E_1931_Zeitung_Nr.066
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20 AUTOMOBIL-REVUE <strong>1931</strong> — N c 66<br />
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H. Probst.<br />
fremden Schiff die Schlafordnung der Heizer.<br />
Vornehm und gering lässt sie nicht<br />
gelten. Sie weiss wichtigere Unterschiede.<br />
Ein junger Mann will sich an einem gesellschaftlich<br />
Höhergestellten tätlich vergreifen.<br />
«Was fällt Ihnen ein!» sagt sie. «Sie werden<br />
doch einem alten Manne nichts tun.» Sie<br />
ist bemüht, jede Situation zu vermenschlichen.<br />
Das geht manchmal bis an die Grenze<br />
der Lächerlichkeit, wenn sie etwa aus einer<br />
wilden Eskorte von Wegelagerern oder aus<br />
einem Trupp von kampfwütigen Arabern<br />
einen Kindergarten macht. Aber das alles<br />
gilt nur im Alltag. Beginnt der Ernst des<br />
Lebens, spitzt sich der Kampf zwischen<br />
kunklen Leidenschaften und trivialen Interessen,<br />
dann zeigt es sich, dass ihre tiefe Instinktweisheit<br />
es ist, die alles ins Reine<br />
bringt.<br />
Johanna.<br />
Candida und Cicely sind Shaw sympathisch.<br />
Seine grosse Leidenschaft aber ist<br />
Johanna, die Jungfrau vor Orleans. Erstaunlich<br />
ist schon, dass der Heldenzerstörer<br />
Shaw, der Mann, für den die Worte Held,<br />
Heldentod und Helden Verehrung einen operettenhaften<br />
Klang haben; er, der Napoleon<br />
und Cäsar klein sieht, doch einen Helden<br />
hat: das siebzehnjährige Landmädchen Johanna.<br />
Der Genius, der seiner Epoche vorauseilt,<br />
der diese idiotische Zeit und ihre<br />
Vertreter gegen ihren Willen rettet, von der<br />
Meute dafür verkannt und vernichtet wird,<br />
also der wahrhaft tragische Held, der im<br />
Konflikt mit der Weif um seiner höheren<br />
Antriebe willen in den Tod gehen muss, ist<br />
ein kleines Mädchen. Shaw meint sicher,<br />
Cäsar und Napoleon hätten vielleicht auch<br />
anders können. Johanna aber lebt und stirbt,<br />
wie sie muss. Frei von Eitelkeit und Herrschsucht<br />
hört sie nur auf ihreT eigenen Seele<br />
Flüstern, auf das, was sie ihre «Stimmen ><br />
nennt. Ihr Gefühl für das Vaterland und<br />
den Dauphin ist um so stärker und reiner,<br />
als diese Gegenstände des Gefühls unwürdig<br />
sind. Weil sie eine Frau ist und vom Land»<br />
ist sie eine wahre Revolutionärin: «Wenm<br />
wir im Dorf so einfältig wären, wie ihr in<br />
euren Höfen und Palästen, würde es bald<br />
keinen Weizen geben, für euch Brot zu<br />
backen.» Ihre Kraft beruht darauf, dass sie<br />
alles Gute für möglich hält, ja für selbstverständlich.<br />
Sie spricht zu Königen als ab sie<br />
Menschen wären; kann sich nicht vorstellen,<br />
dass jemand das Rechte nicht will, das Verständige<br />
nicht versteht; sie verlangt Unmögliches,<br />
sie erreicht alles und muss es bezahlen.<br />
Mit dem Leben. Denn nie gestattet<br />
xdie Welt, dass man sie ihrer Dummheit und<br />
Schwäche überführe.<br />
Es ist kaum zu glauben, dass zwischen<br />
den mühseligen Emanzipationsbestrebungen<br />
Ibsenscher Frauen und der wunderbaren<br />
Selbstverständlichkeit, mit der Bernhard<br />
Shaw seine Frauen handeln lässt, erst eine<br />
einzige Generation liegt. Welch eine Entwicklung!<br />
Ist es zu glauben, dass «Nora» und<br />
«Vivie» dem gleichen Jahrhundert angehören?<br />
An dieser Entwicklung hat Bernhard Shaw<br />
grossen Anteil. Schon heute laufen eine<br />
Menge Frauen herum, die von Shaw erfunden<br />
sein könnten und täglich wächst die<br />
Zahl derer, die wissen, dass den Frauen in<br />
diesem Dichter der wahre Freund lebt:<br />
einer, der alle ihre Möglichkeiten kennt und<br />
bei dem sie einen unbegrenzten moralischen<br />
Kredit besitzen.<br />
„Ich glaub 9 nie mehr an<br />
eine Frau..."<br />
Von Heinz Lesser.<br />
Ein Mann trifft seine grosse Ließe und<br />
beiderseits erklärte Freundin Arm in Arm mit<br />
einem anderen. Er überlegt wütend: « Jetzt<br />
ist es aus! Oder soll ich ihr noch schreiben?<br />
— Nein, ich werde ihr nicht mehr schreiben!<br />
Nach zwei Stunden verfasst er folgende<br />
Zeilen :<br />
'<br />
«Mein Fräulein!<br />
Nach dem heutigen Vorfall darf ich wohl<br />
die Beziehungen zwischen uns als gelöst betrachten.<br />
