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Ostbayern-Kurier_November-2017_NORD

Die Monatszeitung für Stadt und Landkreis Schwandorf.

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22 Regensburg<br />

www.ostbayern-kurier.de<br />

Transit ins Nirgendwo<br />

Sollen im Regensburger Zentrum Asylbewerber bewusst unwissend gehalten werden?<br />

Regensburg. Seit dem 1.<br />

August ist das Transitzentrum<br />

in der Zeißstraße in<br />

Betrieb und beherbergt<br />

derzeit gut hundert Menschen,<br />

vorwiegend aus<br />

Äthiopien. Auch in Deggendorf,<br />

Bamberg und Ingolstadt<br />

betreibt die bayerische<br />

Landesregierung<br />

solche Einrichtungen.<br />

Mithilfe dieser Rückführungszentren,<br />

wie sie von der Politik<br />

auch bezeichnet werden,<br />

will die CSU Abschiebungen<br />

forcieren. Das Modell könnte<br />

eventuell bald auch bundesweit<br />

eingeführt werden. Dabei<br />

gibt es am Umgang mit<br />

den Menschen in diesen Lagern<br />

von vielen Seiten mittlerweile<br />

deutlich Kritik. Die<br />

Landesregierung verwahrt<br />

sich dagegen.<br />

Zwar hat man sich bei den<br />

Unionsparteien auf eine „atmende“<br />

Obergrenze verständigt,<br />

doch ist fraglich, ob die<br />

Grünen und die FDP hier mitziehen<br />

werden. Schon aus<br />

rechtlicher Sicht stehen die<br />

Pläne für eine Obergrenze<br />

auf sehr wackligen Beinen:<br />

Immer wieder lassen Sachverständige<br />

wissen, dass<br />

eine Begrenzung der Zuwanderung<br />

sowohl Grundgesetz<br />

als auch EU-Recht widerspreche.<br />

Rechtlich wohl schwer anfechtbar<br />

scheinen hingegen<br />

die sogenannten Transitzentren,<br />

wie jenes in der Regensburger<br />

Zeißstraße. Die<br />

Bedingungen für die Bewohner<br />

seien dabei „bisweilen<br />

rechtswidrig“, wie Vertreter<br />

verschiedener Initiativen<br />

kürzlich bei einer Podiumsdiskussion<br />

im Evangelischen<br />

Bildungswerk ausführten.<br />

Oftmals sei den Menschen<br />

in diesen Einrichtungen gar<br />

nicht bewusst, wo sie sich<br />

befinden. Auch haben sie<br />

keinerlei Ahnung, welche<br />

Rechte ihnen zustehen. Karin<br />

Prätori vom Regensburger<br />

Bündnis gegen Abschiebelager<br />

bemängelt auch,<br />

dass den Personen „nur eine<br />

Woche Zeit gegeben wird,<br />

um Einspruch gegen die Abschiebebescheide<br />

zu erheben.<br />

Viele Klagen werden abgelehnt,<br />

da in der kurzen Zeit<br />

und aufgrund mangelnder<br />

Rechtshilfe keine umfangreiche<br />

Widerspruchserklärung<br />

gegeben werden kann.“<br />

Der bayerische Flüchtlingsrat<br />

sieht in den Abschiebelagern<br />

eine weitere Aushöhlung<br />

des Asylrechts, die 1993<br />

mit der Einteilung in sichere<br />

und unsichere Herkunftsländern,<br />

begonnen und mit den<br />

Dublin-Gesetzen weitergeführt<br />

worden sei. „Nun“, so<br />

Kathrin Rackerseder, „sind<br />

wir an einem Punkt, an dem<br />

Menschen teilweise mehrere<br />

Jahre in diesen Einrichtungen<br />

verbringen müssen, da<br />

entweder ihre Verfahren unglaublich<br />

lange dauern oder<br />

sie die Staaten, in die sie<br />

abgeschoben werden sollen,<br />

nicht aufnehmen.“ Auf diese<br />

