28.02.2018 Aufrufe

E_1928_Zeitung_Nr.107

E_1928_Zeitung_Nr.107

E_1928_Zeitung_Nr.107

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

WIE ICH WEIHNACHTEN FEIERTE<br />

Ich habe mich dieses Jahr einladen lassen,<br />

von meinem Freund, der Familienvater ist.<br />

Aber ich werde ganz bestimmt nächstes Jahr<br />

vorziehen, mich einsam zu fühlen. Nicht wegen<br />

meines Freundes, er ist ein lieber Kerl,<br />

aber wegen der Feier. Wenn ich daran denke,<br />

schaudert es mir den Rücken hinauf. So war<br />

das :<br />

Ich läutete; seine Frau, ein junges Ding,<br />

kaum dem Pensionat entlaufen, öffnete mir<br />

mit glänzenden Augen: « Auf Sie haben wir<br />

nur noch gewartet, es sind schon al'ie da.»<br />

Donnerwetter, wer alle? Mein Freund hatte<br />

von ganz intimem Familienfestchen gesprochen.<br />

Die intime Familie, der ich in den<br />

nächsten zehn Minuten vorgeführt wurde<br />

und die auf meine leeren Hände blickte (ich<br />

hatte nur der Hausfrau einige Rosen mitgebracht),<br />

feindselig fast, aber sah so aus: Kanapee,<br />

Zimmermitte: Grosspapa und Grossmama,<br />

er mit Riesenschnauz und Franz-<br />

Joseph-Bart, sie niederstirnig und rund.<br />

Daneben Onkel Paul, Bruder der Frau des<br />

Hauses, zweiunddreissigjähriger GlanzMekler<br />

mit bemerkenswerten Fettansätzen, Junggeselle.<br />

Klubsessel links davon: Grosstante<br />

Amalie, mager, bezwickert, schwarzhochgeknöpft,<br />

rechter Klubsessel: Tante Anna,<br />

wohlschmunzelnd, rund und rund. Stuhl etwas<br />

dahinter: Onkel Otto, Brille, Aufstehkragen<br />

mit glorioser Schleife umwunden,<br />

blass und eingefallen, ihr Gatte. Mein Freund<br />

und sein junges, molliges Frauchen. Der<br />

kleine Georg war noch im Kinderzimmer<br />

und hatte vermutlich auf das Baumanzünden<br />

zu warten»<br />

Nach der Vorstellung und gewechselten<br />

Wohlmeinendheiten setzte ich mich auf den<br />

letzten freien Stuhl, etwas links von Grosstante<br />

Amalie. Kaum geschehen, so erhob sich<br />

eines ums andere, zog hinter seinem Sitz<br />

mindestens zwei Pakete hervor, ging vertraulich<br />

zur jungen Mutter, begann leise zu<br />

tuscheln und überreichte seine Pakete, die<br />

dann unter den Baum gelegt wurden. Erst<br />

jetzt verstand ich, weshalb all die guten<br />

Leutchen so schrecklich unbequem gesessen<br />

hatten: Da zog Onkel Otto ein Riesending<br />

hervor, das nach verpacktem Schaukelpferd<br />

aussah, Tante Anna aber grub unter<br />

den Wogen ihres Sitzfleisches ein gewichtiges<br />

Ding aus, das man auf Baukasten einschätzte.<br />

Dieses erledigt, zündete sich der<br />

Onkel Junggeselle eine Zigarre an, während<br />

Onkel Otto zweimal mit bösem Blicke seinen<br />

Adamsapfel auf- und abzucken Hess,<br />

er war Nichtraucher. Nun machte sich das<br />

Frauchen meines Freundes daran, die Kerzen<br />

der stattlichen Weihnachtstanne zu entzünden,<br />

wobei ich ihr half, mein Freund ein<br />

woh'gemeintes Witzchen machte und mich<br />

der ganze intime Verwandtenkreis feindselig<br />

anglotzte.<br />

Endlich kam der kleine Bub an die Reihe:<br />

Von seiner Mutter geholt, betrat er an ihrer<br />

Hand den Raum. Der einzig schöne Moment<br />

des Abends: Seine Aermchen gingen auseinander<br />

und weit auf, grosse, runde Kinderaugen<br />

leuchteten den Lichtern entgegen. Ein<br />

k'eines Mäulchen blieb mit staunendem<br />

Laute offenstehen. Lange dauerte das nicht,<br />

er musste jetzt begrüssen, ging mit «Schor-<br />

Wie es sich von der Frau aufmerksam betrachtet<br />

fühlt, sucht es nach einem andern<br />

Trost. «Komm», ruft es, nimmt die Frau an<br />

