Heimat-Rundblick Frühjahr 2018
Magazin für Kultur, Geschichte und Natur
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Frühjahr 2018
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1/2018 Û·31. Jahrgang
ISSN 2191-4257 Nr. 124
RUNDBLICK
AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER
GESCHICHTE Û KULTUR Û·NATUR
I N H A L T
unter anderem:
4Die Familie Hackfeld
4„Mühlenbach Lichtspiele“
4Ein Gnadenhof für Störche
4Heinrich Vogeler und Otto Sohn-Rethel
4Ich bin ein Star-
Bau mir ein Haus
4Vor 100 Jahren
4Die Osterholzer Ziegelei
4Heinrich Vogelers Friedensappell
I N H A L T
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Redaktionssitzung
Dr. Pourshirazi
Fotos: Maren Arndt
Am 27, Januar 2018 fand die aktuelle Redaktionssitzung
unserer Zeitschrift statt – im stilvollen
Overbeck-Museum in Vegesack. Frau Dr.
Pourshirazi führte die Redakteure in lebendiger
und gefühlvoller Weise in das Werk und das
Leben von Fritz Overbeck ein – wir bedanken
uns herzlichst!
Anschließend besuchten wir zwecks Stärkung
das Café gleich in der Nachbarschaft,
eigentlich auch gedacht als Tagungsort, was
allerdings aufgrund von Enge und Lautstärke zu
Kopfzerbrechen über die weitere Gestaltung
führte. Hocherfreut nahmen wir das Angebot
von Frau Dr. Pourshirazi an, uns in die oberen
Räume des Museums zurückziehen zu dürfen.
Schnell ein paar Stühle organisiert – und schon
konnte es losgehen.
Verleger Jürgen Langenbruch berichtete von
dem Renteneintritt unserer eigentlich unersetzlichen
Almuth Roselius – wir wünschen Ihr
alles Gute. (Gottseidank bleibt sie uns für einige
Stunden in der Woche erhalten...). Erfreulicherweise
arbeitet sich zur Zeit die Grafik-Designerin
Christina Meyer, die in dem Haus des ehemaligen
Daumlingsdorfs in Lüninghausen lebt,
in die Materie ein. Ebenso erfreulich ist, dass
Nächste Redaktionssitzung
wir einige neue Autoren begrüßen dürfen – wir
freuen uns!
Eine gute Nachricht kommt vom Museum in
OHZ – einige Aktivisten kümmern sich um eine
mögliche Weiterführung – viel Erfolg!
Nach Rückblick folgte die traditionelle Aufnahme
neuer Themen – von denen so viele
gemeldet wurden, dass auch für die neue Ausgabe
kein Mangel herrschen wird. Nach Schlusswort
und vielen Plaudereien ging auch diese
Sitzung zu Ende –
vielen Dank an Alle! Jürgen Langenbruch
Die nächste Redaktionssitzung findet am 28. April 2018, 15 Uhr, in der Kunstschau Lilienthal statt. Wir besuchen
die neue Ausstellung „Karl Vinnen und Carl Krummacher“ und tagen gleich dort im Café.
Ich lade herzlich dazu ein – Jürgen Langenbruch.
2
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Aus dem Inhalt
Aktuelles
Jürgen Langenbruch
Redaktionssitzung Seite 2
BRAS e. V.
Köksch un Qualm Seite 22
Axel Miesner
Worphüser Heimotfrünn Seite 28
Daniela Platz
800 Jahre Worpswede Seite 34 – 38
Heimatgeschichte
Harald Steinmann
was lange währt... Seite 20-22
Wilhelm Berger
Die Osterholzer Ziegelei Seite 23 – 25
Helmut Strümpler
Jugendherbergen in den
Dreißigerjahren Seite 29
Daniela Platz
Heinrich Vogelers Friedensappell
von 1918 - aktuell bis heute Seite 32 – 33
Kultur
Rudolf Matzner
Erinnerung an die ehemaligen Burglesumer
„Mühlenbach Lichtspiele“ Seite 13
Siegfried Bresler
Heinrich Vogeler und
Otto Sohn-Rether Seite 16 – 17
Hans-Jörg Baake
„Im Nebel der Vergangenheit“
Die Enstehung „Neuenkirchen“ Seite 26-27
Jens Uwe Böttcher
Lilienthaler Wintertheater Seite 30-31
Jürgen Langenbruch
Ausstellung „Schwebschrauben
und Scheinblüten“ Seite 39
Natur
Maren Arndt
Ein Gnadenhof für Störche Seite 12-13
Susanne Eilers
Ich bin ein Star -
bau mir ein Haus Seite 18-19
Serie
Peter Richter
‘n beten wat op Platt Seite 9
Vor 100 Jahren Seite 14 – 15
Humor im Jahre 1918 Seite 19
Bauernregeln Seite 25
Fast vergessen Seite 33
Redaktionsschluss für die nächste
Ausgabe: 15. Mai 2018
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Liebe Leserinnen
und Leser,
Sie ahnen es vielleicht - unser Heft ist etwas
ganz Besonderes. Jedenfalls ist mir nichts
Gleichartiges bekannt: ein, fast hätte ich
gesagt "Kollektiv", also eine Gruppe Gleichgesinnter,
weiblich und männlich, erarbeitet seit
vielen Jahren in jedem Vierteljahr mit viel Zeitaufwand
und Recherche eine Reihe von in der
Regel qualitativ hochwertigen Artikeln, die sich
mit allen möglichen Ereignissen aus Vergangenheit
und Gegenwart, aber auch mit die
Zukunft tangierenden Entwicklungen beschäftigen.
Dafür gebührt allen Beteiligten Dank
und Anerkennung - vielleicht fällt dabei auch
etwas für den Verleger ab, der bei der Kostenkalkulation
gerne seine Brille mit den rosarot
gefärbten Gläsern aufsetzt. Nun, sei es wie es
ist: der Frühling ist eingetroffen und mit ihm
die Störche, die deshalb auch unsere Titelseite
schmücken.
Ihnen ist sicher das Konsul-Hackfeld-Haus
in der Birkenstraße bekannt, das Haus des
CVJM, in dem zudem viele Veranstaltungen
aller Art stattfinden. Wer dieser Konsul Hackfeld
war, erfahren Sie in einem ausführlichen
Artikel unseres Autors Rudolf Matzner; und
dazu gibt es auch noch einen Nachtrag über
den Zuckerfabrikanten Paul Isenberg.
Wann waren Sie zum letzten Mal im Kino?
Wenn Sie nicht mehr ganz jung an Jahren sind
und Burglesum kennen, erinnern Sie sich vielleicht
an die dortigen „Mühlenbach Lichtspiele“?
In Berne gibt es eine Auffangstation für
verletzte Störche, Maren Arndt berichtet uns
von dieser verdienstvollen Unternehmung.
Viele Vögel werden durch unsere ach so wunderbaren
Windkraftwerke, für die es ja „keine
Alternative“ gibt, verletzt oder getötet. Falls
Ihre Uhr in letzter Zeit mal etwa nachging, es
lag an der Vielzahl stromtechnischer Einspeisungen
in das Netz, die je nach aktueller Lage
(Wind – kein Wind, Sonnenlicht – kein Sonnenlicht)
zu Schwierigkeiten bei der Synchronisation
(50 Hz) führen. Und wenn der Strom
einmal da ist und nicht gespeichert oder verbraucht
werden kann, wird es schwierig.
Vor 100 Jahren gab es das noch nicht, aber
es gab andere Probleme – auch mit dem Strom,
wie Peter Richter in dieser beliebten Rubrik
erläutert.
Siegfried Bresler berichtet von der Künstlerfreundschaft
zwischen Heinrich Vogeler und
Otto Sohn-Rethel, eine wichtige Episode aus
dem spannungsreichen Leben Vogelers. Vogel
des Jahres ist der Star – Susanne Eilers zitiert
aus Veröffentlichungen der NABU.
Nicht unumstritten ist die Geschichte des
Klosters Lilienthal, Harald Steinmann konfrontiert
uns mit neuen Erkenntnissen zu diesem
Thema.
Die Osterholzer Ziegelei wird ausführlich
von Wilhelm Berger vorgestellt, in bewährter
Qualität mit Wort und Bild.
Hans-Jörg Baaake und Herbert A. Peschel
rätseln zusammen über die Entstehung von
Neuenkirchen – lesen Sie selbst.
Im Lilienhof fand die diesjährige JHV der
rührigen „Worphüser Heimatfrünn“ statt – der
neue Vorsitzende Axel Miesner berichtet.
Jeder von uns hat sicher schon einmal in
einer Jugendherberge übernachtet und erinnert
sich gerne daran. Helmut Strümpler erinnert
an die Jugendherberge Worpswede und
den Missbrauch im „3. Reich“. Jens-Uwe Böttcher
erzählt von einer Zusammenarbeit der
Lilienthaler Freilichtbühne mit der Bremer
Heimstiftung im Ellener Hof. Und noch einmal
Heinrich Vogeler – der Friedensappel an den
Kaiser von 1918; eine Rezension der Buchs von
Bernd Stenzig: „Das Märchen vom lieben Gott“.
Zwischendurch erfreut uns Peter Richter mit
dem Gedicht „Sommerabend“ von Richard
Dehmel; mögen uns auch solche Erbnisse
beschieden werden...
„Worpswede“ - das Dorf gab es auch schon
ohne Künstler, Daniela Platz berichtet von 800
Jahren Worpswede. Sie merken es: es gibt viel
zu Lesen – ich wünsche Ihnen viel Spaß und
hoffe, dass die so verschiedenen Themen auch
Ihre Aufmerksamkeit verdient haben.
Ihr Jürgen Langenbruch
Impressum
Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG
(haftungsbeschränkt), Scheeren 12, 28865 Lilienthal,
Tel. 04298/46 99 09, Fax 04298/3 04 67, E-Mail
info@heimat-rundblick.de, Geschäftsführer: Jürgen
Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode 202140.
Redaktionsteam: Wilko Jäger (Schwanewede),
Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz (Teufelsmoor),
Peter Richter (Lilienthal), Manfred Simmering
(Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes (Worps wede).
Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird
keine Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten. Die
veröffentlichten Beiträge werden von den Autoren selbst
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Redaktion wieder. Wir behalten uns das Recht vor,
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Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.
Korrektur: Helmut Strümpler.
Erscheinungsweise: vierteljährlich.
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Druck: Langenbruch, Lilienthal.
Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.
Der HEIMAT-RUNDBLICK ist erhältlich:
Bremen: Böttcherstraße/Ecke Andenkenladen
Worpswede: Buchhandlung Netzel, Aktiv-Markt, Barkenhoff.
Titelbild:
Storchenstation „Mutter bringt Futter“
Foto: Maren Arndt
3
Die Familie Hackfeld
Aufstieg und Niedergang des ehemals größten Unternehmens im Südseeraum
Vorbemerkung:
Das Haus des Bremer CVJM in der Birkenstraße
Verwaltungsgebäude des Hackfeld-Konzern auf Hawaii
Mit diesem Aufsatz soll versucht werden, das
Lebenswerk des Heinrich Hackfeld und dessen
Neffen und Nachfolgers Johann Friedrich Hackfeld
ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.
Beide Familien haben ihre Spuren sowohl in
Bremens Innenstadt als auch in St. Magnus hinterlassen.
Während meines Vortrages über Persönlichkeiten
unserer Stadt am 3. April 2003 in
der ehemaligen Hackfeldschen Sommervilla in
St. Magnus war ich versucht zu sagen, dass Bremens
Geschichte um einiges ärmer wäre, wenn
es Bremen-Nord nicht gäbe. Das können wir
allerdings aus heutiger Sicht nur so sagen, denn
zu der Zeit, als sich Bremer Reeder, Kapitäne,
Künstler, Senatoren und Kaufleute ihre Sommerhäuser
hier an der Lesum und an der Weser
errichten ließen, gehörte dieser Landstrich -
mit Ausnahme von Vegesack - bis 1939 zu
Preußen und zuvor zum Königreich Hannover.
Absichtlich habe ich die Kaufleute zuletzt
angeführt, um darauf hinzuweisen, dass es in
Bremen unüblich war, von einem Großkaufmann
zu reden. Trotz eines verdienten Wohlstandes
gab man sich bescheiden und so sprach
man in Bremen zum Beispiel vom Weinkaufmann,
Getreidekaufmann, Kaffee- oder Holzkaufmann.
Die Hackfelds waren Überseekaufleute,
und zwar die größten mit Firmensitz in
Honolulu.
Die auswärtige Konkurrenz bezeichnete die
Bremer Kaufleute als „Pfeffersäcke" und zum
anderen sagte man: „Die Bremer Kaufleute sind
so steif wie ihr Grog".
Zu Bremen-Nord wäre noch zu sagen, dass
sich die zuvor erwähnten Kaufleute und dergleichen
seit Beginn der zweiten Hälfte des vorletzten
Jahrhunderts und auch überwiegend im
zweiten Abschnitt ihres Lebens hier angesiedelt
haben, so auch die Hackfelds. Es galt der
Spruch: „Landluft macht frei".
Biografien und Beschreibungen über
Geschäftsentwicklungen sind auch immer
Dokumente der Zeitgeschichte die - je länger
die Zeit darüber vergeht - oft in Vergessenheit
geraten. Das ist mir besonders bei meinen
Recherchen über Baron Ludwig Knoop, dem
Besitzer von Schloss Mühlenthal in St. Magnus,
und dem Gutsbesitzer Johannes Pellens aufgefallen,
der für seine Frau die Villa Marßel bauen
ließ.
Erfreulicherweise trägt das CVJM-Haus in der
Bremer Birkenstraße in großen Lettern die
Foto: R. Matzner
Foto aus Privatbesitz
Bezeichnung „Konsul-Hackfeld-Haus", ein Zeichen,
dass dieser christlich orientierte Verein
dem Konsul Hackfeld sich zu Dank verpflichtet
fühlt. In ähnlich anerkennender Weise schrieb
die Delmenhorster Zeitung 1992 unter der
Überschrift: „Das Märchen von Heinrich Hackfeld"
und „Es war einmal ein armer Junge"'.
Dabei wurde berichtet, dass der Hackfeldsche
Marienfonds wieder zur Verfügung steht. Diese
beiden Hinweise mögen schon mal den großzügigen
Charakter beleuchten, der mit dem
Namen Hackfeld verbunden ist.
Lebenslauf des Firmengründers
Heinrich Hackfeld
Es begann mit Heinrich Hackfeld, der am 24.
August 1816 in Almsloh bei Ganderkesee als
Sohn armer Eltern geboren wurde. Sein Vater
war von Beruf Tagelöhner und verstarb am 7.
Februar 1824, als Heinrich siebeneinhalb Jahre
alt war. Die Mutter hatte danach drei Töchter
und vier Söhne zu versorgen. Tätigkeiten als
Hütejunge beim Bauern, mäßiger Schulbesuch
und ärmliche Lebensverhältnisse bestimmten
Heinrichs Kindheit. Nach der Konfirmation, also
im Alter von etwa dreizehn oder vierzehn Jahren,
verließ Heinrich Hackfeld seinen Heimatort
im Oldenburgischen in Richtung Amsterdam,
um Seemann zu werden. Amsterdam war
damals der Treffpunkt aller Fahrensleute aus
der Gemeinde Ganderkesee und Umgebung.
Zahlreiche junge Männer zog es dort hin, weil
sie in ihrer Heimat keine Zukunft sahen. Nach
mehreren Fahrten besuchte Heinrich mit finanzieller
Unterstützung eines Freundes die Steuermannsschule
in Bremen. Mit achtundzwanzig
Jahren segelte er als Kapitän und Mitbesitzer
des Schiffes „Expreß" zunächst nach Honolulu.
Sein Schiff strandete 1845 bei der Insel Batan.
4 RUNDBLICK Frühjahr 2018
Mannschaft und Silberladung wurden geborgen;
jedoch in der Zeit lernte Heinrich Hackfeld
die Schauplätze seines späteren Erfolges kennen.
So richtete er im Januar 1847 als dreißigjähriger
Kapitän ein Schreiben an die heute
noch existierende Reedereifirma W. A. Fritze in
Bremen, in welchem er auf die große Bedeutung
der Hawaii-Inseln für den Handel in der
Südsee mit Amerika und China aufmerksam
machte. Seine Absicht war es, Vertreter des
bekannten Bremer Unternehmens zu werden.
Es war sein Glück, dass die Geschäftsleitung der
Firma Fritze auf sein Angebot nicht eingegangen
war. Kurzentschlossen kaufte er die Brigg
„Wilhelmine", fuhr von Hongkong nach Bremen
und kaufte hier Ware ein für ein in Honolulu zu
gründendes Geschäft. In Bremen heiratete er
Das Elternhaus von Marie Gesine Hackfeld, geborene Pflüger, an der Schlachte - zweites Haus von
links - Fassade heute an der Sparkasse am Bremer Marktplatz
Foto aus Privatbesitz
Heinrich Hackfeld
noch die Tochter des Schiffsmaklers Georg-Friederich
Pflüger Marie Gesine. Mit ihr und ihren
beiden Brüdern trat er die Reise nach Honolulu
an. Johann Carl Diederich Pflüger (1833-1883),
sein Schwager, wurde aufgrund seines Fleißes
als Geschäftspartner und Teilhaber aufgenommen.
Das 1849 gegründete Geschäft befasste sich
zunächst mit der Ausstattung von Walfangschiffen
und deren Besatzung. Der Erwerb von
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Foto aus Privatbesitz
Marie Gesine Hackfeld, geb. Pflüger
Foto aus Privatbesitz
zwei Zuckerplantagen stabilisierte das Unternehmen
und die Entwicklung des Holzimportes.
Die Einführung von Ananaspflanzungen von
Mexiko nach Hawaii brachte der Firma Hackfeld
einen ungeahnten Aufschwung. Im Jahre 1850
wurde ein Ladengeschäft für Kleiderstoffe -
auch Seidenhaus Haie Kalika genannt - eingerichtet.
Die Leitung übernahm Hackfelds Neffe
Bernd-Carl Ehlers, dem bald 70 Angestellte
unterstanden.
Heinrich Hackfeld kehrte 1862 mit seiner
Frau Marie Gesine nach Bremen zurück. Zuvor
aber wurde noch eine Reedereigesellschaft
gegründet, deren Register 1871 achtzehn
Schiffe zählte. Hackfelds Reedereiflagge auf
den Schiffen war das rote Hanseatenkreuz auf
weißem Feld. Eine interessante Nachbildung
dieser ehemaligen Verdienstmedaille für Bremer
Freiheitskämpfer der Jahre 1810-1813 finden
wir auf dem Pflaster des Bremer Marktplatzes.
Heinrich Hackfeld war Konsul von Schweden
und Russland. Sein Nachfolger Johann Friedrich
Hackfeld bzw. die Direktoren der Hackfeld-
Gruppe vertraten Jahrzehnte die verschiedensten
Staaten, wie Österreich, Ungarn, Schweden,
Norwegen, Belgien und das deutsche Kaiserreich.
Am 20. Oktober 1887 starb Heinrich Hackfeld
im Alter von 71 Jahren in Bremen, von wo
er die Geschäfte seines Unternehmens noch
betreut hatte. Der Firmengründer Heinrich
Hackfeld wurde in Delmenhorst bestattet, später
auf den 1897 fertiggestellten Friedhof an
der Wildeshauser Straße umgebettet. Marie
Gesine Hackfeld hat ihren Ehemann dreißig
Jahre überlebt. Sie starb am 4. Februar1917 und
wurde nach der Einäscherung im Elterngrab auf
dem Riensberger Friedhof in Bremen beigesetzt.
Zunächst wurde die Leitung des umfangreichen
Unternehmens auf Hawaii von dem
Schwager Johann Carl Diederich Pflüger wahrgenommen.
Als hochqualifizierter Mitarbeiter
in der Firmenspitze fungierte Paul Isenberg, ein
aus Dransfeld stammender Landwirt, dem der
Konzern seine starke Stellung in der Hawaiischen
Zuckerwirtschaft verdankte. Bleibt noch
anzumerken, dass freie Pflanzer mit großzügigen
Krediten unterstützt wurden, allerdings mit
der Auflage, ihre Erzeugnisse über das Hackfeldsche
Unternehmen abzurechnen.
Aus der Ehe des Firmengründers sind keine
Kinder hervorgegangen, sodass Heinrich Hackfeld
seinen Neffen Johann Friedrich Hackfeld
im Jahre 1878 nach Hawaii schickte. Sein Vater,
der am 10. Februar 1821 geborene Hermann
Wilhelm Hackfeld, war der Bruder von Heinrich
Fassade des ehemals Pflügerschen Hauses an
der Sparkassenfiliale am Marktplatz
Foto: R. Matzner
Hackfeld. Er war Tagelöhner aber auch Schneidermeister.
Aus der übernommenen Reihenfolge
der Berufsbezeichnungen ist zu vermuten,
dass er im Winter seinen Lebensunterhalt als
Schneider bestritten hat. Wie erwähnt, befand
sich das Ehepaar Marie Gesine und Heinrich seit
5
Das Landgut Hackfeld. Im Dreikaiserjahr 1888 kaufte die Witwe des Konsuls Heinrich Hackfeld,
Marie Gesine Hackfeld, ein Grundstück mit dem dazugehörenden Landhaus an der heutigen Lesmonastraße
mit Blick auf die Lesum. Das i. J.1870 erbaute Gebäude wurde 1933 abgebrochen und
ein Jahr später wurde für die Familie Drettmann eine ansehnliche Villa erbaut.
Foto aus Privatbesitz
1862 bereits in Bremen.
Im Jahre 1892 kehrte Johann Carl Diederich
Pflüger nach Bremen zurück, wo er 5O-jährig
verstarb. Auf die Todesnachricht hin schlossen
in Honolulu sämtliche Regierungs- und
Geschäftsbüros; die Handelskammer trat zu
einer Trauersitzung zusammen und die Flaggen
wehten auf halbmast.
Johann Friedrich Hackfeld,
der Neffe und Nachfolger auf
Hawaii (genannt John)
Am 26. Dezember 1856 in Gruppenbühren
nordwestlich von Delmenhorst geboren, hatte
Johann Friedrich Hackfeld nach seiner Lehrzeit
bei der Firma Papendiek in Bremen seine
Militärzeit absolviert und war dann 2O-jährig in
das Unternehmen seines Onkels in Honolulu
eingetreten. Als Mitarbeiter der Konzernleitung
hatte er sich außerordentlich bewährt, sodass
er 1903 nach dem Tode von Paul Isenberg allein
verantwortlich die Unternehmensführung auf
Hawaii übernahm. Doch schon zuvor, 1888, heiratete
er eine Nichte von Paul Isenberg, Julita
Berkenbusch aus Pueblo in Mexiko. Aus dieser
Ehe sind die Töchter Julia und Marie-Dorothee
hervorgegangen. Aus den Überlieferungen ist
zu entnehmen, dass es außergewöhnlich hübsche
Damen gewesen waren.
Wie schon Heinrich Hackfeld, so pflegten
auch sein Schwager Johann Pflüger und Neffe
Johann Friedrich Hackfeld enge persönliche
Kontakte zu dem hawaiischen König Kamehameda.
So war es nicht ungewöhnlich, dass der
König mit seinem Gefolge schon morgens um
5.00 Uhr im Hause Hackfeld erschien, um einzukaufen
und sich beim Kaffeetrinken bedienen
zu lassen. Johann Friedrich Hackfeld war
zum Berater des Königs aufgestiegen und er
galt insgeheim als ..König von Honolulu". Selbst
Banknoten von Hawaii trugen den Namen
Hackfeld.
Auf dem Sterbebett liegend war es dem
König Kamehameda ein wichtiges Anliegen,
Heinrich Hackfelds Schwager Johann Pflüger zu
versichern, dass die vom Hause Hackfeld geliehene
Schuldsumme umgehend zurückgezahlt
werden würde. Johann Pflüger war inzwischen
zum Minister und bevollmächtigten Gesandter
des Königshauses von Hawaii aufgestiegen.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die königliche
hawaiische Armee vom Hause Hackfeld eingekleidet
wurde, wobei die Uniformen in der
Schneiderei Hering in Bremen - früher gegenüber
der Wallmühle - angefertigt wurden.
Fortan durfte sich die Uniformschneiderei
Hering mit dem Titel „Königlich Hawaiische
Hofschneiderei" schmücken. Übrigens, die
hawaiische Armee wurde von einem deutschen
Offizier ausgebildet. Ebenso wurde die Militär-
Musikkapelle von der Firma Hackfeld unterstützt,
denn auch die Musik spielte eine verbindende
Rolle zwischen den beiden doch so
unterschiedlichen Volksgruppen. So hat der
Potsdamer Kapellmeister Heinrich Berger von
1872 bis 1915 als Leiter der Royal Hawaiian
Band sich als Komponist engagiert, sodass ihn
die Königin Lili Uokalowi als ,.Vater der hawaiischen
Musik" bezeichnete, denn von ihm
stammt auch die Nationalhymne -Aloha He-.
Bis 1914 war die Firma Hackfeld das größte
Unternehmen im Südseeraum und noch heute
leben etwa 25000 Menschen rein deutscher
Abstammung auf Hawaii. Die Hackfeldsche
Firma hat in diesen Jahrzehnten vor Ausbruch
des l. Weltkrieges ihre größte Blüte erlebt.
