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FORUM Geberqualitäten aktivieren! Karl Marx sah im Kapitalisten dieselbe Figur am Werk wie im Feudalherrn: den Frührentner. Darunter verstand er jemanden, der die Arbeit nach Kräften meidet und dank Ausbeutung der Produktiven vom eigenen Nichtstun dennoch fürstlich leben kann. Natürlich werden auch 150 Jahre nach Marx an den Spitzen der zunehmend verbürokratisierten anonymen Unternehmenswelt viel zu viele leistungslose Grundeinkommen ausbezahlt. Doch im modernen Wohlfahrts- und Umverteilungsstaat zeigt sich strukturell, dass sich die Unproduktivität von der Spitze der Gesellschaft zur Basis verlagert hat. Eine beachtlich hohe Zahl von Menschen führt das Dasein von Frührentnern, die sich teilweise oder ganz ausserhalb der wirtschaftlichen Wertschöpfungssphäre bewegen – gleich von Anfang an und für immer. Die Sozialhilfequote liegt in der Schweiz bei 3,2 Prozent. Handelt es sich bei IV und ALV um Versicherungslösungen, auf die der Betroffene mit guten Gründen einen Rechtsanspruch geltend machen kann, liegen die Dinge im Falle der wirtschaftlichen Sozialhilfe anders. Hier lebt der Sozialhilfeempfänger buchstäblich auf Kosten der unbekannten Allgemeinheit der Steuerzahler in seiner Wohngemeinde. Der Betroffene befindet sich in der harten Position des Empfangenden – wobei diese Situation schnell zum Dauerzustand wird. Der Mensch wird auf seine Nehmerqualitäten reduziert. René Scheu ist Philosoph und Herausgeber des liberalen Debattenmagazins «Schweizer Monat». Foto: T. Burla Das Existenzminimum, das sich nach SKOS-Richtlinien am Konsumverhalten der einkommensschwächsten zehn Prozent der Schweizer Haushalte orientiert (rund 2500 Franken für eine Person), ist ein leistungs-, wenn auch kein bedingungsloses Grundeinkommen. Mit den ständig steigenden Lasten des Sozialstaats kommt die Finanzierung unter stärkeren politischen Druck, und die Sozialhilfeempfänger, die kaum eine Menschliche Würde und Selbstwertschätzung lassen sich nicht durch Barüberweisungen herstellen. Lobby haben, sind jeweils die ersten, die es trifft. Dass selbst Sozialstaaten rechnen müssen, ist allen klar. Die geplante Revision der SKOS-Richtlinien – Reduktion des Grundbedarfs bei Grossfamilien, Senkung der Ansätze für junge Erwachsene, Möglichkeit zur Verschärfung der Sanktionen – geht angesichts des wachsenden Aufwands und neuer Klientel zweifellos in die richtige Richtung. Dennoch bleibt die Reform einer zu simplen anthropologischen Sicht verhaftet. Menschliche Würde und Selbstwertschätzung lassen sich nicht durch Barüberweisungen herstellen, und dies nicht einmal dann, wenn man sich besonders grosszügig zeigt und damit ein Minimum an gesellschaftlicher Partizipation ermöglichen will. Was fehlt, ist für den Einzelnen eine Perspektive – die Perspektive, nicht nur zu nehmen (und zu konsumieren), sondern auch zu geben (und zu produzieren). Marx wusste, dass der Mensch – im Idealfall – in der Arbeit jenseits der Entfremdung ganz bei sich ist. Arbeit verheisst ihm Mitwirkung, Aufgabe, Austausch, Lernen, persönliche Entwicklung. Sozialunternehmen wie die Dock- Gruppe in St.Gallen haben aus diesem Grundgedanken ein neues Arbeitsmodell gezimmert: Statt Betroffene endlos lange und teuer zu betreuen, lernen diese, sich durch selbstverantwortetes Tätigsein selbst aufzurichten, indem sie einfache Qualitätsarbeit für die Schweizer Industrie in eigenen Werkstätten erbringen. Die Tätigkeit ist hart, zuweilen auch monoton, aber sie gibt dem Leben Struktur und Sinn. Die Finanzierung ist ebenso simpel wie transparent: Die Sozialhilfe fliesst an die Sozialfirma, die ihre Arbeitnehmer versichert und ihnen regulär – allerdings bescheidene – Saläre bezahlt. Aufgabe der Sozialunternehmer ist es, über den erzielten Erlös die Struktur und den Overhead der Firmen zu finanzieren und monetäre Anreize für Mehrarbeit unter ihren Angestellten zu schaffen. Die Nähe der Sozialfirmen zum Staat bedarf zweifellos eines kritischen zivilgesellschaftlichen Blicks – dennoch birgt das Modell viel Potenzial. Es setzt die parastaatliche Betreuungsindustrie unter Druck, weil es Kosten sparen hilft. Aber vor allem: Es gibt den Menschen ihre Würde zurück, die genau darin besteht, als Wesen ernst genommen zu werden, das nicht nur nehmen kann, sondern auch viel zu geben hat. • In dieser Rubrik schafft die ZESO Raum für Debatten und Meinungen. Der Inhalt gibt die Meinung des Autors resp. der Autorin wieder. 34 ZeSo 4/15 FORUM
