E_1933_Zeitung_Nr.066
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22 AUTOMOBIL-REVUE <strong>1933</strong> - 66<br />
Futuristische Hutmodel<br />
Eine merkwürdige Ausstellung.<br />
Mailand kann sich rühmen, die erste<br />
futuristische Hutausstellung der Welt in<br />
seinen Mauern zu beherbergen. Marinetti,<br />
der Begründer und Führer des italienischen<br />
Futurismus, hat sie eröffnet und zugleich<br />
ausgedeutet. Es handelt sich um<br />
dreierlei: Vorerst um eine neue Herrenmode,<br />
die das fast geschwundene Interesse<br />
für cfen Hut wieder erwecken und der<br />
Sitte — Marinetti sagt: Unsitte — barhaupt<br />
zu gehen, ein Paroli bieten soll,<br />
dann um eine neue futuristische künstlerische<br />
Betätigungsform, schliesslich aber<br />
um etwas sehr Praktisches, nämlich, der<br />
Krise in der weltberühmten italienischen<br />
Huterzeugung zu steuern.<br />
Schon seit längerer Zeit bemüht sich<br />
Marinetti um die neue italienische Hutform<br />
und kämpft gegen das Gehen ohne<br />
Hut an. Im Februar des Vorjahres trat<br />
der Futurismus mit einem Aufruf hervor,<br />
der dem futuristischen Hut galt, der wieder<br />
nur der Auftakt zu einer vollständigen<br />
Revolutionierung der Herrenmode im<br />
neokünstlerischen Sinne sein soll. Kein<br />
Wunder, dass dieser erste programmatische<br />
Aufruf bei Künstlern und Hutinduetriellen<br />
lebhaftes Echo weckte. Nun zeigen<br />
die Futuristen zum erstenmal in einer<br />
Ausstellung, wie sie sich den neuen italienischen<br />
Hut denken. Fünfzig neue Hutformen<br />
sieht man da, zweifarbig, vielfarbig,<br />
aus Filz und Stroh, ja sogar mit<br />
Leichtmetall. In einem andern Saal sind<br />
vierzig weitere Modelle für neue Hüte ausgestellt,<br />
die noch nicht ausgearbeitet wurden,<br />
gleichwohl aber lebhaftes Interesse<br />
erweckten. Anlässlich der Eröffnung hielt<br />
Marinetti eine grosse Propagandarede für<br />
seine Idee: Der Männerhut sei nicht gestorben,<br />
nur scheintot. Man müsse ihn zu<br />
neuem Leben erwecken, wozu der Futurismus<br />
bereit sei.' Woran kranke die Hutindustrie?<br />
An ihrer Einfallslosigkeit. Nur<br />
die althergebrachten, grösstenteils unpraktischen<br />
und unoriginellen Hüte hätten die<br />
Menschen dazu bewogen, barhaupt zu gehen.<br />
Wäre die Hutmode erfindungsreicher,<br />
dann würde es ihr leichter sein, für<br />
sie zu werben, Käufer anzulocken.<br />
Marinetti lud das Publikum ein, keine<br />
Angst vor der neuen Mode zu haben, nicht<br />
einmal vor den gewagtesten Entwürfen,<br />
und die Industriellen, ihm auf seinem<br />
Weg zu folgen. Das Publikum werde<br />
schon auf den Geschmack kommen und<br />
kaufen. Uebrigens wurden bereits Preise<br />
für die besten Huterfindungen verteilt.<br />
Der futuristische Maler De Sanctis erhielt<br />
500 Lire als ersten Preis für seine Schöpfung<br />
« Capello veloce », Filz mit Leichtmetall<br />
verarbeitet. Sein Werk scheint den<br />
neuen Ton angegeben zu haben, da sich<br />
die andern Entwürfe in ähnlichen Bahnen<br />
bewegen: Da sieht man einen Sonnenhut<br />
aus Stroh und Metall, einen « Regenhut »,<br />