Johann Friedrich Hackfeld war nicht nur im
geschäftlichen Leben, sondern auch in der
öffentlichen Begegnung in Honolulu eine
angesehene Persönlichkeit. Mit dem hawaiischen
Ehrenbürgerrecht ausgezeichnet, leistete
er durch seinen Einfluss für die Übernahme
der Inseln durch die Vereinigten Staaten wertvollste
Dienste. Im Sternbanner der USA nimmt
Hawaii den 50sten Platz ein.
Der Wert der von Johann Friedrich Hackfeld
geführten Firma wurde auf rund 18 Millionen
Dollar geschätzt.
Als Korrespondenzreederei der Firma Hackfeld
in Honolulu verschiffte die Firma Pflüger in
Bremen europäische, vorwiegend deutsche
Waren nach Hawaii. Die eigene Schiffstonnage
reichte nicht mehr aus, sodass fremde Segler
und Dampfer gechartert werden mussten. Von
der Stecknadel bis zur Lokomotive, Stoffe,
Bekleidung, Bier, Seife, Zement usw. gab es ja
kaum etwas, was nicht in den Schiffen der Firmen
Hackfeld und Pflüger verfrachtet worden
wäre. Darüber hinaus besaß man eigene Sägewerke
und Maschinen zur Bearbeitung von
Rohkaffee.
Der Nordbremer Schriftsteller Ulf Fiedler
schreibt in seinem Buch:
„Die Firma Hackfeld und Co. gründete Niederlassungen
in Kamschatka und Alaska, in der
Südsee und an vielen Plätzen der Welt. Der
Blumenthaler Kapitän Dallmann, selbst Ehrenbürger
von Hawaii, landete im Auftrag Hackfelds
als erster auf der Wrangelinsel an der sibirischen
Eismeerküste. Hackfeld selbst war Konsul
von Honolulu und hisste an Feiertagen in
Lesum die Flagge von Honolulu.“ Soweit Ulf
Fiedler.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass neben
der persönlichen Tüchtigkeit dieses Mannes
und die verwandtschaftlichen Verbindungen in
der Konzernspitze zahlreiche Menschen aus
Bremen und anderen deutschen Landen zum
Aufstieg und Erfolg des Hackfeldschen Unternehmens
beigetragen haben. Sowohl deutsche
Kaufleute, Handwerker und Landwirte haben
ihren beruflichen Weg hier gemacht. Pfarrer
und Lehrer aus Deutschland wurden gerufen,
um in dem von Hackfeld und Isenberg gestifteten
Gotteshauses zu predigen und in der Schule
zu lernen.
Johann Friedrich Hackfeld wurde auf Hawaiisch
„Hakapila“ und Johann Diederich Pflüger
wurde „Feluga“ genannt. Die Übersetzung von
Paul Isenberg ist mir nicht bekannt.
Und nun zur
entscheidenden Enteignung
Nach dem 1917 erfolgten Kriegseintritt der
Vereinigten Staaten von Amerika fand die
gesamte Geschäftsentwicklung ein jähes Ende.
Durch Beschlagnahme der in deutschen Händen
befindlichen Firmenanteile wurde der Verkauf
an ein amerikanisches Wettbewerbsuntenehmen
ermöglicht und gegen Ende des Krieges
durchgesetzt. Johann Friedrich Hackfeld
hat den Wandel nur aus der Ferne miterlebt,
denn er befand sich bei Kriegsausbruch in
Deutschland. Seine Frau Julita hielt sich mit den
beiden Töchtern bereits seit dem Jahre 1900
aus klimatischen und gesundheitlichen Gründen
in Bremen auf. Wäre Johann Friedrich
Hackfeld beim Umbruch in Honolulu gewesen,
hätte er an dem Ergebnis gewiss nichts ändern
können. Danach hat er Hawaii nie wieder betreten.
Der Prozess um die Eigentumserklärung hat
bis zum Beginn des 2. Weltkrieges gedauert,
verlief für die früheren Eigentümer jedoch
6 RUNDBLICK Frühjahr 2018
erfolglos. Der geringste Betrag an die späteren
Erben soll immerhin noch 150.000 DM betragen
haben. Johann Friedrich Hackfeld lebte als Privatmann
in Bremen.
Am 27. August 1932 verstarb er in Glotterbad
im Schwarzwald während einer Kur im Alter
von 75 Jahren. Er wurde im Familiengrab auf
dem Riensberger Friedhof beigesetzt.
In den überlieferten Schriftstücken wird er
als ein ruhiger und sachlicher Mann beschrieben,
dessen Charakter mit den Worten „vornehm
und ausgeglichen" beschrieben wird. Er
war sich seiner besonderen Stellung bewusst
und so heißt es „ohne dass er die eine Hand wissen
ließ, was die andere tat".
Sein Familienleben wird als vorbildlich beurteilt,
persönlich still, bescheiden und
anspruchslos. Nicht als Eigentümer, sondern als
Verwalter seines Vermögens fühlte er sich, so ist
zu lesen in seiner Biografie.
Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass er
seinen Reichtum teilte, sowohl die kirchlichen,
aber auch die bürgerlichen Einrichtungen
haben davon profitiert.
Johann Friedrich Hackfeld besaß kein Auto,
auch keine Kutsche, wie es früher üblich war.
Ein Glas Rotwein und eine Zigarre genoss er nur
bei besonderen Anlässen. Er war ein Freund
guter Musik und er schätzte besonders Männerchöre.
Dr. Prüser schreibt über Johann Friedrich
Hackfeld: „So steht ein Bild vor uns, das eines
untadeligen Menschen und eines wahren Christen
von echter Nächstenliebe"
Nun hatte ich berichtet, dass sich Johann
Friedrich Hackfeld bei Ausbruch des 1. Weltkrieges
bereits in Deutschland befand. Hier in
Bremen lebte die Familie in ihrem Haus in der
Parkallee, in Sommermonaten jedoch - von Mai
bis September - wohnte man in dem Sommerhaus
in St. Magnus. Dieses große, massive Haus
hinter der heutigen Kirche in St. Magnus, hatte
der Neffe des Unternehmensgründers um 1900
erbauen lassen. Nach einem Gespräch mit
Pastor Berger erfuhr ich, dass das bis zur Bahnlinie
reichende Grundstück eine Fläche von 42
Morgen einnahm und dort, wo sich jetzt die
Sommerhaus der Familie Johann Hackfeld hinter
der ev. Kirche in Bremen-St. Magnus. Das
Haus dient heute als Begegnungsstätte für
Senioren und die obere Etage wird als Jugendtreff
genutzt. Foto aus Privatbesitz
Sparkassenfiliale befindet, standen große
Gewächshäuser. Vor seinem Sommersitz in St.
Magnus hatte Konsul Hackfeld einen Fahnenmast
setzen lassen, der von Hawaii stammte und
so lang war, dass er hinter dem Schiff hergezogen
werden musste. An den Festtagen wurde
dann die Flagge von Hawaii gehisst.
Ein Blitzschlag hat dem Fahnenmast ein
jähes Ende bereitet. Dieser Sommersitz hatte
damals die Bezeichnung „Tannenhof“ in
Neuschönebeck.
Heinrich Hackfeld, nun wieder zurück zum
Gründer des Unternehmens, hat trotz seiner
Erfolge und seines märchenhaften Reichtums
nie seine Heimat und seine ärmliche Kindheit
vergessen. So wurde seinem Wunsche entsprechend
von seinem Vermögen - ein Jahr nach seinem
Tode - 1888 in Ganderkesee der „Hackfeldsche
Marienfonds" gegründet. Bis heute waren
aus den Zinserträgen Stipendien für besonders
begabte Jugendliche evangelisch-lutherischer
Konfession gewährt, um ihnen eine über den
Hauptschulabschluss hinausgehende Ausbildung
zu bieten. Die Witwe des verstorbenen
Heinrich Hackfeld und der Neffe haben das
Stiftungskapital von 75.000 Mark dem Kuratorium
unter der Oberaufsicht der ,,Großherzoglichen
Commission für Verwaltung" übergeben.
Allerdings stellte das Kuratorium in einer Sitzung
am 16. Januar 1956 fest, dass nicht mehr
viel zu verwalten war. An dieser Sitzung nahmen
der Ganderkeseer Bürgermeister, der evangelische
Ortspfarrer und der Rektor der Volksschule
teil. Der stolze Betrag von 75.000 Mark
war auf 3.200 DM zusammengeschmolzen.
Inzwischen ist der „Hackfeldsche Marienfonds"
wieder aufgefüllt worden auf etwa 35.000 Euro,
obwohl der Ganderkeseer Gemeinderat 1956
vor der Frage stand, die Stiftung aufzulösen.
Interessant noch zu erwähnen, dass der Stiftungszweck
sich insbesondere an Knaben richtete,
um ihnen eine weiterführende Ausbildung
als Lehrer, Pfarrer, Arzt, Tierarzt oder ähnliches
zu ermöglichen.
In Erinnerung an die Leistungen und Verdienste
der Familie Hackfeld sowie an Paul Isenberg
und an Johann Carl Diederich Pflüger hat die
Die heutige Ansicht des ehemaligen Sommerhauses
der Familie Johann Friedrich Hackfeld in
Bremen-St.Magnus
Foto aus Privatbesitz
Stadt Bremen mit den folgenden Straßenbenennungen
den hier beschriebenen Persönlichkeiten
ein bleibendes Denkmal gesetzt. In St.
Magnus ,,An Hackfelds Park" (Lt. Senatsbeschluss
vom 26.11.1979) und in Schwachhausen
„Hackfeldstraße", „Isenbergweg" und „Pflügerweg".
An der Contrescarpe 101 eröffnete der Bremer
CVJM im Jahre 1928 sein eigenes Vereinshaus.
Dieses villenartige Gebäude wurde allerdings
im 2. Weltkrieg zerstört. Schon die
Namensgebung des 1955 errichteten Konsul -
Hackfeldhauses in der Birkenstraße macht
deutlich, dass sich der Bremer Jugendverein der
Familie Hackfeld noch nach langen Jahren verpflichtet
fühlt.
Johann Friedrich Hackfeld hat dem Bremer
CVJM für den Kauf des ersten Vereinshauses die
beachtliche Summe von 30.000 Mark zur Verfügung
gestellt. Später sind dem Bremer CVJM
weitere 25.000 Mark zugeflossen. Gewiss hatte
auch Marie Gesine Hackfeld ihre wohltätige
Hand dabei und dieses jugendfördernde Projekt
zustimmend begleitet.
Das „Haus an der Weser" der Bremer Heimstiftung
ist der Nachfolgebau des im Jahre 1890
von Johann Friedrich Hackfeld auf den Rönnebecker
Weserklippen. Zuvor gehörte das Anwesen
einem Zöllner. Während der Sommermonate
wurden in dem erheblich vergrößerten
Haus Bremer Kinder im Wechsel von 6 bis 8
Wochen zur Erholung hier aufgenommen.
Bezugnehmend auf die Inselgruppe im Pazifik,
zu der auch Hawaii gehörte, und auf der das
Hackfeld-Unternehmen große Plantagen
besaß, übertrug der Mäzen Hackfeld den
Namen der Sandwichinseln auf dieses Haus als
„Sandwichheim". Übrigens: J.F. Hackfeld war
daran interessiert, die Sandwichinseln als deutsches
Kolonialgebiet zu gewinnen, doch die
Amerikaner waren dagegen und Bismarck ließ
das entsprechende Schreiben unbeachtet in
seinem Schreibtisch liegen. So wurde nichts
daraus.
Marie Gesine Hackfeld
hat durch großzügige
Schenkungen in Bremen
Spuren hinterlassen
Gehen wir nochmal zurück zu Heinrich
Hackfeld, dem 1887 verstorbenen Gründer des
Unternehmens und seiner dreißig Jahre später
verstorbenen Ehefrau Marie Gesine. In den Jahren
1888 bis 1909 wurde der Bremer Dom
umfangreich restauriert. In dieser Zeit wurden
auch die beiden großen metallenen Domtüren
an der Westfront angefertigt und mit biblischen
Szenen des Alten und Neuen Testaments versehen.
In Erinnerung an ihren verstorbenen Mann
hat Marie Gesine Hackfeld die Finanzierung der
Türen übernommen, wobei der Bronzeguss der
linken Seite der rechten Tür das Bildnis einer
knienden Frau vor dem segnenden Christus
zeigt. Im oberen Feld sieht man einen Landmann
mit einem Pflug. Beide Motive zeugen
von einer Verbindung zu der Familie Hackfeld.
RUNDBLICK Frühjahr 2018
7
Auf dem Lesumer Friedhof an der Bördestraße
befindet sich links vom Ehrenmal ein
schlichtes kurzes Holzkreuz zur Erinnerung an
die im 1. Weltkrieg vermissten Soldaten.
Und im Turmzimmer der evangelischen St.
Martini Kirche zu Lesum hängt ein großes Christusbild,
das vor etlichen Jahren als Altarbild im
großen Kirchenraum seinen ursprünglich vorgesehenen
Platz hatte. Es ist die Arbeit der
Burgdammer Malerin Elisabeth Rapp, die auch
ihrer vielen Katzen wegen als Katzenmutter
bekannt war. Sie wurde unterstützt von Marie
Gesine Hackfeld, die das Bild in Auftrag gegeben
hatte. Das zuvor beschriebene Vermisstenkreuz
auf dem Lesumer Friedhof geht ebenfalls
auf die Initiative der Frau Hackfeld zurück.
Die Witwe Marie Gesine Hackfeld erwarb
1888 einen Sommersitz in Lesum am heutigen
„Admiral-Brommy-Weg". Die 1870 erbaute Villa
war ihres Aussehens wegen im Volksmund als
„Kaffeemühle" bekannt. Die Familie Drettmann
als späterer Besitzer hat das Haus 1933
abreißen und durch einen Neubau ersetzen lassen,
der danach von der Familie des Barons
Uslar von Gleichen als Wohnsitz diente.
Nun sind an vorheriger Stelle die von Marie
Gesine Hackfeld gestifteten Domtüren erwähnt
worden. Dabei bietet es sich an, die schöne
Rokokofassade des so genannten Pflügerschen
Hauses am Bremer Marktplatz in die Betrachtung
mit einzubeziehen. Heute hat die Sparkasse
wohl ihre schönste Filiale dort eingerichtet.
Der Schwiegervater von Heinrich Hackfeld
kaufte im Jahre 1836 das für den Ratsherrn und
Weinhändler Georg Hoffschläger 1755 erbaute
Haus, welches sich an der Schlachte befand und
die Hausnummer 31 B trug. Anfang der 20er-
Jahre des letzten Jahrhunderts wurde das
Gebäude unter Verwendung der Rokokofassade
von dem Architekten Albert Dunkel neu gestaltet.
Das Haus brannte 1944 nach einem Luftangriff
aus, doch die schöne Fassade wurde geborgen
und 1958 für den Neubau der Sparkassenfiliale
Ecke Langenstraße-Marktplatz wieder
verwendet. Friedrich Pflüger war nicht nur
Schiffsmakler, sondern er soll auch eine Gaststätte
in dem Gebäude betrieben haben und
auf der Weser hatte er ein kleines Fährboot liegen.
Nach meinem Hackfeld-Vortrag beim Seniorenkreis
der evangelischen Kirchengemeinde
in St. Magnus in dem ehemaligen Hackfeldschen
Sommerhaus bekam ich von August
Rohlfs eine Bassumer Jubiläumsschrift. Darin
wurde berichtet, dass der Bruder der Marie
Gesine Hackfeld - Georg Pflüger - 20 Jahre von
der Bassumerin Fräulein Schlu in ihrem Hause
aufopferungsvoll gepflegt worden ist. Er verstarb
am 8. März 1900 siebzigjährig. Die Bremer
Konsulswitwe und Schwester des Verstorbenen
wollte sich im Nachhinein erkenntlich zeigen,
doch die Pflegerin Agnes Schlu hatte nur einen,
aber großen Wunsch, Geld für ein in Bassum zu
errichtendes Krankenhaus. Marie Gesine wollte
30.000 Goldmark zur Verfügung stellen, aber
nur unter der Bedingung, dass das Krankenhaus
bis zum 1. Mai 1903 in Betrieb genommen werden
würde und zweitens, dass es groß genug
wäre für ein Einzugsgebiet von 1.000 Menschen.
In einer Bremer Zeitung war am 15. Dezember
2003 zu lesen: „Das Bassumer Krankenhaus
ist heute hundert Jahre alt. Am Wochenende
wurde das Jubiläum im kleinen Kreis gefeiert.
Die Stadt Bassum benannte eine Straße nach
Marie Hackfeld, die mit 30.000 Goldmark
damals den finanziellen Grundstock für dieses
Haus gelegt hatte. Bürgermeister Wilhelm Baker
enthüllte das Namensschild der spendablen
Bürgerin." Während einer Halbtagesfeier des
Lesumer Heimatvereins am 26. Mai 2003 zur
Besichtigung des Damenstifts in Bassum führte
mich anschließend mein Weg zum nahe gelegenen
Krankenhaus. Das 1903 erbaute Haus musste
im Jahre 1983 einem Neubau weichen. Von
dem ehemals mit 20 Betten ausgestatteten
Krankenhaus konnten mir von dem Verwaltungsleiter
Herrn Feldmann lediglich zwei
Ansichtskarten ausgehändigt werden. Die dienen
nun als Bereicherung meiner Dia-Serie und
die kopierten schriftlichen Unterlagen runden
das Bild über die Familie Hackfeld ab.
Bleibt noch zu erwähnen, dass das Delmenhorster
Kreisblatt im Mai 1998 berichtet hat,
dass sich im Bremer Bürgerpark eine Marie
Hackfeld-Brücke befindet. So schön es auch
wäre, doch diese Meldung stimmt nicht!
Die Enkeltöchter der Eheleute Johann Friedrich
und Julita Hackfeld, Gisela Grabenhorst
aus Schwachhausen und Ruth Nagel aus Schönebeck,
waren vor Jahren Gäste in meinem
Freundeskreis beim Bremer CVJM. Ihnen danke
ich für einen Teil der Informationen, ebenso
dem Ehepaar Gisela und Heinz Hackfeld aus
Bremen-Aumund. Gisela Grabenhorst sagte:
„Unser Großvater hat darauf hingewiesen, dass
der Wohlstand nicht selbstverständlich sei, und
sie könne sich nicht daran erinnern, dass er viel
Autorität besaß."
Der Bremer Professor Leuthold sagte abschließend
in einem Zeitungsbericht, dass sich Bremens
historischer Ruf und Unternehmenskultur
auf Persönlichkeiten wie Hackfeld und Pflüger
stützen und heute gebe es auf Hawaii noch
Spuren des ehemaligen Weltunternehmens
Hackfeld.
Abschließend äußere ich meine Hoffnung,
dass das Bremer CVJM-Gebäude aus gutem
Grund noch lange die Bezeichnung „Konsul -
Hackfeld-Haus" tragen möge. Mein Dank gilt
Gisela Grabenhorst, Ruth Nagel, Pastor Berger
und August Rohlfs für die nützlichen Informationen.
Rudolf Matzner
Das ehemalige Isenbergheim in der Bremer Kornstraße
8
Foto: R. Matzner
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Paul Isenberg, 15. April 1837-16. Januar 1903
Foto: R. Matzner
Nachtrag: Der Zuckerfabrikant
Paul Isenberg
Wenngleich Paul Isenberg nicht unmittelbar
zur Hackfeldfamilie zuzurechnen ist — wie etwa
Carl Diederich Pflüger - so hat er doch in der
Hackfeldschen Konzernspitze eine führende
Position eingenommen. Heinrich Hackfeld
hatte das große Glück, in seiner Personalpolitik
verantwortungsbewusste und fleißige Fachleute
um sich zu scharen, die den Erfolg des
Unternehmens maßgeblich beeinflusst haben.
Nun ist Paul Isenberg in diesem Aufsatz zwar
erwähnt worden, doch die späteren Stiftungen
dieses Mannes und seiner Frau Beta, geborene
Glade, sind der Anlass, den Weg und die Verdienste
der Isenbergs etwas ausführlicher in
diesem Nachtrag zu beschreiben:
Das große Bremer Lexikon von Professor Dr.
Herbert Schwarzwälder gibt zu diesem Thema
folgende Auskunft:
„Isenberg, Paul: Zuckerfabrikant, geboren am
15. April 1837 in Dransfeld, gestorben am 16.
Januar 1903 in Bremen.
Isenberg, Beta: geboren am 12. Mai 1846 in
Bremen, gestorben am 10. März 1933 in Bremen.
Paul Isenbergs Vater war Pastor zu Dransfeld,
später Superintendent in Wunstorf; der Sohn
besuchte das Realgymnasium in Braunschweig
und ging 1858 zur Ausbildung als Landwirt
nach Hawaii, wo er zunächst Verwalter auf einer
Vieh-Ranch, dann auf einer Zuckerplantage
wurde. 1861 heiratete er die Tochter des
Eigentümers der Plantage und übernahm nach
einigen Jahren deren Verwaltung. 1867 starb die
Frau von Paul Isenberg. In dieser Zeit knüpfte er
Beziehungen zu Heinrich Hackfeld an, der auch
im Zuckergeschäfl tätig war. 1869 schloss Paul
Isenberg eine zweite Ehe mit Beta Glade, Tochter
eines Bremer Kramers. 1878 zog das Paar
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Beta Isenberg, 12. Mai 1846-10. März 1933
Foto: R. Matzner
nach Braunschweig, 1879 nach Bremen und
bezog das Haus Contrescarpe Nr. 3, das 1912
dem Bau des Schauspielhauses weichen musste.
1881 wurde Paul Isenberg Teilhaber, 1889 Leiter
der Zuckerfabrik Heinrich Hackfeld & Co. Nach
dem Tode von Paul Isenberg (1903) blieb die
Firma in der Hand der Familie. Die Witwe, Beta
Isenberg, zog 1912 in das große Haus Contrescarpe
Nr. 19. Sie setzte die Großherzigkeit ihres
Mannes fort. Er hatte vor allem dem Ellener Hof,
einer Erziehungsanstalt für Knaben, mehrfach
Spenden überwiesen. In seinem Todesjahr gingen
100.000 Mark an die Paul-Isenberg-Stiftung,
deren Zinsen dem Ellener Hof zur Verfügung
standen. Beta Isenberg war zudem Vorsitzende
des „Vereins für eine Zufluchtstätte für
Frauen und Mädchen". Nach zwei Provisorien
wurde 1914/15 nach den Plänen der Architekten
Abbehusen und Blendermann ein Haus an
der Kornstraße 209-211 gebaut, für das Beta
Isenberg 100.000 Mark stiftete. In ihm wurde
ein Kinderheim eingerichtet, das den Namen
„Isenberg-Heim" erhielt.
Im 1. Weltkrieg ging das Isenberg-Vermögen
auf Hawaii verloren, nach dem Kriege schmolz
das Geldvermögen durch die Inflation zusammen.
Die Isenberg-Stiftung (Ellener Hof) wurde
1966 aufgelöst. Das Haus an der Contrescarpe
Nr. 19 dient heute dem Institut Francais.
Das Isenbergheim an der Kornstraße wurde
1915 fertiggestellt und nahm nach Kriegsbeginn
Kriegswaisen auf, auch wurden
Angehörige von Gefallenen betreut. Seit 1933
nur Kinderheim. Im 2. Weltkrieg war das Haus
überfüllt mit Töchtern von Soldaten und
Rüstungsarbeiterinnen. Oft mussten Hausbewohner
in Dörfer der Bremer Umgebung
umquartiert werden. Nach 1945 nur Mädchenheim.
1950 wurde das Gartenhaus für 22 weibliche
Lehrlinge ausgebaut. Das Heim ging 1960
an die Innere Mission, wurde 1978 als
Mädchenheim aufgegeben und in einen
„beschützenden Wohnraum für ältere Männer
mit besonderen sozialen Problemen" umgewandelt.
Aus ärmlichen Verhältnissen aufgestiegen,
wurde Paul Isenberg auf Hawaii als „Zuckerkönig"
angesehen. Der Bau einer großen Raffinerie
- so hoffte er - würde ihn zum „Kaiser" der
Hawaiischen Zuckerindustrie machen. Der Lauf
des Schicksals nahm jedoch seine Wendung.
1881 entwindet Johann Carl Pflüger mit
Unterstützung von Paul Isenberg dem Zuckerkönig
Claus Spreckels die Herrschaft über die
hawaiischen Zuckerrohrpflanzer, die sich nun
dem Hackfeld-Unternehmen anschließen.
Und damit enden meine Aufzeichnungen
über den märchenhaften Aufstieg der Familien;
man könnte auch sagen, Geschichten, die das
Leben schrieb. - Dabei habe ich auch berichtet
von einer Inselgruppe in der Südsee, die etwa
16.000 km und rund dreißig Flugstunden von
Bremen entfernt ist, und dennoch gab es durch
Bremer Kaufleute enge Verbindungen zu unserer
alten Hansestadt Bremen.
Es ist wahrlich:
eine Insel aus Träumen geborgen!
Rudolf Matzner
Weitere benutzte Quellen:
Aufzeichnungen von Prof. Dr. Alexander Pflüger,
Bonn 1932
Aufsatz von Dr. Prüser, Bremen
Buch „Bremische Landgüter" Dr. Stein, Bremen
Sonderdruckbuch „Bremische Biografie 1912-
1962"
Archiv des Bremer CVJM
Lesumer Heimatbuch, G. Schmolze
Eigenes Zeitungsarchiv
Hauszeitung der Bremer Heimstiftung
‘n beten
wat op Platt
Redensarten unserer
engeren Heimat
Wenn de Bottern all is, hett dat Smären `n
Enne.