lesetipps Standort Strasse Tag für Tag stehen die Verkäuferinnen und Verkäufer des Strassenmagazins Surprise mit dem Heft in der Hand auf der Strasse. Zwanzig von ihnen stellt dieser Porträtband vor. Die Lebensgeschichten zeichnen ein Bild der Armut in der Schweiz. Sie zeigen, wie unterschiedlich die Gründe für den sozialen Abstieg sind und wie schwierig es sein kann, wieder auf die Beine zu kommen. Das Buch erzählt aber auch von den Perspektiven, die die Menschen durch den Heftverkauf finden, von alternativen Lebensentwürfen und von manch überraschender Wende im Leben der Porträtierten. Verein Surprise (Hrsg.), Standort Strasse, Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand, Christoph Merian, 2015, 152 Seiten, CHF 29.− ISBN 978-3-85616-679-3 Armut und Diskriminierung Fragen zum gerechten Umgang mit armen Menschen werden in der Politik regelmässig debattiert, während sich die Rechtswissenschaft erst am Rande mit ihnen befasst. Doch der Umgang mit armen Menschen wird auch durch die Rechtsordnung, etwa durch den verfassungsrechtlichen Diskriminierungsschutz, geprägt. Die Studie zeigt, dass armutsspezifische Benachteiligungen oft mit öffentlichen und wirtschaftlich motivierten Interessen begründet werden. Die dabei angeführten Argumente und Interessenabwägungen müssen kritisch hinterfragt und der Diskriminierungsschutz bedürftiger Menschen anerkannt werden. Alexander Suter, Armut und Diskriminierung, eine Untersuchung zum Diskriminierungsschutz für bedürftige Menschen in der Schweiz, Dike, 2015, 392 Seiten, CHF 89.− ISBN: 978-3-03751-757-4 Parteieneffekte in der Sozialpolitik Welche Unterschiede bewirken Parteien in der Sozialpolitik? Diese in der Forschung kontrovers diskutierte Frage analysiert das Buch anhand vergleichender Fallstudien der Arbeitsmarktund Rentenpolitik in Grossbritannien, Schweden und Deutschland. Die Studie zeigt, dass es keine generalisierende Antwort gibt. Vielmehr prägt der jeweilige wohlfahrtsstaatliche Kontext die sozialpolitischen Konfliktmuster und die Parteieneffekte. Die Konflikte beschränken sich dabei nicht auf die Leistungsgenerosität, sondern umfassen auch die Finanzierung sowie die Verwaltung wohlfahrtsstaatlicher Programme. Frank Bandau, Wohlfahrtsstaatliche Strukturen und Parteieneffekte, Nomos, 2015, 378 Seiten, CHF 89.− ISBN 978-3-8487-2367-6 Günstig und gut essen Gut, gesund und günstig: Wer nach diesen Kriterien einkaufen und kochen will, hat mit dem Ratgeber der Stiftung für Konsumentenschutz ein nützliches Hilfsmittel zur Hand. Der Ratgeber zeigt, wie man Geld sparen kann, ohne dass man Einbussen bei der Qualität oder der Vielfalt in Kauf nehmen muss. Das Büchlein vermittelt neben Ernährungswissen auch Wissenswertes zu Budgetfragen und dazu, wie Marketingfallen beim Einkauf umgangen werden können. Hinzu kommen Tipps und Rezepte rund um die ausgewogene Verpflegung zu Hause oder auswärts. Stiftung für Konsumentenschutz (Hrsg.), Gut, gesund und günstig essen, Clever einkaufen und ausgewogen essen, Ott, 2011, 120 Seiten, CHF 24.− ISBN 978-3-7225-0123-9 www.gggessen.ch Plattform Fremdplatzierung Studien belegen, dass bis zu 75 Prozent der fremdplatzierten Kinder und Jugendlichen traumatisiert sind. Daher sind neue Strategien und Kooperationen gefordert, um Platzierungen erfolgreich durchführen zu können. An der Tagung wird die Zusammenarbeit der Partner aus unterschiedlichen Professionen beleuchtet und es wird diskutiert, wie es gelingt, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln und abgestimmte Interventionen zu erarbeiten. Integras-Tagung: Plattform Fremdplatzierung Dienstag, 19. Januar 2016, Kultur-Casino Bern www.integras.ch Familie – ein Luxus? Eine Viertelmillion Eltern und Kinder leben in der Schweiz in Armut. Kinder aufzuziehen ist eines der grössten Armutsrisiken in der Schweiz. Dennoch investiert die Schweiz im internationalen Vergleich wenig in Familien, was zu Kritik der OECD an der Schweizer Familienpolitik führt. Das Caritas-Forum beleuchtet Gründe und Folgen der Familienarmut und stellt Ansprüche und Erwartungen an die Familien, den Staat und die Wirtschaft zur Diskussion. Caritas-Forum: Familie ist kein Luxus Freitag, 29. Januar 2016, Kultur-Casino Bern www.caritas.ch veranstaltungen Familienrechtlicher Unterhalt und Sozialhilfe Familienrechtliche Unterhaltspflichten gehen der Sozialhilfe vor und es kann verlangt werden, Unterhaltsansprüche geltend zu machen. Die Tagung verschafft eine Übersicht zu Fragen der familienrechtlichen Unterhaltspflichten sowie zur Koordination von Unterhaltsleistungen mit der Sozialhilfe. Sie fokussiert auf praxisrelevante Aspekte, die die sachgerechte Berechnung, Beurteilung und Koordination von Unterhaltsleistungen in der Sozialhilfe unterstützen. Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht Donnerstag, 17. März 2016, Hochschule Luzern www.hslu.ch service 4/15 ZeSo 35
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Seite 20 und 21: Studie Die Studie «Wohnversorgung
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