Blick auf die Airbuswerft und vorbeifahrende<br />

Container-Schiffe, Segelyachten und<br />

Frachter. Auf der Karte steht: Krug Grande Cuvée 164e<br />

Edition, #KrugID316028. Kein echter Hashtag – aber die<br />

ID-Nummer hat ein hohes Info-Potenzial. Sie steht seit fünf<br />

Jahren auf dem Rückenetikett jeder Flasche.<br />

Maggie Henriquez erklärt, was die ersten drei Ziffern<br />

316 sofort verraten: Der Champagner wurde in Quartal 3<br />

des Jahres (20)16 degorgiert, also von der Hefe getrennt und<br />

endgültig verkorkt. Doch das ist nur der Einstieg in die neue<br />

Fakten-Kommunikation eines ehrwürdigen Champagnerhauses,<br />

wo immer noch nach alter handwerklicher Tradition<br />

gearbeitet wird. Bei Krug gären die jungen Grundweine<br />

aus vielen, oft winzigen Einzelparzellen der Champagne<br />

getrennt in Tausenden von kleinen Eichenfässern. Daneben<br />

gibt es eine umfangreiche »Bibliothek« von Reserveweinen<br />

aus mehreren Jahrzehnten, die für die Komposition<br />

der Cuvées, die Assemblage, genutzt werden.<br />

Wer die ID-Nummer auf der Website von Krug<br />

(www.krug.com) eingibt, erfährt interessante Details über<br />

die Assemblage, wie sie sonst kein Hersteller verrät: Die<br />

Cuvée 164 enthält zu achtundvierzig Prozent Pinot-Noir-<br />

Weine, fünfunddreißig Prozent sind Chardonnay und siebzehn<br />

Prozent Meunier. Der Champagner wurde aus einhundertsiebenundzwanzig<br />

verschiedenen Weinen aus elf<br />

Jahren zusammengestellt: die ältesten aus dem Jahr 1990,<br />

die jüngsten aus dem Jahr 2008. Da die Meunier-Reben 2008<br />

unter Hagelschlag gelitten hatten, konnte Keller meister<br />

Eric Lebel auf ältere Meuniers aus den Jahren 2002 bis<br />

2006 zurückgreifen, um die nötige Frucht und Eleganz in<br />

der Cuvée 164 zu sichern.<br />

Maggie Henriquez ist es gelungen, die Tradition und<br />

die Geschichte des Hauses Krug mit dem digitalen Zeit alter<br />

zu verknüpfen, nicht nur um junge Social-Media-Freaks<br />

zu erreichen, sondern auch, um das allgemeine Transparenz-<br />

und Informationsinteresse zu befriedigen. Sie übernahm<br />

die Leitung des seit 1999 zum Luxuskonzern LVMH<br />

gehörenden Unternehmens im Jahr 2009, als Krug trotz<br />

gleichbleibender großartiger Qualität schwer unter den<br />

Folgen der weltweiten Finanzkrise litt. Der hochpreisige<br />

Spitzen champagner verkaufte sich immer schlechter, und<br />

die Marke kommunizierte kaum nach außen. »Krug existierte<br />

eigentlich gar nicht«, sagt Maggie Henriquez. »Man<br />

hatte eine Flasche, das war alles, aber man wusste nichts<br />

darüber. Wir merkten, dass wir von der Geschichte des<br />

Hauses völlig abgetrennt waren, wir mussten eine Verbindung<br />

herstellen.«<br />

Bevor sie nach Reims gerufen wurde, hatte die heute<br />

einundsechzigjährige gebürtige Venezolanerin die Moët­<br />

Hennessy-Weinbetriebe in Argentinien geleitet. Davor arbeitete<br />

sie für andere Lebensmittelunternehmen.<br />

In Mexiko<br />

dozierte sie an der Panamerikanischen<br />

Uni versität über die<br />

Themen Produktentwicklung<br />

und Partnerschafts­Strategien.<br />

In Hamburg erzählt sie, wie<br />

sie ihr Wissen für das neue<br />

Krug-Konzept nutzte und auf<br />

die Idee mit der ID kam.<br />

Ein Jahr nach ihrem Start<br />

war sie im Haus Krug auf das<br />

lang vergessene Notizbuch<br />

von Johann-Joseph Krug<br />

gestoßen, dem Gründer des<br />

Hauses. Der im Jahr 1800 im<br />

damals französischen Mainz<br />

geborene Kaufmann ging 1834 nach Paris und arbeitete<br />

dann beim Champagnerhaus Jacquesson in Châlons-en­<br />

Champagne. 1843 gründete er das eigene Champagner­<br />

Unternehmen. Er wollte trotz der wechselnden Wetterbedingungen<br />

und Unterschiede des Terroirs in der Champagne<br />

jedes Jahr eine gleichbleibend hohe Qualität erzeugen. In<br />

seinem in rotes Leder eingebundenen Notizbuch hielt er<br />

für sich und den Sohn Paul seine Arbeitsweise fest. Nur aus<br />

guten Weinen könne man einen guten Champagner machen,<br />

heißt es da. So verfeinerte er die Assemblage von Grundweinen<br />

aus verschiedenen Lagen und Parzellen, indem er<br />

Champagner-Weine aus verschiedenen Jahren vermischte<br />

und dafür einen Vorrat von Reserveweinen anlegte. Weine<br />

aus kühlen Jahren seien mit Weinen aus warmen Jahren<br />

auszubalancieren und umgekehrt, lehrte Krug. Er erschuf<br />

seinen Champagner Nr. 1 und ließ daneben nur einen Champagner<br />

Nr. 2 zu, der dann nur aus einem einzigen, besonders<br />

großartigen Jahrgang stammte.<br />

Maggie Henriquez nutzte das Notizbuch und seine<br />

Leitsätze als eine Art testamentarische Grundlage<br />

für den heutigen Auftritt von Krug. So geht<br />

die Grande-Cuvée-Nr. 164 für den Apéritif beim Essen in<br />

Hamburg auf das Jahr 1845 zurück, als Johann-Joseph Krug<br />

die erste eigene Cuvée produzierte. Tatsächlich hat sich der<br />

Krug-Champagner erst mit den Nachfolge-Generationen<br />

zum heutigen Stil entwickelt, der langfristig die gleichbleibende<br />

Spitzenqualität und Konsistenz sichert. Die Berufung<br />

auf den Gründungsvater war für Maggie Henriquez’ neue<br />

Krug-Story entscheidend, auch wenn der Einfluss der alten<br />

Gründerfamilie stark abgenommen hat. Wein macher Henri<br />

Krug und sein Bruder Rémi hatten das Haus bis 2007 geleitet,<br />

aber schon 1969 an die Gruppe Rémy­ Cointreau verkauft.<br />

1999 wurde es vom Luxuskonzern LVMH über nommen.<br />

Henris Sohn Olivier aus der sechsten Krug­ Generation<br />

arbeitet heute noch als Direktor in Reims.<br />

Maggie Henriquez hatte in ihrem ersten Jahr bei Krug<br />

in den Proben mit Weinmacher Eric Lebel gelernt, wie sehr<br />

sich jede einzelne Champagner-Cuvée und jeder Jahrgangs­<br />

Champagner von Krug unterscheiden. »Jeder Champagner<br />

hat eine eigene Geschichte«, sagt sie, »wir mussten<br />

sie nur erzählen.« Da auf dem Etikett kein Platz für mehr<br />

Fakten war, fiel ihre Wahl auf die kleine ID-Nummer. Zuerst<br />

musste sie die Leitung von Moët-Hennessy dafür gewinnen,<br />

anders als früher nicht nur auf Kontinuität der Produktion<br />

zu setzen, sondern jeden Champagner als eigen­<br />

6 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 7


VON DER SCHNAPSIDEE<br />

ZUM TREND-GETRÄNK<br />

GIN <strong>UND</strong> WODKA AUS DEUTSCHEN DESTILLEN<br />

SIND BEGEHRT WIE NIE. WARUM?<br />

Von UWE KAUSS<br />

Fotos: Bénazet: Jörg Bongartz | Muscatel: A Witch, A Dragon & Me und Guido Bittner | North Sea Gin: Skiclub Kampen | Siegfried Gin: Rheinland Distillers, Bonn | The Duke: Frieder Daubenberger, Stuttgart<br />

Es gab keinen Businessplan, kein Geld, keine Mitarbeiter. Nur zwei Freunde und eine<br />

schräge Idee: Wir machen jetzt Gin – diese urbritische Spirituose mit Wacholder-Aroma,<br />

die nur für alte Herren gemacht schien. Doch inzwischen begeistern aufwendig produzierte<br />

Gin-Kompositionen sowie Wodka aus allen Regionen Deutschlands die Bar-Aficionados<br />

zwischen Sylt und Garmisch. Ausgelöst hat diesen Boom eine neue Startup-Kultur.<br />