Ich bitte auch, sich jeden Versuch<br />
der Wiederannäherung zu ersparen.<br />
Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung...><br />
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Weitere zwei Stunden später zerreisst er<br />
sein zackiges Elaborat und korrigiert wie<br />
folgt:<br />
«Sehr geehrtes gnädiges Fräulein"!<br />
Der heutige Vorfall hat mich tief betrübt.<br />
Ich habe mich sehr in Ihnen getäuscht!<br />
Leben Sie wohl...»<br />
Und wieder nach einer Stunde fügt er hinzu:<br />
«Ich werde Sie nie vergessen!»<br />
Gegen Abend wandert auch dieser Brief in<br />
den Papierkorb und es entsteht:<br />
«Meine Liebe !<br />
Wie konntest Du mir das antun? Ich behalte<br />
mir selbstverständlich vor, unsere Beziehungen<br />
zu lösen.<br />
Grass...»<br />
Später:<br />
«Liebes Muschilein T<br />
Unsere heutige Begegnung hat mich tief<br />
erschüttert. Trotzdem will ich versuchen, zu<br />
vergessen, wenn Du mir versprichst, dass<br />
Aehnliches nie mehr vorkommen wird.<br />
Dein...»<br />
Nach Mitternacht läutet das Telephon. Sie:<br />
«Hallo, Lieblng, bist du's? Ich wollte dir bei<br />
unserer heutigen Begegnung so gern meinen<br />
Vetter vorstellen, aber du warst ja plötzlich<br />
verschwunden!»<br />
Er (strahlend): «Aber mein Lieb, das kannst<br />
du ja immer noch nachholen. Ich wusste doch<br />
nicht, ob es dir recht gewesen wäre, wenn<br />
ich dich begrüsst hätte. Ein ganz reizender<br />
junger Mann, dein Vetter.. .><br />
Von Limousinen'<br />
kätzchen, Motortigern<br />
und andern Autotieren<br />
Von Joseph Robert Harrer.<br />
Limousinenkätzchen.<br />
Vor fernen Jahren schmiegten sie sich 3rt<br />
Sänften und lächelten süss auf die Menschheit.<br />
Heute sitzen sie in Automobilen und<br />
leuchten aus glänzender Limousine wie ein<br />
Edelstein aus goldener Fassung. Sie beglükken<br />
nicht nur den Autobesitzer, sondern<br />
auch den Fussgänger, auf den sie die wasserstoffoxydblonde<br />
und lippenrote Zufriedenheit<br />
ihrer jungen Jahre wirken lassen. Ihr<br />
Körper ruht im Fond des Wagens, die schlanken,<br />
seidenumschmeichelten Beine sind übereinandergeschlagen,<br />
so dass es nicht schwer<br />
fällt, die geschwungene Linie der Waden zu<br />
bewundern. Diese süssen Limousinenkätzchen<br />
sind für das jeweilige Auto ein Talisman;<br />
die Gefahren der Strasse, der plötzlichen<br />
Kurven und Steigungen weichen zurück,<br />
wenn Lilly, Dolly, Daisy, Evelyn, Susi<br />
etc. mit ihren grossen, kindischen und ein<br />
wenig affektiert furchsamen Augen aus dem<br />
Auto sehen. Wenn ihr Freund selbst am Volant<br />
sitzt, dann ist seine, Hand ruhiger als<br />
sonst; denn er denkt bereits an die Rast,die<br />
ihm und dem Kätzchen bevorsteht. Und es<br />
wäre schade, wenn vorher ein Baum oder ein<br />
Randstein der Hoffnung ein jähes Ende bereiten<br />
würde. Deshalb lässt er auch das<br />
Mädchen nicht neben sich am Volant sitzen,<br />
wo es ihn nur verwirren würde. Limousinenkätzchen<br />
sind für das Auto das, was die duftende<br />
Ansteckblume für das Sportkostüm der<br />
Dame ist. Sie hüllen ausserdem das Auto in<br />
den Duft des modernsten Parfüms, demein<br />
Hauch Benzin pikant beigemischt ist... Im<br />
übrigen sind sie das beliebteste Requisit des<br />
mondänen «Schriftstellers», wenn er von<br />
Autos redet.<br />
Motortiger.<br />
Es sind meist Tiger, nur selten findet man<br />
in dieser gefährlichen Gesellschaft eine Tigerin.<br />
Sie stürzen sich auf die Kilometer, wie<br />
ein heisshungriger Tiger auf ein hilfloses<br />
Tier fällt. Sie schlingen die Kilometer in sich,<br />
ihre Träume sind von der Musik des Motors<br />
durchwogt, ihre Augen — richtige Tigeraugen—<br />
leuchten im Dunkel der Nacht gleich<br />
Scheinwerfern. Wenn sie sehr reich sind,<br />
lassen sie sich einen eigenen Rennwagen<br />
konstruieren. Ihnen imponieren nur Geschwindigkeiten<br />
über 100 Kilometer; sie selbst hoffen,<br />
200 Kilometer und mehr zu erreichen.<br />
Wenn sie schlafen, hält ihre Hand die Decke,<br />
als griffe sie an einen Volant. Wenn sie zufällig<br />
einmal ohnmächtig werden, genügt ein<br />
Wald<br />
(Zürich) 9io m o. M.<br />
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E. GuonenbUhl-Heer Telephon 910.201