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BIBER 04_18-2

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Autokorsos und Lesungen - Deniz Yücels Familie, Freunde und Fans sorgten dafür,<br />

dass Deniz im Gefängnis nicht in Vergessenheit gerät.<br />

bedeutete für mich auch, mich körperlich<br />

und mental gesund zu halten und<br />

Deniz in guter Verfassung zu besuchen.<br />

Ich habe ihm immer, bei jedem Besuch<br />

gesagt: „Das hier wird zu Ende gehen.<br />

Wir werden das zu Ende bringen.“ Es<br />

wird ein Leben danach geben. Aber ich<br />

wusste auch: Selbst nach der Freilassung<br />

wird nicht plötzlich alles aufhören. Was<br />

wir erlebt haben, wird uns noch eine<br />

ganze Weile lang beschäftigen.<br />

Was wünschst du dir für deine und eure<br />

Zukunft?<br />

DILEK MAYATÜRK YÜCEL: Dieses<br />

Jahr hat mir sehr viel Lebenserfahrung<br />

gebracht. Aber ich will wieder in meinem<br />

Beruf arbeiten. Ich bin Fernsehproduzentin<br />

und Dokumentarfilmerin. Und<br />

prinzipiell kann ich von jedem Punkt der<br />

Welt über einen anderen Punkt der Welt<br />

arbeiten. Ich wünsche mir ein Leben an<br />

einem schönen Flecken Erde mit Deniz<br />

an meiner Seite.<br />

DENIZ YÜCEL: Dilek schrieb mir ins<br />

Gefängnis, sie würde gern irgendwo<br />

leben, wo unsere Füße die Erde berühren.<br />

Darüber haben wir uns ein paarmal<br />

„Am Ende der offenen Gesellschaft,<br />

knietief in der Diktatur.“<br />

in Briefen ausgetauscht und uns überlegt,<br />

wo wir uns niederlassen können.<br />

Aber ich bin stets davon ausgegangen,<br />

dass wir erst mal in der Türkei bleiben<br />

würden, weil ich angenommen habe,<br />

dass sie den Schein wahren und wie bei<br />

den anderen freigelassenen Kollegen<br />

eine Ausreisesperre verfügen würden.<br />

DILEK MAYATÜRK YÜCEL: Wenn man<br />

versucht, ganz schnell Entscheidungen<br />

für die Zukunft zu treffen, funktioniert<br />

das nicht. Man braucht Zeit, um sich zu<br />

erholen. Vieles geht ja weiter.<br />

Was geht weiter?<br />

DILEK MAYATÜRK YÜCEL: Zum Beispiel,<br />

dass ich ausnahmslos jede Nacht davon<br />

träume, wie Deniz im Gefängnis ist und<br />

dann freigelassen wird. Also die Haft,<br />

die Vorbereitung der Freilassung - jede<br />

Nacht führe ich dieselben Gespräche<br />

mit anderen Beteiligten und kämpfe um<br />

seine Freilassung. Das hört nicht auf.<br />

Wovon träumst du, Deniz?<br />

Ich habe keine Traumgeschichte zu<br />

erzählen. Nur ein einziges Mal sah ich<br />

meinen Zellennachbarn Oguz, mit dem<br />

ich in kurzer Zeit Freundschaft geschlossen<br />

habe. Vielleicht würde der Fachmann<br />

sagen, ich verdränge etwas.<br />

Dilek, Deniz hat aus dem Gefängnis<br />

einige ziemlich meinungsstarke Texte<br />

veröffentlicht und recht pointierte schriftliche<br />

Interviews gegeben. Was hast du<br />

da durchgemacht, wenn das mal wieder<br />

bevorstand?<br />

DILEK MAYATÜRK YÜCEL: Herzrasen!<br />

In einem Land, in dem Menschen wegen<br />

Tweets verhaftet und Dinge in Texte<br />

reininterpretiert werden, kann alles<br />

passieren. Alles kann Eingang in eine<br />

Anklage finden. Wir haben schon bei<br />

der Verhaftung die Erfahrung gemacht,<br />

dass sie seine Worte böswillig auslegen<br />

und Sachen falsch übersetzen. In einer<br />

Situation, in der die Anklage noch nicht<br />

vorlag, bedeutete jede Wortmeldung ein<br />

Risiko. Aber ich wusste auch, warum das<br />

Deniz wichtig war. Und viele seiner Texte<br />

habe ich abgetippt.<br />

Das Verfahren gegen dich läuft weiter.<br />

Die nächste Sitzung steht im Juni an,<br />

die Staatsanwaltschaft fordert <strong>18</strong> Jahre<br />

Haft. Hast du schon entschieden, ob du<br />

noch mal zurück in die Türkei gehst?<br />

DENIZ YÜCEL: Nein, so weit bin ich, sind<br />

wir noch nicht. Ich habe die Türkei nicht<br />

mit dem Gefühl verlassen: Bloß weg aus<br />

dieser ganzen Scheiße hier, ich will nie<br />

wieder etwas damit zu tun haben. Ich<br />

wusste ja, worauf ich mich einließ, als<br />

ich im Frühjahr 2015 meinen Korrespondentenjob<br />

antrat. Zwar war die Situation<br />

damals weniger dramatisch. Aber ich<br />

wusste, wenn man als Journalist in diesem<br />

Land lebt und seine Sache halbwegs<br />

ordentlich macht, lebt man gefährlich.<br />

Dann können einem schlimmstenfalls<br />