Maximilian Schauerte aus München füllte schon<br />

2008, also vor neun Jahren, mit seinem damaligen<br />

Geschäftspartner Daniel Schönecker die ersten<br />

Flaschen ihres Gins: genannt »The Duke«. Sie hatten in<br />

München Geschichte studiert, Schönecker arbeitete für<br />

den TV-Sender ProSieben, Schauerte für einen Statistik-<br />

Dienstleister in der Pharmazie. »Wir haben da gut funktioniert,<br />

aber glücklich waren wir nicht«, erinnert er sich.<br />

Gegen die Langeweile trafen sie sich abends in einer Bar<br />

zu ein tönigen Gin-Cocktails. Oft sprachen die beiden über<br />

ihre Uni-Zeit, als sie mit einer kleinen Destillier anlage das<br />

Herstellen von Spirituosen erprobten. »Da ist nix rausgekommen,<br />

aber wir waren völlig begeistert«, erzählt<br />

Schauerte. In einer langen Nacht am Tresen mit vielen<br />

Gins beschlossen sie: Wir machen das jetzt. Die beiden<br />

wurden so zu Gin-Pionieren.<br />

Sie schlugen sich Nächte um die Ohren, fanden nach<br />

vielen Fehl versuchen mit Hilfe eines pensionierten Brennmeisters<br />

ihre Rezeptur. Die beiden liehen sich Geld von<br />

ihren Familien, um eine gebrauchte Brenn anlage zu kaufen.<br />

Banker hätten bei Gesprächen wegen eines Kredits nur<br />

gelächelt und abgewunken, erinnert sich Schauerte. Für<br />

die Produktion fanden sie eine Lagerhalle im Hinterhof<br />

in der Münchner Max vorstadt. »Wir haben in dieser Zeit<br />

über hundert Gin- Varianten produziert, das hat fast ein<br />

Jahr gedauert. Wir haben jeden Anfänger fehler gemacht,<br />

den man machen kann. Völlig verrückt«, erinnert er sich.<br />

Nun prägen Koriander, Zitronenschalen, Angelikawurzel,<br />

Lavendel blüten, Ingwerwurzel, Orangenblüten, Kubebenpfeffer<br />

sowie sechs weitere Zutaten den ersten Münchner<br />

Gin. »The Duke Munich Dry Gin« enthält bis heute nur<br />

Gewürze und Früchte – die Aromen gebenden Botanicals –<br />

in Bio-Qualität. »Ich habe nicht den Anspruch, Bio-Gin zu<br />

verkaufen. Aber die Aromen sind so intensiv, das ist es mir<br />

wert«, betont Schauerte.<br />

2008 füllten sie ihre ersten hundert Flaschen und machten<br />

um sie »sehr viel Lärm«. Die zweite Charge war schon<br />

größer, bald darauf gab es die dritte. Es ging ans Produzieren,<br />

Etikettieren und Verpacken – in drei Schichten von<br />

morgens um fünf bis nach Mitternacht. Inzwischen gibt<br />

es zweiundzwanzig Mitarbeiter und drei Destillateure im<br />

Unternehmen; Schönecker hat die Destillerie inzwischen<br />

verlassen. Schauerte verlegte »nach ewiger Suche« die Produktion<br />

vor kurzem in eine ehemalige Kartoffelbrennerei<br />

nach Aschheim. Dort entsteht nun auch ein Wodka: Den<br />

nach dem bayerischen Wappentier genannten »Lion’s«<br />

lässt er aus ökologisch angebautem Weizen, Roggen, Gerste<br />

und Dinkel sowie Alkohol aus einer Kornbrennerei destillieren.<br />

Für Schauerte lag das sehr nahe: »Gin besteht doch<br />

nur aus Wodka und Botanicals«, sagt er und lacht. Die Etiketten<br />

tragen allerdings keine weiß-blauen Rauten. »Wir<br />

wollen kein Touristending draus machen. Ich bin hier aufgewachsen,<br />

das Getreide stammt von hier. Nur das ist mir<br />

dabei wichtig.«<br />

Diese Identität hat auch einen Wodka aus Mainz<br />

geprägt: den »Harald Schatz Wodka« von »A Witch,<br />

A Dragon & Me«. Hinter dem schrägen Firmennamen<br />

stecken der neununddreißigjährige Clubbesitzer<br />

Pascal Hedrich, seine Schwester Laura Reitz, seine beste<br />

Freundin Maren Dragon und ihr Ehemann Christopher.<br />

Der gelernte Tischler Hedrich betreibt seit rund sechzehn<br />

Jahren den Club »50grad« im Mainzer Kulturzentrum Eltzer<br />

Hof. Vor etwa sechs Jahren entwickelte er die Idee, einen<br />

Wodka für den Club zu produzieren. Er fand eine Destillerie<br />

im nahen Rheinhessen – und einen ungewöhnlichen<br />

Namen. Dieser ist sein Dank an den einzigen Hausmeister<br />

des Eltzer Hofs. »Ohne Harald hätten wir die Räume des<br />

›50grad‹ niemals bekommen«, erklärt Pascal Hedrich. Der<br />

Wodka mit 44 Prozent Alkohol besteht aus fünffach destilliertem<br />

Getreidealkohol und zweifach gefiltertem Wasser,<br />

ein »Wodka ohne Hokuspokus«, wie es auf dem Etikett<br />

geschrieben steht.<br />

Nach dem Wodka folgte der Gin. »Ich habe die Renaissance<br />

des Gin beobachtet, wollte schon immer ein komplett<br />

Start-up München: Worauf Daniel<br />

Schönecker am Destilliergerät noch<br />

wartet, hat sein Partner Maximilian<br />

Schauerte schon im Glas – den<br />

Gin The Duke aus Zitronenzeste,<br />

Wacholder, Lavendel, Kubeben pfeffer,<br />

Orangenblüten und vielem mehr.<br />

10 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 11


<strong>FINE</strong>: Herr Winterscheidt, Sie haben sich<br />

als Investor für das Mainzer Gin- und<br />

Wodka- Start-up »A Witch, A Dragon & Me«<br />

entschieden. Was hat Sie dazu bewogen?<br />

Winterscheidt: Für mich hat es Priorität,<br />

mich mit einem sehr wertigen Produkt auseinander<br />

zu setzen. Ich kann diese Auseinandersetzung<br />

mit Verstand und Geschmack<br />

befüllen, um Einzigartigkeit zu erreichen:<br />

vom Muscatel Gin zur Kamera, mit der<br />

man fotografiert bis hin zum Auto, das man<br />

fährt. Diese Individualisierung sämtlicher<br />

Lebensbereiche finde ich sehr spannend.<br />

Bei vielen alkoholischen Getränken ist<br />

inzwischen deutlich zu spüren, dass<br />

Wurzeln wieder wichtig geworden sind.<br />

Mit zunehmendem Alter bemerke ich, dass<br />

ich Dinge brauche, die mich ankern. In der<br />

TV-Branche, in der ich arbeite, funktioniert<br />

alles oft sehr oberflächlich. Ich finde<br />

es daher wichtig, dass beispielsweise Produkte<br />

wie Wodka oder Gin auch Werte<br />

vermitteln: Das erzeugt eine Substanz, die<br />

bleibt. Jeder, der so etwas genießen kann,<br />

spürt, dass hunderte Schritte und viel Zeit<br />

nötig waren, damit es genau so schmeckt.<br />

Davon geht für mich eine Faszination aus.<br />

Die war für mich direkt spürbar, als mein<br />

alter Freund Pascal Hedrich mir erzählte:<br />

So, ich mach’ jetzt diesen Gin. Meine Generation<br />

ist sehr von dem Gedanken geprägt:<br />

Was habe ich zu verlieren? Keine Angst<br />

vorm Scheitern haben – das führt sehr oft<br />

zu Erfolgsgeschichten.<br />

Sie hatten keine Angst vorm Scheitern?<br />

Bei Pascal und dem Muscatel Gin nicht.<br />

Pascal und ich kennen uns ewig, da weiß<br />

ich: Zwischen uns wird kein Blatt passen.<br />

Sollte es in die Brüche gehen, wären wir<br />

stark genug, das auszuhalten. Da verlasse<br />

ich mich auf meinen Bauch. Uns geht es<br />

auch nicht um Geld und Gier, es ist ein<br />

Selbstverwirklichen auf anderen Ebenen.<br />

Das ist sehr erfüllend.<br />

Investment folgt sonst anderen Regeln.<br />

Das ist auch so ein Generationen-Ding. Die<br />

Suche nach bleiben den Werten in einer Zeit, in der alles<br />

jederzeit zugänglich ist: Internet und Handy hier, E-Mails<br />

da, und kannst du nicht noch schnell was posten? Dadurch<br />

fängst du an, völlig bodenständige Dinge zu mögen. Was ich<br />

bei unserem Gin so ehrlich finde: Da wird sogar das Etikett<br />

von Hand aufgeklebt. Pascal schneidet vorher eine genau passende<br />

Schablone. Das Kleben hat auf eine ganz bestimmte<br />

Weise abzulaufen, damit es perfekt aussieht. Alles passiert<br />

von Hand, aber jede Flasche gleicht optisch der anderen.<br />

Das sind Dinge, die bei mir Wertschätzung erzeugen.<br />

Wie ist denn die Idee, Gin und Wodka zu produzieren, zu<br />

Ihnen gekommen?<br />

Pascal Hedrich erzählte mir am Telefon, dass er nun Wodka<br />

produziert. Die Idee sei in seinem Mainzer Club »50grad«<br />

entstanden, und nun wollte er auch die Produktion von Gin<br />

TV-STAR JOKO WINTERSCHEIDT<br />

ÜBER SEINE BETEILIGUNG AM<br />

MAINZER GIN- <strong>UND</strong> WODKA-START-UP<br />

»A WITCH, A DRAGON & ME«,<br />

ÜBER EHRLICH KEIT, SCHEITERN <strong>UND</strong><br />

HANDGEKLEBTE ETIKETTEN<br />

Interview UWE KAUSS<br />

14 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong><br />

»WAS<br />

HABE ICH ZU<br />

VERLIEREN?«<br />

Foto GUIDO BITTNER<br />

ausprobieren. Die Besonderheit sei dabei die Muskateller-<br />

Traube, zu der er und seine Familie eine enge Verbundenheit<br />

haben. Der Gin sei im Geschmack anders als die anderen.<br />

Ob ich den mal probieren wolle? Wir wollten schon<br />

lange etwas zusammen machen, aber es hatte sich bis dahin<br />

keine Gelegenheit ergeben.<br />

Ganz ehrlich: Ich war vorher kein Gin-Fan. Aber ich wusste<br />

von all meinen Freunden: Gin erzeugt eine Faszination<br />

für viele Leute und ist in guten Bars in tausend Facetten<br />

ver treten. Mittlerweile interessieren mich alle Gins, die<br />

ich kosten kann. Die Profis und Gin-Liebhaber in meinem<br />

Freundeskreis, die den Muscatel probiert haben, meinten<br />

