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<strong>AL</strong>LGÄUER KULTURSOMMER 2018 35<br />
Erschuf das opulente Bühnenbild auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele für die Oper „Carmen“: die Künstlerin Es Devlin. <br />
Foto: Matthias Becker<br />
Die Frau mit den großen Händen<br />
Am Bregenzer Seeufer fliegen Spielkarten durch die Luft. Sie formen den Raum für die Oper „Carmen“.<br />
Die 46-jährige Britin Es Devlin hat das Bühnenbild entworfen. Ein Porträt<br />
Von Ingrid Grohe<br />
Es Devlin hat schon vielen Stars<br />
eine Bühne bereitet: Beyoncé, U2<br />
und Adele gehören zu ihren Kunden,<br />
ebenso Olympische Spiele und große<br />
Opernhäuser der Welt. Die Frau,<br />
die für Covent Garden in London, die<br />
Met in New York und die Semperoper<br />
in Dresden Räume und Kulissen<br />
erdachte, wollte schon lange nach<br />
Bregenz. „Es ist der Traum aller Bühnenbildner,<br />
hier zu arbeiten“, sagt<br />
sie. Die Dimensionen faszinieren sie,<br />
aber auch der Gedanke, dass in Bregenz<br />
das Bühnenbild nach der Aufführung<br />
nicht hinter einem Vorhang<br />
verschwindet. Stattdessen steht die<br />
Seebühne fast zwei Jahre am Ufer,<br />
als Teil des Bregenzer Stadtbildes.<br />
„Sie ist Architektur und Kunst in einem.“<br />
Noch immer ragen zwei riesige<br />
Hände aus dem Wasser. Es sind<br />
die Hände von Es Devlin.<br />
Die Bühne, die Devlin für Georges<br />
Bizets Oper „Carmen“ erdacht hat,<br />
ist fast so etwas wie der Gegenentwurf<br />
zur Mauer, vor der in den vergangenen<br />
beiden Sommern Turandot<br />
zu Puccinis Musik morden ließ.<br />
Während dieses monumentale, beinahe<br />
träge Bauwerk die Spielfläche<br />
von See und Himmel abzuschirmen<br />
versuchte, hat die 46-jährige Britin<br />
Devlin eine filigrane, durchlässige<br />
Konstruktion in die Natur gesetzt:<br />
zwei Hände, dazwischen fliegende<br />
Karten, die Wasser, Horizont und<br />
Bühne verbinden.<br />
Videos gesehen<br />
Viele Seeopern am Bodensee hat<br />
Es Devlin selbst besucht, von den<br />
anderen sah sie Videos. Der im Wasser<br />
ruhende Kopf bei André Chénier<br />
oder auch das Tosca-Auge haben sie<br />
tief beeindruckt. Devlin sieht in der<br />
Seebühne immer auch etwas Mystisches.<br />
Als Beispiel nennt sie die<br />
zerstörte Stadtlandschaft der „Westside<br />
Story“, die jeden Besucher unwillkürlich<br />
an das Schreckensszenario<br />
von 9/11 erinnerte – dabei war<br />
das Bühnenbild vor den Anschlägen<br />
von New York erdacht worden.<br />
In den Augen von Es Devlin<br />
funktionieren nur surreale Bilder<br />
in den Größenordnungen<br />
des „Spiels auf dem See“ und sie<br />
schildert, wie sie ihre Bühnenskulptur<br />
entdeckte. Gemeinsam mit<br />
Regisseur Kasper Holten war sie auf<br />
der Suche nach einer Idee und hatte<br />
sich als Anregung eine Auswahl von<br />
Souvenirs vom Flughafen in Sevilla<br />
besorgt. Vor ihr lagen ein Aschenbecher<br />
mit einem Torero, eine Schüssel<br />
und ein Satz Spielkarten. Als der<br />
zündende Gedanke ausblieb, warf<br />
Es Devlin entnervt die Karten in die<br />
Luft. Das war der entscheidende Moment.<br />
„Wir beide hatten in dieser Geste<br />
etwas Besonderes gesehen“, erzählt<br />
die Bühnenbildnerin.<br />
Die Symbolik dieser Szene kann<br />
auf dreierlei Weise gedeutet werden.<br />
Zum einen, ganz nahliegend,<br />
verweist sie auf eine Szene der Oper,<br />
in der Carmen mittels Kartenlegen in<br />
die Zukunft schauen möchte. Darüber<br />
hinaus greift Devlin in ihrem 24<br />
Meter hohen Bühnenbild auch die<br />
Persönlichkeit der Protagonistin auf:<br />
„Carmen stellt sich außerhalb der<br />
Gesetze, sie wirft alle Regeln in die<br />
Luft – und schaut dann, was daraus<br />
wird.“<br />
Ein einziges Chaos<br />
Die dritte Interpretation hat aktuellen<br />
Bezug: Diese Seebühne ist ein<br />
einziges Chaos. Alles fliegt auseinander,<br />
was die politisch denkende<br />
Devlin durchaus auf die Weltsituation<br />
bezieht – um zugleich zu bemerken:<br />
„Dieses Werk haben wir uns<br />
vor Trump und vor dem Brexit ausgedacht.“<br />
Die Wiederaufnahme von „Carmen“<br />
ist ab 19. Juli (21.15 Uhr, Seebühne).<br />
Infos unter<br />
www.bregenzerfestspiele.com