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<strong>AL</strong>LGÄUER KULTURSOMMER 2018 39<br />

Hat viel Spannendes zu erzählen – am Klavier oder auf der Bühne als Interviewpartner: der gebürtige Kemptener Murat Parlak. <br />

Fotos: Ralf Lienert<br />

Die aufregende Welt eines Musikers<br />

Murat Parlak ist ein wilder Vogel, der gerne „wegfliegt“. Und doch zieht es ihn stets in die Heimat zurück<br />

Von Freddy Schissler<br />

„Wenn sich Murat Parlak an den<br />

Flügel setzt, beginnt er nicht Klavier<br />

zu spielen, er knipst ein Kraftwerk<br />

an.“ So hat mal ein Rezensent eines<br />

Parlak-Konzerts seinen Zeitungsbericht<br />

begonnen. Ein Vergleich,<br />

der nicht nur die Spielweise des<br />

Pianisten charakterisiert, sondern<br />

im Grunde genommen auch die gesamte<br />

Persönlichkeit Murat Parlak.<br />

Wenn der gebürtige Kemptener mit<br />

türkisch-kurdischen Wurzeln spricht,<br />

dann tut er dies ohne Punkt und<br />

Komma, dafür aber mit beherztem<br />

Einsatz von Händen und Füßen.<br />

Wenn er philosophiert über politische<br />

Systeme, über die Diskrepanz<br />

zwischen armen und reichen Ländern,<br />

über Klüngel, Nächstenliebe<br />

oder Neid, dann bebt schon mal<br />

seine Stimme, während seine Hand<br />

den Schweiß von der Stirn wischt. In<br />

diesen Momenten ist der Gesprächspartner<br />

ein lebendes Kraftwerk.<br />

Murat Parlak ist ein Mensch, der<br />

sich Dingen mit Leib und Seele hingibt.<br />

Der sagt: „Wenn ich etwas tue,<br />

dann richtig.“ So erlebt man ihn auf<br />

der Bühne, wenn er als Solist am Flügel<br />

sitzt, wenn er zusammen mit Harald<br />

Schmidt beispielsweise beim 90.<br />

Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki<br />

auftritt (Schmidt präsentierte im Juni<br />

2010 dem Jubilar mit dem vertonten<br />

Gedicht von Bert Brechts „Erinnerung<br />

an die Marie A.“ ein Ständchen,<br />

begleitet von Parlak) oder wenn er<br />

im Garten der Konrad-Adenauer-Villa<br />

am Comer See für Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel und andere CDU-Größen<br />

ein Klassik-Konzert gibt.<br />

So erlebt man Parlak, wenn er<br />

als Bandleader mehrerer Pop- und<br />

Rockgruppen, als Mitglied eines<br />

Jazz-Trios, als Pianist und Arrangeur<br />

der New-Wave-Band von Anne Clark<br />

agiert. Oder wenn er als musikalischer<br />

Leiter des Staatsschauspiels<br />

Stuttgart, wo er sechs Jahre lang<br />

fest angestellt war, Ideen entwickelt.<br />

Heimat und Anker<br />

Die Musik hat ihn an viele Orte gebracht.<br />

Er hat eine Weile in Zürich gelebt,<br />

in Lugano, in München und in<br />

Stuttgart. Seine Wurzel, sagt er, bleibe<br />

aber immer Kempten. Seine Heimat,<br />

sein Anker. Inzwischen lebt er<br />

im Unterallgäu und versichert: „Ich<br />

fühle mich hier sauwohl.“<br />

Ein Blick zurück: Es ist ein winziges<br />

Zimmer, das wir betreten. Nach<br />

einem kurzen Blick hat man festgestellt,<br />

was sich darin befindet: ein<br />

Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Klavierhocker<br />

und das dazugehörige Klavier.<br />

Für andere größere Gegenstände<br />

ist kein Platz. „Mehr brauche ich<br />

nicht“, sagt Murat Parlak an diesem<br />

Vormittag. Dann lächelt er, führt seine<br />

linke Hand ans Klavier und streichelt<br />

über dessen Außenwand. Anschließend<br />

klappt er den Deckel auf<br />

und betrachtet die Tasten mit jenem<br />

Blick, den für gewöhnlich ein Frischverliebter<br />

seiner Freundin zuwirft.<br />

Murat Parlak und das Klavier. Klingt<br />

so wie: Der Mann und das Meer.<br />

Zwei, die eine Symbiose eingehen.<br />

An diesem Vormittag in seinem<br />

Zimmer der elterlichen Wohnung erzählt<br />

der 21-Jährige von seiner Liebe<br />

zur Musik. Von Erlebnissen am Klavier,<br />

von Unterrichtsstunden, die er<br />

genommen hat oder vom Versuch,<br />

ein Musikstudium zu beenden. Was<br />

letztlich scheitert. Nach wenigen<br />

Monaten sagt er den Lehrern der<br />

Musikhochschule Adieu. Musik pauken,<br />

das funktioniert bei ihm nicht.<br />

Er spürt die Musik tief in sich drin.<br />

Stundenplan dafür braucht er nicht.<br />

Murat Parlak, das klingt zunächst<br />

nicht nach gebürtigem Kemptener.<br />

Grund dafür ist sein Elternhaus, ein<br />

Mix aus Türkei und Kurdistan. Vor<br />

vielen Jahren hat es seine Mutter<br />

und den Vater nach Kempten verschlagen.<br />

Er erzählt von seiner Kindheit<br />

in einem Tempo, das mit presto<br />

am besten beschrieben ist.<br />

Überhaupt geht bei ihm vieles rasend<br />

schnell. Er erlernt schnell das<br />

Klavierspiel, ihm ist schnell klar, dass<br />

die Musik sein Leben bestimmen<br />

muss, er lernt schnell wichtige Leute<br />

kennen. Als Hosenmatz stellt er eine<br />

erste Band auf die Beine, als Jugendlicher<br />

schüttelt er Yehudi Menuhin<br />

die Hand, kaum volljährig macht er<br />

sich mit einem Freund und einem<br />

tragbaren Pinao auf den Weg nach<br />

Costa Rica. Ziel ist dort der Stamm<br />

der Amubri, mitten im Urwald. Dort<br />

setzt er sich ans Klavier und bringt<br />

den Menschen Werke von Elton John<br />

und Ludwig van Beethoven näher.<br />

Essen mit Dalai Lama<br />

„Verrückte Sache“, sagt Parlak<br />

und lacht. Verrückte Sachen passieren<br />

ihm immer wieder. Oder ist das<br />

normal, dass man neben dem Dalai<br />

Lama Platz nimmt und mit ihm zum<br />

Essen geht? Murat Parlak kam in diesen<br />

Genuss, als er in Budapest ein<br />

Konzert für das weltliche Oberhaupt<br />

der Tibeter geben durfte.<br />

Murat Parlak, ein Alleskönner?<br />

„Keineswegs“, antwortet er. „Es gibt<br />

vieles, was ich nicht kann. Aber dieses<br />

Nicht-Alles-Können ist doch der<br />

Grund für das weitere Leben. Und:<br />

Ich kann nicht Ski fahren.“ Das wiederum<br />

ist für einen Allgäuer eine völlig<br />

verrückte Geschichte.

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