FernUni Perspektive | Ausgabe Winter 2017
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Leute<br />
Seite 14<br />
<strong>FernUni</strong> <strong>Perspektive</strong><br />
Prof. Ulrike Lembke<br />
Expertin für Gleichstellungrecht baut neues Lehrgebiet auf<br />
Im Gespräch mit Prof. Dr. Ulrike<br />
Lembke vergehen 60 Minuten wie<br />
im Flug. Das liegt an ihrer langen Liste<br />
an Forschungsfragen mitten aus<br />
dem Leben. Die Suche nach wissenschaftlich<br />
fundierten Antworten<br />
beginnt im Umfeld der Rechtswissenschaftlerin.<br />
Zum Beispiel damit,<br />
warum es „nach wie vor so wenige<br />
Jura-Professorinnen an deutschen<br />
Hochschulen gibt“. Aber auch die<br />
immer stärkere Teilung des Arbeitsmarktes<br />
in „Frauenberufe“ und<br />
„Männerberufe“, rechtspopulistische<br />
Anti-Gender-Tiraden und sexistische<br />
Werbung befeuern ihr wissenschaftliches<br />
Interesse. Nicht zu<br />
vergessen ist der „Rosa-versus-Hellblau-Wahnsinn“<br />
bei allem, was Kinder<br />
betrifft – „vom Baby-Strampler<br />
über Spielzeug und Schulranzen bis<br />
zu Trinkflaschen“.<br />
Vom Antidiskriminierungsrecht<br />
über Menschenrechte bis zur Arbeitsteilung<br />
in Beruf und Familie:<br />
Mit den Studien zu Gender im Recht<br />
hat Ulrike Lembke ihr ideales Themenspektrum<br />
gefunden. Seit April<br />
<strong>2017</strong> ist die Wahl-Berlinerin Inhaberin<br />
der Professur für Gender<br />
im Recht. Diese hat die <strong>FernUni</strong>versität<br />
in Hagen als eine der ersten<br />
Hochschulen deutschlandweit neu<br />
geschaffen.<br />
Studienbuch zur Feministischen<br />
Rechtswissenschaft<br />
Ulrike Lembke füllt den jungen<br />
Rechtsbereich mit Leben und<br />
schreibt aktuell an der dritten Auflage<br />
des gemeinschaftlich verfassten<br />
Studienbuchs zur Feministischen<br />
Rechtswissenschaft, „das<br />
erste deutsche Lehrbuch dieser Art<br />
und inzwischen ein Standardwerk<br />
zur Einführung in die Legal Gender<br />
Studies“, wie sie erklärt.<br />
Als Expertin für Gleichstellungsrecht<br />
ist sie bei der Europäischen<br />
Kommission in Brüssel regelmäßig<br />
gefordert. Ulrike Lembke ist Mitglied<br />
im European Equality Law<br />
Network und verfasst Gutachten,<br />
etwa zur Vereinbarkeit von Familie<br />
und Beruf, zur Umsetzung der Entgeltgleichheit,<br />
zu Fragen der Benachteiligung<br />
von Frauen und gesellschaftlichen<br />
Minderheiten in der<br />
Sharing Economy (etwa bei Mitfahrzentralen<br />
und Buchung von Privatunterkünften)<br />
und zur Frauenquote<br />
in Vorständen und Aufsichtsräten.<br />
Ihr Faible für Gender im Recht hat<br />
Ulrike Lembke in ihrer Studienzeit<br />
entdeckt. In Greifswald studierte sie<br />
neben Jura Politikwissenschaft und<br />
Anglistik. „Das hat mir Welten eröffnet“,<br />
schwärmt sie. Um für ihre<br />
wissenschaftliche Karriere thematisch<br />
breiter aufgestellt zu sein, promovierte<br />
sie 2008 in der Rechtstheorie.<br />
Ein Jahr später wurde sie an die<br />
Universität Hamburg auf eine Juniorprofessur<br />
für Öffentliches Recht<br />
und Legal Gender Studies berufen.<br />
Habilitation zur Nutzung des<br />
öffentlichen Raums<br />
Eines ihrer großen Forschungsthemen,<br />
zu dem sie in Hagen ihre Habilitation<br />
fortführt, ist die Nutzung<br />
des öffentlichen Raumes durch Personen<br />
und Gruppen. Wie ist der öffentliche<br />
