E_1931_Zeitung_Nr.074
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Bern, Dienstag, 8. September <strong>1931</strong><br />
IlLBlat^<br />
Das Rätsel des Schlafes<br />
Wir haben die Zeit der Hungerkünstler erlebt,<br />
die mehr als 30 Tage lang ihrem Körper<br />
die Tortur des Hungers zumuteten, wir<br />
können oft vom Hungerstreik Gefangener<br />
lesen, die konsequent einige Zeit jede Nahrung<br />
zurückweisen, ohne zunächst ernsten<br />
Schaden an Leib und Seele zu nehmen. Die<br />
Lehre daraus ist, dass wir Essen und Trinken<br />
gut eine Zeitlang entbehren können, ohne<br />
eine unmittelbare Gefahr für unser Leben.<br />
Wie steht es jedoch mit dem Schlaf ? Man<br />
spricht von ihm ebenso oft und ebenso gern<br />
wie von der Ernährung, der Verdauung und<br />
sonstigen Dingen, die mit dem lieben Ich<br />
etwas zu tun haben. Der eine lobt seinen<br />
Schlaf, der andere klagt über Schlaflosigkeit<br />
oder über schwieriges und spätes Einschlafen.<br />
Das Neugeborene, das zum erstenmal die<br />
Augen öffnet, und sogleich sein Glück und<br />
Wehe in die Welt hinauskräht, verschliesst<br />
sie ebenso schnell wieder, um sich dem ebenso<br />
langen wie wohltuenden Schlafe hinzugeben.<br />
Dieser Schlaf dauert meist den ganzen<br />
Tag. Der Dreijährige begnügt sich schon<br />
mit der halben Tageszeit, während der junge<br />
Mensch in der Zeit der Reife auf 9—10 Stunden<br />
Schlaf Anspruch erheben muss. Der Erwachsene<br />
sollte sein Schlafbedürfnis mit 8<br />
Stunden bemessen, so dass neben den 8 Stunden<br />
Arbeitszeit eine Ruhepause von gleichfalls<br />
8 Stunden einzuschalten wäre. Die wenigsten<br />
Menschen halten diese natürliche<br />
Arbeits- und Schlafeinteilung ein. Selbst auf<br />
eine kleine Viertelstunde Schlafpause am<br />
Mittag wird verzichtet.<br />
Der Schlaf, der möglichst noch vor Mitternacht<br />
gesucht werden soll, muss so tief<br />
sein, dass die Reflexe, die ein Erwachen<br />
hervorrufen können, ausgeschaltet werden.<br />
Während im Wachbewusstsein die äussern<br />
Sinnesorgan« aufs Aeusserste angespannt<br />
sind, schaltet sich im Schlaf dieses Kraftzentrum<br />
von selbst aus, nur ein inneres Sinnenzentrum<br />
fibriert zart weiter. Bei einem solchen<br />
Tiefschlaf, der als Bewusstsein des<br />
Nichts zu deuten ist, können keine Erinnerungen<br />
zum Wachzustand sich entwickeln,<br />
während beim Traumzustand — dem Halbschlaf<br />
— meist Uebergänge zum Wachsein<br />
sich zeigen. Allerdings gibt es kaum einen<br />
traumlosen Schlaf, da das Gehirn nicht ganz<br />
seine Funktionen einstellt. Wie oft werden<br />
eindrucksvolle Erlebnisse des Wachzustandes<br />
im Traumbild nachkonstruiert. Längst<br />
verdrängte und vergessene Ereignisse leben<br />
in tmserm Unterbewusstsein wieder auf.<br />
Seelische Leiden werden dadurch ihres Rätsels<br />
entkleidet und der Mensch von seinen<br />
Fesseln befreit Von hier geht die Psychoanalyse<br />
aus. Künstlich erteilter Schlaf (Hypnose)<br />
soll gleiche Vorgänge des Wachbewusstseins<br />
in den Schlafzustand überführen.<br />
Das Hirn arbeitet in ruhelosem Rhythmus<br />
U I L E T O<br />
«Typ Evelin»<br />
Autosportroman von Karl Schmidl.<br />
/ (FoTtMtennjt an« dem Hanptblatt.)<br />
Mit diesen Worten ging Dr. Maurus den<br />
beiden voran durch das Portal.<br />
