syndicom magazin Nr. 5 - Recht auf Bildung. Für alle
Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.
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syndicom
Nr. 5 Mai–Juni 2018
magazin
Recht auf
Bildung.
Für alle.
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Jetzt die Konzernverantwortungsinitiative unterstützen!
Kinderarbeit auf Kakaoplantagen, unmenschliche Arbeitsbedingungen in Textilfabriken,
durch Goldminen verschmutzte Flüsse: Immer wieder verletzen Konzerne mit Sitz
in der Schweiz die Menschenrechte und ignorieren minimale Umweltstandards. Die
Initiative will solchen Geschäftspraktiken einen Riegel schieben.
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Inhalt
4 Teamporträt
5 Kurz und bündig
6 Die andere Seite
7 Gastautor
8 Dossier: Weiterbildung
16 Arbeitswelt
19 Grafische Industrie
22 Weiterbildung digital
25 Recht so!
26 Freizeit
27 1000 Worte
28 Bisch im Bild
30 Aus dem Leben von ...
31 Kreuzworträtsel
32 Inter-aktiv
Liebe Leserinnen und Leser
Die Arbeitswelt steht vor der digitalen Revolution.
Um nicht ins Abseits zu geraten, muss die
Weiterbildung erneuert werden. Die berufliche
Weiterentwicklung liegt heute noch in der
Verantwortung der Einzelnen. Allenfalls gewährt
das Unternehmen Unterstützung. Diese Politik
hält noch immer zu viele Personen von der
beruflichen Weiterbildung fern. Vor allem jene,
die sie am meisten benötigen würden.
Es ist nicht hinnehmbar, dass die Schweiz bei
der ungleichen Teilnahme von gut und schlecht
Ausgebildeten an den Weiterbildungskursen
nach wie vor an erster Stelle liegt. Genauso
wie es nicht angeht, dass Teilzeit arbeitende
Frauen, die älteren Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, Migrantinnen und Migranten
und Nichterwerbstätige vergessen werden.
Angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt
schlägt syndicom verschiedene Lösungen vor:
In den GAV soll ein echtes Recht auf Bildung
eingeführt werden. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung
sollen die Weiterbildung jener
finanzieren, die ihre Stelle verloren haben.
Der Staat muss handeln und Beiträge an eine
kontinuierliche Aus- und Weiterbildung für alle
leisten, während welcher der Arbeitsplatz gesichert
bleibt. Dabei müssen Anschlusslösungen
vorgesehen werden, wie es in den Verhandlungen
für den GAV MEM gefordert wird.
Den Worten müssen nun Taten folgen.
4
8
19
Sylvie Fischer, Chefredaktorin
4
Teamporträt
An vorderster Front
Sebastian Gänger (30)
Der Inlandredaktor bei der SDA stammt
aus Gampel (VS). Seit fünf Jahren
gehört er der Redaktionskommission
an. Er ist kürzlich syndicom beigetreten,
und seit drei Jahren ist er
ebenfalls Mitglied von impressum.
Antoinette Prince (55)
Antoinette Prince kommt aus St-Aubin
(FR) und arbeitete während 15 Jahren
als Heilpädagogin, bevor sie mit 42 in
den Journalismus wechselte. Seit neun
Jahren im Auslandressort der SDA. Sie
ist Mitglied der Redaktionskommission
und der Gewerkschaft impressum.
Tina Tuor (26)
Sie stammt aus Sumvitg (GR) und
arbeitet seit vier Jahren im Wirtschaftsressort
der SDA. Sie wird zum
Tochterunternehmen AWP wechseln.
Seit Januar ist sie Mitglied von
syndicom, und seit dem Streik gehört
sie der Redaktionskommis sion an.