alle: »Hey, was ist das für ein krasser Stoff!« Das hat mich<br />

überzeugt. Die Experten unter meinen Freunden waren<br />

genauso begeistert wie ich, der damals fast keine Ahnung<br />

davon hatte.<br />

Was haben Sie und Pascal Hedrich daraus<br />

gemacht?<br />

Wir betreiben nun ein gemeinsames Unternehmen.<br />

Wenn ich mit Freunden etwas<br />

mache, muss der geschäftliche Teil geklärt<br />

sein. Wenn’s hart auf hart kommt, muss<br />

man sauber auseinander gehen können.<br />

Und wenn’s gut läuft, muss dieser Teil<br />

ebenso klar sein – sonst funktioniert so<br />

etwas nicht. Bei aller Leichtigkeit ist es für<br />

mich extrem wichtig, diesen Aspekt eindeutig<br />

aufzusetzen. Das ist die Basis von<br />

allem. Sie ist für mich so wichtig wie das,<br />

was in der Flasche drin ist.<br />

Wie arbeiten Sie im Alltag zusammen?<br />

Wir mailen, nutzen WhatsApp, Pascal<br />

spricht mir auf die Mailbox und ich rufe<br />

zurück. Jetzt kommt die Sache langsam<br />

in Fahrt, es entsteht eine viel engere Taktung<br />

als vorher. Wir treffen Entscheidungen<br />

gemeinsam. Und wenn jemandem etwas<br />

nicht gefällt, den anderen aber schon, wird<br />

eine basisdemokratisch abgestimmt..<br />

Sie nehmen bei Ihren Investments also<br />

nicht die klassische Rolle des Investors ein?<br />

Ich sage allen Partnern: Ich bin kein klassischer<br />

Finanz investor. Ich bringe euch kein<br />

Geld, ich bringe einen anderen Wert mit.<br />

Mein Netzwerk. Meine Stimme in der qualitativen<br />

Auseinandersetzung mit dem Produkt.<br />

Ich kann euch Türen öffnen, an die<br />

man sonst sehr lange anklopfen müsste.<br />

Ab einem bestimmten Punkt ist das ein<br />

Geschäft, na klar. Aber das allein ist nicht<br />

mein primäres Ziel.<br />

Viele TV-Prominente investieren in der<br />

Genusswelt, etwa Günter Jauch mit<br />

seinem Weingut von Othegraven oder der<br />

Musiker Sting mit seinem Landgut in der<br />

Toskana. Ist das der Gegenpol zur Schnelllebigkeit<br />

des TV-Geschäfts?<br />

Wenn ich am Samstagabend meine Sendung<br />

moderiere, kriege ich am Sonntag die<br />

Quote. Dann weiß ich: Das war gut oder<br />

schlecht. Wenn wir Gin abfüllen, kann ich<br />

nur sagen: Der Gin in der Flasche ist gut.<br />

Ob er Erfolg hat, wissen wir noch nicht. Das wird die Zeit<br />

zeigen. Er erhält damit eine andere Wertigkeit. Im Fernsehen<br />

arbeite ich sechs Monate auf einen Moment hin. Am<br />

nächsten Tag lese ich eine einzige Zahl – und die beurteilt<br />

meine Arbeit. Beim Gin muss ich nicht so denken. Wir haben<br />

Zeit. Wir können die Geschichte anders erzählen. Unsere<br />

Firma gibt’s seit fast zwei Jahren. Wir sind noch da. 2015<br />

hat sich kein Journalist für unser Thema interessiert. Aber<br />

jetzt sitze ich hier und erzähle darüber. Der erste Schritt<br />

ist also gemacht.<br />

Welcher wäre für Sie der letzte Schritt?<br />

Es wäre viel besser, wenn unsere Firma noch in der zehnten<br />

Generation funktioniert, als mit einem Verkauf den schnellen<br />

Euro zu machen. Mein Ansatz ist es, eine Firma aufzubauen,<br />

die sehr lange bestehen wird.<br />

Was mit einem Funken begann ... entwickelte sich zur Ikone.<br />

Abgebildetes Produkt ist der EB 333 110 | Energieeffizienzklasse: A |<br />

auf einer Skala der Effizienzklassen von A+++ bis D.<br />

Der Unterschied heißt Gaggenau.<br />

30 Jahre lang haben wir diesen einen Backofen perfektioniert.<br />

Unser jüngstes Werk betont sein unverwechselbares Design<br />

mit einem Türpanel aus einem einzigen Stück Edelstahl:<br />

beeindruckende 90 cm breit und 3 mm stark. Dahinter eröffnet<br />

sich eine ungeahnte Welt kulinarischer Möglichkeiten.<br />

Dieses neu gestaltete, in Handarbeit geschaffene Kunstwerk<br />

ist Ausdruck unserer Werte, unseres Könnens und unseres<br />

Charakters. Wir nannten ihn EB 333 – eine Hommage an<br />

333 Jahre, in denen wir Metall verarbeiten. Und schon immer<br />

ging es um mehr als um einen Backofen: ein Versprechen,<br />

Meisterwerke zu erschaffen.<br />

Informieren Sie sich unter gaggenau.com.


<strong>DAS</strong> BESTE<br />

ZWEIER WELTEN<br />

Opus One: Die perfekte Synthese aus Napa und Médoc<br />

Napamedoc war der Arbeitstitel des Weins, den Robert Mondavi und Baron Philippe de Rothschild im kalifonischen<br />

Oakville erzeugen wollten. Der Name, der erst 1982 in Opus One geändert wurde, verweist auf die Grundidee dieses<br />

Joint Ventures: ameri kanische Trauben und französisches Savoir-faire in einem Wein zu verschmelzen, der von der<br />

klima tischen Reife seiner Herkunft wie vom klassischen Stilideal eines großen Bordeaux geprägt sein sollte. Dieser<br />

Vision entspricht der Opus One wie nie zuvor.<br />

Von STEFAN PEGATZKY<br />

Fotos JOHANNES GRAU<br />

Hoppla! Das ging<br />

gerade noch mal<br />

gut. Michael Silacci,<br />

dem Winemaker von<br />

Opus One, sitzt der<br />

Schalk im Nacken.<br />

Doch beim ernsten<br />

Verkosten prüft er<br />

die kleinste Nuance<br />

des Lagen-Blends;<br />

hier zeigt sich seine<br />

sensible Meisterschaft<br />

der Balance.<br />

Fast fünfzig Jahre ist es her, seit sich Robert Mondavi und Philippe de Rothschild zum<br />

ersten Mal trafen. In einer Suite des Mauna Kea Beach Hotels auf Hawaii erwogen der kalifornische<br />

Winzer und der Besitzer von Château Mouton Rothschild 1970 die Möglich keit<br />

einer Zusammenarbeit. Mondavi war von dieser Idee wie elektrisiert. Erst vier Jahre zuvor<br />

hatte er sein eigenes Weingut gegründet – nachdem er mit seiner Familie gebrochen und<br />

sich ihm 1962 bei einer Europa-Reise die Welt der großen Borde laiser Châteaus eröffnet<br />

hatte. Und nun machte dieser französische Adlige aus einer der reichsten und ange sehensten<br />

Familien Europas ihm, dem Sohn eines Traubenverkäufers, ein solches Angebot!<br />

Tatsächlich ist auch heute noch ein wenig rätselhaft,<br />

was den Baron zu diesem Schritt veranlasst<br />

hatte. Sicher, Robert Mondavi war ihm empfohlen<br />

worden, aber der Ruhm seiner Cabernets hatte sich noch<br />

nicht verbreitet; allenfalls sein Fumé Blanc hatte für Aufsehen<br />

gesorgt. Vermutlich hat er einige seiner Weine mit<br />

nach Hawaii gebracht. Und gute Weine wusste der Baron<br />

zu schätzen. Doch dessen Angebot verdankte sich wohl<br />

mindes tens ebenso sehr der außergewöhnlichen Persönlichkeit<br />

des Amerikaners. Die stieß auf einen nicht minder<br />

charis matischen Charakter: Playboy, Kunstmäzen, Rennfahrer,<br />

als Segler Teilnehmer bei den Olympischen Spielen –<br />

Philippe de Rothschild war das genaue Gegenteil schmallippiger<br />

französischer Aristo kraten. Zwischen den beiden<br />

muss es augenblicklich gefunkt haben.<br />

Und noch ein Drittes mag mit hineingespielt haben: Seit<br />

1954 war Philippe de Rothschild in zweiter Ehe mit einer<br />

Amerikanerin verheiratet. Pauline Baroness de Rothschild<br />

geborene Fairfax- Potter entstammte gleichsam dem amerikanischen<br />

Uradel: In direkter Linie war die Grande Dame<br />

mit Rebecca Rolfe, der legendären Pocahontas, und über<br />

mehrere Ecken mit Thomas Jefferson, dem dritten Präsidenten<br />

der Vereinigten Staaten (und Pionier des Anbaus<br />

französischer Rebsorten in Amerika) verwandt. Der Baron<br />

kannte das Land aus den Dreißigerjahren, wo er als Produzent<br />

in Hollywood tätig gewesen war. Aber es war die<br />

Baroness, die seine Liebe zu Kalifornien entfachte. Beide<br />

bereisten den Golden State regelmäßig gemeinsam; hier<br />

starb sie 1976.<br />

Bis es zu der Kooperation kam, sollten noch einige<br />

Jahre vergehen. Zunächst war der Baron mit Wichtigerem<br />

beschäftigt: der Aufwertung von Château Mouton Rothschild<br />

zum Premier Grand Cru Classé – 1855 war es nur in<br />

die zweite Kategorie eingestuft worden. Doch zwei Jahre<br />

nach dem sogenannten Judgement of Paris, bei dem der<br />

1973er Stag’s Leap von Mondavis ehemaligem Winemaker<br />

Warren Winiarski über den 1970er Mouton Rothschild<br />

trium phiert hatte, änderte er seine Meinung. Die schwierige<br />

französische Wirtschaftslage und das ausgezeichnete<br />

Investitionsklima in Kalifornien taten ein Übriges. 1978<br />

trafen sich der Franzose und der Amerikaner in Pauillac,<br />

und in weniger als einer Stunde war der Rahmen für die<br />

Kooperation abgesteckt.<br />

Dem Joint Venture lag die Idee zugrunde, das Beste<br />

zweier Welten in einem einzigartigen Wein zu vereinen.<br />

Seinen Ausdruck fand dies in dem Etikett mit dem janus-<br />

16 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 17


HANDEL<br />

MIT HALTUNG<br />

DA STAUNT SOGAR DREI-STERNE-KOCH HARALD<br />

WOHLFAHRT : WIE SICH EINE HYPERMARKT-KETTE<br />

ZUM WOHL DER K<strong>UND</strong>EN NEU ERFINDET<br />

Von ROBERT KRISPIN<br />

Fotos JOHANNES GRAU<br />

In der Herbstsonne blitzen die Blechschnauzen. Hunderte Autos und kaum ein freie Lücke, als Harald<br />