Weise landen viele Menschen<br />

in der Isolation und<br />

verzweifeln an ihrer misslichen<br />

Lage. So auch viele<br />

Äthiopier, die am 20. Oktober<br />

am Haidplatz eine Kundgebung<br />

organisiert hatten, um<br />

auf ihre aktuelle Situation<br />

aufmerksam zu machen.<br />

Auch dass nach Ansicht der<br />

Kritiker eine Berufserlaubnis,<br />

Sprachkurse oder Ausbildungen<br />

erschwert bzw.<br />

nicht gewährt werden, trage<br />

zur Isolation dieser Menschen<br />

bei. Dadurch führten<br />

die Geflüchteten einen öden<br />

und tristen Alltag in diesen<br />

Einrichtungen, denn auch zu<br />

den umliegenden Anwohnern<br />

besteht kein Kontakt. Die<br />

bayerische Landesregierung<br />

erhöht seit einiger Zeit den<br />

Druck auf Sozialstellen. So<br />

wurde im März dieses Jahres<br />

eine Mail an alle Träger<br />

der Asylsozialberatung verschickt,<br />

mit der Botschaft,<br />

man werde Gelder kürzen,<br />

sollten den Asylsuchenden<br />

weiterhin Hinweise gegeben<br />

werden, auf welche Rechtsmittel<br />

sie sich beziehen<br />

können: „Mit diesen Grundsätzen<br />

nicht vereinbar ist es,<br />

[…] wie und welche weiteren<br />

Rechtsmittel eingelegt werden<br />

können, [zu] kommunizieren.<br />

[…] Eine Weiterverbreitung<br />

von Hinweisen zur<br />

Abschiebungsvereitelung<br />

oder -verzögerung durch die<br />

Asylsozialberatungsstellen<br />

läuft diesem Zweck zuwider.<br />

Rein vorsorglich wird darauf<br />

hingewiesen, dass im Wiederholungsfall<br />

[…] ein Widerruf<br />

der entsprechenden<br />

Verwaltungsakte in Betracht<br />

kommt.“ Die ganze Email<br />

sehen Sie auf www.ostbayern-kurier.de<br />

Versendet wurde diese Mail<br />

vom bayerischen Ministerium<br />

für Soziales, in dessen<br />

Zuständigkeitsbereich auch<br />

die Abschiebelager fallen.<br />

Im Detail heißt das, dass die<br />

Stellen, deren ausdrücklicher<br />

Arbeitsauftrag es ist, die<br />

Asylbewerber umfangreich<br />

zu beraten und bei entscheidenden<br />

Fragen zur Seite zu<br />

stehen, nun von der bayerischen<br />

Regierung für ihre<br />

Handlungen gerügt werden.<br />

Man könnte also auch interpretieren:<br />

Es ist alles andere<br />

als erwünscht, die Menschen<br />

über ihre Rechte aufzuklären.<br />

Hier setzt das Bündnis<br />

gegen Abschiebelager an<br />

und versucht mit regelmäßigen<br />

Infoständen direkt vor<br />

dem Lager v.a. die Bewohner<br />

darüber zu informieren, welche<br />

Rechte ihnen zustehen.<br />

Ähnliches gibt es in Ingolstadt<br />

schon länger und das<br />

Interesse ist groß.<br />

Während hier im Kleinen versucht<br />

wird, die Isolation und<br />

Abschottung ein Stück weit<br />

zu durchbrechen, bastelt die<br />

Regierung an der nächsten<br />

Verschärfung der Asylberatungsrichtlinie.<br />

Hierzu hat der<br />

Arbeitskreis Kritische Soziale<br />

Arbeit München (AKS) bereits<br />

Stellung bezogen und<br />

übt scharfe Kritik an dem<br />

Vorgehen der CSU. In einer<br />

Pressemitteilung des AKS<br />

heißt es:<br />

„Fachgerechte Beratung soll<br />

nur jenen zuteil werden, die<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