Achtern Barg ward ok Botterkoken backt.
De ruugsten Fohlen weerd de besten Peer.
Gegen `n Foor Mest kann`n nich anstinken.
Wenn de Göös` Water seht, denn wüllt se
supen.
Keen dat Letzte ut`n Kroog nimmt, den
fallt de Deckel op`r Näs.
De Fulen drägt sick doot, de Fliedigen loopt
sick doot.
(Aus „Plattdüütsche Lüde – gistern un
hüde“, 1962)
Peter Richter
9
Erinnerung an die ehemaligen Burglesumer
"Mühlenbach Lichtspiele"
Schaut man heute ins aktuelle Bremer Branchen-Telefonbuch,
dann findet man Eintragungen
von nur noch sieben Kinos. Das ist eine
unvorstellbar geringe Anzahl im Vergleich zu
den Lichtspielhäusern in der Zeit der 60er- und
7Oer-Jahre des letzten Jahrhunderts. Man
konnte früher davon ausgehen, dass jeder
Stadtteil zumindest über ein Kino-Theater verfügte.
Das Fernsehen hat als Heimkino zahlreiche
Kinos verdrängt und die wenigen noch
erhaltenen, und insbesondere die neu hinzugekommenen
Spielstätten, sind an Ausstattung
und Technik enorm verbessert und modernisiert
worden. Dazu passend sind dann auch die
zunächst ungewohnten Namen zu lesen, wie
Cinemaxx, CineStar, Kristal-Palast, wobei die
Schauburg noch an alte Zeiten erinnert.
Das bekannteste Vergnügungslokal dieser Art
in Burglesum befand sich an der Kreuzung Hindenburgstraße/Bremer
Heerstraße, dort wo später
das Jugendheim entstand. Lange Jahre als
"Mühlenbach Lichtspiele" bekannt und hier
gegenüber steht auch heute noch das Gasthaus
"Stadt London". Nach mehrmaligem Pächterwechsel
ist nun ein asiatisches Speiselokal dort
eingezogen.
Eigenartigerweise wurde in einem Zeitungsbericht
von 1979 auch dieses Kino als "Stadt
London" bezeichnet. Es ist wirklich unverständlich,
wie der Schreiber vor 35 Jahren auf diese
irrtümliche Bezeichnung hereingefallen ist. Der
Name "Mühlenbach Lichtspiele" ist zurückzuführen
auf die ehemals hier gestandene Blendermannsche
Mühle. Im Volksmund wurde sie
auch die Untermühle genannt.
In meinem Aufsatz vom September 2O14
über "Hillmanns Hotel und die familiäre Verbindung
nach Burgdamm" hatte ich aus der Familienchronik
berichtet, dass der Bruder des Bremer
Hoteliers Johann Heinrich Hillmann, der i.J.
1796 geborene Johann Carl Hillmann, 1831
nach Lesum gezogen ist. In der Sterbeurkunde
wurde er als Halbhöfner und Posthalter
bezeichnet. Es ist nicht überliefert, ob Johann
Carl Hillmann auch der Bauherr war und es ist
auch nicht bekannt, wann dieses günstig gelegene
Haus erbaut worden ist. Zumindest weiß
man, dass in diesem Haus von 1862 bis 1911 sich
die Königlich Hannoversche Posthalterei
befand, die von Johann Carl Hillmann verwaltet
wurde.
Interessanterweise war am Ostgiebel des
Gebäudes ein steinerner Reichsadler zu sehen,
der beim Abbruch des Hauses 1979 in drei Teile
zerbrach. Die Vegesacker Post war sehr darauf
bedacht, das vermeintliche Postwappen zu bergen
und im Keller des Verwaltungsgebäudes zu
lagern. Nachforschungen haben ergeben, dass
es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den
Reichsadler des neuen deutschen Reiches handelt.
Wie auch immer; die Post betrachtete das
Wappen als ihr Eigentum und so sehen wir die
steinerne Erinnerung an die ehemalige Burgdammer
Post heute unter einer Glaswand links
vom Eingang zum Postgebäude an der Schafgegend.
Sollte es als historisches Andenken
gedacht sein, dann wirkt das über ein Meter
hohe Wappen doch recht verloren an dieser
kaum beachteten Wand.
Doch zurück zu den früheren "Mühlenbach
Lichtspielen" In den unteren Räumen des Hauses
befand sich eine Gaststätte mit Namen
"Zum Tunnel". Eigentlich waren es ausgebaute
Kellerräume, die wegen ihrer Gemütlichkeit
nicht nur von den Einheimischen sehr geschätzt
wurden. Es ist berichtet worden, dass sich im
Haus auch ein Saal für Tanzvergnügen und Ausstellungen
anbot und selbst der Radfahrverein
zeigte hier seine akrobatischen Kunststücke.
Darüber hinaus gab es an der seitlichen Außenfront
des Hauses einen schönen Freiluftbereich,
der als "Thielbars Sommergarten" bekannt war.
Es war nicht zu ermitteln, wann die
"Mühlenbach Lichtspiele" ihren Betrieb aufnahm,
wohl aber, dass es ein gut florierendes
Unternehmen gewesen sein muss. Der Inhaber
Gauert habe als Filmbegleiter die Besucher mit
Ansichtskarte von 1909. Rechts das Schild Postamt.
Foto: Archiv R. Matzner
10 RUNDBLICK Frühjahr 2018
seiner Geige unterhalten. Kurz nach dem Zweiten
Weltkrieg waren in diesem Kino die schönsten
Filme mit Marika Rökk zu sehen. Eine
besondere Anziehungskraft hatte der Film
"Moulin Rouge" Es ist doch erstaunlich wenn
man erfährt, dass die verschiedenen Veranstaltungen
mit der jeweilig passenden Dekoration
schon im Vorraum eingeleitet wurden. So wurden
z.B. bei der Aufführung des Filmes "Grün
ist die Heide", die Zuschauer schon im Theatervorraum
zur Einstimmung mit Birkengrün und
Heidekraut als Wandschmuck begrüßt.
Die Kinoveranstaltungen hatten dann im
Laufe der Zeit an Attraktivität verloren.
Zunächst versuchte man durch Kinderfilme den
Betrieb aufrechtzuerhalten und als letzte
Anstrengung wurde den männlichen Besuchern
die ersten gewagten Pornofilme angeboten.
Heute würden wir darüber laut lachen, doch
Sitte und Anstand wurden beachtet und jeder
Zuschauer wurde angehalten, sich namentlich
in ein großes Anwesenheitsbuch am Saaleingang
einzutragen. Die Kinobesucher trugen
sich mit den unmöglichsten Namen ein, von
Schauspielern, Wissenschaftlern und sogar mit
Namen ehemaliger Naziführer und dergleichen.
Etwa 1976 wurde der gesamte Gebäudekomplex
von der Stadtgemeinde aufgekauft, um die
Straßenführung dem Verkehr anzupassen und
letztlich um Platz zu gewinnen für das Jugendfreizeitheim.
Eine Abbruchfirma aus Farge hatte dafür
gesorgt, dass nur noch die Erinnerung bleibt.
Quellenangabe:
U. Ramlow. Burglesum 1860-1945
A. und G. Schmölze. An der Lesum
Eigenes Zeitungsarchiv
Gespräche mit Zeitzeugen
Rudolf Matzner, Januar 2O16
Ein Haus voller Geschichten wurde um 1979
abgerissen. Früher befanden sich in dem
Gebäude das Kino „Mühlenbach Lichtspiele“,
die Posthalterei, ein Friseurgeschäft, eine Gaststätte
mit Saal und ein Sommergarten.
Foto: Archiv R. Matzner
Sommergarten, Burgdamm am Mühlenbach.
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Foto: Archiv R. Matzner
11
Ein Gnadenhof für Störche
Die Storchenstation in Berne, Ortsteil Glüsing
Störche Collage
Foto: Maren Arndt
In Berne in der Wesermarsch, Ortsteil Glüsing,
gibt es eine Auffangstation für verletzte
Störche. Udo Hilfert gründete diese Station
1992 auf seinem Grundstück in Privatinitiative.
Seitdem kümmert sich die ganze Familie Hilfers
um Störche. Es hat sich herumgesprochen, aus
der gesamten Region werden verletzte Störche
nach Berne gebracht. Die Station ist eine vom
Land Niedersachsen anerkannte Storchenpflegestation,
dauerverletzte Störche findet dort
eine Bleibe auf Lebenszeit.
2017 hatte Familie Hilfers mehrere Gründe
zum Feiern. Die Storchenstation hatte 25-jähriges
Jubiläum, der gemeinnützige Verein bestand
seit 10 Jahren und feierte sein 1000. Mitglied.
Zudem war 2017 in der Wesermarsch ein wirklich
erfolgreiches Storchenjahr, trotz des nassen
Sommers. Laut Udo Hilfers brüteten 128 Storchenpaare
und zogen 312 Junge groß.
Die weitläufige Wiesenlandschaft mit einem
großen Nahrungsangebot ist wohl mit ein
Grund dafür, dass sich in der Wesermarsch eine
regelrechte Storchenkolonie gegründet hat.
Ausgewilderte, gesunde Störche kehrten im
Frühling aus dem Süden zurück und bauten
neue Nester. Allein die dauerhaft in der Pflegestation
lebenden Störche zogen im vergangenen
Sommer 45 Küken groß, die beringt wurden
und ausflogen. Viele davon werden zurückkehren
nach Berne. Das wäre ohne menschliche
Hilfe und Unterstützung nicht möglich gewesen.
Die Wesermarsch ist ein Schwerpunktgebiet
für Weißstörche in ganz Niedersachsen.
Leider richtete Orkan Xavier großes Chaos in
der Storchenstation an. Bäume mit den zentnerschweren
Storchennestern knickten um. Die
Orkanböen wirbelten zentnerschwere Nester
durch die Luft, dicke Äste, auf denen Nester
gebaut waren, brachen ab. Insgesamt 16 Nester
gingen verloren. Im Laufe der Jahre trugen die
Störche unglaubliche Mengen an Nistmaterial
zusammen, all das lag nach dem Orkan zerstört
auf der Erde. Viel Arbeit für die Betreiber der
Station und es muss schnell gehandelt werden,
denn im Januar schon kehren die ersten Störche
zurück. Störche sind standorttreu und
Familie Hilfers ist nun mit Freunden, Vereinsmitgliedern
und Unterstützern dabei, neue
Nistmöglichkeiten zu schaffen.
Besucher sind auf der Storchenstation gern
gesehen. Es stehen Bänke bereit, man kann sich
Zeit nehmen für die Beobachtung der Störche.
Blumen und Gartenfreude finden ein buntes
Ambiete vor, im Sommer blüht es in allen Farben
im Garten der Hilperts. Ein Besuch dort ist
gratis, Spenden sind willkommen, ganz besonders
jetzt, da der Orkan soviel zerstört hat. Anke
und Udo Hilfers bieten für Besuchergruppen
Führungen an, die etwa eine Stunde dauern
und nach vorheriger Anmeldung stattfinden.
Der Besucher lernt dabei viel Wissenswertes
über Störche und die Arbeit in der Station. So
erfährt der Besucher u.a., dass Hilfers die Nester
vor jeder Brutsaison reinigt. Störche bauen
auch allerlei Müll und Plastik in ihre Nester ein.
So verhindert Plastik zusätzlich zu der verbauten
Lehmsilage in den Nestern, dass das Regenwasser
ablaufen kann. Der Nestboden wird wasserundurchlässig
und hart wie Beton. In kalten
und nassen Sommern ist das verheerend für
den Storchennachwuchs. Das Gelege kühlt aus,
die Eier sterben ab und Jungstörche erfrieren.
Sehr wichtig ist also auch die jährliche Reinigung
und Instandsetzung der vorhandenen
Nester. Auch Kunststoffnetze und Taue können
Altvögeln und größeren Küken gefährlich wer-
12 RUNDBLICK Frühjahr 2018
den, sie verheddern sich und strangulieren sich
damit. Das passiert ebenso in der berühmten
Basstölpelkolonie auf Helgoland, wo sich regenmäßig
Tölpel in zerfetzten Fischernetzen strangulieren.
Gefahren drohen aber nicht nur im Nest. Kollisionen
mit Windkrafträdern zum Beispiel können
zu schwersten Verletzungen führen. In
Osterholz Scharmbeck wurde eine Störchin aus
dem Nest im Ortsteil Buschhausen durch ein
nahes Windkraftrad so schwer verletzt, dass
auch Udo Hilfers dem Vogel nicht mehr helfen
konnte, die Störchin musste eingeschläfert werden.
Gerettete Tiere werden im Freigehege der
Auffangstation gesund gepflegt und möglichst
wieder ausgewildert. Diejenigen ohne Chance
auf ein Überleben in der freien Wildbahn bleiben
für immer und bekommen aber auch dort
die Chance, gesunden Nachwuchs aufzuziehen.
Störchen ist ihr Zugverhalten angeboren, Jungstörche
sammeln sich und ziehen im großen
Verbund schon einige Wochen vor ihren Eltern
gen Süden. So ist es möglich, dass auch die in
Gefangenschaft geborenen Jungvögel erfolgreich
ausgewildert werden. Manche Störche
leben allerdings schon 20 Jahre mit ihrer jeweiligen
Behinderung in der Station.
Auch im Landkreis Osterholz ist die Anzahl
der brütenden Störche in den letzten Jahren
gestiegen. Allein im Tiergarten Ludwigslust sind
jährlich mindestens 2 Storchennester besetzt,.
Wildstörche, von denen vielleicht der eine oder
der andere Vogel das Licht der Welt in Berne
erblickt hat. Ein Junges aus Ludwigslust fiel im
vergangenen Jahr aus dem Nest und kam verletzt
und auf einem Auge blind nach Berne, wo
er gesund gepflegt wurde. Wegen seiner Sehbehinderung
wird er dort auch bleiben auf dem
Gnadenhof für Störche.
Maren Arndt Udo Hilfers Foto: Maren Arndt
Hunger Foto: Maren Arndt Mutter bringt Futter Foto: Maren Arndt Storchenstation Foto: Maren Arndt
Storchenstation Foto: Maren Arndt Im Apfelbaum Foto: Maren Arndt
RUNDBLICK Frühjahr 2018
13
Vor 100
Jahren…
Heimat-Rückblick:
Wie sich der Erste Weltkrieg in der
hiesigen Presse widerspiegelt
„Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!
Es lebe der Massenstreik!“ Mit diesen
Parolen ruft der Spartakusbund in Berlin im
Frühjahr 1918 zum Streik auf und fordert ein
Ende des Krieges. Rund 200 000 Arbeiter folgen
diesem Aufruf. Im gesamten Reichsgebiet und
auch in Österreich beginnen Massenstreiks.
Doch das Militär greift ein, die Streiks brechen
zusammen, der sehnlichste Wunsch der Menschen
nach Frieden erfüllt sich nicht. Aber auch
an der Front nimmt die Ernüchterung zu: Die
Begeisterung ist geschwunden, die Moral sinkt
auf den Nullpunkt.
Divisionskommandeure werfen der Heeresführung
vor, dass die Truppe trotz der Verluste
keinen einsatzfähigen Nachschub mehr erhält.
Mittlerweile werden sogar Munitionsarbeiter
nach einer Kurzausbildung an der Front eingesetzt.
Auch die Hochseeflotte in Wilhelmshaven
und Kiel meutert. Die Marinesoldaten weigern
sich, weiter zu aussichtslosen Seegefechten
auszulaufen und sich ohne Aussicht auf Erfolg
zu opfern. Aber noch ist kein Ende des Krieges
in Sicht…
Arbeitskräfte für die Landwirtschaft
– Verschickung
von Kindern
Nach dem Ende eines wieder einmal strengen
Winters soll die Vorbereitung der Äcker für die
Frühjahrsbestellung beginnen, um die notwendige
Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.
Dies erweist sich jedoch als problematisch,
fehlen vor allem dafür die Männer, die an der
Front Kriegsdienst leisten müssen. Schon im
Januar hatte die Reichsregierung deshalb Vorsorge
getragen. In einer entsprechenden
Bekanntmachung der Kreisverwaltung Osterholz
teilt Landrat Dr. Becker mit:
„Bei dem bekannten, in diesem Frühjahr
infolge vermehrter Einziehung noch verschärften
Arbeitermangel hat das Kriegswirtschaftsamt
schon jetzt mit dem deutschen
Industriebüro in Brüssel persönlich Fühlung
aufgenommen und erreicht, daß ihm eine
größere Anzahl tüchtiger Arbeitkräfte, die
landwirtschaftliche Erfahrungen besitzen,
garantiert sind, wenn die festen Bestellungen
bis Anfang Februar vorliegen. Es handelt sich
zunächst um 2 000 Mädchen und 500 Männer,
die zu folgenden Bedingungen abgegeben werden
sollen.“ Darauf folgt eine detaillierte
Beschreibung des Verfahrens, wie eine solche
„Bestellung“ zu formulieren ist.
Unter dem fortdauernden Mangel an ausreichender
Ernährung leiden die Kinder besonders.
Vor allem die in den Städten wohnenden Kleinen
sollen nun durch einen Aufenthalt „auf
dem Lande“ wieder zu Kräften kommen. Im
April wendet sich deshalb die Kreisverwaltung
an die Bevölkerung mit einer nachdrücklichen
Bitte: „Die in den Großstädten und Industriebezirken
unvermindert fortbestehenden
Ernährungsschwierigkeiten zwingen dazu, auch
in diesem Jahre eine umfangreiche Verschickung
von Kindern auf das Land in Aussicht
zu nehmen. Dank der Opferfreudigkeit der
Landbevölkerung konnten im vergangenen
Sommer mehr als eine halbe Million Kinder die
Wohltat eines Landaufenthaltes genießen und
im Herbst an Leib und Seele gestärkt in ihre
Heimat zurückkehren.
In diesem Jahr soll die Aufnahme schon vom
Monat Mai ab bis auf weiteres, möglichst aber
auf die Dauer von 3 bis 4 Monaten erfolgen,
damit eine, für die Kinder so dringend notwendige,
nachhaltige Erholung erreicht werden
kann.“ Landrat Dr. Becker hofft auf große Resonanz
und Bereitwilligkeit der ländlichen Bevölkerung
und ergänzt: „Es handelt sich bei der
Aufnahme der Kinder um ein vaterländisches
Werk der Nächstenliebe, das nicht etwa nur den
Städtern zugute kommt, sondern Deutschlands
heranwachsender Jugend in ihrer Gesamtheit.“
Probleme Flüchtlingsfürsorge
und Überführung gefallener
Soldaten
Auch die Aufnahme von Flüchtlingen muss
geregelt werden. Seit der Besetzung östlicher
Gebiete diesseits und jenseits der Reichsgrenze
durch russische Soldaten hatte vor allem dort
eine große Fluchtbewegung Richtung Westen
eingesetzt.
Dazu schreibt die Presse Folgendes: „Die aus
dem feindlichen Auslande zurückkehrenden
Deutschen werden von der militärischen
Grenzübernahmestelle einem Wohnorte zuge-
14 RUNDBLICK Frühjahr 2018
wiesen, der nach Möglichkeit ihren Wünschen
entspricht. Zunächst kommt dabei ein Ort in
Frage, wo sich Verwandte oder Bekannte befinden,
die zur Aufnahme oder Unterstützung
bereit sind oder lohnbringende Beschäftigung
vermitteln können. (…) Die Zurückkehrenden
erhalten an der Grenze die für die Lebensmittelversorgung
erforderlichen Karten ausgehändigt.
Die Reise erfolgt für Mittellose kostenfrei.
Weiteres wird in unserer Provinz durch die
Flüchtlingsfürsorgestelle des Roten Kreuzes
wahrgenommen. Personen, die deren Hilfe in
Anspruch nehmen wollen, müssen sich an den
Magistrat oder Gemeindevorstand ihres Aufenthaltsortes
wenden.“
Ein nahezu unlösbares Problem bedeutete
für die Militärs die Überführung der unzähligen
Toten in die Heimat. Wenn auch die Angehörigen
hofften, die sterblichen Überreste in der
Heimaterde bestatten zu können, so erlaubten
Kampfhandlungen und riesige Nachschubbewegungen
dies kaum. Betroffene Angehörige
konnten dazu in der Zeitung erfahren: „Mit
Rücksicht auf die militärische Lage sind schon
seit geraumer Zeit alle Überführungen von
Kriegerleichen aus dem gesamten Grenzgebiet
des Westens ausnahmslos gesperrt. Da mit dem
1. Mai des Jahres die Sommersperre eintritt, die
bis zum 1. Oktober dauert, können Gesuche an
das stellvertretende Generalkommando um
Genehmigung zur Rückführung von Leichen
Gefallener erst wieder im September mit Aussicht
auf Erfolg eingereicht werden. (…) Auch
auf die deutsche Ostfront wird die Sperre schon
jetzt vor dem 1. Mai ausgedehnt, zumal hier
nach dem abgeschlossenen Frieden neue
Bestimmungen in Rückführungsangelegenheiten
vereinbart werden müssen.“
Kleidung aus Torffasern
Ein aus heutiger Sicht besonderes Kuriosum
verbirgt sich in einem Beitrag unter dem Titel
„Milliarden im Moor“. Dass in der damaligen
Kriegszeit der Erfindungsgeist besonders einfallsreicher
Menschen gefragt war, wurde in den
letzten Ausgaben unseres Magazins bereits
mehrfach dargestellt. Hier nun ein weiteres
erstaunliches Beispiel:
„Vor einem Jahr staunte man in Berlin in der
Versammlung des ‚Vereins zur Förderung der-
Moorkultur im Deutschen Reich‘ einen Mantel
an, der aus Torffasern hergestellt war. Inzwischen
hat die Torffaser immer weitere Verwendung
als Ersatz für unsere sonst gebräuchlichen
Spinnstoffe gefunden. Welche Bedeutung die
faserhaltigen Torfmoore haben, zeigte Professor
Dr. W. Magnus während der in diesem Jahr wieder
in Berlin abgehaltenen Versammlung des
Vereins. Könnte man alle Fasern, die in unseren
Mooren vorhanden sind, gewinnen, so würde
man zu ungeheuren Werten kommen.
Ein rechnungsfroher Regierungsbeamter hat
den Wert der in den norddeutschen Mooren liegenden
Fasern mit 9 Milliarden Mark angegeben.
Aber die Gewinnung ist nicht so einfach.
Fast nirgends kommt die Faser, die vertorften
Blattscheiden des Wollgrases, in so großem Prozentgehalt
in den Mooren vor, daß es sich
lohnte, das Moor ausschließlich für die Gewinnung
umzugraben. Im allgemeinen ist ihre
Gewinnung auf das Absammeln aus den zu
anderen Zwecken bewegten Torfmassen
beschränkt. Im letzten Sommer erhielt man
ungefähr 700 Waggons Rohfasern; fast nur
Frauen und Kinder hatten in Nebenarbeit diese
Menge gesammelt. Für dieses Jahr ist die
Zuweisung von Kriegsgefangenen in Aussicht
gestellt.“
Das auch noch…
- „Wie wir hören, tragen sich die verantwortlichen
Stellen in Berlin mit Erwägungen, eine
weitere Beschlagnahme aller entbehrlichen
Kleidunsstücke für männliche Personen vorzunehmen.
So dürfte jeder Mann nur zwei vollständige
Anzüge behalten. Wer beruflich
gezwungen ist, einen Frack zu benutzen, wird
ihn neben den beiden Anzügen behalten dürfen.
Die Beschlagnahme soll erfolgen, nachdem
auf Formularen der Bestand als eidesstattliche
Versicherung angegeben worden ist.“
- „Zur Verbesserung des Geschmackes der
alten Kartoffeln: Da zurzeit die alten Kartoffeln
im Keimen begriffen sind, haben die Knollen
einen starken Solanumgehalt. Dieser beeinträchtigt
den Geschmack und wirkt nachteilig
auf die Verdauung. Es empfiehlt sich deshalb,
den Kartoffeln oder Kartoffelspeisen beim
Beginn des Kochens einige Kümmelkörner
zuzusetzen.“
- „Borgfeld. Am letzten Sonntag fand hier in
glücklicher Fügung der Umstände bei der Einführung
des neuen Gesangbuches zugleich die
Weihe unserer neuen Orgel statt. Das kleine,
aber feine Werk, welches im wesentlichen
einem Legat des Frl. Marie von Lingen zu verdanken
ist, macht der Orgelbaufirma Furtwängler
& Hammer in Hannover alle Ehre. Nach
dem Gutachten des Herrn Organisten Hoyermann
von St. Ansgari in Bremen ist es in Material
und Stimmung vorzüglich. Beim Festgottesdienst
in der gefüllten Kirche hat Herr Hoyermann
auch selber kunstvoll die neue Orgel der
andächtig lauschenden Gemeinde vorgeführt.
So verlief die schöne Doppelstunde ganz im
Sinne des Predigttextes: Singet und spielet dem
Herrn in euren Herzen!“
Peter Richter
Anmerkung: In den Originaltexten wurde die
damals gültige Rechtschreibung beibehalten.
Quelle: Zeitungsarchiv des Heimatvereins Lilienthal
e.V.
RUNDBLICK Frühjahr 2018
15
Heinrich Vogeler und Otto Sohn-Rethel
Eine Künstlerfreundschaft
Als der siebzehnjährige Heinrich Vogeler im
September 1890 an die Düsseldorfer Akademie
kam, lernte er dort den einige Jahre jüngeren
Otto Sohn-Rethel kennen. Aus dieser Begegnung
entwickelte sich eine langjährige Künstlerfreundschaft.
