Wochen-Kurier 51/2017 - Lokalzeitung für Weiterstadt und Büttelborn
Lokalzeitung für die Stadt Weiterstadt und die Stadtteile Braunshardt, Schneppenhausen, Gräfenhausen und Riedbahn sowie Gemeinde Büttelborn mit Ortsteilen Klein-Gerau und Worfelden. Amtliches Bekanntmachungsorgan der Stadt Weiterstadt.
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Mittwoch, den 20. Dezember <strong>2017</strong> Seite 16<br />
Weihnachten als ein Teil der Heimat<br />
Eine Betrachtung zu Weihnachten von W O L F G A N G B A S S E N A U E R<br />
Dieser besondere Höhepunkt:<br />
Weihnachten.<br />
Dieses kurze Abtauchen<br />
in eine Traumwelt mit viel<br />
Licht <strong>und</strong> Zauber. Die Luft<br />
voller Gesang. Irgendwie<br />
eine unwirkliche Welt, die<br />
uns heraushebt aus dem<br />
Alltäglichen, uns etwas erleben<br />
lässt wie ein wahr<br />
gewordenes Märchen. Unser<br />
Leben, seit Kindertagen<br />
mitgeprägt von Weihnachtsbildern,<br />
hält etwas<br />
von dem fest, was weiter<br />
geflüstert wird – alle Jahre<br />
wieder zur Weihnachtszeit.<br />
Nichts geht verloren.<br />
Da bleibt <strong>für</strong> alle Zeiten ein<br />
Funke Vertrauen, der uns<br />
trägt, eine Prise Glück, die<br />
uns leichter macht, ein inspirierender<br />
Blick heraus<br />
aus unserer Welt in eine<br />
andere. Momente der Erinnerung,<br />
des Anhaltens,<br />
des Staunens, eingebrannt<br />
in unser Leben wie kleine,<br />
unauslöschliche Lichtpunkte.<br />
Wie nennt man<br />
das?<br />
Sowohl während des<br />
B<strong>und</strong>estagswahlkampfes<br />
als auch im Zuge der Wahlanalyse<br />
<strong>und</strong> im Hinblick<br />
auf das Flüchtlingsthema<br />
tauchte immer wieder ein<br />
Begriff auf, der – wenn<br />
bei vielen vielleicht nicht<br />
gänzlich aus dem Vokabular<br />
gestrichen – doch<br />
häufig als antiquiert <strong>und</strong><br />
hinterwäldlerisch galt <strong>und</strong><br />
nicht selten der Lächerlichkeit<br />
preisgegeben wurde:<br />
Heimat! Und diesen<br />
Heimatbegriff hat selbst<br />
Eine Kunstinstallation an der Kunsthalle am Hafen von Kopenhagen. Es sind Schwimmwesten, die dicht an dicht<br />
in die Fensterrahmen gepfercht wurden <strong>und</strong> erinnern an die Menschen, die über das Mittelmeer flüchten <strong>und</strong> eine<br />
neue Heimat suchen, aber auch an jene, die in den Fluten ihr Leben ließen.<br />
wb-foto<br />
B<strong>und</strong>espräsident Frank-<br />
Walter Steinmeier in seiner<br />
bemerkenswerten Mainzer<br />
Rede am 3. Oktober, dem<br />
Tag der Deutschen Einheit,<br />
in aller Deutlichkeit unterstrichen:<br />
„Verstehen <strong>und</strong><br />
verstanden werden – das<br />
ist Heimat!“<br />
Nun verändert sich der<br />
Heimatbegriff mit der Zeit.<br />
Menschen pendeln häufiger<br />
zur Arbeit, wechseln<br />
öfter ihre Wohnorte. Geflüchtete<br />
suchen bei uns<br />
eine neue Heimat – <strong>und</strong><br />
verändern sie. Digitale<br />
Welten geben uns ein anderes<br />
Heimatgefühl – ohne<br />
Distanz, ohne zeitliche Begrenzung.<br />
„Home is where<br />
your heart is!“ – heißt es so<br />
schön <strong>und</strong> einfach. Doch<br />
so einfach ist es eben gar<br />
nicht. Bei den einen weckt<br />
der Schwarz-Weiß-Film<br />
oder der Lärm der Stadt<br />
die Heimatliebe, bei den<br />
anderen ist es die eine bestimmte<br />
Party oder die Stille<br />
des Landes oder eben<br />
auch die erwartungsvolle<br />
Freude auf Weihnachten<br />
aus der Kinderzeit.<br />
Manche missbrauchen<br />
den Heimatbegriff auch<br />
<strong>und</strong> verbinden ihn mit<br />