Text: Sylvie Fischer
Bild: Alexander Egger
«Alle Journalisten
haben ihre Solidarität
bekundet»
«Mit dem Streik vom 29. Januar bis
zum 2. Februar bei der Schweizerischen
Depeschenagentur haben wir
die Solidarität der gesamten Journalismusbranche
erlebt. In der Bevölkerung
haben wir an Bekanntheit
gewonnen. Die Politik hat die Bedeutung
einer nationalen Presseagentur
erkannt. Diese öffentliche Debatte
wird zwar unmittelbar keine Stellen
retten. Es ist aber zu hoffen, dass die
Agentur im Rahmen des neuen
Mediengesetzes eine andere Struktur
als heute, in der die SDA-Aktionäre
ihre Kunden sind, und eine neue Art
der Finanzierung erhalten wird. Wir
haben ein Dutzend sehr gut besuchte
Personalversammlungen (80 bis
110 Personen) durchgeführt: Die
gesamte Redaktion hat immer am
selben Strick gezogen.
Wir haben eine E-Mail-Adresse
eingerichtet, an die alle Mitarbeitenden
ihre Forderungen einschicken
können. Die Redaktion nimmt
Fragen entgegen und leitet Anliegen
an die Chefredaktion weiter. In vier
Runden wurde mit dem Verwaltungsrat
verhandelt (dieser bot an, den von
Kündigungen oder Änderungskündigungen
Be troffenen zusätzlich einen
Monatslohn zu bezahlen). Danach
hat das Schlichtungsverfahren beim
SECO begonnen. Die ersten Gespräche
finden im Mai statt, die Verhandlungen
werden bis im Juli dauern.
Wir erwarten noch eine Verbesserung
des Sozialplans für die über
60-Jährigen, da man vier Jahre vor
der Pensionierung keine Leute
entlassen kann, deren Rente so auf
Lebenszeit gekürzt würde. Wir
möchten vor allem, dass sich die
Direktion bewusst wird, dass es so
nicht weiter gehen kann, ohne dass
die Qualität der Arbeit darunter
leidet. Zusätzlich zu den 36 gestrichenen
Stellen bis 2019, haben 17
Personen die Kündigung eingereicht.
Das ist fast ein Drittel der Redaktion.
Wir fordern, dass keine weiteren
Stellen abgebaut werden und die
Personen, die ihre Stelle kündigen,
prioritär durch die gekündigten
Personen ersetzt werden. Die Direktion
muss sich bewusst werden, dass
ein Stellenabbau kein Zukunftsmodell
ist und ernsthaft über das
Modell der Online-Kommunikation
nach gedacht werden muss, das wir
in Zukunft benötigen werden.»
Kurz und
bündig
«il caffè»: Richter für die Pressefreiheit \ Ziviler Widerstand
gegen die Postchefs \ PöstlerAlarm im Rat \ Entlassungen
beim Drucker Atar \ Neoliberale Angriffswelle \ Die ILO wird 100
5
Tessiner Richterspruch für
die Pressefreiheit
Die Entlassungen bei Atar
Roto Presse einfrieren!
Agenda
Zensur wagt in der Schweiz kein CEO
und reaktionärer Politiker zu fordern.
Helvetische Maulkörbe sind aus perfiderem
Stoff. Seit einigen Jahren können
kritische Berichte mit dem Totschlagargument
«unlauterer Wettbewerb»
verhindert und freche Medien mit Millionenklagen
gekillt werden. Dem bot ein
Tessiner Strafrichter jetzt Paroli: Er
sprach vier Journalisten des Blattes
«il caffè» frei. Sie hatten den Fall einer
Privatklinik recherchiert, wo ein Arzt
einer gesunden Patienten die Brüste
amputiert hatte. Der Richter zitierte ein
Urteil des Europäischen Gerichtshofes
für Menschenrechte, das die Medien als
«Wachhunde der Demokratie» pries.
Das Tessiner Urteil macht Jurisprudenz.
Er schützt investigativen Journalismus.
Besonders wichtig in einer Zeit, da eine
Handvoll schwerreicher Männer die
meisten Schweizer Medien kontrolliert.
Wie dieser Tage gerade der Deal zwischen
Christoph Blocher und Tamedia
um die Basler Zeitung erneut belegt.
Ziviler Widerstand gegen
das Poststellenmassaker
Seit das Bundesverwaltungsgericht
entschieden hat, dass Gemeinden bei
Poststellenschliessungen nicht mitzureden
haben, gibt es nur noch einen
Weg, das Massaker zu bremsen: Die
Gemeinden müssen die für den Postkonzern
obligatorische Alibikonsultation
verweigern. So blockieren sie den Prozess.