noch ganz andere Sachen passieren, als<br />

dass man seiner Freiheit beraubt wird.<br />

Du hast von Anfang an damit gerechnet,<br />

dass du ins Gefängnis kommen könntest?<br />

DENIZ YÜCEL: Natürlich war das im<br />

Bereich des Denkbaren, aber es schien<br />

mir nicht sehr wahrscheinlich. Sonst hätte<br />

ich das nicht gemacht. Ich war nicht<br />

scharf darauf, ins Gefängnis zu kommen.<br />

Aber es ist was anderes, ob du als Korrespondent<br />

in die Türkei gehst oder nach<br />

Norwegen. Das war auch schon 2015<br />

oder 1995 so. Das weißt du erst recht,<br />

wenn du dieses Land und die Sprache<br />

kennst, auch die Chiffren und die Codes.<br />

Gibt es etwas, von dem du rückblickend<br />

Paul Zinken / dpa / picturedesk.com, Soeren Stache / dpa / picturedesk.com<br />

Als er inhaftiert wurde, war ihre Beziehung noch relativ frisch. Im Gefängnis heiraten Deniz Yücel und die TV-Produzentin<br />

Dilan Mayatürk. Durch die Heirat erhielt Mayatürk Besuchsrecht bei dem inhaftierten Journalisten.<br />

denkst, das hättest du anders machen<br />

sollen, um deine Festnahme zu verhindern?<br />

DENIZ YÜCEL: Nein.<br />

Hättest du etwas unterlassen können,<br />

was zu deiner Verhaftung geführt hat?<br />

DENIZ YÜCEL: Ich denke nicht. Ich wurde<br />

zum Beispiel nicht verhaftet, weil ich<br />

den stellvertretenden PKK-Chef interviewt<br />

habe. Das Interview habe ich im<br />

August 2015, anderthalb Jahre vor meiner<br />

Festnahme, geführt. Noch ein paar<br />

Wochen zuvor hatte auch die türkische<br />

Regierung mit ihm verhandelt. Das Fiese<br />

ist ja, dass sie die Spielregeln - oder besser:<br />

die Freund-Feind-Zuschreibungen<br />

- rückwirkend ändern.<br />

Warum wurdest du dann festgenommen?<br />

DENIZ YÜCEL: Der Anlass war meine<br />

Berichterstattung über die gehackten<br />

E-Mails des Energieministers, der<br />

Erdogans Schwiegersohn ist. Darüber<br />

hatte ich, wie einige andere auch,<br />

berichtet. Aber ab dem Moment, wo du<br />

durch irgendwas in deren Fänge gerätst,<br />

schauen sie: Was können wir dem<br />

andichten? Ich war durch meine gesamte<br />

Arbeit aufgefallen. Ich war einer von<br />

drei deutschen Journalisten, die keinen<br />

Presseausweis bekommen haben. Die<br />

wussten, mit wem sie es zu tun hatten.<br />

Muss man das Risiko, inhaftiert zu<br />

werden, grundsätzlich in Kauf nehmen,<br />

wenn man seinen Job als Journalist<br />

ordentlich macht unter einem Regime,<br />

dem die Meinungs- und Pressefreiheit<br />

egal ist?<br />

DENIZ YÜCEL: Ich glaube ja. Du kannst<br />

einzelne Fragen abwägen. Aber du<br />

kannst nicht deine komplette Arbeit<br />

danach gestalten. Gerade in Ländern, in<br />

denen Journalismus am meisten vonnöten<br />

ist, ist die Risikoabwägung besonders<br />

schwierig. Die Frage „Ist der slowakische<br />

Kollege Ján Kuciak ein Risiko eingegangen,<br />

indem er über Korruption berichtet<br />

hat?“ bedeutet in Wahrheit: War er<br />

selber schuld an seinem Tod? Aber nicht<br />

Ján Kuciak ist schuld an seiner Ermordung,<br />

sondern die Mörder und deren<br />

Auftraggeber. Man erfüllt als Journalist<br />

eine gesellschaftliche Aufgabe. Und der<br />

Mord in der Slowakei sowie kurz davor<br />

die Ermordung von Daphne Caruana<br />

Galizia in Malta und die Situation der<br />

Medien in Polen und Ungarn zeigen, dass<br />

auch in der EU die Rechte und Freiheiten<br />

in einer Weise gefährdet sind, wie wir es<br />

uns vor zehn Jahren nicht hätten vorstellen<br />

können. Im schlimmsten Fall steht<br />

die Türkei heute schon dort, wo Europa<br />

in einigen Jahren ankommen könnte: am<br />

Ende der offenen Gesellschaft, knietief in<br />

der Diktatur.<br />

Ist dir die Türkei durch deine Inhaftierung<br />

fremder geworden?<br />

DENIZ YÜCEL: Ich bin gleichermaßen<br />

deutscher und türkischer geworden. Ich<br />

habe nie so oft Sätze formuliert, die mit<br />

„Bei uns in Deutschland ist das ja so ...“<br />

anfingen, wie im Gefängnis. Zugleich<br />

habe ich in meiner Zelle ständig mit<br />

einer Gebetskette herumgespielt, die<br />

mir Dilek geschenkt hatte. Mehr Traditionstürke<br />

geht nicht. Aber das Leben<br />

draußen ging ja weiter. Ich hatte mit<br />

dem Gezi-Aufstand von 2013 begonnen,<br />

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