«Ich werde fahren lernen — sofort, wenn<br />
wir wieder zu Hause sind », sagte Frank zu<br />
Evelin.<br />
Sie lächelte ihn an.<br />
« Es freut mich, dass Sie dafür so viel Interesse<br />
haben. Ueber den Bernardino werden<br />
Sie allerdings nicht gleich fahren. ><br />
< Warum ? Ist die Sache so gefährlich ? »<br />
< Na, Sie werden ja sehen! Kurven und<br />
Kurven und nichts als Kurven! Erst die Via<br />
Mala, die ihren Namen nicht zu Unrecht hat<br />
— und dann der Pass ! Es ist unmöglich auf<br />
diesem Pass eine einigermassen für ein Rennen<br />
angemessene Durchschnittsgeschwindiskeit<br />
zu fahren. ><br />
Nach dem Essen fuhren sie ohne längern<br />
Aufenthalt weiter. In Thusis, dem Ausgangspunkt<br />
des Rennens trafen sie Dunker und<br />
Sealson, mit denen Maurus und Hörn eine<br />
einstündige Unterredung hatten. Der Motor<br />
war nochmals geprüft worden. Er arbeitete<br />
Jehlerlos und die Fahrer waren guter Laune.<br />
- Gegen halb 3 Uhr fuhren sie wieder ab,<br />
ihrem Ziel, dem kleinen Kurort Bernardino<br />
entgegen, von dem aus sie das Rennen, das<br />
in Bellinzona mit dem Misox ab Auslauf endigte,<br />
beobachten wollten.<br />
Als der Fahrstuhl Theo langsam in die<br />
Höhe trug, da spürte er ein leises Gefühl<br />
von Seekrankheit, wie vor einem Besuch<br />
beim Zahnarzt. Er trat vor den Spiegel,<br />
rückte nervös an seiner Krawatte und strich<br />
sich über die Haare, auf denen ein erstes<br />
Grau schimmerte. Es lag eine unangenehme<br />
Stunde vor ihm. Von seiner langen Reise<br />
hatte er Renee nur zwei Ansichtskarten geschickt,<br />
während er ihr bei früheren Trennungen<br />
fast täglich geschrieben oder telephoniert<br />
hatte.<br />
Renee würde ihm eine ihrer Szenen machen,<br />
deren Skala er genau kannte: vorwurfsvoller<br />
Lil'ian Gish-Blick, langsame<br />
Steigerung zur wütenden Tigerkatze, Tränen,<br />
Reue, Versöhnung. Aber heute war er<br />
eisern entschlossen, ein Ende zu machen.<br />
Bei dem Stadium «Tigerkatze» wollte er<br />
rasch seinen Hut nehmen und fortstürzen.<br />
Wütend und für immer.<br />
Als er an der Wohnungstür klingelte, fiel<br />
ihm « Clown •», Renees Scotchterrier, wieder<br />
ein. Ueber diese kleine schwarze Bestie<br />
hatte er sich nun auch lange genug geärgert.<br />
Schon auf dem Korridor war ihm der<br />
immer mit wütendem Gebell entgegengesprungen<br />
und hatte, sobald er sich Renee<br />
näherte, nach seinen Beinen geschnappt.<br />
Renee hatte dazu gelächelt: « Ist er nicht<br />
rührend mit seiner kleinen Eifersucht? ><br />
Diese «kleine Eifersucht > hatte Theo<br />
zwei Paar Hosen gekostet!<br />
Unmittelbar hinter der Stadt öffnete sich,<br />
vom Hohenrhätien überragt, die gewaltige<br />
Felsschlucht der Via Mala. Eine schöne,<br />
breite, gutgepflegte Strasse führte in zahlreichen<br />
Windungen, unter kahlen, oft 500 bis<br />
600 Meter hohen Felswänden und an schauerlichen<br />
Abgründen vorbei, in deren Tiefe die<br />
Reisenden, von Felsen eingekeilt und oft<br />
überdacht, das schmale Rinnsal des Hinterrheins<br />
sahen. Harziger Tannenduft erfüllte<br />
die Luft. Die Gewalt der Natur zwang zu<br />
ehrfurchtsvollem Schweigen. Evelin sass am<br />
Volant und lenkte den Wagen mit sicherem<br />
Schwung durch die rasch aufeinanderfolgen-,<br />
den Kurven.<br />
Die Schlucht öffnete sich und die Strasse<br />