Wohlfahrt aussteigt. Er blickt über den Parkplatz, an dessen Ende weit hinten eine Waschstraße, eine Reifenhandlung<br />

und ein Bettengeschäft auf Kunden warten. Menschen verladen Kisten, große Tüten und Taschen<br />

im Kofferraum, schlagen Autotüren zu, fahren ab oder rangieren den Wagen zwischen eine Markierung auf<br />

dem Asphalt.<br />

Ein kurzer irritierter Blick blitzt durch seine Brille. Für ihn ein<br />

befremdlicher Ort. Der einundsechzigjährige Wohlfahrt ist eine<br />

Kochlegende: Von 1992 bis zu seinem Abschied im Streit vor<br />

einigen Wochen wurde seine Küche im Restaurant »Schwarzwaldstube«<br />

des Hotels »Traube Tonbach« ohne Unterbrechung mit drei Michelin-<br />

Sternen ausgezeichnet. Er gilt als einer der berühmtesten Köche der<br />

Welt, sein Urteil hat in den Restaurants rund um den Globus Gewicht.<br />

Der Luftkurort Baiersbronn-Tonbach mit seinen etwa neunhundert Einwohnern<br />

liegt im Schwarzwald, umgeben von tiefen Tannen wäldern.<br />

In dieser Abgeschiedenheit lebt Wohlfahrt seit Jahrzehnten mit seiner<br />

Familie, hier hat er bis vor kurzem am Herd gestanden. Es ist ein weiter<br />

Weg von dort ins Niemandsland nahe der Autobahn A57 in Krefeld-<br />

Oppum. Uerdingen, Rheinhausen und Duisburg sind die Nachbarn<br />

im Osten, im Süden sind es nur ein paar Autominuten bis Düsseldorf<br />

und ins feine Meerbusch.<br />

Harald Wohlfahrt hat sich auf den Weg gemacht, um das Sortiment<br />

eines neuen Typs Hypermarkt zu besichtigen, der hier im November<br />

2016 eröffnet wurde: die »Markthalle Krefeld« der Hypermarktkette<br />

Der große Koch mag krosse Krusten: Das ist ja richtiges frisches Brot!<br />

In der Backstube der Markthalle Krefeld werden auch Brötchen, Kuchen<br />

und Torten noch nach bester Handwerks-Tradition gebacken.<br />

20 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 21


Real. 282 Filialen in Deutschland, zuletzt 7,7 Milliarden Euro Umsatz<br />

netto. Mit dem neuen Konzept stellt die Real-Geschäftsführung auf<br />

11 500 Quadratmetern Verkaufsfläche die Jahrzehnte alten Prinzipien<br />

deutscher Supermärkte in Frage, die da sind: optimiertes Angebot,<br />

extrem günstige Preise, höchste Effizienz und möglichst niedrige Kosten.<br />

Doch die Renditen sind in der gesamten Branche des Lebensmitteleinzelhandels<br />

knapp. Wachstum lässt sich nur noch durch Verdrängung<br />

der Wettbewerber erzielen.<br />

Die »Markthalle Krefeld« trägt ihren Namen als Programm:<br />

»Für meine Geschäftsführerkollegen Henning Gieseke, Jörg<br />

Kramer und mich lag es nah, die Markt hallen tradition aus der<br />

Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wiederzubeleben, sie<br />

neu und zeitgemäß zu interpretieren«, erzählt der Real-CEO Patrick<br />

Müller-Sarmiento. »Wir haben mit dem gesamten Management viele<br />

Märkte und Markthallen von München bis Hamburg sowie von Japan<br />

bis Nordamerika besucht. Wir haben die Kunden beobachtet, sie meist<br />

als glücklich wahrgenommen. Da wurde uns klar: Diese Vision wollen<br />

wir aufgreifen.«<br />

Um den Real-Markt in Krefeld-Oppum in die Markthalle Krefeld<br />

zu verwandeln, wurde er 2016 für einige Wochen geschlossen und<br />

umgebaut. Rund einhundert neue Mitarbeiter wurden rekrutiert und<br />

entsprechend geschult. Viele von ihnen arbeiteten zuvor nicht im Handel,<br />

sondern in der Gastronomie, in Hotels und in Dienstleistungs berufen,<br />

sagt Jörg Kramer. Rund zweihundertfünfzig Mitarbeiter stehen nun<br />

für die Kunden zur Verfügung. Insgesamt habe Real einen »niedrigen<br />

zwei stelligen Millionen betrag« in die Markthalle am Krefelder Stadtrand<br />

investiert. Der Markt in der Ebene zwischen Feldern, Lager hallen,<br />

Gewerbe und Wohngebieten sei dafür genau richtig gewesen, ergänzt<br />

Henning Gieseke und erklärt die Wahl des Standorts: »Durch Krefeld<br />

verläuft die Grenze zwischen dem eher wohlhabenden Rheinland und<br />

dem Ruhrgebiet mit deutlich geringerer Kaufkraft«, sagt er. »Wir<br />

wollen ja keinen Feinkostladen nur für Wohlhabende, wir sind für alle<br />

Kunden da.« Zudem liegt die Markthalle nur eine halbe Autostunde<br />

von der Düsseldorfer Konzernzentrale entfernt: »Meine Kollegen und<br />

ich waren über eine sehr lange Phase fast jeden zweiten Tag dort.«<br />

Die meterhohe Glastür öffnet sich. Harald Wohlfahrt geht an einer<br />

langen Einkaufswagenkette vor zartgrüner Wand vorbei, bleibt an einem<br />

einsam platzierten Deko-Baum stehen und greift an eine Frucht. Er hebt<br />

die Augenbrauen und lächelt: »Plastik«. Der Sternekoch federt um die<br />

Ecke, betritt die Markthalle und bleibt stehen. Wann war er zum letzten<br />

Mal einkaufen? »Muss lange her sein. Ich habe ja über vierzig Jahre<br />

lang im Betrieb gelebt und dort gegessen. Ich hatte einen 14-Stunden-<br />

Tag. Und noch nie habe ich einen Real-Markt betreten.« Er schnuppert<br />

einen Moment und steuert auf die Bäckerei zu. Immer der Nase<br />

nach. Da stehen Mehlsäcke, Teigrührmaschinen, meterlange Arbeitsflächen,<br />

bestäubt mit Mehl. Edelstahlrohre ragen aus der Decke, Ofenklappen<br />

aus der Backsteinwand. Hier werden keine Tiefkühl rohlinge<br />

fertig gebacken, hier arbeiten Bäckermeister und -gesellen nach den<br />

Maßstäben des Handwerks. Bis sieben Uhr abends wird produziert:<br />

Brote, Brötchen, Baguette, Kuchen, Stückchen und Torten. Fünfundneunzig<br />

Prozent dieses Angebots entstünden in der Markthalle, erzählt<br />

Patrick Müller-Sarmiento. Das Mehl stamme von der Eifelähre, einer<br />

Nach haltig keits initiative von Landwirten aus der Eifel, die Zutaten von<br />

einem regionalen Großhändler.<br />

Der große Koch genießt die kleinen Freuden:<br />

Aromatischer Ruhepol im bunten Markttreiben ist<br />

die Kaffeerösterei. Zwölf Sorten brauner Bohnen<br />

werden hier täglich frisch geröstet. Belebender für<br />

Körper und Sinne kann ein Espresso nicht sein.<br />

Wohlfahrt nimmt ein »Krefelder Krustenbrot«, das aus selbst<br />

angesetztem Sauerteig produziert wird. Er schiebt die Brille<br />

auf die Stirn, untersucht die Oberfläche, riecht daran, probiert<br />

ein abgeschnittenes Stück und nickt. »Das Brot schmeckt sehr<br />

gut«, urteilt er, »die Teigführung stimmt, es hat eine schöne Konsistenz<br />

und Kruste, es hat Aroma. Manchmal ist weniger mehr.« Seit dem<br />

Start gibt es zehn Brötchen für einen Euro. Harald Wohlfahrt hebt die<br />

Augenbrauen: »Bei diesem Preis denke ich doch, das ist irgendeine<br />

fertige Teigware, die sonst wo herkommt. Das hier aber ist locker und<br />

zart mit feiner Kruste. Dass man in Deutschland für zehn Cent so ein<br />

Brötchen kaufen kann, finde ich sensationell.«<br />

22 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 23


WEIN, DER IN DIE<br />

WOLKEN WÄCHST<br />

IN COLOMÉ, DEM HÖCHSTGELEGENEN WEINGUT DER WELT IN DEN ANDEN<br />

ARGENTINIENS, KULTIVIERT DER SCHWEIZER WINZER DONALD HESS KÖSTLICHE<br />

REBEN <strong>UND</strong> DIE KUNST DES AMERIKANISCHEN LICHTMAGIERS JAMES TURRELL<br />

Von ANGELIKA RICARD-WOLF<br />

»Die spinnen«. Den Taxifahrern in Salta steht auf die Stirn geschrieben, was sie<br />

von uns halten. Dabei fragen wir nur, ob uns morgen einer von ihnen zur Bodega<br />

Colomé, dem höchst gelegenen Weingut der Welt bringen könne? Wo wir den<br />

berühmten Malbec probieren und vor allem das Museum mit Werken des amerikanischen<br />

Lichtkünstlers James Turrell besichtigen wollen, das dort oben zwischen<br />

den Reben steht. Einhelliges Kopfschütteln: »Lo siento, señora«.<br />

Auf die gut vierhundert Kilometer an einem Tag will sich keiner<br />

einlassen. An sich ist die Entfernung kein Problem, wären die<br />

Straßenverhältnisse passabel. Sind sie aber nicht. Der größte<br />

Teil der Strecke führt entlang atemberaubender Schluchten über Geröllpisten,<br />

