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Sonnenlichts, europäische hingegen dem Schutz vor der Witterung.<br />
Die extremste Position nimmt Tanizaki dann ein, wenn er sich mit<br />
den Frauen im Interior beschäftigt. Die traditionelle, japanische Art<br />
der Frauenkleidung war ein Element der Dunkelheit: Das Dämmerlicht<br />
der Innenräume ließ nur den Blick auf Hände, Füße und Gesicht zu.<br />
Die finale Steigerung dieser Verdunkelung der Frauen, die im Zentrum<br />
der auf tiefe Dunkelheit ausgelegten Häuser saßen, waren mit Lack<br />
geschwärzte Zähne. Das Schöne wurde in Ostasien laut Tanizaki in der<br />
Dunkelheit und im Schatten gesucht. Um der Hässlichkeit zu entgehen,<br />
müsse man umwölkte Farben bevorzugen.<br />
LOB DER PROVINZ<br />
Der Theorie umwölkter Farben als Strategie gegen die Hässlichkeit steht<br />
nun dem ländlichen Raum von Heute die seuchenartig grassierende<br />
Mode extrem bunt angemalter Hausfassaden als Ausdruck der Modernisierung,<br />
sprich Verstädterung, entgegen. Das ist schade, denn aus<br />
dem Denkmodell von Lob des Schattens als Antipode einer gleißenden<br />
Moderne ließe sich ja auch ein Lob der Provinz konstruieren! Fragen<br />
wir uns also: Was ist gut an der Provinz?<br />
insgesamt eine Kultur des Ausgleichs. Neun von zehn Menschen bewegen<br />
in der Provinz tatsächlich ihr Auto sehr gemächlich von A nach<br />
B, der zehnte aber sorgt mit armdicken Auspuffdoppelrohren, dunkel<br />
folierten Scheiben und lange nachwummernden Bässen im Kofferraum<br />
für ein System der Ausgewogenheit.<br />
Natur. Manchmal, wenn man im Sommer auf einer großen Terrasse<br />
sitzt und hinunter auf den kleinen Bach direkt nebenan blickt, in dem<br />
Enten paddeln und Reiher fischen, fragt man sich schon, wo denn nun<br />
die Nachteile des Provinzlebens eigentlich lauern könnten. Sportler,<br />
Spaziergänger, Hundeliebhaber, Wanderer oder einfach nur Landschaftsgenießer<br />
finden sich in der Provinz immer gleich tief in der<br />
Natur wieder, ganz barrierefrei.<br />
Platz. Die Christkindlmärkte in der Provinz sind vielleicht winzig, haben<br />
aber den Vorteil, dass sie ganz ohne Betonbarrieren auskommen. In<br />
der Provinz gibt es keinen Ernstfall, weil überall genug Platz zum Ausweichen<br />
da ist. Dies betrifft Bauplätze, Wanderwege oder Menschenkontakte.<br />
Man kann, aber man muss einander nicht zu nahe kommen.<br />
DIE VORZÜGE DER PROVINZ LASSEN<br />
SICH OHNE WEITERES IN FOLGENDEN<br />
PUNKTEN AUSMACHEN:<br />
Kosten. Die Lebenshaltungskosten, vor allem aber die Mieten, sind in<br />
der Provinz geringer als in den metroplitanen Zonen. Damit lässt sich<br />
die Provinz auf jeden Fall schönrechnen. Für viele Provinzbewohner<br />
ist mit diesem Punkt bereits alles gesagt.<br />
Kommunikation. Auf den Ämtern in der Provinz wird man nach zwei<br />
Minuten im Warteraum mit Handschlag empfangen, willkommen geheißen<br />
und profund beraten. Der Behördenvertreter in der Provinz<br />
verspricht keinen Termin nächsten Montag zwischen 8 und 16 Uhr,<br />
sondern erledigt die Dinge sofort und direkt. Man lächelt hier, sagt Grüß<br />
Gott oder Guten Morgen und hilft unkompliziert. Im Supermarkt kommt<br />
man nach 30 Sekunden mit anderen Einkäufern oder mit dem Personal<br />
ins Gespräch, die Wirte der Heurigen und Wirtshäuser begrüßen<br />
Besucher bereits beim zweiten Besuch persönlich. Immer öfter kommt<br />
man dann auch mit Leuten ins Gespräch, die <strong>bis</strong> vor Kurzem noch in<br />
der Großstadt lebten. Sie schätzen die positive soziale Kontrolle am<br />