Sohn-Rethel besuchte schon als Dreizehnjähriger
die Kunstakademie. Wie Vogeler verbesserte
er als Kunstschüler sein Zeichentalent in
Vorkursen, um später mit einer repräsentativen
Kunstmappe vor der Aufnahmekommission der
Akademie bestehen zu können und als Kunsteleve
in die Akademie aufgenommen zu werden.
Die zeichnerische Begabung war Sohn-Rethel
mit in die Wiege gelegt, entstammte er doch
Gnädig wurden die Akademieflüchtlinge
wieder in den Kunstbetrieb aufgenommen und
konnten ihr Studium in Düsseldorf im Wintersemester
1894/1895 beenden. Heinrich Vogeler
hatte schon während des Studiums durch den
Kontakt zu Fritz Overbeck Verbindung zur
Künstlergruppe in Worpswede aufgenommen
und auch Otto Sohn-Rethel kam zeitweise ins
Künstlerdorf. Als er 1895 mit Zustimmung von
Fritz Mackensen beabsichtigte, sich der Gruppe
anzuschließen, schrieb ihm Vogeler eine Ablehnung:
„Lieber Otto Sohn! Dass ich dir diesen
Brief schreiben muss, ist mir sehr unangenehm;
aber Otto Modersohn und Overbeck stehen
jedem Neuen so misstrauisch gegenüber, dass es
Michels. Sein älterer Bruder Alfred hatte die
Tochter des Hauses, Julie Michels, geheiratet.
Von Hannover kam er immer mal wieder ins
norddeutsche Künstlerdorf. Auch Vogeler
besuchte ihn in der Leinestadt und ließ später
von Eduard Michels einen Teppichentwurf fertigen.
(3)
Das Verhältnis zwischen Heinrich Vogeler und
Otto Sohn-Rethel war herzlich und vertrauensvoll.
Vogeler nannte seinen jüngeren Kollegen
liebevoll „Söhnlein“ und bat ihn, als er sich längere
in Berlin aufhielt, ein Bild von ihm zu verpacken
und zu einer Ausstellung des Hannoveraner
Kunstvereins zu bringen: „Carissimo! Du
könntest mir einen hohen Dienst erweisen:
Atelier-Strohl-Fern Foto: S. Bresler Sint anna 3 Foto: S. Bresler
einer bekannten Düsseldorfer Künstlerfamilie.
Sein Großvater war der berühmte Historienmaler
Alfred Rethel und sein Vater der Maler Karl-
Rudolf Sohn. Otto Sohn-Rethel malte und
zeichnete schon als Kind und übte sich schon
mit zehn Jahren in Aquarellieren und Zeichnung
mit Tierstudien und Porträts von Familienmitgliedern.
An der Akademie war er zwar einer der jüngsten
Schüler, doch seine Lehrer konnten ihm
wenig Neues bieten. Ähnlich wie Heinrich Vogeler
langweilte er sich in den Kursen des akademischen
Zeichnens nach Gipsmodellen.
Gemeinsam mit dem Studienfreund Robert
Weise beschlossen sie daher im Herbst 1892,
nachdem sie als Eleve die Weihen der Kunsthochschule
erhalten hatten, dem öden Akademiebetrieb
den Rücken zu kehren.
Anders als Vogeler in seiner Autobiografie
WERDEN schreibt, besuchten sie aber nicht
Sohn-Rethel im südholländischen Sluis, sondern
sie entdeckten gemeinsam diesen idyllischen
Ort, in dem Otto sich Jahre später für
kurze Zeit niederließ. Zu dritt erkundeten sie
von dort aus die Kunst eines Hans Memling oder
Jan van Eyck im nahe gelegenen Brügge. Vor der
ausbrechenden Cholera flüchten sie nach
Genua und Rapallo.
für den Frieden besser ist, wenn du nicht
kommst. Ich schreibe dir dies mit brutaler
Offenheit da ich dich kenne und du mich verstehen
wirst. […]“(1) Anscheinend nagte die
schroffe Abweisung an Vogelers Gewissen und
er schrieb gleich einen neuen Brief: „Lieber
Otto Sohn, Söhnchen! Vor allem erst einmal die
Hauptsache: Ich erwarte dich sobald wie möglich
hier auf dem Weyerberg. Am liebsten wäre
es mir, wenn du in 8 Tagen kämest. Leider ist die
Roggenernte schon vorüber, das wäre was für
dich gewesen. Ich rate dir, wenn du kommen
willst komme sobald wie möglich. - Du musst
meinen Freunden nun nur nicht ihr Misstrauen
verübeln. Es war nicht die Furcht vor dem
Künstler viel mehr vor dem neuen Menschen. –
Also hiermit lade ich dich ein, wenn du dich
etwas behelfen willst, kannst du bei mir wohnen.
[…]“ (2)
Der zweite Brief scheint die Freundschaft
gerettet zu haben. Zwar lässt sich Sohn-Rethel
nicht dauerhaft in Worpswede nieder, doch
besuchte er Vogeler dort häufiger. Beide standen
in engem Kontakt, tauschten Rezepte für
Malfarben und ihre gesundheitlichen Befindlichkeiten
aus.
Bis 1899 wohnte Sohn-Rethel wiederholt in
Hannover bei dem Teppichfabrikanten Eduard
Gehe hin zum Barkenhoff nimm dir 2 (zwei)
starke Männer (worunter ein Tischler) und gieb
ihnen Anordnung mein Bild zu verpacken. Die
Kiste steht fertig. Hinten gut festschrauben.
[…]“ (4)
Als sich Sohn-Rethel ab Frühjahr 1899 längere
Zeit in Paris aufhielt, stand Vogeler mit ihm
brieflich in Verbindung und hielt ihn über
eigene Aktivitäten und die Veränderungen in
Worpswede auf dem Laufenden. Nach dem Parisaufenthalt
begab Otto Sohn-Rethel sich nach
Holland, wo er in der Nähe von Sluis, das er ja
aus Studententagen kannte, in Sant Anna ter
Muiden ein kleines Häuschen anmietete und
dort bis 1902 lebte und arbeitete.
Als Heinrich Vogeler im Frühjahr 1901
Martha Schröder heiratete, führte sie ihre
Hochzeitsreise nach Holland zu Otto Sohn-
Rethel.
„ […] 20 Minuten von unserem Städtchen
liegt ein wunderbar malerisch kleines Nest St
Anna Ter Muiden und dort wohnt das kleine
Söhnlein. Das hättest du sehen müssen als wir
beide da plötzlich eines schönen Nachmittags
bei ihm antraten. In einem ganz kleinen Häuschen
mit niedrigem Ziegeldach und grünen
Fensterläden wohnt der Mensch wie ein alter
Sonderling umgeben von den wertvollsten alten
16 RUNDBLICK Frühjahr 2018
Sohn-Rethel jung
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Foto: S. Bresler
Sachen, ein riesiges malerisches Heim vollgestopft
von feinen Stoffen, wunderbaren Copien,
die Gebhardt (5) nach alten Meistern gemacht
hat, schönen Gläsern, Silbersachen, Porzellanen,
vielleicht sieht es etwas zu sehr nach
einem Althändler aus, aber wenn die Sonne
durch eines der kleinen Fenster kommt und
über die Truhen, Schränke, Spitzen und Brokatstoffe
scheint , dann ist doch eine ganz besondere
märchenhafte Stimmung in dem Häuschen.
– […].“ (6)
Das freie, ungezwungene Leben seines jungen
Studienfreundes schien Vogeler fasziniert
zu haben. Auch als Otto Sohn-Rethel im folgenden
Jahr nach Rom ging und bei dem Kunstmäzen
Alfred Strohl-Fern eine Atelierwohnung
bezog, folgte Vogeler ihm im November 1902
nach. Gemeinsam mit Martha begab er sich
nach Rom und wohnte auf der Piazza Barberini
nicht weit von dem Villengelände Strohl-Ferns
entfernt. Als Martha Mitte Dezember Rom verlässt
und nach Worpswede zurückkehrte, zog
Heinrich Vogeler bei Otto Sohn-Rethel in die
Atelierwohnung. Zusammen mit anderen
Künstlern feierten sie Weihnachten und Vogeler
reiste auf Anraten von Sohn-Rethel nach Neapel
und Pompeij.
In Neapel besuchte er gleich zweimal die
Bibliothek der Zoologischen Station, die mit
Wandbildern Hans von Marées ausgeschmückt
sind. Diese Begegnung hatte Vogeler, wie zuvor
auch schon seinen Freund Otto, in seiner künstlerischen
Entwicklung stark beeinflusst. „Wieder
in Neapel, trieb es mich noch einmal in das
Aquarium am Meeresstrand, um Abschied von
den Fresken zu nehmen, mit denen Hans von
Marées die Wände dieses Studienortes für italienische
und ausländische Studenten geziert
hatte. Wenn man diese frischen, realistischen
monumentalen Wandbilder aus dem Leben der
Fischer mit den Naturforschern gesehen hat,
dann forscht man immerwährend nach der
Fortsetzung dieses einzigartigen Weges zur
monumentalen Kunst, der hier beschritten
wurde.“ (7)
Um den 20. Januar 1903 kehrte Vogeler
zurück nach Rom und verbrachte dann noch bis
Ende Februar 1903 eine künstlerisch stimulierende
Zeit mit Otto Sohn-Rethel in dessen Atelierwohnung
auf dem Gelände der Villa Strohl-
Fern. In dieser Zeit wurde Vogelers Gemälde
„Erster Sommer“ in einer Ausstellung der Berliner
Sezession ausgestellt. In dem von Paul Cassirer
herausgegebenen Katalog ist er mit „Vogeler
Heinrich, Maler, Worpswede bei Bremen. Z.Z.
Rom Villa Strohl-Fern“ (8) verzeichnet. Im März
1903 kehrte Vogeler nach Worpswede zurück
und der Kontakt zu Otto Sohn-Rethel scheint
einzuschlafen.
Dann verkaufte Vogeler im Jahre 1912 eine
Zeichnung der Villa Strohl Fern, die während
seines Aufenthaltes in Rom entstanden war, für
450 M an die Hamburger Galerie Commeter.
Diese Aktion mag noch einmal die gemeinsame
Zeit mit Sohn-Rethel in Erinnerung gebracht zu
haben. Sein Künstlerfreund wohnte nun schon
einige Zeit auf der Insel Capri. In dem Ort Anacapri
hatte er sich in der Villa Lina eine repräsentative
Bleibe einrichten können. Dort empfing
er Künstler, Literaten und Musiker aus ganz
Europa und widmete sich neben der Malerei
auch seiner frühen Passion, den Schmetterlingen.
Diese Leidenschaft brachte ihm auf der
Insel den Namen Farfallaro von Anacapri ein
(von ital. farfalla für Schmetterling). Wahrscheinlich
hat Vogeler im September 1913 seinen
Studienfreund noch einmal besucht. Eine
Visitenkarte Vogelers im Archiv der Bibliothek
der Zoologischen Station in Neapel vom
04.09.1913 legt diese Vermutung nahe. Danach
Von der Raupe zum Falter, Otto Sohn-Rethel ca. 1910
scheinen sich ihre Kontakte jedoch zu verlieren.
Heinrich Vogeler zog bald in den Krieg,
schwörte dem Jugendstil ab und wandte sich
dem Kommunismus zu. Otto Sohn-Rethel blieb
meist auf Capri und hielt von dort aus weiter
Kontakt zu Künstlern in Deutschland. Er verstarb
am 09. Juni 1949 auf Capri und ist auf
dem Friedhof in Anacapri begraben.
Siegfried Bresler - Bielefeld
(1) Brief Heinrich Vogelers an Otto Sohn-
Rethel vom Juli 1895.
(2) Brief Heinrich Vogelers an Otto Sohn-
Rethel, vom 29. Juli 1895.
(3) Hinweis von Frau Lambert Düsseldorf. Sie
ist eine Nachfahrin der Familie
Sohn-Rethel.
(4) Postkarte Heinrich Vogelers aus Berlin an
Otto Sohn-Rethel, vom 18.02.1897
(5) Das ist Eduard von Gebhardt, bei dem
Vogeler und Sohn-Rethel Malerei
studierten
(6) Brief Heinrich Vogelers an Otto Modersohn,
vom 24. März 1901.
(7) Heinrich Vogeler. Werden. Erinnerungen.
Fischerhude 1989. S. 89.
(8) Paul Cassirer (Hrsg.): Katalog der siebten
Kunstausstellung der Berliner Secession,
Berlin 1903, S. 47.
Foto: S. Bresler
17
Ich bin ein Star - bau mir ein Haus!
Das sollten Sie über den Vogel des Jahres 2018 wissen
Der Star ist uns ein vertrauter Nachbar. Er ist
uns vertraut aus den Parks und Gärten, wenn er
auf Nahrungssuche über den Rasen flitzt oder
sich am Kirschbaum gütlich tut. Schwarz auf
den ersten Blick, aber erst bei genauerem Hinsehen
ist er eine wahre Attraktion: sein glänzender
Frack und ihr Pünktchenkleid sind ein
echter Hingucker insbesondere zur Brutzeit.
Zwar ist der Starenmann nicht so stimmgewaltig
wie manch anderer Singvogel, dafür gibt es
keinen vielseitigeren Imitator unter den heimischen
Vögeln als ihn. Zwischen seine schnalzenden
und pfeifenden Töne mischt er auch
mal ein Froschquaken oder eine Alarmanlage.
Seine bevorzugten Lebensräume wie Weiden,
Wiesen und Felder mit Alleen und Waldrändern
werden immer intensiver genutzt. Er benötigt
Baumhöhlen zum Brüten und Nahrungsflächen
mit kurzer Vegetation, wo er Würmer und Insekten
findet. Doch Hecken und Feldgehölze
„stören“ eher beim intensiven Anbau von
Getreide und Energiepflanzen in Monokulturen.
Auch die zunehmende Haltung von Nutztieren
in abgeriegelten Riesenställen setzt dem Star
zu. Grasen Tiere nicht auf der Weide und hinterlassen
dort ihren Mist, bleibt mit den
angelockten Insekten ein wichtiges Nahrungsmittel
aus.
Heute stellen Parks und Friedhöfe mit ihren
zum Teil alten und höhlenreichen Bäumen
sowie den kurzrasigen Wiesen wichtige Ersatzlebensräume
dar. Auch an Gebäuden nutzt
unser Jahresvogel Hohlräume zum Brüten.
Jeder Garten- oder Hausbesitzer kann der Wohnungsnot
des Stars mit einem Nistkasten
www.lbv.de
begegnen. Gärtnern ohne Pflanzenschutzmittel
und Insektizide sowie Beeren tragende Gehölze
verhelfen dem Star zu ausreichend Nahrung.
Eine strukturbereichernde und ökologische
Landwirtschaft mit artgerechter Tierhaltung
hilft dem Star und vielen anderen Vögeln.
Die Nahrung für seine Jungen findet der Star
auf insektenreichen Wiesen und Weiden, von
denen es in der industriellen Landwirtschaft
aber immer weniger gibt. Auch Streuobstwiesen
und beerenreiche Hecken verschwinden aus
unserer Landschaft und lassen dem Star keine
andere Wahl, als seinen Hunger auf Früchte in
Wein- und Obstplantagen zu stillen. In der grünen
Stadt geht es ihm da schon ein wenig besser,
doch herrscht vielerorts Wohnungsmangel,
wenn Höhlenbäume gefällt oder Fassadenlöcher
geschlossen werden.
Richtig imposant wird es, wenn mehrere tausend
Stare dichte Schwärme bilden. In filigranen
Wogen tanzen sie am Himmel und zeigen
ein einzigartiges Naturschauspiel, das seinesgleichen
sucht. Doch die Schwärme werden
kleiner. In vielen Ländern Europas und auch in
Deutschland gehen die Starenbestände zurück.
Am besten zu beobachten sind die imposanten
www.rbb-online.de
Foto: Dieter Goebel-Berggold, fotocommunity.de, fc-foto 5470525 *
18 RUNDBLICK Frühjahr 2018
www.rbb-online.de
Schwarmwolken im September und Oktober,
etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang. Doch
schon im Frühsommer oder noch Ende November
können Sie mit etwas Glück Starenschwärme
am Himmel sehen, bevor sie schlagartig
nach unten sinken. Starenschwärme reichen
von kleinen Nahrungstrupps bis zu einer
Million Tiere an Hauptsammelplätzen. Vor allem
an Gewässern mit großen, ausgedehnten Schilfzonen
und in Baumgruppen sammeln sich
Schwärme besonders gern und suchen dort
Schutz für die Nacht. Große Trupps finden Sie
aber auch im Grünland auf Weiden oder auf
Stromleitungen. Da natürliche Höhlen in alten
Bäumen immer weniger zur Verfügung stehen,
helfen Sie dem Vogel des Jahres mit einem Nistkasten.
Sowohl im Privatgarten als auch in
öffentlichen Grünbereichen und in ländlichen
Gebieten findet der Star so einen Platz, um
seine Jungen aufzuziehen. Der Starenkasten
bietet auch Wendehals oder Kleiber Unterschlupf
– ein Argument mehr, um zu Hammer
und Säge zu greifen.
Zusammengestellt von Susanne Eilers anhand
von NABU Veröffentlichungen
Foto: Kleinbucher.blogspot.de
Obwohl Krieg herrscht:
Humor im Jahre 1918
Oh, diese Fremdwörter!
In einer Volksschule waren die Augen
sämtlicher Schüler einer Untersuchung
durch den Augenarzt unterzogen worden.
Den Eltern derjenigen Kinder, bei denen
nicht alles in Ordnung war, wurde eineentsprechende
Mitteilung gemacht.
Infolgedessen erhielt der Vater Reinhold
Müllers einen Brief des Rektors, in dem
dieser ihm schrieb: „Sehr geehrter Herr!
Hierdurch teile ich Ihnen mit, daß sich bei
Ihrem Sohn Reinhold Anzeichen von
Astigmatismus bemerkbar machen,
wogegen sofort Schritte getan werden
müssen. Hochachtungsvoll, pp.“
Am nächsten Morgen brachte Reinhold
folgenden Brief seines Vaters: „Sehr geehrter
Herr Rektor! Es ist mir zwar nicht klar,
was der Junge diesmal wieder angestellt hat,
aber auf jeden Fall habe ich ihn tüchtig verwichst,
und ich wäre Ihnen dankbar, wenn
Sie ihm auch noch eine ordentliche Tracht
Prügel zukommen lasssen wollen. Hochachtungsvoll,
pp.“
Sparsamkeit...
Drei Reisende saßen im Raucherabteil
eines Schnellzuges und unterhielten sich.
„Ja,“ sagte der eine, „es gibt Leute, die so
sparsam sind, daß es an Geiz grenzt. Ein
früherer Chef von mir verlangte von seinen
Angestellten, daß sie eine ganz kleine Handschrift
schrieben, um Tinte zu sparen.“ -
„Ach,“ sagte der zweite, „mein Onkel ist
noch viel sparsamer! Der stellt, wenn er zu
Bett geht, sämtliche Uhren in der Wohnung
still, damit die Werke während der Nacht
nicht abgenutzt werden.“ - „Da weiß ich
noch etwas Besseres,“ erklärte der dritte,
„ich kenne einen alten Geizkragen, der keine
Zeitung liest, weil er findet, daß das seine
Brille angreift.“
Peter Richter
RUNDBLICK Frühjahr 2018
19
Was lange währt …
Neues zur Geschichte des Klosters Lilienthal
Seit mehreren Jahren gibt es das Rätselraten
darüber, ob der kleine Ort Wollah in der Nähe
von Lesum bei Bremen ein Standort des Klosters
Lilienthal war. Da veröffentlicht am 16. April
2017 der WESER-KURIER unter dem Titel „Klosterlandschaft
wird virtuell sichtbar“ einen Artikel
über eine gerade erschienene „Niedersächsische
Klosterkarte“. In seiner E-Mail vom 20.
November 2017 antwortet Dr. Niels Petersen
vom Institut für Historische Landesforschung
an der Georg-August-Universität in Göttingen,
dass die Anfrage, ob das Kloster Lilienthal sich
in Wollah befunden hat, ihren Weg über zwei
Schreibtische nahm. Das Ergebnis: In Wollah bei
Lesum hat es nie ein Kloster gegeben, es handelt
sich um eine Verwechslung bei der Zuordnung
des Ortsnamens!...
Erste Zweifel
„…, als ob in Wolda (Wollah) von Hartwich
wirklich ein Kloster errichtet sein, so scheint
mir das ein Irrthum zu sein, denn man findet
auch nicht eine Spur davon.“ (Archiv des Vereins
für Geschichte und Alterthümer der Herzogthümer
Bremen und Verden und des Landes
Hadeln zu Stade, Stader Geschichts- und Heimatverein,
1863)
Der Irrtum
„Das Kloster auf St. Stephani wurde abgebrochen
und der Erzbischof von Bremen kaufte
den Ort Wolda „by der Leßem mit allen thobehoringe
von dem Junker Wilken van Marsale
(Marssel) har man dor bouwen scholde ein
Jungfrouwenkloster von St. Bernhardsorden in
der ehre unser Leuen freuwen.“ Und jetzt folgt
die Passage, die Christoph Tornée nicht besser
wissen konnte: „Daß der Erzbischof Hartwig II.
[1187] ein Stück Land in Wolda (Wolla) gekauft
hat, steht fest; …“. Er übersetzt dabei Wolda mit
Wollah [bei Lesum] und fügt hinzu: „aber für
die Herstellung unter seiner Aegide [Leitung]
fehlen alle Beweise.“!
Die älteste Bremer Chronik
Im Jahr 1968 gibt der Verlag Carl Schünemann
in Bremen eine Chronik heraus, die
eigentlich schon vor dem Zweiten Weltkrieg
erscheinen sollte, jedoch nicht fertig gestellt
wurde, weil der damit Beauftragte, Hermann
Meinert, Staatsarchivrat beim Preußischen
Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, 1940
zur kämpfenden Truppe einberufen wurde. Er
„übersetzte“ aus der Urkundenschrift, was Gert
Rinesberch [um 1315-1406], Herbord Schene
[um 1358-1413] und Johann Hemeling [um
1358-1428], Abkömmlinge aus Bremer Familien,
über das Werden der Freien und Hansestadt
Bremen geschrieben hatten. Hier findet man
Hist. Karte Altenwalde 2
auch den Text im Original, den Christoph Tornee
in seiner Chronik zitiert: „ock kofte he [Erzbischof
Hartwig II.] ene stede, geheten Wolda,
mit alle siner tobehoringe vor hundert unde
sostich mark, dat men dar makede ein junckfrouwen
closter van sunte Bernhardus orden in
de ere unser leven vrouwen, dat nu to deme
Liliendale hetet, unde wart van dar to der Trupe
gebuwet, dar id nu steit.“ Datiert auf den 1. Mai
1187. - Ein Blick in das Register: Wolda s. Altenwalde
! - (Im „Urkundenbuch des Klosters Neuenwalde“
findet man die Schreibweise „Wolda“
für Altenwalde bei mehreren Urkunden.) - Herbord
Schene, einer der Autoren dieser Bremer
Chronik, war Bruder von vier Klosterschwestern
im Kloster Lilienthal, darunter die Äbtissin Gertrudis,
deren von ihm im Jahr 1400 gestiftete
Grabplatte als Denkmal bezeichnet wird. So
wird auch die mündliche Überlieferung eine
Rolle gespielt haben. – Irritierend die Titel dieser
Chronik: Die Chroniken der deutschen
Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert Siebenunddreißigster
Band Untertitel: Die Chroniken
der niedersächsischen Städte. Dann erst Bremen.
Altenwalde
Allein das Auffinden dieser Stelle zum Vergleich
zwischen den beiden Chroniken reicht
aus, um den Irrtum von Johann Renner (und
anderen) aufzuklären. Doch eine große Anzahl
Historischer Plan Altenwalde;
Karte Amt Ritzebüttel (Schröter,1594);
weiterer Fakten untermauert diese Feststellung.
Die historische und christliche Vergangenheit
von Altenwalde ist ein nächster Anhaltspunkt
dafür, dass sich der vorübergehende Standort
des Klosters Lilienthal dort befunden hat und
nicht in Wollah.
Im September 1971 erschien die „Chronik
von Altenwalde“ (Winfried Siefert), doch auch
in diesem Werk wurde die älteste Bremer Chronik
nicht berücksichtigt. Der von Erzbischof
Hartwig II. im Jahr 1187 getätigte Kauf der
„stede Wolda“ (= Altenwalde) wird mit keiner
Silbe erwähnt! Auch für Altenwalde ist diese
neue Erkenntnis daher eine weitere bemerkenswerte
Etappe auf dem ohnehin geschichtsträchtigen
Weg dieses Ortes in die heutige Zeit.
Das Kloster
In der Altenwalder Chronik beginnt die
Geschichte ihres Klosters mit der Gründung im
Jahr 1219 eines Kanonissenstiftes in Midlum,
etwa 10 km südlich von Altenwalde gelegen. Die
Edelherren von Diepholz errichteten kein Klostergebäude,
statteten es jedoch mit Diepholzer
Gütern der Umgebung aus. Erzbischof Giselbert
verlegt 1282 dieses Kloster nach Altenwalde, zu
einem Zeitpunkt, als das Kloster Lilienthal
schon 50 Jahre in Trupe sesshaft war. Auch hier
kein Wort über die „Zwischenstation“, den
bereits ca. 100 Jahre vorher getätigten Kauf der
„stede Wolda“ mit dem Namen „Liliendale“ für
ein dort geplantes Kloster.