Dieser zivile Widerstand ist umso
nötiger, als die Post diverse Beschlüsse
der eidgenössischen Räte missachtet.
Das Postgesetz muss dringend überarbeitet
werden. Postchefin Ruoff hatte
im Dezember 2017 versprochen, bis zur
Revision keine Poststellenschliessungen
gegen den Willen der Gemeinden zu
vollziehen. Jetzt vergeht kaum ein Tag
ohne Schliessung.
PöstlerAlarm im Ständerat
Stimmt der Ständerat einer CVPMotion
zu, muss die Post bis um 12.30 Uhr verteilt
sein. Ist doch gut? Nein. Es würde
rund 1500 Pöstler zu 50 %Jobbern machen.
Von einem halben Lohn lässt sich
nicht leben. Jetzt formiert sich politischer
Widerstand. Gegen die Motion.
Und gegen die Post.
1999 waren sie noch 170, jetzt sind sie
rund 60 und bald sollen es noch 49 Angestellte
beim grössten Genfer Drucker,
Atar Roto Presse in Vernier sein.
Atar druckt unter anderem den
«Courrier». Am 1. Mai forderte die
Genfer Sektion von syndicom einen
Entlassungstopp und ermunterte die
Kollegen, geeint zu handeln. Nun soll
mit der Geschäftsleitung über einen
Sozialplan verhandelt werden.
Die nächste neoliberale
Angriffswelle läuft
Die neoliberalen Zerstörer von SVP und
FDP haben zur nächsten Grossattacke
geblasen. Wir sind gefordert:
– Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform
III, die Bundesrat
Maurer gegen den Willen des Volkes
neu auflegt – als «Steuervorlage 17».
– Referendum gegen Sozialspitzel.
– Kampf gegen Jobabbau für höheren
Profit bei Swisscom.
– Ja zur Konzernverantwortung.
– Für die 99%Initiative der Juso.
Arbeit ist keine Ware –
das SGBDossier zur ILO
Immer mal wieder bekommt der Bundesrat
Post aus Genf, von der Internationalen
Arbeitsorganisation. Meist
muss die ILO Grundsätzliches anmahnen.
So entspricht etwa das
Kündigungsrecht nicht der ILONorm.
Gewerkschaftlich oder betrieblich engagierte
Arbeitende etwa sind kaum
geschützt. 2019 wird die ILO hundert
Jahre alt. Ihr Ringen um international
verbindliche Arbeitsnormen ist wichtig
– gerade für uns Gewerkschaften.
SGBDossier 126: Die Bedeutung der
ILO. Download unter sgb.ch
Juni
2.
Brauereibesichtigung
Die IG Jugend von syndicom lädt zur
Mikrobrauerei Wabräu in Wabern ein.
Dort trifft man sich jeweils freitagabends.
Interessierte melden sich über
ihren my.syndicomAccount an.
9.
A.o. Kongress syndicom
Bern, Kursaal, ab 8 Uhr, Eröffnung um
9.15 Uhr
14.
Weltweiter Frauenstreiktag
Lohngleichheit. Jetzt. Sofort. Und
endlich mehr Chancengleichheit.
Aktionen in der ganzen Schweiz.
29.
Internationales
Literaturfestival Leukerbad
(bis 1.7.)
Drei Dutzend hochkarätige Autoren im
Bergdorf. Lesen. Hören. Reden.
Wandern in der DalaSchlucht. Gelage.
Literaturfestival.ch
Juli
1.
Branchenkonferenz Buch und
Medienhandel
Volkshaus Zürich, 13.15 bis 16.15 Uhr
Nicht öffentlich, Anmeldung über
my.syndicom.
Übrigens ...
10.6.
Abstimmung VollgeldInitiative:
Der SGB sagt Nein.
Abstimmung Spielbankengesetz:
Der SGB sagt Ja.
syndicom.ch/agenda
6 Die andere
Mania Hodler
Seite
hat Betriebswirtschaft mit Marketing studiert und arbeitet
seit 2007 bei Swisscom. Seit 2015 ist sie Head of Talent and
Skills Management, also verantwortlich für alle Themen rund
um die berufliche Entwicklung der Mitarbeitenden.
