Land Rover ONELIFE 32 - DE
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ESSAY<br />
ESSAY<br />
G E S A M M E L T E<br />
W E R T E<br />
Wir alle streben nach intensiven, relevanten Erfahrungen.<br />
Aber die Zeit, diese Erfahrungen zu suchen und zu machen,<br />
wird immer mehr zum Luxus.<br />
TEXT J A M E S W A L L M A N<br />
ILLUSTRATION A L E X W I L L I A M S O N<br />
„ MO<strong>DE</strong>RNE<br />
SAMMLER EN T-<br />
<strong>DE</strong>CKEN, DASS<br />
KOSTBARE,<br />
INTENSIV ERLEBTE<br />
ERINNERUNGEN<br />
DIE PERSPEKTIVE<br />
Sammeln gilt als lobenswerte<br />
Beschäftigung. Man<br />
VERÄN<strong>DE</strong>RN<br />
denke nur an die ägyptischen<br />
Pharaos, die zu den<br />
frühesten großen Sammlern<br />
gehörten und deren wertvolle<br />
Papyrus-Rollen in der<br />
berühmten Bibliothek in<br />
Alexandria aufbewahrt<br />
wurden. Die Sammlungen<br />
der Neuzeit hingegen hatten<br />
ihre Ursprünge in den „Wunderkammern“ und „Kuriositäten-Kabinetten“<br />
des 16. Jahrhunderts. 1587 präsentierte<br />
ein deutscher Künstler namens Gabriel Kaltemarckt, der am<br />
Hofe König Christians I. von Sachsen arbeitete, die drei seiner<br />
Ansicht nach wichtigsten Elemente einer jeden Sammlung.<br />
Erstens: Skulptur und Malerei. Zweitens: „kuriose Gegenstände<br />
aus der Heimat oder der Fremde“. Und drittens:<br />
„Geweihe, Hörner, Klauen, Federn und andere Teile fremdartiger<br />
oder kurioser Tiere“.<br />
Bei seinen Betrachtungen über Sammeln fiel Kaltemarckt<br />
auf, dass unsere Ahnen auf der Suche nach Fundstücken<br />
aus natürlicher Neugier immer weiter in die Ferne schweiften.<br />
Das war seine erste Observation. Die zweite war das<br />
Jagdfieber, das alle Sammler antrieb, und die dritte die<br />
Befriedigung, die sie bei ihrer Tätigkeit empfanden. Viertens<br />
sah er das Sammeln als Ausdruck menschlicher Vorherrschaft<br />
über die Natur an.<br />
Es gab noch einen fünften Grund. Eine Sammlung legte<br />
Zeugnis davon ab, dass ihr Besitzer über die Zeit und die<br />
Mittel verfügte, einer nicht dem Überleben dienenden<br />
Tätigkeit nachzugehen. Sammeln ist demnach eine höchst<br />
verfeinerte Form, unsere Grundbedürfnisse zu erfüllen.<br />
Heute ist es allerdings wissenschaftlich erwiesen, dass man<br />
Glück und Erfüllung eher durch Erfahrungen und nicht<br />
durch Dinge erwirbt. Also sollte man Geld, Energie und Zeit<br />
auf Erlebnissuche ausrichten.<br />
Die logische Frage, die ein moderner Sammler sich<br />
stellt, wäre demnach, was für Erlebnisse er suchen sollte.<br />
Schließlich will er nicht mit einer Kollektion banaler Alltagserinnerungen<br />
dastehen. Vielleicht lieber eine Hochzeit in<br />
Marrakesch oder ein suborbitaler Raumflug in Richard<br />
Bransons Virgin Galactic?<br />
Die Zeiten ändern sich, und damit auch die Absichten<br />
der Sammler. Nie war es so leicht wie heute, Objekte zu<br />
suchen und zu erwerben. Das mindert den Wert materieller<br />
Objekte, da dieser in der Seltenheit liegt. Nur dadurch<br />
wird die Jagd nach Sammlungsstücken aufregend und<br />
herausfordernd. Das Seltenheitsprinzip lässt sich am<br />
besten so erklären: Je größer die Differenz zwischen der<br />
Anzahl der Leute, die Zugang zu einem Objekt haben,<br />
und der Zahl derer, die von diesem Objekt wissen, umso<br />
höher ist der Wert des Stücks.<br />
UND FÜR DAS<br />
GANZE LEBEN<br />
GÜLTIG SIND.“<br />
Das hat zur Folge, dass moderne Sammler zunehmend ultraseltenen<br />
und außergewöhnlichen Dingen nachjagen, so<br />