führte, bald leicht ansteigend, bald sich senkend,<br />
durch ein ziemlich breites Tal. Zillis<br />
wurde durchfahren und in der Ferne zeigten<br />
sich die weissen Mauern und grauen Dächer<br />
von Andeer, einem der grössern Orte Rhätoromaniens.<br />
Dort hielt Evelin einen Augenblick<br />
an, um ein Glas Wasser zu trinken.<br />
< Jetzt kommen die Kehren von der Rofnaschlucht,<br />
eine besondere Pikanterie», rief<br />
sie, als der Wagen wieder in Gang war, zu<br />
den beiden Herren zurück. Frank hatte eine<br />
Karte auf den Knien und studierte die Strasse<br />
eingehend. Ein Dorf flog vorbei, dann wurde<br />
es plötzlich dunkel. Frank schaute auf. Die<br />
Strasse führte durch hohe, dunkle Wälder in<br />
steter, langsamer Steigung aufwärts — eine<br />
Kurve wurde genommen — weiter aufwärts,<br />
dann kamen sie — Kurve auf Kurve, kaum<br />
20 Meter voneinander, die gefürchteten Kehren<br />
von Val Ferrera. Der Wagen lief im<br />
zwei Drittel des menschlichen Lebens, die<br />
übrige Zeit, losgelöst von äussern Eindrücken,<br />
in leisen Regungen während des Schlafes.<br />
Das Schlafbedürfnis ist ein Naturgesetz,<br />
dem Menschen wie Tiere zu gehorchen haben.<br />
Der Wachzustand wird vom Ermüdungszustand<br />
abgelöst, von dessen Grad die<br />
Tiefe des Schlafes abhängt. Nicht die Uebermüdung<br />
soll uns an den Schlaf mahnen; denn<br />
bei Uebermüdung pflegt gerade der Schlaf<br />
auszubleiben, dadurch, dass der Geist weiterarbeitet<br />
und die Zellenenergien unnötig<br />
gereizt bleiben. Einen guten, tiefen Schlaf<br />
findet man auf jedem Holzbrett genau so<br />
gut wie auf kostbarem Rosshaar und zartesten<br />
Daunendecken. Im Moment der Schlafruhe<br />
soll der Schlaf sofort eintreten. Das<br />
Bewusstsein schwindet, nur leise Reflexe<br />
machen sich bemerkbar. Das Zentralnervensystem,<br />
das normalerweise im Wachzustand<br />
verschieden stark erregt ist, je nach den Leistungen,<br />
die es vollbringen muss. wird im<br />
Schlaf gehemmt; Hirn, verlängertes Mark<br />
und Rückengrat zeigen schwache Erregbarkeit,<br />
deren funktioneile Auswirkung sich in<br />
geringen äussern Reizen darstellt; zum Beispiel<br />
wird das Atemzentrum im verlängerten<br />
Mark durch schwache periphere Reize reguliert.<br />
Herzschlag und Atemzentrum unterstehen<br />
dem Nervensystem.<br />
Lähmung des Zentrums bedeutet Stillstand<br />
der Atmung und Drosselung der Zirkulation<br />
in den Blut- und Lymphbahnen, damit Erstickung,<br />
Gerinnung des Blutes, Fäulnis und<br />
Tod. Menschen wie Tieren sind hier Gesetze<br />
gegeben. Pferd, Hund, Rind, Hühner,<br />
Tauben, kein Vogel, kein Säugetier kann des<br />
Schlafes entbehren; werden sie künstlich<br />
schlaflos gehalten, sinkt die Temperatur,<br />
fällt die Zahl der roten Blutkörperchen jäh<br />
ab. Ein Gehirn, das 16 Stunden gearbeitet<br />
hat, in voller Intensität, braucht seine Entspannung<br />
genau so, wie Essen und Trinken<br />
vom Körper nicht entbehrt werden können.<br />
Ein tiefer Schlaf ist halbe Gesundheit,<br />
mehrere schlaflose Nächte hintereinander<br />
bedeuten Raubbau an unseren Gehirnenergien.<br />
Nur ein ausgeruhter Körper lässt Frohsinn<br />
aufkommen. Schlaflosigkeit bereitet den<br />
Boden der Gereiztheit und Nörgelsucht. Die<br />
Ermüdung muss im tiefen Schlafe abklingen,<br />