Der Wallfahrtsort
Altenwalde war ein stark besuchter Wallfahrtsort
im Erzbistum Bremen mit einer Reliquie,
einem Splitter vom Kreuz Jesu Christi, in
der dortigen „capella sanctae crucis sanctissimique
patris Willehadi“ (Kapelle des heiligen
Kreuzes und des heiligen Vaters Willehad) auf
der Altenwalder Höhe. Die Trümmerstätte auf
der Altenwalder Höhe war noch 1905 (Heinrich
Rüther) übersät mit gebrannten Steinen und
Dachziegeln, kleineren Stücken von Tuffsteinen,
20 RUNDBLICK Frühjahr 2018
Bereiches um Altenwalde und die Aussage, dass
hier bereits zur Römerzeit intensiver Handel
betrieben wurde.
Das Kloster Lilienthal hat mit dem Kauf der
„stede Wolda“ nicht nur dort seinen Namen
erhalten und mit nach Trupe genommen, es hat
sich am Wallfahrtsort Altenwalde auch einen
Namen gegenüber dem Bremer Erzbistum
gemacht. Hätte sonst die Äbtissin Grethen ihren
Platz als Konsolfigur unter der Skulptur des
Markgrafen von Brandenburg an der Schauseite
des Bremer Rathauses für eine Ewigkeit durch
eine Spende erwerben dürfen?...
Vergleich Klostergebäude
Lilienthal / Neuenwalde
Romanische Feldsteinkirche St. Cosmas und Damian in Altenwalde
dem älteren Baumaterial aus Kalk mit Muschelteilen
und Sand, das auch in den alten Kirchen
von Wremen und Blexen zu finden ist. Gleichzeitig
war der Ort nördlicher Endpunkt eines
tief aus dem Süden kommenden Handelsweges,
der daher ebenfalls Reisestation für Händler,
Seefahrer und Besucher war. Es muss eine viel
größere Anzahl von Reisenden gewesen sein, die
hier um Unterkunft baten, als bisher gedacht.
Eine der Begründungen für den Umzug des Klosters
nach Neuenwalde, die Unruhe durch die
große Anzahl von Reisenden wäre einer der
Punkte gewesen, das Kloster nach Neuenwalde
zu verlegen, ist gut nachzuvollziehen.
„ … Allerdings mußte man tatsächlich das
Wasser stets den Berg hochschleppen, da ein
Brunnen nicht ergiebig war.“ Mit dieser Aussage
findet ein anderer Punkt aus der bisherigen Lilienthaler
Klostergeschichte eine neue
Erklärung: Nicht das Hochwasser der Wümme /
Wörpe hat den Klosterinsassen am Standort
Trupe große Schwierigkeiten bereitet, diese
Aussage war viele Jahre vorher in Altenwalde
von großer Bedeutung. Und einer der Hauptgründe,
das Kloster 1334 von Alten- nach Neuenwalde
zu verlegen.
„Sämtliche Einwohner der Orte Altenwalde,
Gudendorf, Oxstedt, Arensch, Berensch und
Holte wurden Klostermeier und damit zehntpflichtig.“
- Auch hier ist die Bedeutung und der
Einfluss des Erzbischofs auf den Ort abzulesen,
der damals schon mit den umliegenden Dörfern
fast als Kleinstadt zu bezeichnen war.
Die Altenwalder Mühle, eine Bockmühle, war
auf der Altenwalder Höhe (38 m), die über den
Geestrücken Hohe Lieth noch hinausragt, auch
als Schifffahrtszeichen sowohl für die Wesermündung
als auch die Zufahrt über einen Kanal
nach Altenwalde, deutlich sichtbar. Im historischen
Plan von Altenwalde sind nah beieinander
drei Kreuze eingezeichnet: Das Kloster, die
Kapelle sowie die Mühle.
Archäologische Funde im Bereich Altenwalde,
Lagerplätze aus der Hamburger Stufe
(um 12.000 v. Chr.), Steingräber (1700 bis 700
v. Chr.), die Altenwalder Silberschale (spätrömisch)
und ein römischer Bronzeeimer vom
Hemmoorer Typ bestätigen das hohe Alter des
Ein Gemälde vom ehemaligen Amtshaus Lilienthal
könnte als Erinnerung an das Klostergebäude
dienen. Ein Klostergebäude wie in Hude
vorzufinden … Dieser Gedanke ist auszuschließen.
- Der Anblick des von Alten- nach Neuenwalde
verlegten Klosters lässt eher einen Vergleich
zu.
Bodenuntersuchung
Vor einigen Jahren führte Professor Thilo von
Dobeneck (Uni Bremen) im Lilienthaler Amtsgarten
eine geophysikalische Bodenuntersuchung
durch, um mithilfe der Ergebnisse sagen
zu können, ob dort noch Fundamente von
Gebäuden oder Kreuzgängen nachzuweisen
wären. Der Befund: Es konnten keine Fundamentreste
gefunden werden! Die Vorstellung, in
Trupe habe ein Klostergebäude gestanden, das
mit der verbliebenen Ruine des Klosters Hude
vergleichbar wäre, ist damit Vergangenheit. Hier
gab es, vergleichbar mit dem Kloster Neuenwalde,
ein Wohngebäude, wohl ähnlich dem auf
dem Gemälde im Heimatverein Lilien-thal
gezeigten Amtshaus mit dem noch vorhandenen
Klosterkeller.
Pilgerzeichen Neuenwalde
RUNDBLICK Frühjahr 2018
21
Das Mutterkloster
In einem Buch über das Kloster Walberberg
(nahe Köln) findet man unter dem Titel „Das
Walberberger Tochterkloster Lilienthal“ auch
folgende Aussage: Der damalige Bremer Erzbischof
Gerhard II. (1219-1258) ließ demnach
durch Boten und Briefe vier Nonnen aus Walberberg
holen, um ein Kloster zu gründen. Diese
Darstellung fällt in das Jahr 1230, zwei Jahre
vor der bisher angenommenen Klostergründung
...
Straßennamen in Wollah
Eine weitere interessante Fage bleibt: Wann
wurden Straßen in Wollah in Anlehnung an das
Kloster benannt? Nach 1969? ... Dann war der
veröffentlichte Fehler aus der Chronik von
Johann Renner der Anlass. Eine nachgewiesene
Fundstelle für ein Klostergebäude dort ist nicht
bekannt. - Abschließend darf man feststellen,
dass das Auffinden dieser Stelle in der ältesten
Bremer Chronik das Kloster Lilienthal in einem
völlig neuen, ganz anderen Licht erscheinen
lässt.
Harald Steinmann
Weitere Quellen:
Chronica der Stadt Bremen, Johann Renner,
1583; Urkundenbuch des Klosters Neuenwalde,
Heinrich Rüther, 1905; Chronik von Altenwalde,
Winfried Siefert, 1971; Cuxpedia: Altenwalde,
2018; Pilgerzeichen: Focke Museum Bremen
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22 RUNDBLICK Frühjahr 2018
Die Osterholzer Ziegelei
Wie der Betrieb funktioniert haben könnte (I)
Ausschnitt aus der Karte „Plan von…Osterholtz…1756“; NLA Stade,
Karten Neu Nr. 12929
Nachdem Ende 1730 erste Vorschläge zur
Errichtung einer Ziegelei nahe dem damaligen
Flecken Osterholz durch den Drost von Schwanewede
gemeinsam mit dem Amtschreiber
Anton Friedrich Meiners der Kammer in Hannover
unterbreitet worden waren, wurden im
Laufe des Jahres 1731 diverse Fragen aufgeworfen
und beantwortet, sodass am Ende dieses
Jahres Zustimmung aus Hannover signalisiert
wurde und die Inbetriebnahme als Herrschaftliche
Ziegelei wohl bereits im Jahre 1732 erfolgen
konnte.
Eine erste kartografische Bestandsaufnahme
ist erfolgt, indem durch F. v. Haerlem 1749 das
Gelände kartiert wurde. 1) Jürgen Christian Findorff
hat dann 1756 ganz Osterholz kartiert,
inklusive der damals schon über 20 Jahre bestehenden
und damit am Ende der vereinbarten
Pachtdauer befindlichen Ziegelei. 2)
Inwieweit sich dabei gegenüber der Ausgangssituation
in den verflossenen Jahren Veränderungen
ergeben haben, soll anhand der
Quellentexte erörtert werden. Diese legen nahe,
dass die ersten Anlagen etwas bescheidenere
Dimensionen hatten, aber mit wirtschaftlichem
Erfolg dann zu dem weitläufigen Ensemble
angewachsen sind, wie es sich zu Findorffs Zeiten
präsentierte und das sich mit Sicherheit von
sonst in Gebrauch befindlichen Betrieben zur
Ziegelherstellung deutlich abhob.
Eine erste Beschreibung liegt vor aus dem
Jahre 1733 und wurde am 4. März aus Osterholz
„unterthänigst“ an die Herrschaft gesandt. 3)
Die zeichnerische Darstellung ist nicht mehr
vorhanden, nur noch die Legende zum „Grundriss
der zu Osterholtz angelegten Ziegelbrennerey“
liegt dem Schreiben bei. Darin werden drei
Gebäudekomplexe genannt: „1. die pfannen
Hütte, 2. Hütten zum Stein streichen, 3. der
Brennofen vor Mauer Steine“.
Daraus lässt sich folgern, dass nach anfänglicher
Beschränkung auf die Produktion von
Mauersteinen sehr bald auch mit der Pfannenherstellung
begonnen wurde. Unterpunkte lassen
Schlussfolgerungen auf den Produktionsprozess
zu.
Um die Steine herzustellen, wurde Ton in
einen Behälter, eine Kumpe, gefahren und dort
– unter Zugabe von Wasser – von Pferden getreten.
Daraus wurden dann Steine geformt und
vorgetrocknet (aus Nr. 2). Im Umfeld des Ofens
befanden sich ein Raum zur Lagerung der Rohlinge
sowie ein weiterer für den erforderlichen
Torf. Auch die Arbeitskräfte waren hier untergebracht;
je „eine Cammer vor die Ziegel Knechte“
und „vor den Brandmeister“ sind vermerkt. Ferner
wurden die benötigten Gerätschaften in
„zwey Cammern“ hier verwahrt (aus Nr. 3).
Vieles in der Pfannenhütte (Nr. 1) war ähnlich;
eine Besonderheit bildete eine „Kleymühle“,
in der mit Hilfe eines Pferdes das
Rohmaterial (der Kley) gemahlen und in eine
gleichmäßige Konsistenz gebracht werden
sollte. Hierzu findet sich eine Beschreibung im
Umfang von 10 Punkten, die zur Erläuterung
der Konstruktion dienen sollte. Dazu wurde –
wie es im Brief heißt – ein „Modell von der
Kleymühle“ im Maßstab 1 : 12 mit übersandt.
Die detaillierte Erläuterung lässt den Schluss zu,
dass es sich bei der Mühle um eine ganz spezielle,
vielleicht besonders fortschrittliche Anlage
gehandelt hat.
Special-Plan der Herrschafftl. Ziegelei zu Osterholtz; NLA Stade,
Karten Neu Nr. 13061, Tab. VI
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Standort der Betriebsstätte
Für die Ziegelei hatte man einen Standort
ausgewählt, der im Übergangsbereich von der
dort niedrigen Geest zur Hammeniederung eine
weitgehend ebene Fläche bot. Diese lag südlich
23
ewilligt wurde. Der Abbau muss also über viele
Jahrzehnte und mindestens bis in die 1780er-
Jahre hinein stattgefunden haben; die Örtlichkeit
ist jedoch unbekannt. Auch in der kürzlich
erschienenen Chronik von Lintel findet sich kein
Hinweis hierauf.
Die Gebäude und
ihre Funktion
Trete-Diehle; aus: NLA Stade, Karten Neu Nr. 13061, Tab VII. Nr. G
des Fleckens Osterholz und war bis dahin unbewohnt.
Wege nach Osterholz, Scharmbeck, Bremen
und in Richtung Hamme kreuzten sich dort; so
war eine Verbindung auf dem Landweg gegeben.
Ein bei Findorff bereits vorhandener Kanal
zur Hamme stellte einen Wasserweg dar, der im
Zusammenhang mit der Gründung der Ziegelei
geschaffen bzw. ausgebaut worden war. Durch
die Schiffgräben waren große Flächen erschlossen;
dadurch war die Belieferung mit Brenntorf
per Schiff sichergestellt.
Nicht weit entfernt befanden sich im Klosterholz
gut erreichbare Ton- und Lehmvorkommen,
die für den Betrieb leicht verfügbar, weil
in herrschaftlichem Besitz, waren. 4)
Aus den Erörterungen hinsichtlich der
Errichtung der Ziegelei war jedoch zu entnehmen,
dass die Tonvorkommen im Klosterholz
zwar gut geeignet erschienen für die Herstellung
von Mauersteinen, für Dachpfannen
jedoch zu sehr von gröberem Material, also
24
kleineren und größeren Steinen, durchsetzt
seien. Hier musste eine anderweitige Quelle
gefunden und erschlossen werden. Erstmals
erfahren wir hierüber durch eine Urkunde des
„Commissario“ Conrad Friedrich Meiners,
unterzeichnet am 29. April 1746 in Lilienthal. 5)
Diese verweist darauf, dass bereits in „vorigen
Zeiten“ aus der „Gemeinheit zwischen Scharmbeck
und Lintel“ der für die „Osterholtzische
Ziegeley erforderliche Pfannen leim“ gegraben
wurde, wobei dieser Kontrakt für das laufende
Jahr verlängert werden sollte mit der Zusage,
dass alle durch den Abbau entstehenden Kuhlen
beseitigt und das Gelände nachträglich wieder
eingeebnet werden solle. Als (Mit-)Erbe der
Ziegelei wolle Obiger sich gütlich mit den Eingesessenen
vergleichen.
Der Akte kann man weiterhin entnehmen,
dass sich jedoch Ende der 1770er-Jahre Widerstand
seitens der Linteler Bauern regte, jedoch
durch Entscheid Hannovers jegliche Ansprüche
abgewiesen und das Lehmgraben weiterhin
Der Ziegelknechte Wohnung in der sog. Jungfern Bude; in: NLA Stade, Karten Neu Nr. 13061,
Tab. VII. Nr. A
Die ambitionierte Planung zielte von Anfang
an darauf, sowohl Ziegelsteine als auch Dachpfannen
herzustellen. Das hatte Auswirkungen
auf die zu errichtenden Gebäude. Da die Produktionsverfahren
voneinander verschieden
sind, mussten die Produktionsstätten entsprechend
den Anforderungen konzipiert werden.
Der o. g. Gebäudebestand deckt sich noch
nicht mit den Aussagen der Karten. Innerhalb
der Akte 6) befindet sich jedoch noch eine ausführliche
Erläuterung auf 15 handgeschriebenen
Seiten mit dem Titel „Umbständliche
beschreibung der zu Osterholtz angelegten Ziegelbrennerey“.
Leider ist dieser Text ohne Verfasserangabe
und ohne Datum hinterlegt, sodass
eine Zuordnung nicht eindeutig möglich ist.
Zeitlich dürfte die Beschreibung näher an die
Karten heranrücken. Auch hierin wird auf Risse
verwiesen, die aber ebenfalls nicht vorliegen.
Dass Veränderungen vorgenommen worden
sind, ist auch der Karte von v. Haerlem zu entnehmen.
Ganz am Rande ist ein alter eingefallener
Brennofen (G) verzeichnet; dieser ist
durch neue ersetzt (J und K).
Im o. g. Text wird einleitend auf die Kapazitäten
hingewiesen: pro Jahr können 300 000
große Mauersteine und 200 000 Dachpfannen
geformt und gebrannt werden; die fertigen
Steine haben ein Sollmaß von 1 Fuß x 5 ⅞ Zoll
x 3 ¼ Zoll (ca. 28,7 x 14 x 7,8 cm), die Pfannen
von 1 ½ Fuß Länge und 1 Fuß Breite.
Eine Hütte dient zum Vorbereiten von 24 000
Steinen. Man erfährt, dass diese zunächst
gestrichen und dann 8 Tage „gestrecket liegen,
bevor sie auffgeringelt und zu fernern trocken
in hagen auffgesetzet werden können“. Erst
dann können sie gebrannt werden, wozu ein
Ofen dient, der im Lichten 16 Fuß breit, 21 Fuß
lang und 17 Fuß hoch ist und dabei 4 Fuß dicke
Mauern hat. 30 000 Steine können hierin auf
einmal gebrannt werden, wozu Torf dient, der
direkt vor den Öfen in separaten Hütten trocken
lagert.
Für die Pfannenherstellung gibt es entsprechende
Gebäude; der Ofen hat jedoch eine
andere Form und kann 10 000 Pfannen aufnehmen.
Unterschiedlich sind auch die benötigten
Gerätschaften, wobei beim Pfannenwerk wieder
der Einsatz der Kleymühle besonders hervorgehoben
und diese bis ins Detail im Aufbau
und in ihrer Funktion beschrieben wird. Und
wieder findet sich ein Hinweis auf ein mitgeliefertes
Modell.
Wirft man einen Blick auf die vom Conducteur
Findorff kartierte Anlage (s. S. 23) , so fällt
die Vielzahl der Gebäude auf. 7) Im Zentrum stehen
zwei Öfen, ein größerer und ein kleinerer
(als Anbauten zu E), in denen Mauersteine
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Profil durch den großen Ofen (c), Grundrisse des
großen (a) und kleinen (b) Brandt-Ofens; aus:
NLA Stade, Karten Neu Nr. 13061, Tab. VII. Nr. B
gebrannt werden konnten, die in benachbarten
Gebäuden geformt und vorbereitet wurden. Der
benötigte Brenntorf konnte mit wenig Aufwand
aus dem „Torff-Schauer“ (F) herangeschafft
werden.
Vorbereitet wurde der Ton in der Trete Deehle
(K); auf überdachter Fläche wurde er hier ggf.
angefeuchtet und dann von Pferden getreten,
um eine gleichmäßige, geschmeidige Masse zu
erhalten, die sich gut formen lassen sollte. Zwei
Flächen gab es mit je einem Pferd. Das
benötigte Wasser konnte aus dem nahen Bach
entnommen und hierher geleitet werden.
Diesem am nächsten erstreckt sich auf 260
Fuß Länge und 28 Fuß Breite die Bek Hütte
(auch Bach Hütte genannt). Da diese auch am
nächsten zum Tonvorkommen gelegen ist, lässt
sich hier dessen Anlieferung vermuten. Dann
käme die Jungfern Bude (B) für die Formung
und erste Trocknung der Ziegel in Frage, bevor
sie zur weiteren Trocknung in die Pferde-Hütte
(E) verbracht werden. Diese Funktion wird auch
durch die Bezeichnung „Trocken Stein Hütte“
nahe gelegt. Von dort ist es nur noch ein kurzer
Weg in den großen oder kleinen Brandt-Ofen (c
bzw. d).
In einem Anbau an die Jungfern Bude (B) ist
eine Wohnung für die Ziegelknechte untergebracht,
die also direkt auf dem Betriebsgelände
gewohnt haben. Was man aus der Zeichnung
allerdings herauslesen kann, deutet doch auf
eine Gruppenunterkunft mit sehr spartanischer
Ausstattung hin.
Herstellung der Rohziegel
Ein separater Punkt in der „Umbständlichen
beschreibung“ befasst sich speziell mit den
Arbeiten im „Steinwerck“, da diese sich gegenüber
anderen Ziegeleien unterschieden. Fasst
man diese Beschreibung mit den Kartenbefunden
und anderen Hinweisen 8) zusammen, so
lässt sich folgender Arbeitsablauf für die Herstellung
der Rohlinge konstruieren. Dabei waren
einige Arbeitsgänge erforderlich, die arbeitsteilig
zu absolvieren waren.
1) Die Lehmgrube befand sich im Klosterholz.
Hier wurde ggf. bereits im Vorjahr der Lehm
vorbereitet und im Winter der Witterung
ausgesetzt, um dessen Struktur zu verbessern.
2) Die ersten drei Tage einer Woche dienten
dazu, Lehm für 12 000 Steine zuzubereiten.
Dazu mussten zwei Lehmmacher täglich 40
Karren Ton graben. Sie bereiteten vor Ort den
Rohstoff zu, damit er weich, gut formbar und
von gleichmäßiger Qualität war. Zu „fetter“
Lehm wurde mit Sand versetzt.
3) Zwei Aufkarrer „fahren solchen an in die
nahe bey der Hütten befindliche Kumpe“, wo
er ggf. mit Wasser aus dem Bach angefeuchtet
wurde.
4) Zur Durchmischung bediente man sich auf
einer speziellen Diele der Hilfe von zwei Pferden,
die den Ton so lange treten mussten, bis
dieser so fein und zäh geworden ist, dass
Mauersteine daraus gestrichen werden
konnten.
5) Danach wurde „die zubereitete Erde aus dem
Kumpen wieder in die Karren geschlagen“
und in die Streichhütte gefahren.
6) In Form gebracht wurde der Lehm dann in
den drei restlichen Tagen der Arbeitswoche
durch den Ziegelstreicher. Nachdem der Einschlager
die Masse in vorbereitete Rahmen
aus Holz geschlagen hatte, konnte der Streicher
oder Former diese dann mit einem
Streichbrett glätten. Bei dieser im Akkord
verrichteten Tätigkeit erhielt der Lehm dann
die gewünschte Form; in der Regel war es der
Quader, aber auch andere Formen waren
möglich.
7) Im nächsten Arbeitsschritt war es dann der
Abträger, der die gefüllten Formen zu einem
Trockenplatz trug. Dort konnten die Formen
dann abgezogen und zum Ziegelstreicher
zurückgebracht werden.
8) Nach einigen Tagen der Trocknung trat dann
der Ziegler (Hagensetzer) in Aktion und stapelte
die vorgetrockneten Rohlinge so, dass
sie dann für 2 – 3 Wochen weiter trocknen
konnten. Dabei verloren diese außer an
Masse auch an Volumen, was im Vorfeld bei
der Bemessung der Formen zu berücksichtigen
war.
Anmerkungen
Wilhelm Berger
1) Siehe HRB Nr. 122, S. 6.
2) Zur Errichtung der Ziegelei und zu vertraglichen
Regelungen s. HRB Nr. 123, S. 10 – 12.
3) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz Nr. 799
4) Hans Siewert, Der Wandel von einer Tongrube
zum Osterholzer Waldstadion; in: HRB Nr.
3/2009, S. 21
5) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz Nr. 800. C. F.
Meiners war Sohn von A. F. Meiners und seit
1744 Amtschreiber und Kommissarius in Lilienthal.
1744 war sein Vater gestorben, dessen
Erbe er antrat. Dazu gehörte auch die
Osterholzer Ziegelei. Drost in Osterholz war
damals B. C. von Gruben. (Angaben von H.-C.
Sarnighausen: Amtsjuristen…; in: Genealogie
1/2015, S. 373 – 376)
6) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz Nr. 799
7) NLA Stade, Karten Neu Nr. 13061, Tab. VI und
VII. Die Gebäudestruktur deckt sich mit der
im HRB Nr. 123, S. 10, veröffentlichten Darstellung.
8) Die Ausführungen basieren u. a. auf:
http//wiki-de.genealogy.net/Ziegler_(Beruf)
April
Der April kann rasen,
nur der Mai halt Maßen.
Ist die Krähe nicht mehr weit,
wird‘s zum Säen höchste Zeit.
Bauernregeln
April – Mai – Juni
Mai
Donnert‘s im Mai viel,
haben die Bauern leichtes Spiel.
Der Mai, zum Wonnemonat erkoren,
hat den Reif noch hinter den Ohren.
Juni
Was im September soll geraten,
das muss bereits im Juni braten.
Wenn im Juni wechseln Regen und Sonnenschein,
wird die Ernte reichlich sein.
RUNDBLICK Frühjahr 2018
25
„Im Nebel der Vergangenheit“
Das Rätsel um die Entstehung der dörflichen Ansiedlung „Neuenkirchen“ am östlichen Geestrand der Weser
Das Kirchdorf Neuenkirchen liegt am Ostufer
der Unterweser (Niederweser), etwa auf halber
Strecke zwischen Bremen-Mitte und Bremerhaven.
Heute ist es verwaltungsmäßig ein Ortsteil
von Schwanewede, Kreis Osterholz, Land
Niedersachsen, und schließt unmittelbar am
nördlichen Rand des Landes Bremen an,
genauer an dessen Ortsteil Farge-Rekum.
Das Kirchspiel und das Gericht Neuenkirchen
entstanden nach den historischen Überlieferungen
„als Erzbischof Liemar im Jahre 1071
seinen treuen Vasallen des Adelsgeschlechtes
„von Stelle“ das Kirchspiel mit Ländereien
und Landgütern beschenkte und später 1080
auch die Gerichtsbarkeit für dieses Kirchspiel
übertrug“, so berichtet zumindest die Historie
des heutigen Ortes.
Doch können diese überlieferten Daten auch
das Gründungsdatum des Ortes sein, wie kann
man einem Gefolgsmann die Herrschaft über
ein Gebiet schenken, welches noch nicht existiert?
Dann könnte es ja nur unbewohntes
Ödland gewesen sein. Also muss das Dorf, vielleicht
auch ein kirchlicher Andachtsraum,
früher entstanden sein!