halsbrecherische Haarnadelkurven und kahle Passhöhen, vorbei<br />

an Myriaden mannshoher Kakteen und versprengten Vikunjas, die zur<br />

Familie der Kamele gehören und so genügsam sind wie ihre großen Verwandten<br />

mit Höcker. Ein traumhaftes Szenario für die Bei fahrer, aber<br />

sechs Stunden hin, sechs Stunden zurück Konzentration für die Person<br />

am Steuer. Die in Colomé zwecks Entspannung nicht mal ein Glas Wein<br />

trinken darf. Was echt hart ist. Kein Wunder, dass die Jungs da passen.<br />

Claro, unsere Idee ist verwegen. Aber nur ein Fünkchen so wie<br />

die, die der Schweizer Donald Hess an unserem Wunschziel Colomé<br />

in die Tat umgesetzt hat. Und zwar auf 39.000 semiariden Hektar Land<br />

in 2211 Metern und mehr Höhe im abgeschiedenen Calchaquí Tal am<br />

Fuße der Anden. Dort kaufte der aus einer Brauerfamilie stammende<br />

Berner Geschäftsmann, Winzer und Kunstsammler 2001 ein Areal, das<br />

zweimal so groß wie Liechtenstein, aber kaum bevölkert ist. Allerdings<br />

liegt mittendrin Argentiniens ältestes, seit 1831 bestehendes Weingut<br />

mit seinen zum Teil hundertfünfzig Jahre alten Rebstöcken: die<br />

Estancia und Bodega Colomé. Sie wollte Hess, Jahrgang 1936, wieder<br />

in Schwung bringen, seit er per Zufall den Rotwein von dort verkostet<br />

und als ungeschliffenen »Rohdiamanten« ausgemacht hatte.<br />

Also investierte er rund fünfzehn Millionen Dollar in die brachliegende<br />

Infrastruktur der kargen Region, ließ Wasser- und Stromleitungen<br />

verlegen und ein kleines Pueblo samt Kirche und Kneipe für<br />

die Arbeiter auf seinem Weingut bauen. Die Estancia selbst wurde mit<br />

Kellerei, Lagern für Stahltanks und Eichenfässer, Labor und Abfüll anlage<br />

auf Vordermann gebracht. Alte, noch bestehende Gebäude wurden<br />

restauriert und mit einem Neubau samt kleinem, feinem Hotel und<br />

Pool ergänzt.<br />

Aktivitäten, die ihm bei den Einheimischen den Spitznamen »El<br />

loco«, »der Verrückte« einbrachten. Ein Titel, den sich Hess in ihren<br />

Augen erst recht verdiente, als er dort in luftiger Höhe quasi »nebenbei«<br />

auch noch sieben Jahre lang Planung und Bau eines veritablen<br />

Museums vorantrieb.<br />

Foto: Angelika Ricard-Wolf<br />

Fotos: Florian Holzherr Fotos: Bodega Colomé<br />

Kunst und Wein verbindet er schon immer gern. Zu seiner<br />

Hess-Collection Winery auf dem Mount Veeder im kalifornischen<br />

Napa Valley gehört seit 1989 auch ein Museum mit<br />

Werken zeitgenössischer Künstler wie Anselm Kiefer, Francis Bacon,<br />

Magdalena Abakanowicz oder Gerhard Richter. Das Museum in Colomé<br />

sollte dagegen ausschließlich Turrells Lichtinstallationen gewidmet sein,<br />

von denen er selbst neun besaß. Allerdings bis dato buchstäblich nur<br />

auf dem Papier, in einem jener »grey books«, grauen DIN-A4-Kartonagen,<br />

in denen Turrell minutiös Berechnungen und Beschreibungen<br />

eines Werkes festhält und als eine Art Software an den Sammler veräußert.<br />

Donald Hess wollte endlich in Wirklichkeit sehen, was Turrell<br />

ihm da eingetütet hatte.<br />

Wir auch. Der Ansatz des 1943 geborenen Amerikaners, die Qualität<br />

des Lichts selbst in den Fokus seiner Arbeit zu stellen, fasziniert<br />

uns schon lange. Ausgelöst wurde das Interesse vor ein paar Jahren bei<br />

einem Besuch in Zürich. Dort hat<br />

Turrell dem Headquarter der Fifa<br />

ein Licht konzept verpasst, dessen<br />

Erleuchtung – zumindest äußerlich<br />

– jahrelang ihre Wirkung nicht<br />

verfehlte. Der Komplex erstrahlte<br />

nach Einbruch der Dunkelheit wie<br />

ein Ufo. Was der Organisation an<br />

sich eine futuristische Aura verlieh.<br />

Sinnigerweise wurde der Strom<br />

für die Außen-Installation kürzlich<br />

ausgeknipst.<br />

Ein Grund mehr, Turrells<br />

Lichträume in Colomé zu besuchen,<br />

wenn man quasi um die Ecke<br />

in Salta ist. Das findet auch Maria<br />

von unserem Bed & Breakfast. Sie<br />

war schon in diesem in seiner Art einmaligen Museum. »Ich frag’ meine<br />

Clique mal per WhatsApp, ob jemand Zeit hat, euch zu fahren.« Keine<br />

halbe Stunde später sind wir mit ihrem Kumpel Santiago vernetzt, der<br />

Lust auf eine Extratour hat und ein allradgetriebenes Offroad-Fahrzeug<br />

(Bedingung!!!) besitzt. Perfekt!<br />

Tags drauf starten wir im Morgengrauen, mäandern wie in Watte<br />

gepackt – so tief hängen die Wolken in der Schlucht – über die<br />

Ruta 33 gen Cachi, queren einen respektablen Erdrutsch, erreichen<br />

in 3457 Metern die Passhöhe Piedra del Molino und die ersten<br />

Sonnen strahlen. Vor uns schnürt sich endlich mal wieder Asphalt kerzengerade<br />

durch das Hochplateau des Nationalparks Los Cardones mit seinen<br />

Riesenkakteen. Danach wieder Kurven, runter nach Cachi und auf<br />

der legendären Ruta 40, die sich 5301 Kilometer lang als argentinisches<br />

Rückgrat von Patagonien zur bolivianischen Grenze zieht, weiter nach<br />

Molinos. Von Vorzeigestraße auf dem allein mit Steinen und Schlaglöchern<br />

gepflasterten Abschnitt keine Spur. Stoßdämpfer werden in<br />

diesem Land grundsätzlich völlig überbewertet.<br />

Edler Wein und schöne<br />

Kunst bestimmen<br />

das Leben von Donald<br />

Hess. Auf einem<br />

welten fernen Hoch-<br />

Plateau der Anden<br />

produziert er in seiner<br />

Bodega Colomé den<br />

groß artigen Malbec<br />

Altura Maxima und<br />

präsentiert faszinierende<br />

Lichtinstallationen<br />

von<br />

James Turrell, wie Alto<br />

Green von 1968 und<br />

Spread aus dem Jahr<br />

2003.<br />

30 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 31


Augen auf, lächeln, tüfteln: So könnte es aussehen, wenn<br />

Sabine Engelhardt und Marc vom Ende sich motiviert und<br />

frohgemut an ihre Arbeit machen. Die Zukunftsexpertin<br />

und der Duftmagier verwandeln die bekannten Stuttgarter<br />

Nobelautos in wahre Traumwagen. Das Geheimnis des noch<br />

gelasseneren, inspirierten Fahrens steckt im Handschuhfach –<br />

die »Mood«-Parfüms des exklusiven Air Balance Systems.<br />

Im Cabrio unterwegs auf der sonnigen Pacific Avenue in Santa Monica Richtung<br />

Venice Beach. Links die Megacity Los Angeles, rechts der breite Strand und dahinter<br />

der blaue Ozean mit seiner frischen Brise. Ein Feeling meilenweiter Freiheit.<br />

Das könnte man auch gut bei geschlossenem Verdeck gebrauchen.<br />

Im Feierabendverkehr. Im Stau auf der Autobahn. Oder<br />

bei Wind, Regen, Schneegestöber, auf Landpartien in unwirtlichen<br />

Gegenden.<br />

Kein Problem. Vorausgesetzt, man fährt einen Mercedes der Klasse<br />

S, E oder C, einen GLC oder einen Maybach. In diesen Modellen lässt<br />

sich der »Pacific Mood« mit einer Duftmischung aus Limette, Lavandin,<br />

Muskateller salbei und Sandelholz heraufbeschwören. Ver breitet wird<br />

sie über das sogenannte Air Balance System, das gegen einen Aufpreis<br />

von knapp vierhundert Euro als Sonderausstattung zu haben ist. Es verbessert<br />

nicht nur dank Ionisator und Spezialfilter die Luft qualität im<br />

Innenraum, sondern aromatisiert sie auch subtil per Intervall­ Schaltung<br />

mit dem Hauch aus Santa Monica. Oder einem der anderen sechs, eigens<br />

dafür entworfenen »Mood«-Parfüms.<br />

Das Tool, das diesen Effekt erst möglich macht, steht auf der Mosaikplatte<br />

des Couchtisches in einem sparsam möblierten Backsteinloft am<br />

Berliner Salzufer. Es ist das Denklabor von Sabine Engelhardt. Die Diplom­<br />

Bibliothekarin, die zusätzlich Informations wissenschaften, Publi zistik<br />

und Psychologie studiert hat, arbeitet als Futurologin bei Daimler. Seit<br />

1996 befasst sie sich für das Unternehmen mit dem Zusammen spiel von<br />

Kultur und Auto. Ihre Aufgabe ist<br />

es, nach zukunftsträchtigen Neuerungen<br />

zu suchen, die den Lebensraum<br />

Auto attraktiver machen.<br />

Wie diese Duft-Box. Nicht<br />

ohne Stolz erklärt die Einundfünfzigjährige, wie der kleine, samtig<br />

beflockte Kasten vor ihr funktio niert, der sich sonst im Handschuh fach<br />

der Fahrzeuge versteckt. Die Apparatur sieht aus wie eine winzige Kaffeemaschine.<br />

In deren »Designmaul«, also da, wo sonst die Kanne ist, steht<br />

der Duftflakon, den indirekte Beleuchtung von unten erstrahlen lässt.<br />

»Der Flakon sitzt fest, damit er nicht herausfällt und zum Sicherheitsrisiko<br />

wird. Wird er nicht benutzt, schließen sich die Ventile im Deckel. So<br />

kann das Parfüm nicht auslaufen«, sagt Engelhardt, »über ein Schlauchsystem<br />

wird Luft angesaugt. Diese streicht über das Parfüm im Flakon,<br />

tritt durch eine zweite Öffnung wieder aus und wird dann direkt in das<br />

Fahrzeuginnere geleitet.«<br />

Keine volle Duft-Dröhnung also, stattdessen die indirekte Drüberström-Idee.<br />

Es war komplizierter als gedacht, sie umzusetzen,<br />

und verlangte den hauseigenen Designern und Konstruk teuren<br />

einiges ab. »Aber es gab in den acht Jahren der Entwicklung immer<br />

Parfümliebhaber unter den Kollegen, die sich als heimliche Helfer entpuppten<br />

