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BLATTWERK AUSGABE No.7 – April bis Juni 2018

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Sonnenlichts, europäische hingegen dem Schutz vor der Witterung.<br />

Die extremste Position nimmt Tanizaki dann ein, wenn er sich mit<br />

den Frauen im Interior beschäftigt. Die traditionelle, japanische Art<br />

der Frauenkleidung war ein Element der Dunkelheit: Das Dämmerlicht<br />

der Innenräume ließ nur den Blick auf Hände, Füße und Gesicht zu.<br />

Die finale Steigerung dieser Verdunkelung der Frauen, die im Zentrum<br />

der auf tiefe Dunkelheit ausgelegten Häuser saßen, waren mit Lack<br />

geschwärzte Zähne. Das Schöne wurde in Ostasien laut Tanizaki in der<br />

Dunkelheit und im Schatten gesucht. Um der Hässlichkeit zu entgehen,<br />

müsse man umwölkte Farben bevorzugen.<br />

LOB DER PROVINZ<br />

Der Theorie umwölkter Farben als Strategie gegen die Hässlichkeit steht<br />

nun dem ländlichen Raum von Heute die seuchenartig grassierende<br />

Mode extrem bunt angemalter Hausfassaden als Ausdruck der Modernisierung,<br />

sprich Verstädterung, entgegen. Das ist schade, denn aus<br />

dem Denkmodell von Lob des Schattens als Antipode einer gleißenden<br />

Moderne ließe sich ja auch ein Lob der Provinz konstruieren! Fragen<br />

wir uns also: Was ist gut an der Provinz?<br />

insgesamt eine Kultur des Ausgleichs. Neun von zehn Menschen bewegen<br />

in der Provinz tatsächlich ihr Auto sehr gemächlich von A nach<br />

B, der zehnte aber sorgt mit armdicken Auspuffdoppelrohren, dunkel<br />

folierten Scheiben und lange nachwummernden Bässen im Kofferraum<br />

für ein System der Ausgewogenheit.<br />

Natur. Manchmal, wenn man im Sommer auf einer großen Terrasse<br />

sitzt und hinunter auf den kleinen Bach direkt nebenan blickt, in dem<br />

Enten paddeln und Reiher fischen, fragt man sich schon, wo denn nun<br />

die Nachteile des Provinzlebens eigentlich lauern könnten. Sportler,<br />

Spaziergänger, Hundeliebhaber, Wanderer oder einfach nur Landschaftsgenießer<br />

finden sich in der Provinz immer gleich tief in der<br />

Natur wieder, ganz barrierefrei.<br />

Platz. Die Christkindlmärkte in der Provinz sind vielleicht winzig, haben<br />

aber den Vorteil, dass sie ganz ohne Betonbarrieren auskommen. In<br />

der Provinz gibt es keinen Ernstfall, weil überall genug Platz zum Ausweichen<br />

da ist. Dies betrifft Bauplätze, Wanderwege oder Menschenkontakte.<br />

Man kann, aber man muss einander nicht zu nahe kommen.<br />

DIE VORZÜGE DER PROVINZ LASSEN<br />

SICH OHNE WEITERES IN FOLGENDEN<br />

PUNKTEN AUSMACHEN:<br />

Kosten. Die Lebenshaltungskosten, vor allem aber die Mieten, sind in<br />

der Provinz geringer als in den metroplitanen Zonen. Damit lässt sich<br />

die Provinz auf jeden Fall schönrechnen. Für viele Provinzbewohner<br />

ist mit diesem Punkt bereits alles gesagt.<br />

Kommunikation. Auf den Ämtern in der Provinz wird man nach zwei<br />

Minuten im Warteraum mit Handschlag empfangen, willkommen geheißen<br />

und profund beraten. Der Behördenvertreter in der Provinz<br />

verspricht keinen Termin nächsten Montag zwischen 8 und 16 Uhr,<br />

sondern erledigt die Dinge sofort und direkt. Man lächelt hier, sagt Grüß<br />

Gott oder Guten Morgen und hilft unkompliziert. Im Supermarkt kommt<br />

man nach 30 Sekunden mit anderen Einkäufern oder mit dem Personal<br />

ins Gespräch, die Wirte der Heurigen und Wirtshäuser begrüßen<br />

Besucher bereits beim zweiten Besuch persönlich. Immer öfter kommt<br />

man dann auch mit Leuten ins Gespräch, die <strong>bis</strong> vor Kurzem noch in<br />

der Großstadt lebten. Sie schätzen die positive soziale Kontrolle am<br />

Land. Es gibt immer mehr von ihnen in der Provinz.<br />

Angebot. Wenn man auf der Suche nach guten, ehrlichen, regional<br />

produzierten Nahrungsmitteln ist, dann wird man in der Provinz wohl<br />

aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Vom Freilandhuhn <strong>bis</strong><br />

zum Wagyu-Rindfleisch, vom knackfrischen Spargel <strong>bis</strong> zu seltenen<br />