Das Adelsgeschlecht derer „von Stelle“ residierte
auf einem schlossähnlichen Gutshof am
Ortsausgang Neuenkirchen nach Rade. Im Jahr
1791 brannte der Gutshof ab und wurde nie
wieder aufgebaut, nur das Vorwerk „Steller
Bruch“, welches als Meierhof zum Steller Gut
gehörte, erinnert heute noch daran.
Peschel 1974, Hochwasserwarnanlage
Gehen wir einmal in der Geschichte zurück,
Anno 780 weist „Karl der Große“ dem angelsächsischen
Priester Willehad den Gau Wigmodien
als Missionsgebiet zu und er begann alsbald
darauf die Sachsen als Bewohner zu christianisieren.
Nach der Überlieferung wirkte Erzbischof
Liemar sehr viel später, vom Jahre 1072
bis 1101, vor ihm wirkten an seiner Stelle bereits
von 1035 – 1043 Adalbrand (auch: Bezelin,
Alebrand) und danach von 1043 – 1072 Adalbert
I., Pfalzgraf von Sachsen, als Erzbischöfe des
Erzbistums Hamburg-Bremen. Noch vor der
Schenkung Anno 1071 vermuten wir die Gründung
und Entstehung des Dorfes Neuenkirchen,
als Erzbischof Liemar hiernach noch gar nicht
im Amte war.
Die alten Stedinger Lande - Copyright v. Wersebe 1815
Der „Bremisch Verdische Rittersahl“, von Luneberg
Mushard, berichtet 1720 (p508), dass den
„von Stelle zum Stellerbroke“ im Jahre Christi
1080 das Gericht zu Neuenkirchen an der
Weser gegeben wurde. Das Wirken der adligen
Herren von Stelle wurde ausgiebig in der Chronik
der St. Michaels-Kirche zu Neuenkirchen
von Karl Heinz Berendt beschrieben. Aber es
gab noch einen Adligen, der als Stadtvogt von
Bremen sicherlich einen Einfluss auf die
Geschehnisse um Neuenkirchen hätte haben
können, nämlich „Adolf von Neuenkirchen“!
Doch konnte er der Begründer und Namensgeber
sein? Nein, er trat sehr viel später mit Heinrich
dem Löwen in Erscheinung.
Adolf von Neuenkirchen entstammte dem
Hause der Grafen von Ricklingen (Hannover). Da
er an den Gütern der Grafenfamilie nicht erbberechtigt
war, wird angenommen, ein Halbbruder
oder Stiefkind gewesen zu sein und war
als Gefolgsmann des „Heinrich der Löwe“ im
Raum Goslar ansässig. 1153 wurde Adolf von
Neuenkirchen mit der Vogtei zu Bremen von
Welfenherzog „Heinrich dem Löwen“ betraut
(Urkunde Heinr.d.Löwe 21). Nach dieser
Urkunde hat sich Adolf von Neuenkirchen nach
Neuenkirchen in Osterstade genannt, was
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Jade Weser - Wikimedia Commons
jedoch äußerst angezweifelt werden darf. In der
Bürgerweideurkunde v. 1159 wird a. v. Neuenkirchen
„advocatus civitatis“, also Stadtvogt
genannt. Landvergabe in Stedingen, Besitz in
Hiddigwarden, Wersabe und Buren (Hasenbüren)
(Hofmeister / Röpcke 1987, 24f, 65, 232).
Im Buch „Über die Niederländischen Colonien
welche im nördlichen Teutschlande…“
schreibt August von Wersebe, königlich Großbritannisch-Hannoverschem
Landrosten und
Randrathe, Assessor des Bremen und Verdenschen
Hofgerichts, Erb- und Gerichtsherrn zum
Meienburg, im Jahre 1815 über Adolf von Neuenkirchen
und seiner Beziehung zum Erzbischof:
„Bey der hieraus anscheinenden Connexion
dieses Adolf von Neuenkirchen mit dem Vorgänger
des Erzbischofs lässt es sich um so eher erklären,
dass demselben hier die Qualität eines „advocati
civitatis Bremensis“ beygelegt wird, wiewohl dieser
Umstand sonst beym ersten Anblicke befremdet
scheint, da es ausserdem kein Beyspiel davon
gibt, dass dieser Adolf eine Advocatie in Bremen
bekleidet hätte“….
Verlassen wir hier den Adel und wenden uns
anderen Quellen und Möglichkeiten für die
Datierung einer Ortsgründung zu. Der „Blanke
Hans“, wie die verheerenden Sturmfluten seit
alters schon von den heidnischen Bewohnern
dieses Landstriches genannt werden, wird nach
meiner Vermutung seine Hände im Spiel um die
Orts-Gründung gehabt haben. Ich denke dabei
an eine Sturmflut, die vor 1071 stattgefunden
haben muss, denn die Julianenflut fand erst viel
später am 17. Februar 1164 statt. Da war aber
Neuenkirchen längst gegründet. Damals, vor
1071, werden die von der Flut vertriebenen Bauern
an den rettenden Geestrand geflüchtet sein
und hier auf sicherem Boden ihre „Neue Kirche“
errichtet haben. Daraus wurde dann mundartlich
Nienkarken und später auf Hochdeutsch
„Neuenkirchen“.
Vor tausend Jahren war noch der gesamte
heutige Jadebusen von einem großen Moorgebiet
bedeckt, das sich im Westen bis an den
Geestrand erstreckte und im Osten bis an den
hohen Marschrücken des Stadlandes reichte.
Zwei Ströme waren Nebenarme der Weser,
nördlich die „Dornebbe“ und südlich die
„Wester Weser oder Line“ genannt, durchzogen
das moorige Land von der „Friesischen Balje“
zur Weser hin und führten nahe Brake und Elsfleth
von dort in westlicher Richtung zur See“.
Den Nachweis dazu liefern Reste der alten Wurten
und deichähnliche Aufschüttungen die entlang
dieses Urstromtales von den Deichverbänden
gefunden und untersucht wurden.
Die frühere Gründung Neunkirchens scheint
auch durch die Tatsache eines eichenen Holzfundes
recht gut belegt zu sein, der von Hans-
Jörg Baake im Gemäuer des Kirchturmes der
Michaeliskirche in etwa 8 Meter Höhe gefunden
wurde. Von den „Heimatfreunden Neuenkirchen
e.V.“, durch Herrn Baake, wurde eine
Holzprobe 2013 zur Altersdatierung (Probe KIA
48074) an die Christian-Albrecht-Universität in
Kiel, an das Leibniz-Labor für Altersbestimmung
gegeben, die das Radiokarbonalter auf
915 ± 20 Jahre datierte, woraus sich das Jahr der
Fällung zum Bauholz auf 1078-1098-1118
ableiten lässt. Der untere Teil des heutigen
Kirchturms war auf Grund seiner Bauart gewiss
ein viel älterer mächtiger Aussichts- und Wehrturm
gegen die in jener Zeit immer wieder einfallenden
Wikinger. Die bisherige Vermutung
war, dass das gefundene Holzstück ein vergessenes
Teil einer Pfette eines Daches und bei der
Erhöhung für einen Kapellenraum im Mauerwerk
übersehen wurde. Das gefundene Eichenholzstück
ist aber nach dem Ergebnis eher kein
vergessenes Teil eines alten Daches, sondern
gehörte als Stück Bauholz, dessen Zweck unbekannt
bleibt, in die Zeit der Aufstockung. Der
erste sichere Versammlungsraum für kirchliche
Zwecke ist damit auf die Jahre zwischen 1078-
1118 anzunehmen und liegt damit nahe am Jahr
1080, der Zeit, in der Neuenkirchen bereits zum
Gerichtsort – nicht aber in die Zeit, als Neuenkirchen
zum Kirchdorf erhoben wurde, wie im
„Bremisch Verdische Rittersahl“ genannt wird.
Das Ereignis, an dem Erzbischof Liemar das
Gebiet um Neuenkirchen an die adeligen Ritter
„von Stelle“ verschenkt haben soll, fand schon
vorher statt, bevor Liemar Erzbischof wurde.
Der erste kirchliche Raum im Turm dürfte den
Beginn des Kirchdorfes und Kirchspiels kennzeichnen,
Neuenkirchen oder Nienkarken war
geboren.
Hans-Jörg Baake, Neuenkirchen
& Herbert A. Peschel, Aumund-Fähr
Verwendete Quellen:
2018, Ergebnisse eigener Recherchen in diversen
Quelle durch H.-J. Baake und Herbert A.
Peschel.
1997, „Beiträge zur Geschichte der Ev.-ref. Kirchengemeinde
Neuenkirchen“ herausgegeben
vom Kirchenrat der Ev.-ref. Kirchengemeinde
Neuenkirchen.
1720, „Bremisch Verdische Rittersahl“ von Luneberg
Mushard (p508).
1815, „Ueber die Niederländischen Colonien,
welche im nördlichen Teutschlande im zwöften
Jahrhunderte gestiftet worden, und weitere
Nachforschungen“ von August von Wersebe,
königlich Großbritannisch-Hannoverschem
Landrosten und Randrathe, Assessor des Bremen
und Verdenschen Hofgerichts, Erb- und
Gerichtsherrn zum Meienburg.
2013, „Datierungsbericht KIA 48074“ zur
Altersbestimmung des Leibnitz Labor für
Altersbestimmung und Isotopenforschung der
Christian Albrecht Universität Kiel.
2015, „Ritter und Knappen zwischen Weser und
Elbe“. Die Ministerialität des Erzstifts Bremen,
von Hans G. Trüper.
RUNDBLICK Frühjahr 2018
27
Worphüser Heimotfrünn
Bericht von der Jahreshauptversammlung am 16. Februar 2018
Hinrich Tietjen zum Ehrenvorsitzenden
und Helmut Meyer
zum Ehrenkassenwart ernannt
- Wahlen zum
Vorstand
Ehrenmitglieder
Die diesjährige Jahreshauptversammlung der
Worphüser Heimotfrünn war geprägt von einem
würdigen Abschied der langjährigen Vorstandsmitglieder
Helmut Meyer und Hinrich Tietjen.
Beide gehörten seit Gründung des Vereins am 8.
Mai 1977 ununterbrochen dem Vorstand an.
Wie der neue Vorsitzende Axel Miesner im Rückblick
feststellte, startete Hinrich Tietjen
zunächst als Schriftführer und übernahm am 8.
September 1987 nach Einweihung des Bauernhauses
und damit offizieller Eröffnung des Lilienhofes
von Gustav Geffken den Vorsitz bei den
Heimotfrünn. Als Dank und Anerkennung für
seine bereits damals langjährige Vorstandsarbeit
wurde Hinrich Tietjen 2006 das Niedersächsische
Verdienstkreuz ausgehändigt. Helmut
Meyer und Hinrich Tietjen wurde 2007 für
ihre damals 30-jährige Arbeit im Vorstand der
Worphüser Heimotfrünn durch die Gemeinde
die Ehrennadel verliehen. Beide haben sich um
den Verein auf dem Lilienhof mehr als verdient
gemacht. Mit ihnen wurde der Lilienhof, was er
heute ist. Ein Filetstück in Worphausen und ein
Schmuckstück in der Gemeinde Lilienthal. Der
Verein ist zu mehr als Dank verpflichtet, so Axel
Miesner. Ein Dank gilt in diesem Zusammenhang
auch den Ehefrauen, die ihre Männer
unterstützt haben. Als Dank und Anerkennung
für die 40-jährige Tätigkeit wurde Hinrich Tietjen
zum Ehrenvorsitzenden und Helmut Meyer
zum Ehrenkassenwart ernannt. Beide gehören
weiter unserem Vorstand an, können ihre Erfahrungen
einbringen und stehen dem neuen Vorstand
weiter mit Rat und Tat zur Seite.
Bürgermeister Kristian Tangermann bedankte
sich bei allen Aktiven im Verein für ihre
ehrenamtliche Tätigkeit auf dem Lilienhof.
Allen Mitgliedern und Gästen würden immer
sehr schöne Veranstaltungen geboten. Gegenüber
Helmut Meyer und Hinrich Tietjen brachte
der Bürgermeister zum Ausdruck, dass es in der
heutigen Zeit schon fast einmalig sei, dass sich
Bürger vierzig Jahre aktiv in die Vorstandsarbeit
einbringen. Auch er bedankte sich bei den beiden
Ehrenvorstandsmitgliedern für die enorme
Arbeit, die sie geleistet haben.
Zum neuen Vorsitzenden der Worphüser Heimotfrünn
wurde der bisherige stellvertretende
Vorsitzende Axel Miesner gewählt. Stellvertretender
Vorsitzender ist zukünftig Peter Brünjes,
Schriftführerin bleibt Birgit Reiß, ihre Stellvertreterin
wurde Heike Brüning. Neue Kassenwartin
wurde die bisherige stellvertretende Kassenwartin
Sonja Brüggemann und ihre Stellvertreterin
wurde Elke Geffken-Dreier.
Als Delegierte für den Ortsjugendring Lilienthal
wurde Andrea Schwarz gewählt. Miriam
Holz wurde für 2 Jahre zur Kassenprüferin
gewählt, die dieses Amt mit Hendrik Grotheer
ausübt. Anschließend wurden langjährige Mitglieder
für ihre 40- jährige bzw. 25-jährige Vereinszugehörigkeit
geehrt. Darauf folgten
Berichte aus den Gruppen und die Termine für
Der Vorstand
das Jahr 2018 wurden besprochen, u. a. die
Tagesfahrt nach Emden. Im Anschluss an die
Versammlung wurden noch selbst geschmierte
Brote gereicht, sodass der Abend gemütlich
ausklang.
Axel Miesner, Vorsitzender
28
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Jugendherbergen in den Dreißigerjahren
Zur Geschichte der Jugendherberg Worpswede
„Die Jugend wandert – Jugendherbergen in
Bremens Umgebung“, mit dieser Überschrift
beginnt ein Artikel in der Zeitschrift „Bremer
Hausfrau“ vom 08.09.1932 . Im Weiteren wird
über norddeutsche Jugendherbergen berichtet,
die Anfang der Dreißigerjahre gebaut bzw. eingeweiht
wurden, u.a. von der Grundsteinlegung
des Westturms auf Wangerooge, die der bremische
Senator Kleemann in seiner Festrede mit
folgenden Worten einführte:
„Denn auf unserer Jugend beruht die
Zukunft des Volkes . Deshalb müssen wir auch in
schwersten Zeiten Möglichkeiten schaffen,
unsere Jugend gesund zu erhalten. Das ist kein
Luxus, sondern eiserne Notwendigkeit im Dienste
an unserem Volke! Jugend und Heimat, das
sind die beiden gewaltigen Klänge, die in solchen
Stunden durch unsere Seelen rauschen
und uns zu Opfern und zum Verständnis für
diese Bewegung bereit finden lassen.“ Die Sprache
ist uns heute fremd. Da ist die Rede von
„Gottes herrlicher Natur, von der Liebe zum
Vaterland, von Jugend und Heimat...“
JH Worpswede Anfang der 30ger-Jahre
Erinnert wird u.a. an die Jugendherberge in
Worpswede, „die herrlich am westlichen
Abhang des Weyerberges liegt und ihren Gästen
nicht nur die Möglichkeit erschließt, den eigenartigen
Zauber von Moor- und Heidefahrten zu
erleben, sondern ihnen auch Gelegenheit gibt,
die hier bodenständige Kunst an Ort und Stelle
durch Besuch der Künstlerwerkstätten und
Ausstellungen zu studieren.“ Und in diesem
Haus gebe es „herrliche Wasch-, Dusch- und
Badegelegenheit, so daß die bestaubten Wanderer
sich schnell erfrischen können.“ Auch die
in jenen Tagen fertig gewordene Jugendherberge
„Zum Utkiek“ in Bremen-Vegesack wird
erwähnt, ein Haus , das „in sehr bevorzugter
Lage direkt an der alten Hafenmauer liegt und
in opferwilliger Aufbauarbeit durch Arbeitslose
aufgebaut worden ist.“
Immer wieder wird in dem Artikel auf die
erzieherische Bedeutung hingewiesen, die Aufenthalte
in Jugendherbergen für die Jugend
haben. Wer Gelegenheit habe, die Jugend in den
Herbergen zu beobachten, der würde merken,
dass es „nirgends geordneter und gesitterter
hergehen kann, als dort.“ Dafür sorge einmal die
straffe Hausordnung, für die der Herbergsvater
verantwortlich zeichne, „und vor allen Dingen
die Selbsterziehung und Kameradschaftlichkeit
unter der Jugend selbst.“ Und es besteht die
Hoffnung, dass „die jungen Menschen durch
die Hausordnung in den Herbergen dazu erzogen
werden, Ordnung um sich herum zu halten.“
Für die Selbstversorger heißt es: selbst
kochen, die gebrauchten Gegenstände selbst
aufwaschen und Eßtische und Schlafsäle in
gesitterter Ordnung zu hinterlassen.“ Der Beitrag,
durchzogen von Volkstümelei, endet mit
einem Ausspruch von Turnvater Jahn: „Wer auf
Wanderschaft gehen will, muß in der Heimat
Foto: „Die Hausfrau“
flügge geworden sein. Die Wanderfahrt ist die
Bienenfahrt nach dem Honigtau des Erdenlebens.“
„Niederdeutsche Jugendherbergen“, so ist
ein weiterer Beitrag in der Zeitschrift „Bremer
Hausfrau“ vom 07. Dezember1933 überschrieben.
Die Übernachtungszahlen haben sich verändert:
Gab es 1911 siebzehn Jugendherbergen
mit 3000 Übernachtungen, so haben 1932
bereits in 2124 Häusern 4 200 000 Menschen
übernachtet.
Aber auch die Diktion hat sich verändert, sie
ist völkisch-national geworden, ein Beispiel:
„Für die Jugend das Richtige zu schaffen, darauf
kommt es an. Und das Richtige? Was kann
es anderes sein als Erziehung zu wahrer Volksgemeinschaft,
zur Vaterlandsliebe, zur Kame-
Jugendherberge Worpswede heute mit dem
neuen Anbau
Quelle: Dt. Jugendherbergswerk
radschaftlichkeit und zur Ordnung und Sauberkeit
des inneren und äußeren Menschen.“
Die Nationalsozialisten sind inzwischen an
der Macht. Der Reichsjugendführer der NSDAP,
Baldur von Schirach, hat die Schirmherrschaft
für das Jugendherbergswesen übernommen. Es
steht nun „unter dem machtvollen Schutz des
ganzen Reiches, da werden nun wohl auch für
die immer noch abseits stehenden Eltern die
Jugendherbergen für ihre Kinder gesellschaftsfähig
geworden sein.“
Die Eltern werden aufgefordert, vor allen
Dingen die „zuständigen“ Mütter, „sich mehr
mit diesem Erziehungswerk zu beschäftigen
und bei Ausflügen und anderen Gelegenheiten
selbst einmal in die Jugendherbergen hineinzuschauen,
um sich davon zu überzeugen, daß
ihre Kinder in Freizeiten und auf Fahrten gut
untergebracht sind...“
Die Jugendorganisationen HJ (Hitlerjugend)
und BDM (Bund deutscher Mädel) werden hier
vorbereitet. Verräterisch sind Sätze wie diese:
“Denn wie kann ein Mensch sein Vaterland lieben,
wenn er die Schönheiten desselben nicht
kennt? Wie kann er seinen Volksgenossen verstehen
lernen, wenn er nicht in kameradschaftlichem
Zusammensein mit demselben andere
Wesensart kennenlernt?“
Rechtspopulistische Gruppierungen in vielen
Ländern Europas, verstärkt auch seit einigen
Jahren in Deutschland, bedienen sich heute der
Sprache der Nationalsozialisten; historische
Parallelen zur Blut- und Boden-Ideologie sind
unverkennbar. Ein Menetekel?
Helmut Strümpler
Jugendherberge Worpswede
Quelle: Dt. Jugendherbergswerk
RUNDBLICK Frühjahr 2018
29
Wie das Lilienthaler Wintertheater
die Bremer Stadtmusikanten hinter sich ließ
Passt der Schuh?
Wer hätte damit gerechnet - im Jahre 1993,
als Dieter Klau-Emken der Freilichtbühne Lilienthal
seine Idee einer angegliederten Schauspielschule
vorstellte - dass daraus ein so starkes
Ensemble vorwiegend jugendlicher Schauspielenthusiasten
erwachsen könne, die in der
abgelaufenen Saison auf mehr als 20 Vorführungen
kommen und sogar auf Tournee
gehen würde?! Diesen langen Satz wollen wir
inhaltlich mal etwas näher durchleuchten:
Dieter Klau-Emken, in Grevenbroich im
Rheinland aufgewachsen, hatte es in jungen
Jahren als begabter Turner zu einigem Erfolg
auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen
gebracht. Während seines Studiums an der
Sporthochschule in Köln wechselte der Schwerpunkt
seines Interesses aber von Turnen zu Tanz.
Und von dort war es kein weiter Schritt mehr
zum Theater. Auf Umwegen führte ihn sein Weg
irgendwann in den Norden und schließlich über
Bremen und Worpswede nach Lilienthal, wo er
seit der Jahrtausendwende zu Hause ist. In dieser
Zeit hatte er mehrere Jahre lang einen Lehrauftrag
für Tanz an der Hochschule für Gestaltende
Kunst und Musik wahrgenommen, dem
direkten Vorläufer der heutigen Hochschule für
Künste. Und er gehört als Schauspieler und
Choreograph zu den frühen Mitgliedern der
Freilichtbühne, die bekanntlich 1984 aus der
Taufe gehoben wurde.
Nachdem er also 1993 die Verantwortlichen
vom Nutzen einer Schauspielschule für die Freilichtbühne
und für Lilienthal überzeugt hatte,
galt es, das Projekt organisatorisch anzubinden
und seine Finanzierung zu sichern. In Anlehnung
an die Organisation größerer Sportvereine
wurde die Theaterschule als eigenständige
Abteilung der Freilichtbühne gegründet. In den
ersten Jahren legte Klau-Emken besonderen
30
Wert auf Sprech- und (dies vor allem!) Bewegungstraining.
Im Vordergrund stand das
Improvisationstheater, mit dem die Truppe in
der Umgebung mit wachsendem Zuspruch auftrat.
Zeitweise teilten sich bis zu 50 Schülerinnen
und Schüler auf bis zu vier Gruppen auf.
Irgendwann wurden die Empfehlungen zahlreicher
und lauter, es wäre doch schön, mit solchen
Begabungen auch mal ein richtiges Stück
aufzuführen.
Gesagt, getan. Mit der Premiere von "Sterntaler"
im Winter 2000/2001 wurde das Wintertheater
ins Leben gerufen, so genannt als
Pendant zum Sommerbetrieb der Freilichtbühne.
Ständige Spielstätte wurde schnell der
dafür umgebaute Martinssaal der Diakonischen
Behindertenhilfe Lilienthal, für die Klau-Emken
nur wenige Jahre zuvor bereits das "Theater
Mobile" (die aus der Kulturszene Lilienthals
ebenfalls nicht mehr wegzudenken ist) gegründet
hatte. Bedingt auch durch den demographischen
Wandel, der zu einem schleichenden
Rückgang der Schauspieleleven führte, ging die
Schauspielschule allmählich in das Wintertheater
über. Mittlerweile hat sich die Teilnehmerzahl
bei rund 30 begeisterungsfähigen Nachwuchsschauspielerinnen
und -spielern stabilisiert.
Das erlaubt es dem Regisseur Klau-
Emken, dem es wichtig ist, möglichst allen
Interessierten eine, zumindest bescheidene
Mitwirkung zu ermöglichen, seine Rollen doppelt
zu besetzen. Was für die Beteiligten, die
zumeist die Schulbank drücken oder den Hörsaal
frequentieren, bei der hohen Anzahl von
Aufführungen je Spielzeit, teilweise sogar an
Vormittagen (für Schulklassen oder KiTas) eine
spürbare Terminentlastung bedeutet.
Auf die Spielzeit zu Hause folgt für das
Ensemble seit einigen Jahren ein Wochenende
mit mehreren Auftritten in Göttingen.
Am 10. Juni 1846 gründeten engagierte Bremer
Bürger den Verein Ellener Hof zum Betrieb
eines "Rettungshaus für sittlich verwahrloste
Kinder". Vorbild dazu war das vom 'Reformpastor'
Johann Hinrich Wichern 1833 in Hamburg
gegründete "Rauhe Haus". Das damals rasant
an Fahrt aufnehmende Industriezeitalter hatte
eine ebenso rasant wachsende Zahl verwahrloster
Kinder und Jugendlicher zur Folge, die für
ihre Verfehlungen bis dahin durchweg ins
Gefängnis - oder gar ins Zuchthaus - geworfen
wurden. Wie viele Geistliche seiner Zeit war
Wichern von der Überzeugung getrieben, dass
eine solche Erziehungsanstalt jungen Menschen,
die wegen fehlender Lebensperspektive
auf die schiefe Bahn geraten waren, viel bessere
Resozialisierungsmöglichkeiten biete als eine
Haftanstalt, die zu der Zeit noch um einiges
trostloser (und auch inhumaner!) war als heute.
Diesem Reformansatz schloss sich der 'Grün-
Dieter Klau-Emken: Der Kopf vom Ganzen
dungsvater' der bald "Ellener Hof" genannten,
autark arbeitenden Einrichtung vor der Stadt,
Pastor Georg Gottfried Treviranus an.