Raum gerecht zu verteilen?<br />
Und welche Leitlinien und Regeln<br />
sind denkbar? Als Beispiele<br />
nennt sie Flashmobs, Außengastronomie,<br />
Stadtfeste, Grillen im Park,<br />
Marathons, aber auch die umstrittene<br />
Nutzung des Tempelhofer Feldes<br />
in Berlin: „Der Senat wollte die Nutzung<br />
von oben regulieren und ist<br />
nach einer Volksabstimmung vorerst<br />
gescheitert.“<br />
Prof. Ulrike<br />
Lembke<br />
(Foto:<br />
<strong>FernUni</strong>versität,<br />
Hardy Welsch)<br />
Ihre Arbeit ist explizit nicht als Genderprojekt<br />
angelegt. Dennoch lassen<br />
sich mit Blick auf ihre Habilitation<br />
interessante Gender-Aspekte<br />
finden. Zum Beispiel hat Ulrike<br />
Lembke nach der Silvesternacht<br />
2015/2016 in Köln einen Beitrag<br />
zu sexuellen Übergriffen im öffentlichen<br />
Raum veröffentlicht. „Unser<br />
Sexualstrafrecht musste reformiert<br />
werden, weil es sexuelle Selbstbestimmung<br />
nicht ernsthaft schützt“,<br />
sagt sie.<br />
Ulrike Lembke hat viel zu erzählen.<br />
Nur bei der Frage nach ihrem<br />
Alter schweigt sie beharrlich. „Altersdiskriminierung<br />
ist in Deutschland<br />
stark verbreitet“, lautet ihre<br />
Begründung. Vor diesem Hintergrund<br />
schätzt sie an der Hagener<br />
Hochschule insbesondere die Diversität<br />
der Studierenden und die<br />
Möglichkeit, unabhängig vom Alter<br />
und von bisherigen Bildungsund<br />
Berufsweg zu studieren. „Die<br />
Geschichte der <strong>FernUni</strong>versität, ihre<br />
Verdienste für die Erwachsenenbildung<br />
und ihren weit fokussierten<br />
Bildungsbegriff – das finde ich an<br />
unserer Hochschule richtig cool“,<br />
sagt Ulrike Lembke. can<br />
Tagung mit Nobelpreis-Trägern<br />
Wissenschaftliches Wohlfühlerlebnis<br />
Andere Länder, frisches Wissen<br />
Binationale Promotionen<br />
Ein „Wohlfühlerlebnis“ der ganz<br />
besonderen Art hatte Linda Glawe<br />
bei der 6. Lindauer Tagung<br />
der Wirtschaftswissenschaften:<br />
Hier war die 25-Jährige eine von<br />
350 Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und Nachwuchswissenschaftlern<br />
aus 66 Nationen, die mit 17<br />
Trägern des „Preises der Schwedischen<br />
Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften<br />
in Gedenken an Alfred<br />
Nobel“ – als „Nobelpreis für<br />
Wirtschaftswissenschaft“ bekannt<br />
– zusammentrafen: „Das hat meine<br />
Motivationen noch weiter erhöht!“,<br />
freut sich dieWissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Lehrstuhl für<br />
Volkswirtschaftslehre, insb. Makroökonomik<br />
(Prof. Dr. Helmut Wagner)<br />
der <strong>FernUni</strong>versität in Hagen:<br />
„Ich selbst konnte mit Nobelpreis-<br />
Träger Christopher Pissarides sprechen.<br />
Wo hat man sonst als junge<br />
Wissenschaftlerin die Gelegenheit<br />
dazu? Alle Nobelpreis-Träger haben<br />
unsere Forschungsarbeiten und uns<br />
ernst genommen, uns mit ihren Fragen<br />
herausgefordert und uns wichtige<br />
Hinweise gegeben.“ Auch die<br />
hochinteressanten Diskussion mit<br />
anderen jungen Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern, „die für<br />
ihre Forschung ‚brennen‘“, haben<br />
sie motiviert und inhaltlich weitergebracht.<br />
Die Eröffnungsrede der<br />
Tagung hielt Mario Draghi, Chef der<br />
Europäischen Zentralbank (EZB)..<br />
In den Veranstaltungspausen mischten<br />