sonst gehen wir mit einem gefährlichen Ermüdungsrest<br />
an die Arbeit und mit Ermüdungsstoffen,<br />
die den Wert der Arbeit ungünstig<br />
beeinflussen.<br />
Theos Abschiedsbesuch<br />
Von Doris v. Schönthan.<br />
Das Dienstmädchen öffnete. Theo trat ein.<br />
Mitten auf der Diele stand Clown — mit<br />
schräg gehaltenem Kopf und freudigem<br />
Schweifwedeln. Theo fühlte sich ein wenig<br />
aus dem Gleichgewicht gebracht.<br />
Sein Erstaunen steigerte sich noch, als<br />
auch drinnen am Teetisch alles ganz anders<br />
verlief, als er erwartet hatte. Renee, die<br />
reizvoller aussah als je, war von zauberhafter<br />
Heiterkeit. — Er versuchte einen einleitenden<br />
kleinen Streit heraufzubeschwören:<br />
«Du hast dich gewiss gewundert, Renee,<br />
dass-jch dir fast gar nicht geschrieben habe?»<br />
«Aber wieso denn, Liebes, du hast mir<br />
doch ein paar reizende Ansichtskarten geschickt!<br />
» Sie sah ihn mit harmlos gütigem<br />
Blick an, ohne den geringsten Anflug von<br />
Ironie und Bitterkeit. Sie schien sich sogar<br />
sehr wohl zu fühlen, wie sie da auf ihrer<br />
Couch lehnte und mit kindlichen Händen abwechselnd<br />
Baumkuchenspitzen und Sardellenbrötchen<br />
in den Mund stopfte.<br />
•Mit einer hastigen Bewegung griff Theo<br />
in seine Tasche, um seine Pfeile hervorzuholen.<br />
Er wusste, Renee hasste es, wenn<br />
Männer Pfeifen rauchten.<br />
« Du musst verzeihen >, sagte er, « aber<br />
ich habe mir auf der Reise Pfeifenrauchen so<br />
angewöhnt. »<br />
«Heute stört es mich gar nicht, ich bin<br />
etwas erkältet und rieche deshalb nichts.<br />
Ausserdem finde ich es ganz angenehm zu<br />
deinem sonnengebräunten Gesicht.»<br />
langsamsten Tempo und Evelin starrte unentwegt<br />
nach vorne. Endlich lehnte sie sich<br />
etwas zurück. Mit rasch sich steigernder<br />
Geschwindigkeit flog der Wagen auf der<br />
jetzt ziemlich geraden Strasse vorwärts, wieder<br />
durch schauerliche Schluchten, in deren<br />
Tiefe gestürzte Stämme und riesige Felsblöcke<br />
in wirrem Durcheinander den Lauf<br />
der schäumenden Wasser hemmten.<br />
Franks Bewunderung für Evelin wuchs mit<br />
jeder Minute. Aus der Art, wie sie mit leichtem<br />
Druck den Wagen lenkte, musste er erkennen,<br />
dass sie ihrer Sache vollkommen<br />
sicher war. Sie kannte jede Teilstrecke des<br />
Weges. In Splügen hielt sie vor einem grossen<br />
Gasthof an.<br />
« Mir bleibt bald die Puste weg ! Wir wollen<br />
mal ein wenig ausruhen, denn jetzt<br />
kommt erst die Hauptsache. ><br />
Sie fühlte Franks Blick in Bewunderung<br />
auf sich ruhen, sah ihn aber nicht an, denn<br />
es war ihr der Gedanke gekommen, dass dieser<br />
Blick nicht allein ihrer automobilistischen<br />
Leistung galt.<br />
Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie<br />
Frank im Boudoir bei der Toilette überrascht<br />
hatte und ein leichtes Rot flog über<br />
ihre zarten Schläfen. Eine Stunde später fuhren<br />
sie weiter. Der hohe Gipfel des Pizzo<br />
Tambo tauchte links von ihnen auf. Einige<br />
armselige Dörfer flogen vorüber, das Tal<br />
verengte sich mehr und mehr. Hinter dem<br />
Dorfe Hinterrhein, der letzten Siedlung im<br />
Tale, überquerten sie auf einer kleinen<br />
Liebeslied<br />
Von Theodor Dreiser.<br />
Theodor Dreiser, der berühmte amerikanische<br />