Nach einer langen, höchst wechselvollen
Geschichte, auf die in einer zukünftigen Ausgabe
des Heimat-Rundblicks ausführlicher eingegangen
werden soll, wurde der Betrieb dieser
Einrichtung, im frühen 20. Jahrhundert auch
als "Rettungs-Anstalt für verwahrloste Knaben"
bezeichnet, im Juni 1989 eingestellt An einer
Ecke des Geländes wurde ein größeres Altenheim
für betreutes Wohnen errichtet, die vorhandenen
Altbauten verfielen allmählich. Dem
Verein Ellener Hof fehlte jedoch die Kraft zu
einem dynamischen Neuanfang. Im Jahr 2015
schenkte er das gesamte Gelände der Bremer
Heimstiftung, dem größten Altenpflegebetrei-
RUNDBLICK Frühjahr 2018
er am Ort. Gemeinsam mit dem Senat und
einem niederländischen Stadtplanungsbüro
wird das Areal, das nun 'Stiftungsdorf Ellener
Hof' heißt, neu gestaltet. Mehr als 500 Wohneinheiten
sind vorgesehen, ebenso wie ein Studentenwohnheim,
ein Hindutempel, zwei Kitas,
diverse Therapiepraxen, Einkaufsmöglichkeiten
und eine Außenstelle der Volkshochschule, um
nur einige der neuen Siedler zu nennen. fast
alles in nachhaltig ökologischer Holzbauweise.
Auch hierüber wird demnächst an dieser Stelle
im Detail zu berichten sein.
Nur wenige der alten Gebäude werden auf
dem Gelände stehen bleiben können. Dazu
gehört ein Haus, in dessen Keller sich die zentrale
Heizungsanlage für einen Großteil des
Areals befindet. In dessen Erdgeschoss liegt der
ehemalige Speisesaal, der zugleich als Aula
genutzt werden konnte.
Noch in der ersten Planungsphase, gleich
Kultur-Aula, Stiftungsdorf Ellener Hof
nach Übernahme des Ellener Hofs, wurde den
Verantwortlichen bei der Bremer Heimstiftung
schnell klar, dass es nicht nur auf dem Gelände
selbst, sondern in der gesamten Umgebung an
geeigneten Räumlichkeiten für niederschwellige
kulturelle Veranstaltungen für die dort
lebende und arbeitende Bevölkerung fehlte -
Veranstaltungen, die zuvörderst auf die Bedürfnisse
der Menschen in Blockdiek auf der einen
Seite des Geländes und dem Ellener Feld auf der
anderen zugeschnitten waren - Veranstaltungen
vor allem, ob Konzerte, Theater, Tanz, Ausstellungen
oder anderes, die von den Ansässigen
selbst organisiert oder gar einstudiert und aufgeführt
würden. Die ursprüngliche Idee, dort
einen reinen Theaterbetrieb aufzubauen, wurde
rasch verworfen. An einem Standort im Außenbezirk
und ohne lange, pulsierende Theatertradition
regelmäßig mindestens einhundert
Plätze je Aufführung verkaufen zu müssen,
erschien allen Planungsbeteiligten dann doch
als ein allzu ambitioniertes Vorhaben. Außerdem
hatten informelle Umfragen und Erkundungen
gezeigt, dass ein Mehrzweckveranstaltungsraum
doch eher den Bedürfnissen der
Menschen vor Ort gerecht würde.
Nachdem die grundsätzliche Ausrichtung
Junger Prinz versteht Erwachsene nicht...
des Projekts geklärt war, musste geplant, entrümpelt,
umgebaut und eingerichtet werden -
nachdem die Finanzierung des ja nicht ganz billigen
Vorhabens geklärt war. Zu Letzterem war
die Bremer Heimstiftung nur zu einem geringen
Teil in der Lage. Satzungsgemäß ist sie ja eine
gemeinnützige Betreiberin von Altenpflegeeinrichtungen,
nicht von Kulturstätten. Doch mit
Unterstützung insbesondere des Ortsbeirats
und des Ortsamts Osterholz sowie von Förderstiftungen
und der Sparkasse Bremen konnte
die "Kultur-Aula", wie sie zwischenzeitlich
getauft worden war, in knapp zweijähriger
Arbeit als ein von vielen Besuchern bewunderter
Phoenix aus der Asche "alter Speisesaal"
entsteigen. Auf ihrem Einweihungskonzert, bei
dem unter anderem die bewährte Bremer
Oldie-Coverband "Larry & the Handjive" für
Stimmung sorgte, übergab die Bremer Heimstiftung
den Betrieb des Hauses an den dafür
gegründeten "Ellener Hof Verein".
Blieb nur noch das eine Thema: Was soll dort
aufgeführt werden? Neue Ensembles, welcher
künstlerischer Ausrichtung auch immer,
schießen auch in Bremen-Osterholz nicht über
Nacht aus dem Boden. Also erst einmal ein Veranstaltungsjahr
gleichsam zur Probe, mit diversen
Vor- und Aufführungen aus ganz unterschiedlichen
Richtungen. Da kam es dem für
die Programmgestaltung verantwortlichen Vereinsvorsitzenden
sehr gelegen, dass er sich
zumindest in seinem heimischen Lilienthal
etwas auskannte. Vor allem kannte er das Wintertheater
- und ihren Gründungsleiter.
Warum, so sagte er sich, sollen die, so gut, wie
sie sind, nicht mal in Bremen ihr Glück versuchen?
Ein Anruf, ein Treffen - und die Idee ging in
die Umsetzung. Zwei Vorstellungen sollten es
werden, und zwar nach der Dernière in Lilienthal
Ende Januar und vor dem Gastspiel in Göttingen
am letzten Februarwochenende. Am 8.
Februar, einem Donnerstag, wurden Kleider und
Kulissen aus Lilienthal abgeholt und Letztere
noch am selben Tag in der Kultur-Aula aufgebaut.
Tags darauf gab es schon die erste von
zwei vereinbarten Vorstellungen. Wie die Profis
gingen die Akteure zu Werk. Für vollwertige
Proben, etwa um sich mit der neuen Bühne vertraut
zu machen, vor allem mit ihrer Akustik
und ihren Auf- und Abgängen, reichte die Zeit
nicht. Ein paar kurze Anweisungen des Prinzipals
und Regisseurs und ebensolche Abstimmungen
untereinander mussten ausreichen.
Kaum eine Stunde später öffnete sich der Vorhang.
Obwohl das Haus noch lange nicht ausverkauft
war, waren die Zuschauer vom grandiosen
Spiel der Truppe begeistert. Auch bei der zweiten
Aufführung, einer besser besuchten Nachmittagsvorstellung
am Sonntag, den 11. Februar,
sprang der Funke von der Bühne aufs Publikum
über. Und zwar so deutlich, dass das Ensemble
entschied: Nächstes Jahr kommen wir wieder.
Dann allerdings mit einem ausgesprochen
anspruchsvollen Stück: "Momo", nach dem
Roman von Michael Ende.
Zum Schluss erfuhr der Chronist ganz
nebenbei, dass dies doch nicht der erste Auftritt
der Truppe in Bremen war. Im Jahr 2003 hatte
das Wintertheater mit "König Drosselbart" an
einem Tag der offenen Tür des Bremer Theaters
teilgenommen - und sogar den Publikumspreis
gewonnen! Damals also schon weiter gekommen
als die Bremer Stadtmusikanten, die
bekanntlich nie in Bremen angekommen sind.
Jens Uwe Böttcher
RUNDBLICK Frühjahr 2018
31
Heinrich Vogelers Friedensappell von 1918
- aktuell bis heute
H. Vogeler; Schützengraben
32
In unseren heute so friedlichen Zeiten in
Europa scheinen die Gräuel der beiden Weltkriege,
die von Deutschland angezettelt wurden,
langsam in Vergessenheit zu geraten. Mit
großer Distanz können wir die Kriege dieser
Welt von sicherem Territorium aus betrachten.
Kaum vorstellbar ist das Risiko, das vor einhundert
Jahren Heinrich Vogeler auf sich nahm, als
er seinen Friedensappell an den deutschen Kaiser
schrieb. Dieser Protestbrief hat, dank der
vielen weltweiten Kriegsschauplätze, heute
nichts von seiner Aktualität eingebüßt, und so
veröffentlichte zum Jahresanfang der Kenner
der Worpsweder Kunstgeschichte Bernd Stenzig
ein akribisch recherchiertes Buch über „Das
Märchen vom lieben Gott“, wie Vogeler selbst
sein Schreiben an den Deutschen Kaiser betitelte.
Der Autor, der Privatdozent und Hochschullehrer
am Institut für Germanistik der Universität
Hamburg ist, schrieb schon zahlreiche
Publikationen über Heinrich Vogeler. Durch
seine profunden Kenntnisse von Originalquellen
entsteht eine spannende Chronologie der
Ereignisse – ausgehend vom Originaltext des
Friedensappells, der in einem Worpsweder
Museum als handschriftliche Abschrift von
Heinrich Vogeler vorliegt. Vogelers militärische
Karriere vom kriegsfreiwilligen Oldenburger
Dragoner bis zum zeichnenden Kundschafter
und Gestalter von Drucksachen ist nicht durch
Heldentaten und Nationalpatriotismus
geprägt, sondern zunächst von einem naiven
Glauben an den Kaiser. Immer wieder pendelt
der sensible Künstler zwischen Generalstab und
Front hin und her und ist zunehmend erschüttert
vom Elend und der Sinnlosigkeit des Krieges.
Anfang Januar 1918 kehrt Vogeler, für die
Familie überraschend, aus dem Krieg zurück. Er
ist empört über das deutsche Verhalten
während der in Brest-Litowsk stattfindenden
Verhandlungen über einen Separatfrieden mit
der Sowjetunion, das einen baldigen Frieden
verhindert. Interessant und neu ist, dass sich
Vogeler zu dieser Zeit noch als einen treuen
Anhänger der Monarchie bezeichnet. Sein am
20. Januar 1918 formulierter Brief an den Kaiser
und auch ein weiterer Brief drei Tage später
an seinen vorgesetzten Major sollen den Kaiser
sowie die Oberste Heeresleitung Hindenburg
und Ludendorff zu einem baldigen Friedensschluss
bewegen.
Im ersten Brief verwendet Vogeler dafür eine
Erzählform, die an die zeitgenössische expressionistische
Literatur erinnert, wie Bernd Stenzig
schlüssig erläutert. Hierin kommt der „liebe“
Gott als alter, trauriger Mann am 24. Dezember
auf den Potsdamer Platz in Berlin und verteilt
ein Flugblatt, auf dem steht: „Friede auf Erden
und den Menschen ein Wohlgefallen“. Nachdem
er durch die Staatsmacht standrechtlich
erschossen wurde, erscheint er ein paar Tage
später wieder und verweist auf die zehn Gebote.
Er findet aber keine Aufmerksamkeit. Zum
Abschluss fordert Vogeler Kaiser Wilhelm II. auf:
„Sei Friedensfürst […] In die Knie vor der Liebe
Gottes, sei Erlöser, habe die Kraft des Dienens.“
Stenzig hält Heinrich Vogelers Bekenntnis zum
Christentum für eine durchaus „gläubige“ Haltung,
die sich auch ab 1917 in mehreren Briefen
an seine Frau Martha und an Harry Graf
Kessler belegen lassen. Heinrich Vogeler und der
kunstaffine Ordonnanzoffizier Graf Kessler hatten
sich 1915 bei einer gemeinsamen Frontinspektion
kennengelernt.
Aus Sorge der erste Brief würde vielleicht den
Kaiser nicht erreichen, sendet Vogeler am 23.
Januar 1918 einen weiteren Brief mit einer
Abschrift des ersten auf dem ordentlichen
Dienstweg über seinen Major mit der Bitte um
Weiterleitung an Ludendorff. In diesem doppelt
so langen Begleitbrief ist zu spüren, dass Vogeler
über die Auswirkungen des Krieges außer
sich ist. „Unser Volk ist am Ende, die Revolution
lebt wie eine fressende Flamme. Kein Brot, keine
Sättigung kann sie ausschalten! Wahrheit!
Wahrheit, gebt den Menschen Wahrheit!“
Diese Briefe setzt Bernd Stenzig in den historischen
Kontext und bescheinigt Vogeler eine
politische Weitsicht. Wenige Tage später treten
über anderthalb Millionen Arbeiter, angeführt
durch das linke politische Spektrum, in den
Streik – und Heinrich Vogeler findet sich
„unversehens auf Seiten derLinken wieder. Im
Bürgertum ist er damit ein Sonderfall, er tritt
ein erstes Mal heraus aus seiner Klasse“, so
Stenzig. Beide Briefe könnte man todesmutig
nennen, vielleicht sind sie aber auch in einer
tiefen Depression geschrieben worden. Es ist
nicht überliefert, ob der Kaiser die Briefe gelesen
hat. Im Hauptquartier beim Ersten Generalquartiermeister
Erich Ludendorff sorgte der
Brief für Empörung. Der Befehl, Heinrich Vogeler
standrechtlich zu erschießen, ist dann aber
doch zu einer Einweisung in die Bremer Irrenanstalt
abgewandelt worden. Am 27. Februar
wird Vogeler wieder entlassen.
Im Verlauf der nächsten Jahre entwickelt
Vogeler eine eigene politische Weltanschauung,
in der er auf unorthodoxe Weise Religion und
Rätekommunismus verknüpft, findet dafür aber
weder bei den örtlichen noch bei den Bremer
Kommunisten Verständnis. Seine Kommune
Barkenhoff, eine Insel im kapitalistischen Staat,
bleibt ein Solitär und scheitert nach wenigen
Jahren.
Im letzten Kapitel geht Bernd Stenzig ausführlich
auf die Bedeutung des Kaiserbriefs in
Vogelers letzten Lebensphase von 1931 bis 1942
in der Sowjetunion ein. Heinrich Vogeler bezog
sich später immer wieder auf diesen Brief, um
seinen frühen Einsatz für den Kommunismus
deutlich zu machen. Er geht dabei so weit, seine
eigenen Intentionen und politischen Einstellungen
nachträglich umzudeuten, um sich als
treuen Parteigänger darzustellen. Warum er
dies tat, stellt Stenzig umfassend dar – sein
Ausschluss 1929 aus der KPD in Deutschland,
die Umsiedlung nach Moskau 1931, seine
beruflichen und persönlichen Schwierigkeiten
bis hin zu seiner Zwangsevakuierung 1941, die
1942 zu seinem einsamen Tod in der kasachischen
Steppe führt. Insbesondere das Studium
der Komintern-Kaderakte im Russischen Zentrum
für die Aufbewahrung und Erforschung
RUNDBLICK Frühjahr 2018
der Dokumente der neuesten Zeit (RCCHIDNI) in
Moskau, die dank Reinhard Müller 1995 erstmals
eingesehen und publiziert wurde, ist dafür
eine bedeutende Quelle.
Bernd Stenzig gelingt es mit seiner Analyse,
die Geburtsstunde des politischen Engagements
Heinrich Vogelers verständlich zu
machen. Mit seinem Buch veröffentlicht er ein
Standardwerk zu einem entscheidenden
Lebensabschnitt Heinrich Vogelers. Dazu trägt
auch das Personenregister am Ende des Buches
bei, das eine schnelle Suche nach bestimmten
Personen ermöglicht.
Durchweg ist Stenzigs starke Empathie für
Vogelers todesmutigen Einsatz für den Frieden
zu spüren und er schließt mit den Worten der
deutschen UNESCO-Kommission. Es sei die
mutige Tat eines großen Menschen, „dessen
Friedensbrief an Kaiser Wilhelm II. im Januar
1918 als kühnes Friedensvorhaben in die
Geschichte einging – und dessen Verhalten
auch heute Generationen beeindruckt.“
Daniela Platz
Bernd Stenzig, Das Märchen vom lieben Gott
– Heinrich Vogelers Friedensappell an den Kaiser
im Januar 1918. Hardcover, 119 Seiten, div.
teils farbige Abb. von Dokumenten, Zeichnungen
und Gemälden, erschienen im Donat Verlag,
Bremen 2018. ISBN 978-3-943425-59-8
Bildnachweis: Buchtitel, Donat Verlag Bremen
Postkarte nach Federzeichnung, 1915, Privatbesitz
Fast
vergessen …
Stimmungsbilder aus Moor und
Heide im Spiegel der Dichtkunst
Heute nahezu unbekannt ist der Dichter
Richard Dehmel, obwohl er in den ersten beiden
Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts als
herausragender Lyriker galt. Hier und dort findet
man noch in Anthologien und Lesebüchern
einzelne Gedichte von ihm. Doch im
Gegensatz zu denen seiner Zeitgenossen wurden
seine Werke nicht neu aufgelegt. Richard
Dehmel wurde am 18. November 1863 als
Sohn eines Försters in Hermsdorf, Provinz
Brandenburg, geboren. Nach dem Abitur in
Danzig studierte er in Berlin Naturwissenschaften,
Nationalökonomie und Philosophie.
Er beendete sein Studium in Leipzig mit der
Promotion im Jahre 1887 und arbeitete daran
anschließend als Sekretär im Versicherungswesen
in Berlin. Während dieser Zeit verkehrte
er im Umkreis des Berliner Naturalismus und
widmete sich der Dichtkunst. Nach der Scheidung
von seiner ersten Frau Paula Oppenhei-
mer, mit der er auch Kinderbücher verfasst
hatte, heiratete Dehmel ein zweites Mal. Weite
Reisen durch Europa folgten. 1912 bezog das
Paar ein in Hamburg-Blankenese neu gebautes
Haus. Trotz seines schon fortgeschrittenen
Alters meldete sich Richard Dehmel beim Ausbruch
des Ersten Weltkrieges 1914 freiwillig
zum Kriegsdienst. Am 8. Februar 1920 starb er
an einer Venenentzündung, die er sich im Krieg
zugezogen hatte.
Peter Richter
Sommerabend
Klar ruhn die Lüfte auf der weiten Flur;
fern dampft der See, das hohe Röhricht flimmert,
im Schilf verglüht die letzte Sonnenspur,
ein blasses Wölkchen rötet sich und schimmert.
Vom Wiesengrunde kommt ein Glockenton,
der Hirte sammelt seine satte Herde;
im stillen Walde steht die Dämmrung schon,
ein Duft von Tau entweicht der warmen Erde.
Im jungen Roggen rührt sich nicht ein Halm,
die Glocke schweigt wie aus der Welt geschieden;
nur noch die Grillen geigen ihren Psalm.
So sei doch froh, mein Herz, in all dem Frie-
RUNDBLICK Frühjahr 2018
33
800 Jahre Worpswede
Von der Ansiedlung zum Künstlerdorf
Das kleine Bauerndorf Worpswede wurde
1218 erstmals in einer Urkunde erwähnt – ein
guter Grund der Einheimischen, mit Gästen von
Nah und Fern ein großes Fest zu feiern. Seit vier
Jahren bereitet sich das Dorf auf sein Jubiläum
vor. Das Ergebnis der Planungen ist eine
Mischung aus speziell kreierten Veranstaltungen,
die auf verschiedene Epochen der Ortsentwicklung
oder direkt auf die mittelalterliche
Zeit vor 800 Jahren Bezug nehmen, und Traditionsfeste,
die in diesem Jahr mit besonderen
Attraktionen aufwarten. Das gesamte Jahr steht
unter dem Motto „800 Jahre Worpswede – mit
Brief und Siegel“.
Mittelalter
Es war Sonnabend, der 21. Juli 1218, als der
Erzbischof Gerhard I. von Hamburg-Bremen
dem Benediktiner Nonnenkloster St. Marien zu
Osterholz eine Hälfte des Zehnten von vier
Hufen in „Worpensweerde“, das heißt von vier
Vollhöfnern, übertrug. Der Name eines Worpsweder
Einwohners wird in dieser Urkunde
genannt: „mit samt den Töchtern des Swether“.
1
Er ist damit der älteste bekannte Worpsweder
Familienname – der allerdings später im Ort
nicht mehr zu finden ist. Die drei Töchter heirateten
vielleicht in die Familien Oldenbüttel,
Schmonsees, Behrens, Bötjer oder Segelken, die
aus den Hofakten überliefert sind.
1223 folgt eine Schenkung des Welfen Heinrich
V., Herzog von Sachsen und Pfalzgraf bei
Rhein, Sohn des Welfen Heinrich der Löwe, der
dem Kloster Osterholz „vier Hufen Landes zu
Worpswede mit dem Obereigentumsrecht“
überschreibt. Etwa um 1224 schenkt auch die
Altes Bauernhaus nach 1932, Verlag H. Ch. Büsing, Bremen
34
Markgräfin Mathilde von Brandenburg, Witwe
des Askanier Albrecht II., die zweite Hälfte der
Worpsweder Insel, „medietatem insule“ mit vier
Hufen. Hier mutiert der Name zu „Worpeneswede“.
In einer Urkunde des Papstes Gregor IX.
vom 5. Februar 1229 wird dem Kloster Osterholz
der Besitz des Ortes Worpswedes, nun „Worpensethe“
genannt, bestätigt. 2 1244 verfügt dann
der Erzbischof von Bremen Gerhard II. die letzte
Hälfte des Zehnten der Worpsweder Höfe an das
Kloster. 3
Im Mittelalter wurde, unabhängig vom Zehnten,
der an die Kirche gezahlt wurde, auch eine
Abgabe an die adeligen Gerichts- und Grundherren
entrichtet. So hat es für eine lange Zeit
die Situation gegeben, dass die Worpsweder
Bauern ihre Grundsteuer an unterschiedliche,
sogar verfeindete Adelsfamilien zahlen mussten
und den Zehnten zusätzlich an die Landeskirche.
Mit der Zusammenführung der Eigentumsverhältnisse
und der verschiedenen Abgaben
kam eine Jahrzehnte dauernde Erbstreitigkeit,
in die Heinrich der Löwe und einige andere Protagonisten
der Zeit verwickelt waren, zu einem
friedlichen Ende. Der Streit um die Herrschaftsrechte
an der unteren Elbe und der Weser hatte
eine bis 1236 dauernde Konfrontation zwischen
dem Welfen und den Staufern entfacht.
In Folge der Streitigkeiten war das kleine, aber
auf einer strategisch interessanten Landmarke
im Teufelsmoor gelegene Fleckchen Worpswede,
1106 auf zwei verfeindete Erbparteien aufgeteilt
worden. 4 Gerrit Aust sind diese Erkenntnisse
zu verdanken, der recherchierte, dass die
Teilung des Dorfes einen strategischen Grund
hatte.
Im Kriegsfalle konnte sich die Truppe auf diesen
Hügel zurückziehen und von dort aus die
Bauernhof Hof 6 nach 1932
Verlag H. Ch. Büsing; Bremen
Bewegungen der feindlichen Heere zwischen
Bremen und Stade am Osterholzer Geestrand
beobachten.
Der Weyerberg war allerdings nur schwer zu
erreichen, denn er war vollständig eingeschlossen
von Nieder- und Hochmooren, die jegliche
Querung zu einem waghalsigen Abenteuer
machten. Die Moore begannen vor etwa 11.000
Jahren den Weyerberg von der Außenwelt abzuschneiden.
Es gab nur wenige Knüppelwege,
später zu Sandwegen ausgebaut, die im Winterhalbjahr
wegen der häufigen hohen Wasserstände
durch Sturmfluten und ergiebige
Regenfälle unpassierbar waren. Das Hauptverkehrsmittel
war dann ein Kahn mit geringem
Tiefgang, mit dem man das Moorflüsschen
Hamme befuhr. Allerdings mussten die Bewohner
dafür zunächst zweieinhalb Kilometer zu
Fuß an den Fluss laufen. Noch im siebzehnten
Jahrhundert war Worpswede nur durch einen
Sommerweg Richtung Tarmstedt mit der
Außenwelt verbunden. 5
In den Urkunden werden insgesamt acht
Worpsweder Hufe erwähnt. Eine Hufe war ein
landwirtschaftliches Gut, das mit einem Pflug
bestellt werden kann und damit der Arbeitskraft
einer Familie entspricht. Die Worpsweder
Bauern bewirtschafteten den sandigen Boden
des Weyerbergs in einer Heideplaggwirtschaft.
Vermutlich wurden in den benachbarten Moorflächen
und auf dem Berg der obere, durchwurzelte
Bodenbereich abgetragen und als
Stalleinstreu benutzt. Mit dem Stallmist angereichert,
wurde dies Material als Dünger auf die
dorfnahen Ackerflächen, die sogenannten
Eschen, aufgebracht. Allerdings brauchten die
Bauern mindestens das fünffache an Plaggfläche,
um ihre Äcker gut bewirtschaften zu
können. Von hier kommt vermutlich der Begriff
„sich abplagen“. Durch das Abplaggen entstand
eine Auszehrung des Bodens, auf dem dann nur
noch Heide und wenige Büsche und Birken
wuchsen. Der Standort auf dem Weyerberg
ermöglichte immerhin eine einträgliche
Bewirtschaftung mit Ackerbau und Viehzucht -
und als weiteres Zubrot den Fischfang in der
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Hamme und seinen Ausläufern. An den Sonntagen,
zu Beerdigungen und Hochzeiten fuhren
die Worpsweder Familien mit dem Kahn nach
Scharmbeck. Im elften Jahrhundert wurde der
Ort allerdings noch „Scirnbeci“, etwas später
dann „Sandbeck“ genannt. Die Gründung der
ersten Holzkirche „St. Willehardi“ soll auf den
Missionar Ansgar aus Bremen zurückgehen und
ist somit die älteste Kirche in der Region. 6 1182
wird am Geest-rand das Benediktinerkloster St.
Marien zu Osterholz gegründet. Obwohl die
Bauern ihre Zehnten ab dem dreizehnten Jahrhundert
hier abliefern, gehören sie weiterhin
der Kirche von Scharmbeck an, bis sie ihre
eigene Kirche auf dem Weyerberg erhalten.