rechter Gesinnung. Die<br />
„Neue Rechte“ zum Beispiel<br />
pocht auf Deutschsein<br />
<strong>und</strong> die Abgrenzung<br />
zum Islam. Heimat ist vielfältig,<br />
mitunter kontrovers<br />
<strong>und</strong> ganz sicher mehr als<br />
nur ein Wort.<br />
Wie hat die große, weite<br />
Welt unser Zuhause verändert?<br />
Leben wir durch<br />
die Globalisierung an<br />
unserer Heimat vorbei?<br />
Nehmen wir die Tendenzen<br />
wahr: demografisch,<br />
wirtschaftlich, kulturell<br />
<strong>und</strong> politisch? Denken<br />
<strong>und</strong> arbeiten wir nur aus<br />
unserer kleinbürgerlichen<br />
Perspektive <strong>und</strong> mit Langzeitgedächtnis?<br />
Menschen<br />
ziehen weg oder hinzu,<br />
Fabriken entstehen oder<br />
schließen, die Landwirtschaft<br />
verändert sich, die<br />
Stadtbilder ebenso. Ob<br />
Landflucht oder Überalterung<br />
– all diese Themen gehören<br />
zum global-lokalen<br />
Alltag <strong>und</strong> haben deshalb<br />
Einfluss auf das Heimatverständnis<br />
der Menschen.<br />
Jeder Mensch braucht<br />
eine Heimat, einen Ort,<br />
an dem er sich verstanden<br />
fühlt, wo er zu Hause ist<br />
<strong>und</strong> an dem er so gerne<br />
lebt, wie sonst nirgendwo.<br />
Wie entwickeln wir<br />
mehr Heimatgefühl ohne<br />
volkstümelnd zu werden?<br />
Wie viel Heimatliebe <strong>und</strong><br />
Lokalpatriotismus tut uns<br />
gut, ohne ins anrüchige<br />
Spektrum abzugleiten? Mit<br />
welchen Heimatthemen<br />
erreichen wir die Jungen<br />
in unserer Gesellschaft?<br />
Was ist, wenn der Wohnort<br />
eben nicht diese Heimat<br />
ist? Was ist mit denen,<br />
die ihre Heimat verlassen<br />
mussten?<br />
Psychologen stellen bei<br />
der Beobachtung seelischer<br />
Prozesse bei Einwanderern<br />
heute eines<br />
zunehmend fest, dass das<br />
gr<strong>und</strong>legende Bedürfnis<br />
der Menschen nach Zugehörigkeit,<br />
Anerkennung<br />
<strong>und</strong> Sicherheit von hoher<br />
Bedeutung ist. Doch dazu<br />
gilt es, neue Regeln des<br />
Zusammenlebens zu erlernen,<br />
sich anderen Menschen<br />
<strong>und</strong> vor allem einer<br />
anderen Sprache anzupassen.<br />
Dabei erweist sich<br />
Migration <strong>und</strong> Integration<br />
immer mehr als zentrales,<br />
gesellschaftliches Problemfeld.<br />
In großer Zahl<br />
suchen z.B. Migranten<br />
Hilfe, um mit ihren Identitätserschütterungen<br />
im<br />
Integrationsprozess fertig<br />
zu werden. Das Angebot<br />
zum multikulturellen Zusammenleben<br />
hat den verstörenden<br />
Erfahrungen der<br />
Migranten in vielen Städten<br />
bisher zu wenig Rechnung<br />
getragen. Es fehlen<br />
da <strong>und</strong> dort leider auch<br />
Zeichen der Toleranz <strong>und</strong><br />
Mitmenschlichkeit.<br />
Aber ist Heimat eher<br />
die Sache des Einzelnen?<br />
Oder gehört Heimat zum<br />
Eigensten, was ein Mensch<br />
besitzen kann, zur Privatsphäre,<br />
sogar zur Intimsphäre,<br />
wenn wir unter<br />
Heimat das Geburtshaus<br />
verstehen, oder auch das<br />
Haus, in dem man Kindheit<br />
<strong>und</strong> Jugend verbracht<br />
hat, oder die Wohnung,<br />
in der jeder <strong>für</strong> sich sein<br />
<strong>und</strong> leben will. Dennoch:<br />
ist Heimat neben einem<br />
Ort der Vertrautheit <strong>und</strong><br />
Geborgenheit nicht auch<br />
ein Ort der Enge, aus dem<br />
man ausbrechen muss, um<br />
Neues zu entdecken? Denn<br />
wer neugierig <strong>und</strong> frei ist,<br />
eigene – auch ungute oder<br />
gar schmerzliche – Erfahrungen<br />
zu machen <strong>und</strong><br />