und das Projekt unterstützten«, sagt sie. Die letzten Skeptiker<br />

überzeugte das Feedback der Erlkönig-Piloten. Sie hatten schon früh<br />

auf ihren einsamen und langen Testfahrten Prototypen des Air Balance<br />

LIMETTE AUS DEM HANDSCHUHFACH<br />

YOUR CAR IS YOUR CASTLE. <strong>FÜR</strong> NOCH MEHR<br />

LUXURIÖSEN FAHR<strong>GENUSS</strong> VERPASSEN DIE<br />

FUTUROLOGIN SABINE ENGELHARDT <strong>UND</strong><br />

DER PARFÜMEUR MARC VOM ENDE DAIMLERS<br />

EDELKAROSSEN DÜFTE AUF RÄDERN.<br />

Von ANGELIKA RICARD-WOLF<br />

Fotos JOHANNES GRAU<br />

34 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 35


Augen zu, durchatmen,<br />

entspannen:<br />

So könnte es aussehen,<br />

wenn Sabine<br />

Engelhardt und Marc<br />

vom Ende auf Reisen<br />

im Fond eines Stuttgarter<br />

Luxus wagens<br />

ihre Erfindung glücklich<br />

erproben und in<br />

der Luft die wohltuende<br />

Wirkung einer<br />

der kost baren Duftmischungen<br />

sich entfaltet.<br />

Am Steuer freilich<br />

bleibt man belebt<br />

und wach – und mit<br />

Parfüm kreationen<br />

wie Sports, Nightlife<br />

oder Day break auch<br />

bester Laune.<br />

Systems samt Parfüm an Bord und waren von ihren duften Beifahrern<br />

mehr als begeistert.<br />

Denn parallel zur Duftbox-Technik hatte Sabine Engelhardt mit<br />

exakten Briefings – »ich erzähle zu jedem Auto eine Geschichte wie<br />

die vom Ocean Drive« – auch schon die Parfümentwicklung in Auftrag<br />

gegeben: bei Marc vom Ende, Seniorparfümeur beim Riechstoffhersteller<br />

Symrise. Für den versierten Duftmischer feiner Parfüms war<br />

das eine völlig neue Herausforderung. »Ich musste die Enge des Raums<br />

einkalkulieren und die Tatsache, dass die Insassen einem Duft über<br />

eine längere Zeit ausgesetzt sind«, sagt der Neunundvierzigjährige,<br />

der inzwischen sieben Parfüms für das Air Balance System entwickelt<br />

hat und am achten arbeitet.<br />

Als besonders knifflig erwies sich die Rezeptur-Anpassung an<br />

das innovative Verteilungsverfahren via Luftstrom. »Es ist<br />

einzig artig. Der Prozess ist tricky. Entsprechend intensiv haben<br />

wir an den Rezepturen herumgetüftelt und probiert.« Denn Alkohol,<br />

klassisches Lösungsmittel für Parfüms, funktioniert im Auto nicht.<br />

Er würde bei den Temperaturen, denen das Fahrzeug ausgesetzt sein<br />

kann, zu schnell verdunsten. Viele Ingredienzien vertragen sich aber<br />

nur damit. »Es dauerte, bis wir für eine optimale Lösung ein alternatives<br />

Lösungsmittel gefunden hatten, mit dem die Zutaten harmonieren.«<br />

Weshalb bei der Wahl der Ingredienzien bis heute zuerst deren<br />

Funktionsfähigkeit eine Rolle spiele und danach ihr Preis. Ein Traum<br />

für jeden Parfümeur. »Das verschafft mir unglaublichen Freiraum«,<br />

sagt Marc vom Ende. So konnte er etwa für die Rezeptur des »Sports<br />

Mood« Magnolien blüten öl verwenden. Ein Kilo davon kostet immerhin<br />

fast zweitausend Euro.<br />

Sabine Engelhardt sieht das gelassen. »Die Düfte müssen der Marke<br />

entsprechen. Nur hoch wertige Flüssigkeiten in einem schönen Flakon<br />

passen zum luxuriösen Image von Mercedes.« Und zum angestrebten<br />

Wohlfühlambiente auf vier Rädern, um das es letztendlich geht. Immerhin<br />

verbringt jeder Mensch laut Statistik im Laufe seines Lebens zwei<br />

Jahre und sechs Monate hinterm Steuer. Tendenz steigend.<br />

»Es ist daher wichtig, im Auto eine Art Wohnzimmeratmosphäre<br />

zu schaffen. Sie soll den Insassen das Gefühl vermitteln, im Fahrzeug<br />

bei sich, also zuhause zu sein«, sagt Engelhardt. Nicht nur Mercedes,<br />

die gesamte Branche setzt schon länger auf mehr Komfort am Volant,<br />

nach dem Motto »your car is your castle«. Für Augen- und Ohrenschmaus<br />

wird serienmäßig oder gegen Aufpreis gesorgt – von Ziernähten<br />

am Polster über raffinierte Sound-Systeme bis hin zur Kühlbox<br />

samt silbernen Champagnerkelchen.<br />

Nur die Nase war, wie Engelhardt registriert hatte, auf der Strecke<br />

geblieben. Mal abgesehen vom legendären Wunderbaum – spezielle<br />

Düfte fürs Fahrzeug gab es nicht. Schon gar keine hochwertigen. Ein<br />

absolutes Manko unter heutigen Modern-Living-Aspekten. Duft kerzen<br />

und Diffuser sind schließlich aus den eigenen vier Wänden für eine<br />

heime lige Stimmung kaum noch wegzudenken.<br />

Mit dem Air Balance System muss man darauf auch »on the road«<br />

nicht verzichten. Je nach Geschmack machen Bergamotte und Geranium<br />

(»Freeside«), Lindenblüte und<br />

Blattgrün (»Sports«), Kardamom<br />

und Jasmin (»Nightlife«), Magnolie<br />

und Wassermelone (»Downtown«),<br />

Pfefferminze und Muskatnuss<br />

(»Daybreak«) oder Oud<br />

(»Agarwood«) auch den längsten<br />

Trip zu einem duftigen Erlebnis.<br />

Jedes Fläschchen, einzeln ab<br />

sechzig Euro für fünfzehn Milliliter<br />

nachzukaufen, reicht für<br />

zehn- bis zwölftausend Kilo meter.<br />

Nur Mood.<br />

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36 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong>


RUHMES­<br />

HALLE <strong>FÜR</strong><br />

RINDER­<br />

RÜCKEN<br />

DIE METZGEREI DAVID IN WORMS<br />

<strong>UND</strong> IHR BEGEHRTES DRY AGED BEEF<br />

Von MARTIN WURZER-BERGER<br />

Jürgen David ist rechtschaffen müde. Viele Tage mit wenig Schlaf und einem<br />

gerüttelt Maß Arbeit liegen hinter ihm. Es ist neun Uhr in der Frühe, fünf Stunden<br />

hat er nun schon in seiner Metzgerei geschafft, keine zwei Stunden lag er zuvor<br />

im Bett. Jetzt sitzt er wie aus dem Ei gepellt mit Dreitagebart, fast ebenso kurzem<br />

Haupthaar und schwarzem T-Shirt in einem bequemen Ledersessel seiner Hall<br />

of Beef. Gerade ist sie fertig geworden. Weiß und edles dunkles Grau an den<br />

Wänden, rostige Eisenträger an der Decke. Dekorative Elemente sind rar. An<br />

den dunkel gestrichenen Wänden hängen großformatige Fleischfotos. Ein Regal<br />

ist mit Flaschen aus dem Weingut Knipser bestückt. Für die Kühl- und Küchenelemente<br />

dunkelgraue Fronten, glänzender Edelstahl und Glas. Am kommenden<br />

Samstag ist die Eröffnung. Die Regale und Fleischhaken hinter der frei stehenden<br />

Theke, die zugleich ein Küchenblock ist, sind noch leer.<br />

Das Fleisch aber, um das es hier zentral geht, hängt schon lange in<br />

einem Kühlraum im rückwärtigen Teil der loftigen »Hall«. Sie<br />

verbirgt ihre Schätze nicht. Bodentiefe Glasfenster geben den<br />

Blick frei auf exquisites Dry Aged Beef: ganze Rücken, meist vom Weiderind,<br />

immer aus Mutterkuhhaltung. Angus vom pfälzischen Donnersberg,<br />

Aberdeen Angus und Hereford aus Irland. Bio-Ochsen, ebenfalls<br />

aus Irland, ausschließlich mit Gras gefüttert. Ternera Gallega Suprema<br />

und Rubia Gallega aus Spanien. Limousins kommen aus regionaler<br />

Zucht, gelegentlich auch vom Bodensee.<br />

Ein eigentümlich warmgelbes Licht erfüllt den Kühlraum. Seine<br />

Rückwand ist aus geschnittenen Salzblöcken geschichtet und hinterleuchtet.<br />

Das war vor einigen Jahren die entscheidende Idee des heute Einundvierzigjährigen<br />

für seine Methode der Fleischreifung. Die Salzwand<br />

erzeugt zusammen mit der achtzigprozentigen Luftfeuchtigkeit ein keimhemmendes<br />

Klima. Beim Dry Aged Beef wird das Fleisch so auf mehrfache<br />

Weise gereift: Unter der Einwirkung natürlicher Enzyme erweichen<br />

die Proteine in den Muskelzellen. Zudem wird einiges Collagen vom<br />

Bindegewebe durch Collagenasen aufgebrochen. Hinzu kommt der Verlust<br />

von Wasser – über die mindestens sechswöchige, häufig längere<br />

Reifung sind das stramme zwanzig Prozent. Sie konzentriert Aroma<br />

und Geschmack. Vor dem Verkauf muss die Talgschicht, mit der die<br />

Fleischstücke vor allem auch in den verästelten Knochen partien der<br />

Wirbelsäule vorm Verderb geschützt wurden, ebenso entfernt werden<br />

wie allzu trockne Randpartien. Das bedeutet nochmals einen Verlust<br />

von üppigen dreißig Prozent.<br />

Das schlägt sich auf den Preis nieder, mehr noch allerdings auf<br />

Geschmack und Zartheit des Fleisches. Davids Erfolg bei den Kunden<br />

spricht eine deutliche Sprache. Mittlerweile bewegt das Thema schon<br />

den Lebensmittel-Einzelhandel. Doch dort wird die zweite oder dritte<br />

Welle des Hypes geritten. David ist alles andere als ein Wellenreiter: Er<br />

hat die Welle mit angeschoben.<br />

Fotos: Metzgerei David<br />

Foto: Frank Bauer<br />

Jürgen Davids Hall of Beef soll nicht weniger sein als eine Hall of<br />

Fame für trocken gereiftes, hochwertiges Rindfleisch. Zwei Formate sind<br />

geplant. Freitags der Big Butcher Day. Erwartet werden Zeitgenossen,<br />

die erstklassiges Fleisch schätzen und es vom ganzen Stück geschnitten<br />

selbst zum heimischen Grillen vorbereiten möchten. Ein oder zwei<br />

Mal im Monat findet im Anschluss die Big Butcher Night statt. Damit<br />

soll der schier unersättliche Informationshunger und -durst der Kunden<br />

gestillt werden. Der direkte geschmackliche Vergleich zwischen verschiedenen<br />