Aber bis dahin erleben die Worpsweder noch so
manche unruhigen Zeiten.
Die Reformationszeit
Im sechzehnten Jahrhundert breitet sich die
Reformation im norddeutschen Raum rasant
aus. Vor allem an Orten mit großen Märkten
Gehöft Weyermoor 3, mit Blick auf den Moorexpress, 1934
Schnaars (Worpswede 6), Gevert Behrens
(Worpswede 7), Hinrich Segelken (Worpswede
8), Gevert Schmonsees, Vorfahre der Monsees
(Worpswede 9), Dierk Bötjer (Worpswede 12),
die sich alle im Südosten des Weyerberges angesiedelt
haben. Dann folgen die Familien Reiners,
Mahnken, Wellbrock, Semken und Kück. Beim
Studium der Stammbäume fällt auf, dass es
zahlreiche familiäre Verbindungen zwischen
den Familien gibt.
Das Teufelsmoor wird
schwedisch
Im Westfälischen Frieden von 1648 werden
Königin Christine von Schweden unter anderem
die Bistümer Bremen und Verden zugesprochen.
Allerdings nimmt sie dieses Gebiet als deutsche
Reichsfürstin in Besitz, sodass das Territorium
als Provinz Mitglied im schwedischen Landesgebiet
wird und alle seine Rechte und Privilegien
des Heiligen Römischen Reiches weiter Bestand
haben.
Foto: Martha Vogeler
Königin Christine schenkt ihrer Kusine Eleonora
Catharina von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg,
die mit ihr gemeinsam in Stockholm aufgewachsen
war, zur Hochzeit mit dem Landgrafen
Friedrich von Hessen-Eschwege (der „tolle
Fritz“) das Rittergut Beverstedtermühlen. Von
der Mitgift kaufen sich die beiden darüber hinaus
noch das Gut Stotel. Für seine Verdienste im
Kriege erhält der Landgraf die Klöster Osterholz
und Lilienthal. Zunächst regieren sie von
Eschwege aus die Region. Auf einer Reise durch
das Gebiet entdecken der Landgraf und seine
Frau die Schönheit des Weyerberges und
beschließen 1654, ein sogenanntes Lust- oder
Jagdschloss zu bauen. Die Schloss-Scheune, der
Fischteich und der Entenfang im Straßentor
waren schon fertiggestellt und der Thiergarten
mit einigen Baumpflanzungen angelegt, als
Friedrich 1655 während des schwedisch-polnischen
Krieges stirbt. Seine Witwe Eleonora Catharina
ist 29 Jahre alt und bleibt mit ihren Kindern
allein in Eschwege zurück. Karl X. Gustav,
Eleonora Catharinas Bruder, war ein Jahr zuvor
der nächste schwedische König geworden. Er
bestätigt sie als Erbin und Landgräfin mit ihren
Besitztümern in Osterholz, Lilienthal und Stotel
und sie erhält eine Pension von 3.000 Reichstalern,
was für eine Frau in der damaligen Zeit
nicht selbstverständlich war.
Um 1656 verlegt sie ihren Wohnsitz nach
Norddeutschland und bewohnt die alten
Gebäude des Klosters in Osterholz. Ihr Schwiegersohn
Baron von Lilienburg übernimmt die
Verwaltung des Guts Stotel. Die Sommermonate
residiert sie in Lilienthal, im Winter wohnt sie in
Osterholz. Von hier aus leitet sie die Amtsgeschäfte,
sitzt selbst dem Gericht vor und siedelt
weitere Bauern in Osterholz an. Das Armenund
Pflegehaus wird finanziell von ihr unterstützt,
ein Arzt von ihr eingesetzt und eine Apotheke
gegründet. Und es werden die Gilden für
Tuchmacher und Schuster als Amt eingerichtet,
die die Ausübung der Berufe regulieren sollen. 8
Das Schlossbauprojekt betreibt sie nicht weiter.
verbreitet sich die neue Lehre schnell. 1522 predigt
der Augustinermönch Heinrich von Zütphen
erstmals in Bremen. Das Osterholzer Kloster
erhält in dieser Zeit von 120 Ortschaften
den Zehnten und war dadurch finanziell sehr
gut gestellt. In Lilienthal gab es seit 1230 das
Zisterzienser Nonnenkloster St. Maria im Tal der
Lilien. Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis
1648 fordert auch hier in der Region seine
Opfer. Immer wieder streifen kämpfende Truppen
durch die Region. Es ist nicht überliefert, ob
sie auch bis an den Weyerberg kamen. Das Moor
mag in dieser Zeit ein guter Schutz gegen
unliebsame Besucher gewesen sein. Allerdings
haben die Bauern ihre kostbaren Eichen als
Kriegsmaterial abliefern müssen, sodass der
Baumbestand vermutlich fast ganz verschwunden
war. In dieser Zeit begannen die Bauern ihr
Brennmaterial, aus Mangel an Holz, durch Torf
zu ersetzten.
Über die Familien dieser Region gibt es aus
dem sechzehnten Jahrhundert nur wenige Aufzeichnungen.
7 In Worpswede sind es die Namen
Gevert Oldenbüttel (Worpswede 5), Johann
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Totenweg 1934
Foto: Martha Vogeler
35
Alter Ortskern Worpswede mit Slottschün
Heute gibt es nur noch wenige Zeugnisse aus
dieser Zeit. Ein Wanderweg am Rand des Weyerbergs
heißt immer noch Thiergarten. Eine Trauben-Eiche,
den Einheimischen als die „Mackensen-Eiche“
bekannt, stammt noch aus der Aufforstung
des Weyerbergs und zeichnete sich
Jahrhunderte besonders vor dem Berghang ab.
Sie wurde als Naturdenkmal unter Schutz
gestellt. Im letzten Jahr zerbarst der Baum bei
einem Sturm und bleibt nun als Fragment weiterhin
Zeugnis dieser Zeit. Die Schloss-Scheune
(Slottschün) erfährt eine zweite Renaissance,
als die Worpsweder Künstlervereinigung
1933/1934 das Fachwerkgebäude als Versammlungsraum,
in dem sie unzensiert ihre Ausstellungen
durchführen kann, einrichtet. Vier Jahre
später wird das Gebäude abgerissen. Begründet
wird es von der Verwaltung mit dem Bau der
Straße nach Osterholz, Insider vermuteten
damals aber politische Gründe – die Künstlerschaft
galt tendenziell als Links orientiert.
Am 3.3.1692 stirbt Eleonora Catharina. 9 Zu
ihrer Trauerfeier am 18.3. kommen hochrangige
weltliche und geistliche Würdenträger. Die
Glocken läuten in Lilienthal, St. Jürgen, Hambergen,
Lesum, Trupe, Scharmbeck und Osterholz.
Ihr Leichnam wurde aus Geldmangel in
einem einfachen Holzsarg in die Fürstengruft
nach Eschwege überführt. 10
Neu Helgoland, Torfkahn, Fotograf unbekannt
36
Vollkommen zu Unrecht ist diese bedeutende
Person unserer Region in Vergessenheit geraten.
Siebenunddreißig Jahre hat sie über die
Geschicke der Bewohner und Bewohnerinnen
bestimmt. Mit ihrer gerechten, aber auch milden
und fürsorglichen Art war sie eine Ausnahmeerscheinung
in der sonst männerdominierten
Herrscherwelt. Ab 1672 taucht der Name
Catharina als Mädchenname in Worpswede auf
- vielleicht als Wertschätzung ihrer Landesherrin.
Moorkolonisierung
Fotograf unbekannt
Ab 1742 beschäftigt sich die Hannoversche
Regierung unter Georg II., Kurfürst von Hannover
und englischer König, mit der Besiedlung
der Moore. 1751 wird Jürgen Christian Findorff
mit der Umsetzung der Moorkolonisation
beauftragt. Die Randbereiche der Moore waren
schon besiedelt, aber im unwegsamen
Hochmoor in der Mitte des Teufelsmoores werden
nun neue Kolonien geplant und vermessen.
Auch aus Worpswede lassen sich einige Bewohner,
Häuslinge, Knechte, Mägde und Bauernsöhne
und -töchter als Moorsiedler gewinnen.
Auf dem Weyerberg wird eine neue Kirche
errichtet, die für viele Jahre die Hauptanlaufstelle
aller neuen Moorbewohner und -bewohnerinnen
wird. Die Kirchengemeinde bestand
anfangs aus 153 Feuerstellen, das sind bei
durchschnittlich sieben Familienmitgliedern
insgesamt über 1.000 Personen. Etwa fünfzig
Jahre später zählt die Kirchengemeinde schon
400 Feuerstellen mit 2.886 „Seelen“. 11 Der Ausflug
der Moorsiedler nach Worpswede, ob zu
Fuß oder mit Kutsche, ist einerseits eine willkommene
Abwechslung im harten und einsamen
Alltag. Andererseits ist der Kirchgang für
mindestens ein Familienmitglied Pflicht, denn
die Kirche ist auch der Ort der amtlichen
Bekanntmachungen. Jeder Siedler unterschrieb
mit der Übernahme seines Landes, dass er sonn-
tags zur Kirche kommt.
Entlang der Hauptstraße in Worpswede siedeln
sich bald Gastwirtschaften, Geschäfte,
Handwerker und eine Apotheke an. Jeden
Sonntag strömen hunderte Menschen die
Kirchstraße hinauf und erledigen ihre Einkäufe
nach dem Gottesdienst. Plötzlich wird aus dem
weltabgeschiedenen Dorf, das sich Jahrhunderte
nicht veränderte, ein Ort mit einem regen
Kommen und Gehen. Worpswede erhält einen
enormen Entwicklungsschub. Die letzte neue
Moorkolonie „Neu Mooringen“ wird 1808 nach
Jürgen Christian Findorffs Plänen gegründet.
Der „Vater aller Moorbauern“ erlebt dies nicht
mehr, er war 1792 gestorben.
Künstlerdorf
Mit dem Einzug der Künstler und Künstlerinnen
in das Dorf kommt es erneut zu einer
wesentlichen Erweiterung der Dorfgemeinschaft.
Fritz Mackensen besucht seit 1884 das
Dorf im Teufelsmoor regelmäßig. Heute ist die
Gründung der Künstlerkolonie 1889 durch ihn
und seine Malerfreunde Otto Modersohn und
Hans am Ende legendär. Es ist vermutlich der
freundlichen Aufnahme durch die einheimische
Bauernschaft zu verdanken, dass sie blieben
und auch weitere Künstler und Künstlerinnen
in den Ort zogen. 1895 sind es sechs Künstler,
um 1900 sind es mehr als fünfzehn Kollegen
und Kolleginnen mit stetig wachsender Tendenz.
Ihre Häuser und Villen tragen zur Veränderung
des Ortsbildes bei. Den größten Einfluss
hat Heinrich Vogeler, der 1903 mit dem Bauern
Johann Bötjer den Verschönerungsverein
Worpswede e.V. initiiert und dann Vorsitzender
des Vereins und Mitglied der Baukommission
wird. Er berät nicht nur die Bauwilligen des
Ortes, sondern bekommt auch diverse Planungsaufträge
für neue Gebäude. Haus Garmann,
heute Vogeler-Villa genannt, ist der erste
Auftrag für einen Eisenwarenhändler. Vogeler
wird sogar zwei Künstler, die Brüder Walter und
Alfred Schulze, zur Unterstützung einstellen.
Wenn man alle Gebäude der drei talentierten
Zeichner zusammenrechnet, haben sie bis 1914
fünfzehn Häuser entworfen. 12 Das bekannteste
Gebäude ist der Worpsweder Bahnhof, der 1910
fertiggestellt wird und heute unter Denkmalschutz
steht, weil es eines der sehr seltenen
vollständig erhaltenen Jugendstilgebäude
Deutschlands ist.
Als die Künstler ihren ersten großen Ausstellungserfolg
in München 1895 feiern können,
wird Worpswede ein touristisch interessantes
Ausflugsziel. Schon vorher kamen die Bremer
als Tagesbesucher in das Bauerndorf. Ab 1906
entstehen Ausstellungshäuser, Cafés, Kunstgewerbewerkstätten
und weitere Künstlerateliers,
die um die Aufmerksamkeit der Besucher werben.
In einem Interview, das Radio Bremen 1953
mit dem Hoferben Nicolaus Bötjer aus der Bauernreihe
führte, berichtet er davon, dass Künstler,
Kaufleute und Bauern zu Beginn miteinander
befreundet waren und viele Feste miteinander
feierten. 13
RUNDBLICK Frühjahr 2018
An der Hamme nach 1932 Verlag H. Ch. Büsing; Bremen
Nationalsozialismus
Zwischen den beiden Weltkriegen wird
Worpswede zu einem Schauplatz weltanschaulicher
und politischer Auseinandersetzungen.
Nicht nur die Künstlerschaft, auch die anderen
Einwohner Worpswedes teilen sich in ein konservatives
und ein linkes Lager. Heinrich Vogeler
gründet auf dem Barkenhoff eine kommunistische
Kommune und verkündet in öffentlichen
Reden seine neuesten politischen Erkenntnisse.
Fritz Mackensen entwickelt sich zu einem erbitterten
Feind in dieser Zeit. Mit der Ernennung
Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar
1933 verändert sich das Leben im Ort schlagartig.
Bei der im März durchgeführten Reichstagswahl
stimmen von 859 Wahlberechtigten
Worpswede 1939, Maryan Žurek
RUNDBLICK Frühjahr 2018
472 für die NSDAP, 98 für die Kampffront
Schwarz-Weiß-rot (deutschnational), 94 für die
SPD, 47 für die KPD, der Rest wählt Splitterparteien.
Vermutlich wird kurze Zeit später die
Kirchstraße in Adolf-Hitler-Straße (heute Findorffstraße)
und die Bergstraße hieß Hindenburgallee.
Am ersten April 1933 wird in Deutschland
zum „Judenboykott“ aufgerufen. Kurze Zeit
später wird am Tennisplatz des jüdischen Kaufmanns
Walter Steinberg aus Bremen ein judenfeindliches
Schild angebracht. 14 Der Platz
befand sich in der Bergstraße auf dem Gelände
der Nr. 12. Auch die Familie des jüdischen
Schlachters Abraham im Udo-Peters-Weg
(heute Schlachter Schopfer) bekommt die
feindliche Atmosphäre zu spüren. Henny Abraham
und ihr Sohn Fred können zu ihren Ver-
wandten nach New York City flüchten. Mutter
Rosa Abraham bleibt in Worpswede, weil sie sich
immer noch sicher fühlt und stirbt 1942 im Vernichtungslager
Treblinka. In den Schulen wird
inzwischen Rassenkunde und Vererbungslehre
eingeführt. Christel Meiners-DeTroy berichtet
in ihrem Buch über die bedrohliche Stimmung
andersdenkenden Menschen gegenüber. 15 Eine
weitere wichtige Quelle ist das Buch von Anning
Lehmensiek über die Juden in Worpswede. 16
Künstler und Künstlerinnen hatten auf
unterschiedliche Weise unter dem nationalsozialistischen
Regime zu leiden. Der 1931 in die
Sowjetunion ausgereiste Heinrich Vogeler wird
drei Jahre später ausgebürgert und kann nicht
mehr in seine Heimat zurückkehren. Karl Jakob
Hirsch flüchtet zunächst in die Schweiz und
dann in die USA. Bernhard Hoetger, selbst
Anhänger Adolf Hitlers, wird als entarteter
Künstler mit Ausstellungsverbot belegt. Die
Werke Paula Modersohn-Beckers werden aus
öffentlichen Museen und Sammlungen
beschlagnahmt. Mehrere expressionistische
Künstler erhalten Ausstellungsverbot. Andere
passen sich an den staatlich empfohlenen
nationalsozialistischen Realismus an.
Auf Anordnung der Partei entstehen Arbeitslager,
in denen junge Frauen und Männer für
verschiedenste Arbeiten auf dem Lande eingesetzt
werden. Auf der Dohnhorst entsteht das
sogenannte Maidenlager. Als der Krieg beginnt,
werden die meisten jungen Männer zum Kriegsdienst
eingezogen. Alte, Frauen und Kinder bleiben
zurück und tragen die ganze Arbeitslast
allein - bis Ende September 1939 in Sandborstel
das riesige Kriegsgefangenenlager Stalag
XB entsteht. Während des gesamten Krieges
werden überall im Deutschen Reich Kriegsgefangene
als Zwangsarbeiter eingesetzt. Rund
um Worpswede entstehen in Gasthöfen, Schuppen
und Baracken örtliche Arbeitslager für Soldaten
aus der ganzen Welt, die als Erntehelfer,
Bäcker, Molkereiarbeiter und an vielen anderen
Stellen arbeiten müssen.
1938 wird eine neue Straße von Osterholz
über Waakhausen nach Worpswede gebaut. Mit
erheblichen Mengen Sand aus Lintel und
Worpswede wird ein Damm aufgeschüttet,
sodass die Straße auch bei winterlichen hohen
Wasserständen passierbar bleibt. Durch den
Sandabbau entsteht mitten in Worpswede vor
der Zionskirche ein großer Geländeeinschnitt,
den der Lehrer aus Wörpedahl in seiner
Schulchronik als eine Art „Culebra cut“
bezeichnet. Er vergleicht dieBaumaßnahme mit
dem Bau des Panamakanals. Seine Bemerkung
dazu: „So etwas kann auch nur in Worpswede
passieren“.
Ab 1940 kreisen regelmäßig feindliche Flugzeuge
über dem Teufelsmoor. Einzelne Flieger
werden abgeschossen und stürzen in die Moore
rings um Worpswede. In den letzten Kriegsjahren
muss die Worpsweder Feuerwehr zahlreiche
Einsätze in den Großstädten Bremen, Hamburg,
Wesermünde und anderswo übernehmen. 17 Zu
Beginn des Krieges hatte Worpswede 2.706 Einwohner,
1945 vergrößert sich die Zahl auf 5.591
Personen durch die Flüchtlinge aus den Ostgebieten.
Die Wohnungsnot ist sehr groß. Kriegs-
37
Zionskirche vor 1899
rückkehrer finden manchmal in ihrem eigenen
Haus kein Bett zum Schlafen. Die ehemaligen
Zwangsarbeiterlager werden zu Notunterkünften,
selbst der Niedersachsenstein von Bernhard
Hoetger beherbergt Flüchtlinge. Es dauert bis in
die 1950er-Jahre, bis durch neue Baugebiete
alle Neubürger menschenwürdige Unterkünfte
beziehen können.
Worpswede heute
Seit 1974 ist Worpswede mit den Dörfern
Hüttenbusch, Mevenstedt, Neu Sankt Jürgen,
Ostersode, Schlußdorf, Waakhausen und Überhamm
zu einer Einheitsgemeinde verschmolzen
und hat heute ca. 9.500 Einwohner. Der Ort
Worpswede auf dem Weyerberg zählt ca. 5.500
Einwohner. Worpswede versteht sich immer
noch als ein Dorf, das aber auf Grund der heterogenen
Bevölkerungsstruktur sehr unterschiedliche
Fassetten hat. Der Tourismus
ermöglicht eine Vielfalt an gastronomischen
und musealen Angeboten, die auch den Einheimischen
zugutekommen.
800 Jahre feiern
38
Die Hauptveranstaltung des Jubiläums findet
am Wochenende 21. und 22. Juli direkt im historischen
Ortskern in der Bauernreihe und dem
Straßentor statt. Auf dem Gelände des Rathauses,
einem der ältesten Bauernhäuser des Dorfes,
können die Besucher einen Living History
Markt erleben, auf dem professionelle Darsteller
in historischen Kostümen das Leben der
Worpsweder vor 800 Jahren authentisch darstellen.
Im weiteren Umfeld präsentieren sich
verschiedene Vereine und Initiativen der
Gemeinde, die den Bogen von der Vergangenheit
in die Gegenwart schlagen. In einer Freiluftausstellung
werden einige Meilensteine der
Ortsgeschichte und das Leben der Torfbauern
im Teufelsmoor präsentiert. Einige Autoren des
Worpsweder Lesebuchs, das erstmals zum
Jubiläum vom Heimatverein Worpswede e.V.
herausgegeben wird, berichten von ihren ortsgeschichtlichen
Forschungsergebnissen.
Seit Jahresbeginn bieten die Worpsweder
Gästeführer besondere Touren, Ortsspaziergänge
mit Museumsbesuch und begleitete
Rundfahrten per Rad, an. Die öffentlichen
Rundgänge „800 Jahre Worpswede“ starten ab
der Tourist-Information in der Bergstraße. Dort
beginnen auch die geführten Radtouren, die
zwischen Mai und September angeboten werden,
die zwar Worpsweder Geschichte im Fokus
haben, aber auch die landschaftlich spannende
Umgebung erleben lassen.
Der erst vor rund zwei Jahren gegründete
Heimatverein Worpswede e.V. versteht sich als
Koordinationsstelle und Veranstalter. Über ihn
ist auch eine vollständige Liste der Veranstaltungen
des gesamten Jahres erhältlich. Kontakt
über: Heimatverein Worpswede e.V., Hans-Hermann
Hubert, Bergstr. 1, 27726 Worpswede,
Heimatverein@Worpswede.de
Daniela Platz
1
Übernommen aus dem Urkundenbuch des
Klosters Osterholz, Hans-Heinrich Jark 1982.
Abschrift: Hodenberg 15. Druck: Pratje, Herzogtümer
IV Nr. 4(S. 16); Hamb. UB 1, Nr. 418;
Brem. UB 1 Nr. 113 (S. 134; Auszug) – Regest:
May 1 Nr. 754.
2
Zitat aus „Urkundenbuch des Klosters
Osterholz“ in der Bearbeitung von Hans-
Heinrich Jarck, 1982.
Fotograf unbekannt
3
Gerrit Aust, Das zweigeteilte Dorf, aus:
Worpswede – Das Bauerndorf wird Künstlerdorf,
2. Auflage 1992.
4
Ebd.
5
Karte de Wit in: Friedrich Netzel Stiftung
2017
6
www.willehadi.de abgerufen am 12.3.2018
7
Datenbank genealogy, Ortsfamilienbücher,
Teufelsmoor in: www.online-ofb.de/, abgerufen
am 13.3.2018
8
Wilhelm Berger, Heimat Rundblick 27. Jahrgang,
4/2014 Nr. 111, und Wilhelm Berger,
Heimat Rundblick 27. Jahrgang, 1/2015 Nr.
112
9
Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eleonore_Kat-
harine_von_Pfalz-Zweibr%C3%BCcken-
Kleeburg, abgerufen am 8.1.2018
10
Erika Thies, Die Landgräfin mit den zwei
Klöstern, in: Weser Kurier, 9.6.2007.
11
www.worpswede-moordoerfer.de, abgerufen
2.2.2018
12
Heike Albrecht, Worpswede, Künstler verändern
ein Dorf. Untersuchung zur baulichen
Entwicklung Worpswedes zwischen
1889 und 1929. Diplomarbeit Universität
Hannover 1988
13
Radio Bremen, Worpswede gestern und
heute. 1953. Kopie der Sendung in meinem
Archiv.
14
Mündlicher Bericht von Thomas Schiestl
und Christel Meiners-DeTroy 2017
15
Christa Meiners-DeTroy, Das schweigsame
Dorf am Weyerberg, Fischerhude 2016
16
Anning Lehmensiek, Juden in Worpswede.
Bremen 2014
17
Internetseite Freiwillige Feuerwehr
Worpswede
RUNDBLICK Frühjahr 2018
Ausstellung „Schwebschrauben und Scheinblüten"
Werke von Constantin Jaxy im Hafenmuseum Speicher XI in der Bremer Überseestadt.
Der seit vielen Jahren in Oyten lebende und
schaffende Künstler Constantin Jaxy wurde
1957 in Bremen-Walle geboren, studierte an
der Hochschule für Bildende Künstler in Braunschweig
(Meisterschüler bei dem 2017 verstorbenen
Prof. Malte Sartorius) und an der Königlichen
Akademie für Bildende Künstler in Den
Haag - um nur zwei Punkte aus seinem
umfangreichen Lebenslauf zu nennen. Eine
Vielzahl von nationalen und internationalen
Preise lassen sich aufzählen, ebenso Einzel- und
Ausstellungsbeteiligungen weltweit.
Jaxy arbeitet in Schwarz-Weiß - was nicht
schwarz wird, bleibt weiß, Yin und Yang, dunkel
und hell, Stillstand und Bewegung, Technik und
Zeit. Im Hafenmuseum zeigt er kleine und großformatige
Werke, gemalt und gezeichnet mit
Holz, Kohle, Kreide und Grafit auf Papier und
Karton, dazu bewegliche Konstruktionen und
Mobiles. Seine häufigen Reisen, insbesondere in
asiatlische Länder, vermitteln ihm neuartige
Perspektiven, die sich unmittelbar in seinem
künstlerischen Schaffen niederschlagen.
Seine künstlerisches Fühlen und Denken
generiert sich aus der Beschäftigung mit Technik
und Architektur, aus Bewegung und Energie.
Unterwegs fotografiert er viel, um die aktuellen
Eindrucke für spätere Gestaltungen zu konservieren
- so kommen unzählige Fotos zusammen.
Die Ausstellung ist bis zum 8. April 2018 zu
sehen.
Weitere Informationen findet man im Internet
unter www.constantinjaxy.homepage.tonline.de.
Text und Fotos: Jürgen Langenbruch
RUNDBLICK Frühjahr 2018
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