Entscheidungen zu treffen,<br />
passt offensichtlich nicht in<br />
die Harmonie eines paradiesischen<br />
Lebens. Wer<br />
mehr entdecken will <strong>und</strong><br />
eigene Erkenntnisse sucht<br />
(der Prophet gilt nichts<br />
im eigenen Land), muss<br />
zwangsläufig die Geborgenheit<br />
der Heimat verlassen<br />
<strong>und</strong> bereit sein, auch<br />
die Risiken in Kauf zu nehmen.<br />
Wer aber seine Heimat<br />
verlässt oder angesichts<br />
der Flüchtlingsflut verlassen<br />
muss, gibt damit auch<br />
jede Sicherheit des Vertrauten<br />
auf. Und wo er nach<br />
Flucht <strong>und</strong> Vertreibung ankommt,<br />
ist das Land bereits<br />
bewohnt. Dieser Konflikt,<br />
der daraus erwächst, wird<br />
uns bei aller gutgemeinter<br />
Bemühung wohl oder übel<br />
weiter beschäftigen. Heimweh<br />
oder Fernweh – in jedem<br />
Fall scheint Heimat<br />
etwas zu sein, was Sehnsüchte<br />
weckt nach einem<br />
Zustand beispielloser Vollkommenheit.<br />
Sei es in der<br />
Realität oder in idealen Gedankenwelten,<br />
diese Sehnsucht<br />
steckt letztlich in jedem<br />
Menschen.<br />
Im Gefühl haben wir<br />
allerdings sehr wohl, was<br />
Heimat meint. Wir kennen<br />
das Heimatland, die Heimatsprache,<br />
die Heimatstadt,<br />
den Heimatgedanken,<br />
die Heimatliteratur<br />
oder den Heimatfilm, den<br />
Heimathafen, die Heimaterde,<br />
aber auch den<br />
Heimatlosen oder den<br />
Heimatvertriebenen – die<br />
Nachkriegsgeschichte von<br />
Städten <strong>und</strong> Gemeinden in<br />
unserer Umgebung gelten<br />
da<strong>für</strong> als beredtes Beispiel.<br />
Menschen erfahren in<br />
ihrer Heimat die Sicherheit<br />
<strong>und</strong> Verlässlichkeit ihres<br />
Daseins, empfinden sie als<br />
einen Ort des Vertrauens:<br />
Heimat als Nahwelt, die<br />
verständlich <strong>und</strong> durchschaubar<br />
ist, als Rahmen,<br />
in dem sinnvolles, abschätzbares<br />
Handeln möglich<br />
ist – Heimat also auch<br />
als Gegensatz zu Fremdheit<br />
<strong>und</strong> Entfremdung.<br />
Mit der Heimat lässt sich<br />
begrifflich so viel verbinden,<br />
das Wärme vermittelt,<br />
ganz real auf der Landkarte<br />
zu finden ist oder tief im<br />
Herzen. Die Heimat ist damit<br />
ein lebendiges Etwas,<br />
das viele Facetten bietet<br />
<strong>und</strong> dennoch oft vergeblich<br />
um Definitionen ringen<br />
lässt. Mit der Heimat, sei<br />
es nun die alte oder neue<br />
Heimat, sollte man deshalb<br />
pfleglich umgehen, gerade<br />
auch an seinem Wohnort.<br />
Mit der Heimat verbindet<br />
sich nicht zuletzt auch<br />
die „Heimkehr“. Sie kann<br />
nur erfahren, wer die Heimat<br />
einmal verlassen <strong>und</strong><br />
vermisst hat <strong>und</strong> wieder<br />
in sein vertrautes Umfeld<br />
heimkehrt. Und hier<br />
schließt sich der Kreis zur<br />
Weihnachtsgeschichte: „Es<br />
begab sich aber zu der Zeit,<br />
dass ein Gebot von dem<br />
Kaiser Augustus ausging,<br />
dass alle Welt geschätzt<br />
würde. Und jedermann<br />
ging, dass er sich schätzen<br />
ließe, ein jeglicher in seine<br />
Stadt. Da machte sich auch<br />
auf Joseph aus Galiläa, aus<br />
der Stadt Nazareth, in das<br />
jüdische Land zur Stadt<br />
Davids, die da heißt Bethlehem“<br />
– auch Joseph <strong>und</strong><br />
Maria kehrten also wieder<br />
in ihre alte Heimat zurück,<br />
wo schließlich auch ihr<br />
Sohn Jesus zur Welt kam...<br />
Ihnen, lieber Leser, ein<br />
gesegnetes Weihnachtsfest<br />
<strong>und</strong> bei Ges<strong>und</strong>heit alles<br />
Gute im Neuen Jahr.