der aus Zellulose und wasserdichter Seide<br />
gearbeitet ist, einen Hut, der eigens für<br />
nächtliche Ausflüge komponiert wurde,<br />
einen Hut für die Arbeit, einen andern<br />
fürs Vergnügen und schliesslich einen<br />
extrafeinen Luxushut aus Atlas und Aluminium.<br />
Aber das ist noch nicht alles. Da<br />
gibt es auch ganz gewagte Modelle, Hüte<br />
aus Filz und Stroh gemischt, Hüte in den<br />
leuchtendsten Farbentönen, Hüte mit Lüftungsklappen<br />
für die Transpiration, Hüte<br />
mit abnehmbarer Krempe, Hüte mit zwei<br />
Krempen, eine mit Rand und eine randlos,<br />
die nach Belieben ausgetauscht werden<br />
können. So geht es fort. Aber auch<br />
das Bizarrste, das hier gezeigt wird, hat<br />
nicht nur Geschmack, neuen, originellen<br />
Schmiss, sondern zweifellos auch praktische<br />
Bedeutung. Man möchte diese Hüte<br />
tragen. Und das ist das Wichtigste, ein<br />
grosser Erfolg des italienischen Futurismus<br />
.<br />
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man<br />
eine zweite Ausstellung in Viareggio veranstalten<br />
wird, zu der sämtliche Huterzeuger<br />
Italiens eingeladen sein werden, die<br />
dort ihr Urteil über den neuen italienischen<br />
Hut abgeben können. Es ist ja ihr<br />
ureigenstes Interesse, etwas zu schaffen,<br />
was der Krise steuert, an der die Sitte,<br />
hutlos zu gehen, die in Italien immer weiter<br />
um sich greift, die Hauptschuld trägt.<br />
Wenn es wahr ist dass daran nur die Einfallslosigkeit<br />
der Fabrikanten, der Modellzeichner,<br />
Schuld trägt, dann steht Italien<br />
nun, nach dem Eingreifen der Marinetti-<br />
Futuristen, vor einer Hochkonjunktur in<br />
der Hutbranche. Aber, wie die Futuristen<br />
versichern, ist die neue Hutmode nur der<br />
Auftakt für eine neue Herrenmode überhaupt,<br />
die Schaffung einer ästhetischen<br />
Herrenmode, der schöpferische Einflüsse<br />
zugrunde gelegt werden sollen.<br />
c Tannhäuser » als Kirchenmusik.<br />
In der Hauptstadt der Grafschaft Mittelenglands,<br />
Nottinghamshire, in Nottingham,<br />
wurde vor kurzem ein Gottesdienst<br />
veranstaltet, der den Gläubigen der Diözese<br />
etwas neuartig erschienen ist. Anstatt<br />
der sonst üblichen Predigt hatte der<br />
Pfarrer veranlasst, dass die Besucher der<br />
römischen Kathedrale die Musik von<br />
Wagners «Tannhäuser» zu hören beka^<br />
men. Selbstverständlich brachte der moderne<br />
Geistliche seinen Hörern die, Musik<br />
durch erklärende Worte nahe und versuchte,<br />
der Glaubensgemeinde durch feierliche<br />
Worte die erlösende Liebe Tannhäusers<br />
aus den Armen der Sünde verständlich<br />
zu machen. Der Gottesdienst soll sehr<br />
ergreifend gewesen sein und hat auch<br />
wirklichen Eindruck hervorgerufen, so<br />
dass der Pfarrer nächstens auf der Kirchenorgel<br />
« Parsifal » durch den Domorganisten<br />
wird spielen lassen. Durch die wunderbare<br />
Musik gerade dieser Wagner-<br />
Oper hofft er, die Andächtigen und Gläubigen<br />
seiner Gemeinde noch viel mehr zu<br />
rühren, und er will sie durch die sphärenhaften<br />
Klänge dieser Wagner-Melodien<br />
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