der Hand und führt sie zum Fliederstrauch,<br />

unter dem die Puppen sitzen.<br />

«Schau, das sind meine Puppenkinderchen»,<br />

erzählt es glücklich und weiss von jeder<br />

Puppe etwas Besonderes zu berichten. Aber<br />

dann wird wieder seine Neugier wach.<br />

«Hast du denn rechte Kinderchen,» fragt es.<br />

«Ja, das habe ich,» bestätigte die Frau und<br />

sieht plötzlich froher aus. Und auch sie weiss<br />

nun allerlei zu erzählen.<br />

«Warum machtest du aber ein so böses<br />

Gesicht?», forscht die Kleine hartnäckig weiter.<br />

Da bleibt der Frau nichts weiter übrig, als<br />

zu gestehen, will sie die kleine Fragestellerin<br />

befriedigen, und so sagt sie: «Ich war halt<br />

unzufrieden mit der ganzen Welt».<br />

Ganz lange muss das kleine Mädchen die<br />

Frau jetzt ansehen und plötzlich sagt es:<br />

«Ich glaube, du hast den Kopf zu weit oben.<br />

Kriech doch auch manchmal, ein bisschen auf<br />

dem Boden herum, dann wird dir auch kurzweilig<br />

und froh».<br />

Und es legt sich bäuchlings auf die Erde.<br />

«Ich geh nie so arg weit weg, du glaubst gar<br />

nicht, wie man da alles sieht und findet».<br />

Da lacht die Frau laut auf, aber es ist nun<br />

ein frohes und glückliches Lachen. Und das<br />

kleine Mädchen ist schon aufgesprungen und<br />

Jubelt: «Nun bist du wieder zufrieden, juhu».<br />

Und es hüpft und springt vergnügt um sie<br />

herum und in seinen Bewegungen ist ein solcher<br />

Liebreiz und so viel kindliche Anmut,<br />

dass es die Frau noch ganz bezwingt<br />

Sie fängt es in den Armen auf und küsst<br />

es und sagt leise: «Du kleines, serösstes Wunder<br />

aller Wunder». Clara Büttiker.<br />

scheli» betitelt von Hand zu Hand, bekam<br />

welke und fette Lippenpaare auf seine Wangen,<br />

während seine Aermchen immer noch<br />

nach dem Baume sich reckten. Seine Tourn&e<br />

schloss er auf den Knien Grosstante<br />

Amaliens, während mein Freund sich ans<br />

Klavier setzte, das Weihnachtslied anschlug,<br />

in das ich erlöst einfiel.<br />

Bescherung. Schon vorher hatte ich bemerkt,<br />

wie aller Augen eine ganz bestimmte<br />

Richtung angenommen hatten. Ein jeder<br />

GLOCKEN<br />

AUTOMOBIL-REVUE<br />

pferd, Baukasten, Bilderbücher, Bälle und so<br />

weiter. Nun ging's los, Onkel Paul fing an:<br />

«Zeig jetzt schön dem Onkel Paul, was du<br />

vom Onkel Paul bekommen hast» — Tante<br />

Amalie sekundierte: «Zeig mir jetzt mal, was<br />

dir die Tante Amalie geschenkt hat.» Selbst<br />

die Grosseltern halfen mit. Der kleine Georg<br />

rannte erst willig zu jedem, aber als die<br />

Runde um war und der erste (Onkel Paul)<br />

von neuem anfing: «Und was hat dir denn<br />

Um Mitternacht trat ich vors Haus<br />

Und hörte unsrer Stadt vielfältig Glockenklingen<br />

Zum Eingang in das neue Jahr...<br />

Es scholl sehr weich und wogend, voll dazu und klar —<br />

Was mögen diese Tone bringen?<br />

Ich denke nicht an kleines Glück und Leid,<br />

Ich träume nicht von unerfüllten Freuden :<br />

Der grosse Augenblick macht mich bescheiden;<br />

Ich ahne ehrfurchtsvoll den dunkeln Gang der Zeit.<br />

Ein neues Blatt wird aufgeschlagen<br />

Und ist beschrieben doch schon lang.<br />

Vielfach verschlungne Fäden aus vergangnen Tagen<br />

Bestimmen neue Tat mit altem Zwang.<br />

Gestern war an der Bärenschanze. Springkonkurrenz.<br />

Ein buntes Bild: bekannte Sport-<br />

Onkel Paul sonst noch gegeben?», da wurden<br />

seine Schritte langsamer, sein Gesicht-<br />

| chen weniger vergnügt Der Vater, gutge-<br />

Die Glocken klingen immer noch da droben...<br />

Und wieder flieht mein Geist ins graue Dämmerreich der Zeit,<br />