Land. Es gibt immer mehr von ihnen in der Provinz.<br />
Angebot. Wenn man auf der Suche nach guten, ehrlichen, regional<br />
produzierten Nahrungsmitteln ist, dann wird man in der Provinz wohl<br />
aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Vom Freilandhuhn <strong>bis</strong><br />
zum Wagyu-Rindfleisch, vom knackfrischen Spargel <strong>bis</strong> zu seltenen<br />
Kirschensorten ist auf den lokalen formalen <strong>–</strong> und natürlich auch auf<br />
den informellen Märkten- einfach alles zu bekommen, und zwar von<br />
exquisiter Qualität und Frische, aber oft zu erstaunlich niedrigen Preisen.<br />
Vermutlich nur in der Provinz findet man nach einiger Zeit dann<br />
auch diese ganz besonderen Restaurants, die regionale und saisonale<br />
Küche in großer Klasse offerieren, aber ohne zu hohe Preise dafür zu<br />
verlangen.<br />
Tempo. Das gemächlichere Tempo in der Provinz nervt nach einer kurzen<br />
Eingewöhnungsphase doch nicht, weil man hier auch selbst langsamer<br />
unterwegs ist. Die Provinz ist ein Ort des cruisens. Es herrscht<br />
Offenheit. Das Wichtigste in der Provinz aber sind die Menschen. Die<br />
Provinz mit ihren vielen Freiräumen bietet Menschen die Möglichkeit,<br />
sich zu Individuen zu entwickeln. Dieses Besondere kann sich in der<br />
Provinz in aller Ruhe und Abgeschiedenheit <strong>bis</strong> hin zur Schrulligkeit<br />
extremistischer Vorgartengestalter, exzessiver Weihnachtsbeleuchter<br />
oder eben der bereits erwähnten Trägerinnen tricolorer Frisuren und<br />
80er Jahre Boutiquenblusen entwickeln. Die Beispiele dafür sind Legion<br />
und das Staunen hört nicht auf.<br />
ZULETZT ARCHITEKTUR<br />
Gibt es auch gute Architektur in der Provinz? Aber ja: Hier und da gibt<br />
es sie selbstverständlich. Gute Architektur entsteht, wenn zwei Faktoren<br />
zusammenkommen: gute Bauherren und engagierte Architekten.<br />
Öfter aber ist diese fruchtbare Verbindung in der Provinz inexistent.<br />
Es fehlen die einen oder es fehlen die anderen. Was Architektur in<br />
der Provinz daher vermutlich am meisten braucht, sind Menschen,<br />
die ein persönliches Interesse an der Baukultur entwickeln und dieser<br />
Gesinnung in konkreten Bauwerken auch zum Durchbruch verhelfen.<br />
Ob also eine Region zu einem anerkannten Ort für zeitgenössische<br />
Architektur wird oder ob sie ein diesbezügliches Niemandsland bleibt,<br />
liegt nicht zuletzt in der Hand dieser Entscheidungsträger. Diesen<br />
Lernprozess müssen alle Provinzen durchlaufen, auch wir hier, im<br />
Süden des Ostens.<br />
Wir haben die Vorzüge der Provinz identifiziert. Es sind niedrige Lebenshaltungskosten,<br />
gute Kommunikation, qualitative Angebote, ein<br />
gemächliches Tempo, eine herrliche Natur, viel Platz und Offenheit für<br />
individuelle Formen der menschlichen Existenz, welche das Leben in<br />
der Provinz schön machen. Auch die Verbindung mit der Welt ist dank<br />
Internet deutlich besser geworden. Das größte Problem der Provinz ist<br />
gegenwärtig vermutlich die zunehmende Hässlichkeit, und hier spielt<br />
leider das Bauen eine Hautrolle. Wenn also auch bei uns die Farben<br />
der Hauswände wieder weniger grell werden, stünde einem umfassenden<br />
Lob der Provinz nichts mehr im Wege. Allerdings braucht es<br />
dann auch wieder Bürgermeister, welche das Grelle furchtbar finden.<br />
Um der Gefahr der Hässlichkeit zu entgehen, muss man nämlich <strong>–</strong> wie<br />
Tanizaki uns lehrte <strong>–</strong> umwölkte Farben bevorzugen.<br />
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