1
In Ihrem GAV haben die Mitarbeitenden
Anspruch auf fünf Tage
Weiterbildung pro Jahr. Warum?
Wir haben den GAV gemeinsam
weiterentwickelt und an die Marktgegebenheiten
angepasst. Und zwar
mit Blick auf die Arbeitswelt der
Zukunft, die massgeblich durch die
Digitalisierung getrieben ist. Mit
diesen Weiterbildungstagen stellen
wir Lebenslanges Lernen, kontinuierliche
Weiterentwicklung und damit
auch die Arbeitsmarktfähigkeit von
uns allen ins Zentrum.
2
Welche Überlegungen stecken
dahinter?
Wir sind überzeugt, dass es bei der
«Digital Fitness» künftig nicht nur um
die aktuell gefragten Fähigkeiten
geht, sondern eben um den Erhalt
der eigenen Arbeitsmarkt fähigkeit.
Mit dem Weiterbildungs artikel im
GAV werden wir unserer Rolle als
soziale Arbeitgeberin nebst der
Vielzahl an Weiterentwicklungsangeboten
nun auch im Sinne eines
zeitlichen Rahmens gerecht.
3
Wie wichtig sind weitergebildete
Mitarbeitende?
Sehr wichtig! Es sind die Menschen,
die Swisscom heute und in Zukunft
erfolgreich machen. Nur mit motivierten,
leistungsbereiten und gut
ausgebildeten Mitarbeitenden
werden wir unsere Vision realisieren
können. Wir sehen die berufliche
Weiterentwicklung als geteilte
Verantwortung von Mitarbeitenden,
Führungsverantwortlichen und
Swisscom. Wichtig ist aber, dass
letztlich jeder seine Entwicklung
eigenverantwortlich anpackt.
4
Wann wird die Weiterbildung durch
den Arbeitgeber bezahlt: In jedem
Fall oder nur wenn es im engeren
Sinn mit dem Beruf zu tun hat?
Die Beteiligung haben wir im Rahmen
eines Leitfadens geregelt. Je
nach Ausgangssituation und Entwicklungsziel
haben externe Aus und
Weiterbildungen einen unterschiedlich
hohen Nutzen und eine unterschiedlich
hohe Wirkung für Swisscom
und die Mitarbeitenden selber.
Die Führungsverantwortlichen
orientieren sich für die Festlegung
der Beteiligung an einer Checkliste.
5
Kann das Weiterbildungsguthaben
auch für eine berufliche Neuorientierung
genutzt werden?
Ja, dazu verfügen wir über ein
umfassendes Angebot, das Berufsorientierungskurse,
Standortbestimmung,
individuelles Coaching,
Laufbahnberatung, Aus und Weiterbildung
sowie die Erarbeitung einer
persönlichen Bewerbungsstrategie
umfasst.
6
Weshalb tritt das Recht auf die
Bildungstage erst 2019 in Kraft?
Die Grundlage für den Bezug der fünf
Weiterbildungstage bildet ein
«Development Checkpoint»,der neu
für alle obligatorisch ist. Wir bieten
auch einen Fragebogen zur eigenen
Arbeitsmarktfähigkeit an. Diese
Massnahmen werden wir im Sommer
einführen. Dann wird der Bezug der
fünf Tage oder die Wahl der geeigneten
Weiterentwicklungsmassnahme
für 2019 vorbereitet.