Ein Glied der Kette hat sich nur verschoben<br />

Am Rade der Unendlichkeit.<br />

Ko.<br />

suchte unter dem Haufen der Geschenke das<br />

seine herauszufinden. Ganz nett, aber warum?<br />

Das merkte ich bald. Die Mutter<br />

sprach einige Worte von Liebembubisein und<br />

Auchimneuenjahrgehorchen zum Kinde, dessen<br />

Augen auf den Baum gerichtet waren, und<br />

begann die Verteilung. — Dem lieben Schorscheli<br />

von Grossmama, von Onkel Paul, von<br />

Tante Amalie — tönte ihre gute Stimme<br />

durch den Raum. Der, dessen Namen gelesen,<br />

setzte sich in gebührende Position,<br />

unstreitbar vorn Neide aller umwebt, und<br />

nahm den gewöhnlich von einem mahnenden:<br />

«Wie sagt man, Schorscheli!» eingeleiteten<br />

Dank entgegen. Ein flüchtiges Küssen,<br />

bei dem der Schenkende die Hauptarbeit<br />

tat. Mein Gott, was musste der arme Bub<br />

zusammenküssen! Es war ein solcher Gewalthaufe<br />

von Paketen um das Kind herum,<br />

dass es nicht wusste wo anpacken. Von der<br />

Mutter assistiert, begann er endlich Schnüre<br />

zu lösen, Pakete zu öffnen. Da und dort erhob<br />

sich ein Onkel oder eine tantliche Dame,<br />

um dem Kind ein bestimmtes Paket aus dem<br />

Haufen in die Hände zu spielen. Mit fiebernden<br />

Augen sassen sie alle, vornübergebeugt,<br />

und erwarteten die Ausrufe des K'einen.<br />

Neuer Dank, neues Küssen, gefälliges<br />

DIE FAHRT INS NEUE JAHR<br />

Ein selten scböter Dezembertag. Unser<br />

Wagen steht fahrbereit. Koffern, Decken, alles ist<br />

veretaiit.<br />

c Steig ein, Kind, die Fahrt ins neue Jahr kann<br />

beginnen!»<br />

Glückwünschend nehmen wir Abschied.<br />

An tiefverschneiten Bergen, rieselnden Bäumen,<br />

weiten Feldern vorbei fahren wir über Basel, Freiburg,<br />

Offenburg, Karlsruhe, Brucbsal, Heidelberg,<br />

über die einzigachöne Bergstrasse nach Darnustadt,<br />

Mainz — — —<br />

Die ehrwürdige Bischofstardt präsentiert sich<br />

uns im alten Kleide. Immer noch schauen fremde<br />

Soldatengesichter aus prächtigen Gebäuden, auf<br />

denen die Trikolore weht.<br />

&? ist der 31. Dezember, als wir über die Rbeinbrücke<br />

nach Wiesbaden fahren. Links und rechts<br />

des Brückenkopfes stehen verdriesslich französische<br />

Wachen. Die «Poilus» am deutschen Rheine<br />

sind besetzungsmüde.<br />

Wiesbaden nimmt uns auf. Ich führe den Wagen<br />

durch elegante Strassen. Beim Kochbrunnen<br />

kosten wir das heilbringende Nass. Dann nehmen<br />

wir den Nevoberg. Die Aussicht ist wunderschön<br />

Vor uns liegt die griechische Kapello mit dem<br />

Sarkophag der Kaiserin Elisabeth.<br />

Auf gut gepflegten Strassen passieren wir Biebruh,<br />

Warlluf nach Elbville. In winterlicher Stille<br />

liegt die Rosenstadt und ehemalige Residenz der<br />

Mainzer Bischöfe. Ihre Herrscher waren die Rheingrafen,<br />

deren Stammburg auf dem Rheingrafenstein<br />

bei Kreuznach stand.<br />

An verschneiten Weinbergen vorbei fahren wir<br />

durch Geisenheim — bekannt durch seine berühmte<br />

Woinbauschule — nach Rüdesheim, an die Quelle<br />

des Rheinweines. Beim goldenen Weine erzähle ich<br />

meiner Gefährtin die Sage vom Kellerloch, in dem<br />

ler trinkfeste Graf von Rüdesheim seinen Liebesschmerz<br />

im Wein ertränkte.<br />

Durch Rebgelände windet sich die Strasse aufwärts<br />

zum Niederwald. Ehern steht vor uns dip<br />

•»•••v>wnia d as wuchtigste Monument Deutschlands<br />

'md blickt über den Rhein, wpit hinein in deutsche<br />

Gaue. .Stahlgrau, dampfend fliesst der Strom zu<br />

Tal.<br />

Auf nicht besonders guter Strasso schleifen<br />

wir nach A

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!