Rassen, unterschiedlicher Fütterung und divergierendem<br />

Alter werden ebenso diskutiert wie Reifeverfahren und Zubereitungsarten.<br />

Kompetenz kulminiert in der Wormser Hall of Beef wie an wenigen<br />

vergleichbaren Orten in der Republik.<br />

Jürgen David entspricht dem Klischee des zünftigen Dry-Aged-Beef-<br />

Bad-Boys, das einige seiner Kollegen so locker-rockig bedienen,<br />

in keiner Weise: Kein wild rauschender Vollbart, keine flächendeckenden<br />

Tätowierungen. Und vor allem: Er ist nicht laut. Wenn der<br />

schmale, fast sanft sprechende Rheinhesse mit seinem doppelseitigen<br />

Hackebeil und Lederschürze posiert, schwingt auch ein wenig Ironie mit.<br />

Nicht Klischee, sondern Können und Wissen stehen im Vordergrund.<br />

Der Platz für die Hall of Beef konnte nur geschaffen werden, weil<br />

Jürgen David die ehemalige Polsterei rechts neben seiner Metzgerei an<br />

der Binger Straße endlich erwerben konnte. Die sorgfältige und klare<br />

Renovierung innen spiegelt sich in einer sehr zurückhaltenden Fassadengestaltung<br />