Text: Sina Bühler
Bild: Swisscom
Gastautor
«Die SDA ist ein systemrelevantes
Unternehmen für unsere Wirtschaft.» Dies sagt
ein FDP-Politiker dem Westschweizer Radio RTS
in Lausanne. Vor dem Tamedia-Hauptsitz in
Zürich benutzt ein BDP-Politiker fast dieselben
Worte. Wenn sich Vertreter von wirtschaftsnahen
Parteien so äussern und einen Streik der
Angestellten einer Agentur, die sämtliche
Schweizer Medien laufend und anonym mit
Inhalten versorgt, verteidigen, dann zeigt dies:
Er war erfolgreich. Paradoxerweise hat der
Streik der SDA mehr dafür getan, diesem Unternehmen
Bekanntheit, Achtung und Wert zu
verschaffen, als die Verleger, die vorgeben, die
SDA mit der Privatisierung zu retten. Die SDA ist
aus der Anonymität herausgetreten. Sie ist zum
Medienstar geworden, mit einem Streik, der
exemplarisch war punkto Beteiligung und
demokratischer Durchführung. Die SDA zeigt,
wie vorgegangen werden muss, um die Schweizer
Medien aus der Krise herauszuführen. Die
Medien müssen von ihren Machern selbst in die
Hand genommen werden. Die Zivilgesellschaft
muss intervenieren, um die Medien im Dienst
der Demokratie zu retten. So wie es die Bürgergemeinschaft
gezeigt hat, als sie sich für die
Radio- und Fernsehgebühren aussprach. Die
gute Nachricht: Mit der neuen Abgabe ab 2019
wird genügend Geld zur Unterstützung der SDA
vorhanden sein. Einer SDA, die nicht gezwungen
sein wird, sich zu kannibalisieren, um ihren
« privaten Eigentümern» eine Dividende auszuschütten.
Sondern einer SDA, die im Dienste
aller Medien steht und wie die SRG allen Bürgerinnen
und Bürgern gehört. Und die den vom
Verschwinden bedrohten Medien Abonnementsermässigungen
gewähren kann. Ohne SDA wird
es für die Regionalzeitungen schwierig, über
regionenübergreifende Fragen zu berichten.
Ohne SDA wird sich der Niedergang der Zeitungen
und der Bezahlmedien – konkurrenziert
durch die oft unentgeltlichen digitalen Informationen
– unaufhaltsam beschleunigen.
Der Streik der SDA
weist uns den Weg
Frédéric Gonseth, Filmemacher und
Co- Präsident von Medien für alle, FIJOU,
hat auf eigene Initiative eine
18-minütige Reportage («L’Agence
pressée») über den Streik der SDA-
Redaktion im Januar gedreht:
www.youtube.com/watch?v=8G5PTH-
6V4Uk&t=23s
7
Weiterbildung muss in die GAV. Der Stand der Dinge.
SGB: jedes Jahr fünf Tage Weiterbildung für alle. Interview.
Das weltweite Geschäft mit dem Lebenslangen Lernen
Grafiken: Die Schweiz, Land der (Weiter-)Bildungsunterschiede
Dossier 9
Unser
Recht auf
Bildung
10 Dossier
Gewerkschaften, GAV und Weiterbildung:
Machen wir jetzt Nägel mit Köpfen!
Zwei Wochen Weiterbildungsurlaub stehen in
den besten GAV, gar nichts in den schlechtesten.
Doch nun wird über neue Ideen für die
berufliche Umschulung verhandelt.
Text: Sylvie Fischer
Bilder: Yves Leresche
Die digitale Revolution verändert die Arbeit. Es braucht
deshalb einen besseren Zugang zur Weiterbildung. Denn
berufliche Veränderungen können während des gesamten
Berufslebens notwendig sein. In der Schweiz besteht
kein Anspruch auf Weiterbildung. Diese liegt in erster
Linie in der Eigenverantwortung der Arbeitnehmenden.
Nun wollen die Gewerkschaften diesen Anspruch in die
Gesamtarbeitsverträge aufnehmen. In den künftigen Verhandlungen
haben also die Bestimmungen, die einen Bildungsurlaub
oder eine Unterstützung durch den Arbeitgeber
vorsehen, wachsendes Gewicht.
So steht es um die syndicom-GAV
Die kürzlich von syndicom ausgehandelten Gesamtarbeitsverträge
bieten in vielen Fällen besonders vorteilhafte
Bedingungen: Das Musterbeispiel ist der GAV Swisscom
AG vom 8. Januar 2018. In Artikel 2.4 sieht er einen
Anspruch auf 5 Tage Weiterbildung pro Jahr für die berufliche
Entwicklung vor. Der Umsetzungsplan ist bis am
1. Januar 2019 noch zu definieren (siehe Seite 21).
Auch der GAV Sunrise 2018–2021 umfasst einen Anspruch
auf Aus- und Weiterbildung, den das Unter nehmen
nur in begründeten Ausnahmefällen verweigern kann.