Schriftsteller, Verfasser der Werke<br />
«Eine amerikanische Tragödie», «Titan», «Ton<br />
In des Schöpfers Hand>. wurde vor einigen<br />
Tagen 60 Jahre alt<br />
Mir —<br />
0 mir<br />
Bist da eine Linde<br />
Eine Linde,<br />
Die honigsüssen Duft verströmt.<br />
Tausendblütenübersät.<br />
Oder —<br />
Aber —<br />
Ein Heiligenbild,<br />
Aus Elfenbein<br />
Und vergilbter Seide,<br />
Das aus dunkler Nische leuchtet.<br />
Unerreichbar —<br />
Und entschwebt<br />
Ueberirdisch<br />
Himmlisch schön.<br />
Oder —><br />
Aber —<br />
Du bist das blaubewegte Meer der Luft<br />
Unter des'Südens Sonne,<br />
Wo über steilen Hängen<br />
Der Kondor kreist<br />
Und im brackigen Wasser<br />
Würdevolle —<br />
Reiher waten,<br />
Und picken<br />
Und spähen<br />
Oder —<br />
Aber —<br />
Da bist ein Fenster<br />
Weit offen im Dunkel —<br />
Ein tiefes Fenster,<br />
In das das grosse Dunkel sich ergiesst,<br />
Sterne schimmern ambrafarben<br />
Und es tönt<br />
Ein Vogellied.<br />
Oder —<br />
Aber —<br />
Doch oh —*<br />
Du bist<br />
Die Linde<br />
Und das Heiligenbild<br />
Die blaue Luft<br />
Und das blaue Dunkel<br />
Mit den ambrafarbenen Sternen —<br />
Du bist<br />
Ein ungestilltes<br />
Sehnen —<br />
Mein Sehnen<br />
Und mein Traum.<br />
(Uebersetzt von Lina Goldschmidt.)<br />
Ihm wurde immer unheimlicher zumute.<br />
Also auch diese Attacke war abgeschlagen.<br />
Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, zog<br />
er das Grammophon auf und spielte eine<br />
traurige Tangoplatte. Er überlegte dabei,<br />
womit er einen Krach zwischen sich und<br />
dieser Frau herbeiführen könnte. Und jetzt<br />
Brücke den Rhein und dann klomm die<br />
Strasse zwischen niedrigen, bemoosten Felstriimmern,<br />
wucherndem Gesträuch, den Berg<br />
in zahllosen Serpentinen empor. Evelin schaltete<br />
um. Mit wachsender Tourenzahl arbeitete<br />
sich der Motor vorwärts. Immer grandioser<br />
wurde der Blick in das eben verlassene<br />
Tal, doch in die Bewunderung der herrlichen<br />
Bergwelt mischte sich leises Grauen.<br />
Und diese Strecke sollte Dunker im Rennwagen<br />
fahren. Das grenzte an Wahnwitz.<br />
An jeder Kurve stand eine grosse runde Tafel<br />
auf einer hohen Stange. Darauf standen<br />
Nummern, die Gradzahlen der Kurve. Frank<br />
bemerkte sie erst jetzt. Es stimmte also soweit<br />
alles. Und dennoch, konnte nicht die<br />
automatische Kurvung, wenn sie auch in tausend<br />
Proben funktioniert hatte, gerade im<br />
entscheidenden Moment versagen? Man hatte<br />
Beispiele für die Tücke des Schicksals. Nach<br />
einer kurzen Strecke, die gerade in tnässigeT<br />
Richtung aufwärts führte, kamen wieder<br />
Kurven. Nach diesen wurde die Passhöhe<br />
sichtbar.<br />
«2063 Meter», las Frank von der Karte ab.<br />
Nackte Felsen, zwischen denen Stöcke von<br />
Alpenrosen wuchsen, umgaben sie. Hinter einer<br />
tiefen, etwa 200 Meter entfernten Bergschlucht<br />
ragten zwei hohe Gipfel, nackt und<br />
kahl, in fast greifbarer Nähe auf.<br />
An einem kleinen See vorbei führte die<br />
Strasse fast unmerklich, aber wieder in vie-<br />
Jen Windungen, abwärts nach San Bernardino,<br />
das nach der Karte etwa 450 Meter tiefer<br />
lag. Die Welt wurde langsam wieder<br />
grün. Dünner Grasboden, auf dem niedrige<br />
Tannen wuchsen, bedeckten die Hänge.<br />
(Fortsetzung folgt.)