mit zwei großen, fein<br />

gegliederten Sprossenfenstern<br />

rechts und links des Eingangs.<br />

Das Logo der Hall of Beef wurde<br />

mit dem lebens großen Scherenschnitt<br />

eines beeindruckenden<br />

Angus-Bullen vom Donners berg<br />

kombiniert und prangt auf der<br />

Wand zwischen Einfahrt und<br />

Eingang. Durch die jahrelange<br />

Arbeit mit einem Züchter wurde<br />

im Nordpfälzer Bergland eine qualitativ<br />

hochwertige Herde gezüchtet,<br />

die nicht zuletzt wegen der<br />

Der Metzger David und das Fleisch: Exquisites Dry<br />

Aged Beef herzustellen, die Krönung des Rindfleischs<br />

von bestem Weidevieh – das ist seine Bestimmung.<br />

Ob beim meisterlichen Zerlegen der Rückenteile oder<br />

beim Reifeprozess in der Salzwand-Kühlkammer der<br />

Hall of Beef: Jürgen David liebt sein Handwerk.<br />

38 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 39


»WIR<br />

WOLLEN<br />

DEN<br />

BESTEN<br />

WEIN AUS<br />

LUCCA<br />

MACHEN«<br />

DER TOPMANAGER ALS WINZER: ALS PERFEKTIONIST IST WOLFGANG REITZLE<br />

AUCH MIT DER VILLA SANTO STEFANO IN DER TOSKANA VOLLER EHRGEIZ.<br />

Text KRISTINE BÄDER<br />

Fotos THILO WEIMAR<br />

Es ist ein traumhafter Blick, wenn der frühe<br />

Morgen über der Villa Santo Stefano heraufzieht<br />

und die noch tief stehende Sonne durch<br />

den feinen Dunstschleier bricht. Weit im Tal<br />

liegt die alte Stadt Lucca mit ihrer vollständig<br />

erhaltenen mittel alterlichen Stadtmauer. Die<br />

umliegende Provinz Lucca ist vor allem für<br />

ihr außergewöhnlich gutes Oliven öl berühmt.<br />

Doch obwohl der Colline Lucchesi einer der<br />

ältesten Weine Italiens ist, kennen ihn selbst<br />

Toskana-Liebhaber kaum. Das soll sich in<br />

und Passion geben, etwas, das vom Manager Magazin ganz<br />

treffend als »beseelt von Perfektion« beschrieben wurde.<br />

Anders lässt sich nicht er klären, dass Wolfgang Reitzle viel<br />

Zeit, Engage ment und Geld investiert, um ein heruntergekommenes<br />

Anwesen stilsicher in einen traumhaft schönen<br />

Ort zu verwandeln und mit dem Loto einen Wein zu er zeugen,<br />

der in den vergangenen Jahren zu nehmend von sich<br />

reden macht. Außerdem – aber alles andere als nebenbei –<br />

produziert er das beste Oliven öl der Region.<br />

Was naheliegend ist. Denn immerhin gehörte die<br />

Villa Santo Stefano einst dem sogenannten Olivenöl baron<br />

Francesco Bertolli, dessen Erbe sehr erfolgreich fast den<br />

kompletten Besitz verjubelte. Am Ende waren von ehemals<br />

sechzig Hektar Oliven hainen gerade noch vier übrig<br />

und das Anwesen Villa Santo Stefano. Das kam Wolfgang<br />

Reitzle gerade recht. »Ich habe schon als Kind meine Ferien<br />

mit meinen Eltern in der Toskana verbracht«, erzählt er<br />

von den Wurzeln seiner Verbundenheit mit Italien. Als<br />

Erwachsenen zog es ihn in den kurzen Wochen des Jahresurlaubs<br />

immer wieder in die Toskana zurück, und dass<br />

er hier einmal ein Ferien haus haben wollte, war immer<br />

klar. Zehn Jahre hat er gesucht, jedes Jahr zwei Wochen<br />

lang. »Erst nach sieben Jahren habe ich Lucca entdeckt<br />

und mich sofort in die Stadt und die Gegend verliebt.« Es<br />

sollte noch drei weitere Jahre dauern, bis er die zunächst<br />

unerreichbar erscheinende Villa kaufen konnte. Ein völlig<br />

verwahrlostes Anwesen mit Oliven bäumen, die unter der<br />

wuchernden Macchia kaum noch zu sehen waren. Und ein<br />

Weinberg, der mit uralten Sangiovese Reben bestockt war.<br />

Wolfgang Reitzles Eltern stammen beide aus der Landwirtschaft,<br />

einen Großteil seiner Kindheit hat er auf den<br />

Bauern höfen seiner Großeltern verbracht. Mit seinem<br />

Cousin ist er Traktor, einen Lanz Bulldog, in Gewaltenteilung<br />

gefahren – der ältere und stärkere Cousin bediente<br />

die Kupplung, er die Gangschaltung –, später Mäh drescher<br />

und alle anderen Maschinen. »Dadurch habe ich bis heute<br />

eine starke Beziehung zur Landwirtschaft.« Wolfgang<br />

Reitzle schwebte also etwas mit einem Garten vor, etwas<br />

Land für Gemüse und vielleicht ein paar Olivenbäume:<br />

»Eigentlich wollte ich nur ein Ferienhaus kaufen, kein ganzes<br />

Dorf.« Doch die Villa war schon beim ersten Anblick zum<br />

Maßstab geworden, und als sie tatsächlich zum Verkauf<br />

stand, zögerte er nicht lange. »Nun ist es eben ein großes<br />

Ferienhaus geworden«, sagt er.<br />

Es blieb nicht bei der Restaurierung des An wesens. Die<br />

Olivenbäume wurden frei geschnitten und in Form<br />

gebracht, alte Bäume gefällt und durch neue ersetzt,<br />

die Produktion kam wieder in Gang. Inzwischen stehen<br />

rund zwei tausend Bäume im Ertrag. Wenn Wolfgang Reitzle<br />

davon erzählt, wird klar, mit wie viel Detailversessenheit<br />

er dieses Projekt angegangen ist. Ein Berater erklärte ihm<br />

die Tücken des Oliven anbaus. Um den Rest kümmerte sich<br />

Wolfgang Reitzle zusammen mit seinem Team: Pumpen, die<br />

garantiert keinen Kontakt des Oliven öls mit dem Schmierfett<br />

des Motors zulassen, Tanks, die akribisch mit Öl gereinigt<br />

und dann mit Gas gefüllt werden, bevor das frische<br />

Oliven öl von unten hineingepumpt wird, um oben den<br />

Luftkontakt und damit die Oxidation zu ver meiden. »Wenn<br />

wir heute eine Bestellung bekommen, wird das Öl frisch<br />

gefüllt und schmeckt dann immer noch wie direkt nach<br />

der Pressung«, erzählt Wolfgang Reitzle begeistert. Er<br />

weiß Bescheid über die Bedürfnisse der Bäume, lässt die<br />

reifen Oliven in mehreren Durch gängen ernten und den<br />

Press vorgang in der weit ent fernten Ölmühle von seinem<br />

Großzügige Investitionen,<br />

Know-how und Leidenschaft<br />

für Wein – damit hat Wolfgang<br />

Reitzle seinen Roten »Loto«<br />

zu einem begehrten Toskaner<br />

gemacht. Was er an den<br />

Cousins Andrea Farnesi, seinem<br />

Verwalter und Önologen, und<br />

Alessio Farnesi, seinem Keller -<br />

meister, hat, weiß der Spitzenmanager<br />

aus Deutschland.<br />

Öno logen Andrea Farnesi überwachen, um jeden Fehler<br />

zu vermeiden. Zahlreiche Auszeichnungen und Bewertungen<br />

von Fachleuten bezeugen das herausragende Ergebnis.<br />

Dass von der Villa Santo Stefano heute wieder das beste<br />

Olivenöl der Region kommt, ist kein Geheimnis. Doch daneben<br />

gab es auch noch einen Hektar Weinberg. Wolfgang<br />

Reitzle, der ein großer Weinliebhaber mit wohlsortiertem<br />

Keller ist, dachte sich: »Einen eigenen Wein finde ich auch<br />

nicht schlecht. Also fingen wir an zu üben.« Das Projekt<br />

Wein ging er mit ebenso viel Perfektionismus an wie die<br />

Ölproduktion, und auch hier holte er sich Hilfe von einem<br />

Experten. Schnell stand fest, dass die alten Sangiovese-<br />

Reben im Weinberg zu nichts mehr zu gebrauchen waren.<br />

Prachtvolle Villen und parkähnliche Gärten zeugen bis<br />

heute vom Reichtum der Stadt Lucca. Als Weinregion<br />

ist Lucca eher eine toskanische Rand erscheinung.<br />

Völlig zu Unrecht, denn die Bedingungen für Weinbau sind<br />

ideal. Die Lage auf zweihundert sechzig Metern Höhe garantiert<br />

eine gewisse Kühle, und die Temperatur unterschiede<br />

zwischen Tag und Nacht sorgen für eine ausgewogene Säure<br />

in den Weinen und damit für Eleganz und Frische. Die Wasserversorgung<br />

ist für toskanische Verhältnisse durch den<br />

nahe gelegenen Apennin überraschend gut, die Böden sind<br />

abwechslungsreich und fruchtbar. »Bei uns ist es deutlich<br />

kühler als zum Beispiel in Bolgheri in der Maremma«, erklärt<br />

Önologe Andrea Farnesi. »Unsere Weine sind viel eleganter<br />

und haben außerdem auch immer etwas weniger Alkohol.«<br />

Oder kurz gesagt: Wo gutes Oliven öl entsteht, passen die<br />

Umstände auch für guten Wein. Natürlich dominiert auch<br />

wie sonst in der Toskana der Sangio vese. »Hier gibt es aber<br />

auch eine Tradition für französische Sorten«, sagt Andrea<br />

Farnesi. Und Wolfgang Reitzle ergänzt: »Napoleons älteste<br />

Schwester Elisa Bonaparte war Fürstin von Lucca, dadurch<br />

ist der französische Einfluss in dieser Region sehr groß.«<br />

In den Weinbergen der Villa Santo Stefano wachsen<br />

heute daher nicht von ungefähr vor allem Cabernet<br />

Sauvignon und Merlot. Was als kleine Produktion für<br />

Freunde und Familie begann, ist inzwischen auf gut neun<br />

Hektar angewachsen, unter anderem auch mit Petit Verdot<br />

und Alicante Bouschet bestockt. »Die Böden hier sind sehr<br />

hetero gen. Wir haben gemerkt, dass es sinnvoll ist, verschiedene<br />

Weinberge auf den unterschiedlichen Böden<br />

zu haben. Deshalb war es uns wichtig, noch weitere Weinberge<br />

zu kaufen«, erzählt Wolfgang Reitzle. Der Möglichkeit,<br />

Weinberge in Bibbona, in unmittel barer Nähe der Trendregion<br />

Bolgheri zu erwerben, habe er wider standen: »Im<br />

letzten Moment wurde mir klar, dass ich keinen emotionalen<br />

Bezug zu einem Weinberg habe, zu dem ich eine<br />

Stunde hinfahren muss.« Stattdessen kaufte er eine Fläche<br />

in Sichtweite. Drei Jahre und zwei Cater pillars benötigte er,<br />

um die Voraus setzungen für eine Neupflanzung zu schaffen.<br />

»Ich bin zu alt, um nach fünf Jahren festzustellen, dass<br />

ich es nochmal neu machen muss«, sagt er. Also ließ er im<br />

steilen Hang drei Meter abtragen, im flachen und viel zu<br />

nassen Gelände Drainagen verlegen und den Boden mit<br />

Spezial dünger auf seine zukünftige Bestimmung vorbereiten.<br />

Auf dem Ton- und Lehmboden pflanzte er Cabernet<br />

Franc, Cabernet Sauvignon, Merlot und Alicante Bouschet.<br />

Das Ergebnis gibt ihm Recht. »Selbst im Katastrophen jahr<br />

2014 waren wir die einzi gen, bei denen es keine Schäden<br />

gab«, erinnert er sich an die Regenmengen, die rundum<br />

die Ernte in Gefahr brachten.<br />

Für seinen Wein haben sich Wolfgang Reitzle und sein<br />

junges Team das gleiche Ziel wie für das Olivenöl<br />

gesetzt. »Wir wollen den besten Wein aus Lucca<br />

machen«, sagt der Önologe Andrea Farnesi. Der junge<br />

Mann gehört seit 2011 dazu; davor hat er Erfahrungen in<br />

Burgund und in der Tenuta di Valgiano gesammelt, einem<br />

der wenigen bekannten Weingüter der Region. Während<br />

er sich um die Weinberge kümmert, ist sein Cousin<br />

Alessio Farnesi für den Keller zu ständig. Andrea Farnesi<br />

Zukunft ändern. Mit seinem Weingut Villa<br />

Santo Stefano ist der deutsche Topmanager<br />

Wolfgang Reitzle dabei, die Möglichkeiten<br />

des Weinbaus in Lucca neu auszuloten.<br />

Ihn als idealistischen Weinromantiker zu bezeichnen, der<br />

sich aufgrund seiner Möglich keiten den Traum vom eigenen<br />

Weingut in der Toskana erfüllt, wäre schlicht eine<br />

grobe Fehl einschätzung. Wolfgang Reitzle ist Ingenieur,<br />

durch und durch: Diplomingenieur für Maschinen bau, Promotion<br />

in Metallphysik summa cum laude, Wirtschaftsingenieur.<br />

Der Rest ist bekannt: BMW, Ford, Linde AG. Was<br />

er tut, ist fraglos gut durchdacht, und im Gespräch mit ihm<br />

erfährt man jedes Detail über technische Abläufe und die<br />

Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen. Und dennoch: Bei<br />

aller nüchter nen Rationalität muss es da doch Idea lis mus<br />

42 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 2 | 2017 43


SCHOKOLADE <strong>UND</strong> WEIN<br />

WIE <strong>FÜR</strong>EINANDER BESTIMMT<br />

GOING FURTHER TOGETHER.<br />

KÖNNEN AUSSER-<br />

GEWÖHNLICHE<br />

LÖSUNGEN ZUR<br />

GEWOHNHEIT<br />

WERDEN?<br />

Die neue METRO ist an der Börse.<br />

Und 150.000 Lösungssucher sind dabei.<br />

Von URSULA HEINZELMANN<br />

Foto GUIDO BITTNER<br />

Wer auf dieses Thema etwas genervt reagiert, weil doch nun wirklich nicht alles und jedes<br />

mit Wein kombi niert werden muss, weil doch zumindest Schokolade eine bitteschön<br />

experten freie Zone bleiben sollte, etwas, das man einfach nascht und genießt: vollstes<br />

Verständnis. Man muss keinen Wein zur Zartbitteren trinken. Aber man kann!<br />

Bearbeitung zuviel Aromastoffe verflüchtigen ließe. Die<br />

Parallele zu unfiltrierten Weinen liegt auf der Hand, und<br />

in der Tat knirschen die Schokoladen von Bonajuto aus<br />

Modica in Sizilien oder Taza in Massachusetts ausgesprochen<br />

fruchtig und lebendig auf der Zunge.<br />

Vor fünfzehn Jahren sah die Fachwelt das ganz anders.<br />

Da hieß es noch, Schokolade und Wein passten<br />

grundsätzlich nicht zusammen, und ich schrieb<br />

ein flammendes Plädoyer für Süßweine wie Banyuls und<br />

Maury oder P.X. Sherry, empfahl fruchtig-kräftigen Vintage<br />

Port zur Mousse au Chocolat und gereifte Riesling Beerenauslese<br />

zur Schokoladen terrine. Und Vin Santo, für den in<br />

der Toskana Malvasia- und Trebbiano trauben auf großen<br />

Strohmatten unterm Dach getrocknet werden, der Most<br />

über mehrere Jahre in versiegelten Fässern reift und schließlich<br />

nach getrockneten gelben Früchten, Honig und Walnüssen<br />

duftet – und Schokolade liebt!<br />

Damals ging es los mit dem Schokoladenhype: Italiener<br />

wie Mack Domori aus Genua öffneten uns die Augen für<br />

die komplexe Aromatik der Kakaobohnen, definierten<br />

Schokoladen qualität von Grund auf neu. Edel- Schoko-<br />

Läden schossen wie Pilze aus dem Boden, nach Wein<br />

und Olivenöl diskutierten Feinschmecker nun über neue<br />

Kakao-Sorten, -Produzenten und autochthone Arten. Selbst<br />

im Supermarkt kletterten die Kakao-Anteile unaufhaltsam<br />

nach oben. Wie bei Wein und Öl begriffen wir, dass<br />

Schokolade in der Tat besser, charakter voller, spannender<br />

schmeckt, wenn sie aus hochwertigen, sauber verarbeiteten<br />

Rohstoffen entsteht. Wenn das Kakao-Aroma nicht<br />

durch die übermäßige Zugabe von Zucker oder Milchpulver<br />

überdeckt wird. Wenn die Schokolade Kakaobutter<br />

statt gehärte ter Fremdfette enthält. Kurzum, wenn sie so<br />

sorgfältig her gestellt ist, dass sich das komplexe Aromenspektrum<br />

entfalten kann, das von Leder und Holz über alle<br />

Arten von roten und Zitrusfrüchten bis zu Nüssen, Honig<br />

und Blüten reicht. Wie beim Champagner ging es auch bei<br />

Kakao und Schokolade zurück zum Ursprung, zu Single<br />

Origins statt großer Blends.<br />

Wir haben Schokoladeschmecken gelernt, und unsere<br />

Toleranz für ihre herbe Seite ist gestiegen, für das faszinierende<br />

Zusammenspiel von fruchtiger Süße, bitterer Adstringenz<br />

und belebender Säure. Je höher der Kakao-Anteil, desto<br />

fordernder, wie ein starker Espresso ohne Zucker. Das mag<br />

zunächst befremdlich wirken, im besten Fall wird es aber<br />

zu einem einzigartigen Geschmackserlebnis. Die besten<br />

Schokoladen mit 90 Prozent Kakao-Anteil oder mehr und<br />

gehaltvolle, kräftige Rotweine können einander ergänzen,<br />

als seien sie füreinander bestimmt.<br />

Doch dafür muss wirklich alles passen. Der Kenner<br />

weiß, wie viele Faktoren Charakter, Geschmack und Potential<br />

eines Weins beeinflussen. Bei Schokolade ist es ganz<br />

genauso. Wilde Hefen, Bakterien und Enzyme sorgen dafür,<br />

dass sich in den Kakaobohnen Milch- und Essigsäure sowie<br />

Geschmacksstoffe entwickeln. Wie beim Kaffee werden die<br />

Bohnen außerdem geröstet, was für zusätzliche Aromen<br />

sorgt. Vanille wird häufig eingesetzt, ein sehr kakao-affines<br />

Gewürz; manche Erzeuger halten dies allerdings für Manipulation,<br />

wie frisches Holz beim Wein. Auch die Verarbeitung<br />

zu geschmeidiger Paste (das Conchieren) und der entsprechende<br />

Schmelz im Mund sind umstritten; Puristen<br />

beschränken sich aufs Mahlen der Bohnen, da die lange<br />

Wer sich nun auf schokoladig-weinige Erkundungstour<br />

begibt, sollte nicht vergessen, dass<br />

die jeweilige persönliche Toleranz für bitter<br />

und sauer ganz unterschiedlich ist – und skeptisch sein,<br />

wenn auf »Wein- Schokoladen« spezialisierte Chocolatiers<br />

»perfekte Begleitung« versprechen. Aber es gibt durchaus<br />

Richtlinien. Je ausdrucksvoller und intensiver die Schokolade,<br />

desto reifer sollten die Trauben sein, desto konzentrierter<br />

und dichter der Wein. Alkohol hilft, Säure und<br />

Bitter stoffe zu balancieren, etwas Zucker macht den Einstieg<br />

einfacher: kalifornischer Zin fandel, Recioto della<br />

Valpolicella, Vins Doux Naturels wie Banyuls, Maury und<br />

Rivesaltes, Portwein und mancher Madeira sind kakao- und<br />

schoko-affin. Ebenfalls positiv in dieser Hinsicht: Flaschenreife<br />

und oxidativer Ausbau. Die nussigen Aromen eines<br />

traditionellen Banyuls kommen wesentlich besser mit dem<br />

dunkelschmelzenden Stoff zurecht als eine säurefrischere<br />

moderne Stilistik.<br />

Vertrautheit mit Kakao und Schokolade wie mit Riesling<br />

und Pinot Noir erlaubt schließlich das Experimentieren<br />

in der Küche. Der mit etwas sehr dunkler Schokolade<br />

gebundene Fond eines gebratenen Lammrückens ergibt<br />

wenig, aber sehr komplexe Sauce, die wiederum hervorragend<br />

durch einen australischen Shiraz ergänzt wird. Sollten<br />

Stimmung und Bestände es zulassen, mag es durchaus<br />

ein Mount Edelstone der Familie Henschke sein. Und zum<br />

Vin Santo mundet ein Domori- Täfelchen aus Venezuela.<br />

Ohne jeden Hype.<br />

Fabio Ziemßen<br />

46 <strong>FINE</strong> 2 | 2017 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong><br />

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