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soziologie heute Februar 2010

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<strong>Februar</strong> <strong>2010</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 21<br />

Es ist eine dieser Geschichten, von<br />

denen man weiß, dass sie für die<br />

Hochglanzmagazine unserer Tage<br />

verkaufsfördernde Wirkung hat. Und<br />

es ist eine dieser Geschichten, die<br />

auch Jahre später immer mal wieder<br />

als nette Anekdote zum Besten gegeben<br />

werden kann: Dass es doch auf<br />

die Größe ankommt. Dass Technik<br />

und Handwerk allein nicht ausreichen.<br />

Das berichtete zumindest das Deutsche<br />

Institut für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW) Mitte des Jahres 2004<br />

– und stellte erstens die Behauptung<br />

auf, dass große Männer häufiger in<br />

Chefetagen anzutreffen seien, dass<br />

– zweitens – jeder zusätzliche Zentimeter<br />

vom Scheitel zur Sohle zu<br />

durchschnittlich 0,6% mehr Monatsbrutto<br />

bringe und dass schließlich –<br />

drittens – dicke Frauen am unteren<br />

Ende der Gehaltsskala zu finden seien<br />

(vgl. Voß 2004).<br />

Unabhängig von der Verifizierbarkeit<br />

und empirischen Belastbarkeit<br />

dieser Studie sowie ihres unstrittig<br />

vorhandenen Übermaßes an politischer<br />

Inkorrektheit: Es ist ein nicht<br />

sonderlich gut gehütetes Geheimnis,<br />

dass große Männer in Führungspositionen<br />

überrepräsentiert sind.<br />

Losgelöst von der sicherlich spannenden<br />

Frage, was dafür Ursache<br />

und was Wirkung ist: Das Selbstbild<br />

vieler Manager, Führungskräfte und<br />

Entscheider entspricht dem des<br />

„großen, starken Mannes“. Ja, mehr<br />

noch: Es gleicht dem des archaischen<br />

Kriegers (vgl. Erdheim 1988).<br />

In den siebziger Jahren wurde das<br />

noch schlicht auf typische Stationen<br />

in den Lebensläufen zurückgeführt.<br />

Die seien nämlich, so konstatierte<br />

damals der amerikanische Soziologie<br />

Michael Macoby (1977), oftmals<br />

vom Militärdienst geprägt gewesen.<br />

Doch drei Jahrzehnte, zwei New-Market-Blasen<br />

und eine Weltwirtschaftskrise<br />

später dürfte eine solche Erklärung<br />

wohl kaum noch tragen.<br />

Erhellender ist da jene Beobachtung,<br />

die Robert Musil – immerhin schon<br />

in den 1930er Jahren – machte, als<br />

er schrieb: „Man darf freilich nicht<br />

glauben, die Menschen hätten bald<br />

bemerkt, dass ein Wolkenkratzer<br />

größer ist als ein Pferd; im Gegenteil,<br />

noch <strong>heute</strong>, wenn sie etwas Besonderes<br />

von sich hermachen wollen,<br />

setzen sie sich nicht auf den Wolkenkratzer,<br />

sondern aufs hohe Roß. (...)<br />

Ihr Gefühl hat noch nicht gelernt,<br />

sich ihres Verstandes zu bedienen<br />

(...) man kommt darauf, dass der<br />

Mensch in allem, was ihm für das Höhere<br />

gilt, sich weit altmodischer benimmt,<br />

als es seine Maschinen sind.“<br />

(Musil 1930: 37)<br />

Und was Musil nicht ganz frei von<br />

sarkastisch angehauchtem Bedauern<br />

bemerkt, ist so unverständlich<br />

nicht. Im Gegenteil: Wenn indigene<br />

Völker sich über den Namen ihres<br />

Clans und moderne Unternehmen<br />

sich über den Namen ihrer Marke<br />

identifizieren, wenn Sippen für ihre<br />

Werkzeuge und Kultgegenstände<br />

bestimmte tradierte Techniken und<br />

Unternehmen für ihre Produkte ein<br />

genau festgelegtes corporate design<br />

verwenden, wenn Stämme ihr Totem<br />

und Firmen ihr Logo hochschätzen,<br />

wenn Stammesmitglieder sich mit<br />

Trachten und Tätowierungen als<br />

Mitglieder zu erkennen geben und<br />

Betriebe ihren Mitarbeitern Firmenkleidung<br />

oder Uniformen zur Verfügung<br />

stellen – dann ist das hier wie<br />

dort weit mehr als ein Mangel an<br />

Modernität. Dann ist das im Falle tribaler<br />

Gemeinschaften kein Ausweis<br />

von Barbarei und im Falle eines Unternehmens<br />

kein Rückfall in archaische<br />

Handlungsmuster, sondern in<br />

beiden Fällen die Perzeption archetypischer,<br />

dem Menschen zutiefst<br />

vertrauter Verhaltensweisen.<br />

Aus diesem Grunde taugt der Vergleich<br />

von „chiefs“ und „Chefs“, von<br />

„Clans“ und „Companys“ nicht allein<br />

für interessante Anekdoten. Er hat<br />

nämlich ebenso einen realen Hintergrund<br />

wie er heuristische Wirkung<br />

zeitigen kann. Und beides liegt nicht<br />

nur in der Selbstwahrnehmung der<br />

Manager begründet, sondern in den<br />

Erfahrungen, die die Menschheit von<br />

Anbeginn und immer wieder aufs<br />

Neue geprägt haben.<br />

Menschen suchen Sicherheit und<br />

Führung – und glauben beides am<br />

ehesten dort zu finden, wo Physiognomie<br />

und Verhalten archetypischen<br />

Vorstellungen entspricht. Mit anderen<br />

Worten: So wie der Häuptling<br />

eines Stammes nicht zuletzt deshalb<br />

Häuptling wurde, weil er sich in<br />

Kampf und Krieg bewährt und damit<br />

bewiesen hatte, dass er die Seinen zu<br />

schützen in der Lage ist, so wird dem<br />

großen, starken, durchsetzungsfähigen<br />

Mann am ehesten zugetraut, ein<br />

Unternehmen sicher durchs verminte<br />

Gelände zu führen.<br />

Und vor diesem Hintergrund überraschen<br />

dann auch die Ergebnisse von<br />

Studien nicht, denen zufolge Frauen<br />

mit breiten Schultern und schmalem<br />

Mund eher Karriere machen als jene,<br />

die von der Natur mit eher als weiblich<br />

assoziierten Attributen bedacht<br />

wurden (vgl. Der Männer-Bonus,<br />

Süddt. Zeitung v. 13.10.2004).<br />

Dr. Claudius Rosenthal ist Politikwissenschaftler<br />

und Journalist und lebt im Sauerland.<br />

Bis 2003 leitete er die Journalisten-Akademie<br />

der Konrad-Adenauer-Stiftung (Sankt<br />

Augustin) und war anschließend Chefredakteur<br />

einer in Süddeutschland er-scheinenden<br />

Wochenzeitung. Rosenthal arbeitet <strong>heute</strong> in<br />

der Staatskanzlei des Landes NRW..

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