sich die Spitzen-Wissenschaftler<br />
unter den Nachwuchs. So konnte<br />
Linda Glawe Christopher Pissarides,<br />
der 2010 den Preis bekam,<br />
ihre Forschungen vorstellen. Eines<br />
seiner Modelle hat für Glawes Forschungen<br />
zu Strukturwandel und<br />
Wachstumstheorie große Bedeutung:<br />
„Klasse, jemandem ‚live‘ zu<br />
begegnen, der für die eigene Forschung<br />
so inspirierend ist!“ Edward<br />
C. Prescott, Preisträger im Jahr<br />
2004, wollte von ihr wissen, warum<br />
gerade ihre Forschung wichtig ist:<br />
„Seine Frage stellte mich schon vor<br />
eine Herausforderung, aber sie war<br />
sehr freundlich gestellt.“<br />
Linda Glawe, die bereits mit 17<br />
Jahren an der <strong>FernUni</strong>versität zu<br />
Ein Highlight war<br />
für Linda Glawe<br />
das Gespräch mit<br />
Nobelpreis-Träger<br />
Christopher<br />
Pissarides.<br />
(Foto: privat)<br />
studieren begann: „Meine Erwartungen<br />
waren hoch, sie wurden<br />
in jeder Hinsicht sogar noch übertroffen.<br />
Hochinteressant waren die<br />
Forschungsergebnisse der Nobelpreis-Träger<br />
und die Trends, die sich<br />
‚live‘ viel besser erkennen ließen<br />
als in ihren Veröffentlichungen. Ich<br />
wurde in meiner Forschungsmotivation<br />
durch das gesamte Umfeld,<br />
also ebenso durch die Kolleginnen<br />
und Kollegen, die oft ganz andere<br />
Blickwinkel haben, weiter bestärkt.<br />
Man muss dort ja immer wieder<br />
seine Arbeit ‚verkaufen‘. Erkenntnisse<br />
aus den Diskussionen mit ihnen<br />
konnte ich bereits vor Ort verwenden,<br />
als ich an meiner Promotion<br />
weitergearbeitet habe.“ Vorgeschlagen<br />
für die Teilnahme hatte sie<br />
ihr Doktorvater Prof. Wagner. Da<br />
„Ich freue mich sehr darauf, ein paar Monate in Deutschland zu leben und<br />
zu forschen!“ Jacinto Paez ist Doktorand an der Universidad Diego Portales<br />
in Santiago de Chile und von September bis Februar zu Gast an der<br />
<strong>FernUni</strong>versität in Hagen. Am Lehrgebiet „Praktische Philosophie – Ethik,<br />
Recht, Ökonomie“ von Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann möchte er sein<br />
Promotionsprojekt vorantreiben. Im gleichen Zeitraum ist auch der italienische<br />
Doktorand Marco Diamanti hier tätig: „Ich komme von der römischen<br />
Universität Sapienza und war dank eines italienischen Stipendiums<br />
schon einmal für ein halbes Jahr in Hagen.“<br />
In den beiden binationalen Promotionsverfahren werden die Nachwuchsforscher<br />
sowohl von ihren jeweiligen Betreuenden an ihren Heimathochschulen<br />
wie von Prof. Hoffmann betreut. Jacinto Paez profitiert zudem vom<br />
deutsch-lateinamerikanischen Forschungs- und Promotionsnetzwerk Philosophie<br />
(FILORED). Der offene Verbund von Universitäten hilft dabei, internationale<br />
Doppelpromotionen in die Wege zu leiten und zu realisieren.<br />
„Wir haben im Rahmen von FILORED bereits zwei Promotionen durchgeführt“,<br />
so Hoffmann als Koordinator des Netzwerks. Finanzielle Unterstützung<br />
erhalten die jungen Wissenschaftler durch das Kontaktstipendium<br />
des Stipendien- und Betreuungsprogramms (STIBET).<br />
br<br />
www.fernuni-hagen.de/per62-14<br />
Marco Diamanti (2.v.li.) und Jacinto Paez (3.v.li.) mit Prof. Thomas S. Hoffmann und<br />
Mareike Weiß (Stabsstelle Digitalisierung und Internationalisierung).<br />
(Foto: <strong>FernUni</strong>versität)