Kirschensorten ist auf den lokalen formalen <strong>–</strong> und natürlich auch auf<br />

den informellen Märkten- einfach alles zu bekommen, und zwar von<br />

exquisiter Qualität und Frische, aber oft zu erstaunlich niedrigen Preisen.<br />

Vermutlich nur in der Provinz findet man nach einiger Zeit dann<br />

auch diese ganz besonderen Restaurants, die regionale und saisonale<br />

Küche in großer Klasse offerieren, aber ohne zu hohe Preise dafür zu<br />

verlangen.<br />

Tempo. Das gemächlichere Tempo in der Provinz nervt nach einer kurzen<br />

Eingewöhnungsphase doch nicht, weil man hier auch selbst langsamer<br />

unterwegs ist. Die Provinz ist ein Ort des cruisens. Es herrscht<br />

Offenheit. Das Wichtigste in der Provinz aber sind die Menschen. Die<br />

Provinz mit ihren vielen Freiräumen bietet Menschen die Möglichkeit,<br />

sich zu Individuen zu entwickeln. Dieses Besondere kann sich in der<br />

Provinz in aller Ruhe und Abgeschiedenheit <strong>bis</strong> hin zur Schrulligkeit<br />

extremistischer Vorgartengestalter, exzessiver Weihnachtsbeleuchter<br />

oder eben der bereits erwähnten Trägerinnen tricolorer Frisuren und<br />

80er Jahre Boutiquenblusen entwickeln. Die Beispiele dafür sind Legion<br />

und das Staunen hört nicht auf.<br />

ZULETZT ARCHITEKTUR<br />

Gibt es auch gute Architektur in der Provinz? Aber ja: Hier und da gibt<br />

es sie selbstverständlich. Gute Architektur entsteht, wenn zwei Faktoren<br />

zusammenkommen: gute Bauherren und engagierte Architekten.<br />

Öfter aber ist diese fruchtbare Verbindung in der Provinz inexistent.<br />

Es fehlen die einen oder es fehlen die anderen. Was Architektur in<br />

der Provinz daher vermutlich am meisten braucht, sind Menschen,<br />

die ein persönliches Interesse an der Baukultur entwickeln und dieser<br />

Gesinnung in konkreten Bauwerken auch zum Durchbruch verhelfen.<br />

Ob also eine Region zu einem anerkannten Ort für zeitgenössische<br />

Architektur wird oder ob sie ein diesbezügliches Niemandsland bleibt,<br />

liegt nicht zuletzt in der Hand dieser Entscheidungsträger. Diesen<br />

Lernprozess müssen alle Provinzen durchlaufen, auch wir hier, im<br />

Süden des Ostens.<br />

Wir haben die Vorzüge der Provinz identifiziert. Es sind niedrige Lebenshaltungskosten,<br />

gute Kommunikation, qualitative Angebote, ein<br />

gemächliches Tempo, eine herrliche Natur, viel Platz und Offenheit für<br />

individuelle Formen der menschlichen Existenz, welche das Leben in<br />

der Provinz schön machen. Auch die Verbindung mit der Welt ist dank<br />

Internet deutlich besser geworden. Das größte Problem der Provinz ist<br />

gegenwärtig vermutlich die zunehmende Hässlichkeit, und hier spielt<br />

leider das Bauen eine Hautrolle. Wenn also auch bei uns die Farben<br />

der Hauswände wieder weniger grell werden, stünde einem umfassenden<br />

Lob der Provinz nichts mehr im Wege. Allerdings braucht es<br />

dann auch wieder Bürgermeister, welche das Grelle furchtbar finden.<br />

Um der Gefahr der Hässlichkeit zu entgehen, muss man nämlich <strong>–</strong> wie<br />

Tanizaki uns lehrte <strong>–</strong> umwölkte Farben bevorzugen.<br />

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