einen gesicherten Aufenthaltsstatus<br />

erreichen oder<br />

bereits darüber verfügen; alle<br />

anderen sollen lediglich über<br />

infor-<br />

Rückkehr-Angebote<br />

miert werden.“<br />

Mehr und mehr drückt die<br />

CSU hier nach Ansicht ihrer<br />

Kritiker eine klare Einteilung<br />

der Geflüchteten durch. Die<br />

derzeit geforderte Obergrenze<br />

werde dadurch flankiert.<br />

Denn mithilfe der „Abschiebelager“<br />

werde bereits darüber<br />

entschieden, wer letzten<br />

Endes eine Chance auf Asyl<br />

bekommen soll.<br />

Stephan Theo Reichel, der<br />

kürzlich zurückgetretene<br />

Koordinator für Kirchenasyl,<br />

interpretiert die aktuellen<br />

Entwicklungen als politisch<br />

konstruiert. Lag die Anerkennungsquote<br />

für Menschen<br />

aus Afghanistan im Jahr<br />

2016 noch bei etwa 80%,<br />

liegt sie mittlerweile bei unter<br />

50%. „Das ist der Richtwert,<br />

nach dem Menschen in die<br />

Abschiebezentren gesteckt<br />

werden oder nicht.“<br />

Das Lager in der Zeißstraße<br />

ist derzeit für etwa 800 Personen<br />

konzipiert. „Campus<br />

Asyl“, die die Menschen dort<br />

mit Kleidung, Spielsachen<br />

und sonstigen Dingen durch<br />

Spenden versorgen, sagen,<br />

dass die Bedingungen vor<br />

Ort zwar derzeit ok seien und<br />

man gut mit dem Personal der<br />

Einrichtung zusammenarbeiten<br />

könne. „Die Abschottung<br />

und das repressive Vorgehen<br />

der Politik führen bei den Betroffenen<br />

aber zu enormen<br />

Stresssituationen“, heißt es<br />

von Campus-Seite.<br />

Das Bündnis gegen Abschiebelager<br />

sieht daher einen<br />

klaren Auftrag. „Uns geht es<br />

um einen emanzipatorischen<br />

Ansatz, der die Menschen<br />

ermächtigt, selbst für die eigenen<br />

Rechte zu kämpfen<br />

und wir unterstützen gerne,<br />

wo wir können,“ so Karin<br />

Prätori. „Wir wollen dieses<br />

System der Abschiebelager<br />

auf allen politischen und persönlichen<br />

Ebenen bekämpfen<br />

und die politisch gewollte<br />

Isolation durchbrechen.“ Das<br />

fängt schon beim Namen<br />

an. „Denn“, so Prätori weiter,<br />

„das ist kein Transit, das ist<br />

kein Durchgang. Das ist ein<br />

Abschiebelager, in dem Menschen<br />

bereits bei ihrer Ankunft<br />

in Deutschland landen<br />

und niemals die Möglichkeit<br />

bekommen, in Austausch mit<br />

der Bevölkerung zu kommen.“<br />

Zwar liegt die Zuständigkeit<br />

für die bestehenden Einrichtungen<br />

beim Freistaat, doch<br />

sind sich hier viele Gegner<br />

des Abschiebelagers einig,<br />

dass die Stadt und auch die<br />

Regierung der Oberpfalz klarer<br />

Stellung beziehen könnten<br />

und müssten, anstatt<br />

sich gegenseitig die Schuld<br />

zuzuweisen. So hatte der<br />

Regensburger Stadtrat einen<br />

Beschluss verabschiedet, in<br />

dem sich die Stadt klar gegen<br />

Abschiebungen nach Afghanistan<br />

stellt.<br />

Seitdem hält man sich seitens<br />

der Stadt jedoch sehr<br />

still, wenn es um Stellungnahmen<br />

zum Abschiebelager<br />

geht. Dass die Stadt mehr<br />

tun könnte, zeigt München.<br />

Die Landeshauptstadt setzt<br />

sich wo auch immer möglich<br />

dafür ein, die Geflüchteten in<br />

Ausbildungsverhältnisse zu<br />

stecken. Michael Bothner

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