wie die 700 Menschen – circa 0,00001% der Erdbevölkerung<br />
–, die sich für einen Weltraumflug mit Virgin Galactic<br />
angemeldet haben. Wenn die ersten Flüge startbereit sind,<br />
werden diese Glückspilze – nachdem sie bis zu 250.000<br />
Dollar im Voraus bezahlt haben – etwas tun, was vorher nur<br />
ein paar Hundert professionellen Kosmonauten vorbehalten<br />
war: Nach dem Start wird ihr Raumschiff auf eine Höhe von<br />
47.000 Fuß (14,3 km) steigen. Und danach wird es richtig<br />
spannend. Das Raumfahrzeug schießt dann steil nach oben<br />
und erreicht Geschwindigkeiten von Mach 1, 2 und schließlich<br />
Mach 3. Die Passagiere befinden sich dann 150.000<br />
Fuß (45,7 km) über der Erde, sind schwerelos und erleben<br />
die angestrebte ultra-rare Erfahrung: den Anblick unseres<br />
Planeten aus dem Weltraum.<br />
Der Weltraum mag zwar, wie Captain Kirk zu sagen<br />
pflegte, die letzte Grenze sein, aber immerhin wird er auf<br />
Dauer existieren. Flüchtige oder gar verschwindende Erfahrungen<br />
sind aber noch attraktiver für Erlebnissucher, zum<br />
Beispiel eine Expedition zum Wrack der Titanic. Laut einer<br />
Studie von 2016 könnten nämlich „extremophile Bakterien“<br />
die Reste des versunkenen Ozeanriesen innerhalb der<br />
nächsten 20 Jahre vernichtet haben. Deshalb wird im Frühjahr<br />
2018 eine exklusive Gruppe so genannter Missionsspezialisten<br />
ein kleines Tauchboot aus Titan und Karbon besteigen<br />
und sich auf 12.500 Fuß (3,8 km) unter die Oberfläche<br />
des Atlantiks sinken lassen. Dort nämlich befindet sich die<br />
letzte Ruhestätte des Unglücksschiffs.<br />
Im Preis inbegriffen ist eine traurige und zugleich ironische<br />
Tatsache: Der Tauchtrip kostet 105.129 Dollar. Das ist<br />
derselbe Preis – wenn man die Inflation berücksichtigt –,<br />
den ein Passagier erster Klasse für einen Platz auf der Jungfernfahrt<br />
der todgeweihten Titanic bezahlt hätte.<br />
Es gibt noch viele weitere Erlebnistrips, die dem Erinnerungssammler<br />
heute zur Verfügung stehen: die Hotelkette<br />
Aman organisiert Asienreisen im Privatjet; der Bluefish<br />
Personalized Concierge Service bietet Trips über und durch<br />
die Antarktis an – per Kufenflugzeug und sechsrädrigen,<br />
gletschersicheren All-Terrain-Fahrzeugen; beim Tour Operator<br />
Black Tomato gibt es „Blink Adventures“, die maßgeschneidert<br />
sind und nur einmal im Programm auftauchen.<br />
Viele dieser Erfahrungen sind nur für einige Wenige erschwinglich.<br />
Zum Glück jedoch gibt es in unserem Erdenleben<br />
wertvolle Momente, die keinen Cent kosten. Einfach<br />
in der warmen Sonne zu sitzen und sich zu entspannen, mit<br />
Freunden zusammen zu sein, sich zu verlieben, eine Familie<br />
zu gründen, Kinder groß zu ziehen... die Liste ist endlos.<br />
Diese neue Art des Sammelns hat eine unerwartete positive<br />
Seite. Außer den üblichen Freuden an der Beschäftigung<br />
(erwachende Neugier, Jagdfieber, Befriedigung über<br />
eine gelungene Suche) machen viele Sammler eine zusätzliche<br />
Entdeckung: dass das Endresultat nicht nur aus einer<br />
Liste gekaufter Erfahrungen besteht, die Status symbolisieren,<br />
sondern aus kostbaren Erinnerungen – intensiv erlebt,<br />
die Perspektive verändernd und gültig für das ganze Leben.<br />
James Wallman ist Schriftsteller und Futurist. Er leitete die strategische<br />
Beratungsstelle The Future Is Here, thefish.co und ist Verfasser des<br />
Bestsellers Stuffocation (Penguin, 2015).<br />
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