Die Massnahmen für die berufliche Entwicklung werden
in einem jährlichen Gespräch zwischen Mitarbeiter und
Vorgesetztem festgelegt (Art. 38). Die Dauer der Weiterbildung
und die finanzielle Unterstützung werden individuell
vereinbart.
Im GAV für die grafische Industrie, der ab Juni neu ausgehandelt
wird, ist für bis zu 15 Arbeitnehmende ein
jährlicher Anspruch auf einen bezahlten Bildungsurlaub
von höchstens 2 Wochen zum Besuch von Weiterbildungskursen
vorgesehen (Art. 210). Dieser Anspruch
kann auf verschiedene Arbeitnehmende aufgeteilt werden.
Personen, die mit der Ausbildung von Lernenden betraut
sind, haben zusätzlich einmal innert zweier Jahre
Anspruch auf einen Bildungsurlaub von höchstens drei
Tagen.
Die Mitarbeitenden der PostLogistics AG können innerhalb
von 2 Jahren bis zu drei Tage (bezahlte Abwesenheit)
für die von den Gewerkschaften angebotenen Ausund
Weiterbildungen beziehen (Art. 2.14.4 und 2.14.2).
Im GAV Post CH AG ist keine Mindestdauer für den Bildungsurlaub
vorgesehen. Von der Arbeitgeberin angeordnete
Weiterbildungen hingegen werden als Arbeitszeit
angerechnet und finanziert (Art. 2.17.8, in Kraft bis am
31. Dezember 2018).
Das administrative, operationelle und technische Personal
der Flugsicherung schliesslich ist etwas schlechter
gestellt: Den Mitarbeitenden werden zwar ebenfalls bis zu
3 bezahlte Tage zur beruflichen Entwicklung pro Jahr gewährt.
Aber wenn sie nicht bezogen werden, verfällt der
Anspruch. Besser wären Konten, auf denen die Ansprüche
gesammelt werden. Ausserdem tragen die Mitarbeitenden
die Schulungskosten (Art. 2.4, in Kraft bis Ende 2019).
Günstige Regeln in anderen Branchen
Auch im Bausektor haben die Gewerkschaften eher grosszügige
Regeln in die Gesamtarbeitsverträge schreiben
können: bis 5 Tage bezahlter Bildungsurlaub pro Jahr im
GAV für die Berufe der Steinbearbeitung im Kanton
Waadt. Ebenfalls 5 Tage im GAV für das Maler- und Gipsergewerbe
in der Deutschschweiz und im Tessin, Art. 26.
Die Kurskosten und weitere Ausgaben werden teilweise
durch einen Fonds finanziert. 5 Tage Bildungsurlaub pro
Jahr in Absprache mit dem Arbeitgeber stehen im GAV für
das Schweizerische Marmor- und Granitgewerbe.
Auch der GAV MEM enthält in Art. 23.3 eine vorteilhafte
Bestimmung. Den Firmen wird empfohlen, pro Vollzeitstelle
jährlich mindestens 5 Tage oder einen entsprechenden
finanziellen Beitrag für die Weiterbildung zur
Verfügung zu stellen. Der GAV wird gegenwärtig neu verhandelt.
Eine der Forderungen ist die Gründung eines paritätischen
Vereins Berufspasserelle 4.0. Die Arbeitnehmenden
sollen für die Anforderungen der digitalen
Wirtschaft qualifiziert werden. Bei gleichbleibendem
Lohn und Kündigungsschutz sollen sie eine berufsbegleitende
Ausbildung mit theoretischen und praktischen
Modulen besuchen und einen Abschluss mit einem eidgenössisch
anerkannten Fachdiplom erlangen können
(Unia-Seite: bit.ly/2ItUbta).
Nicht alles, was glänzt ...
Einige der zunächst grosszügig erscheinenden GAV sehen
nur eine beschränkte Kostenübernahme vor. Dies ist etwa
der Fall beim GAV für das Plattenlegergewerbe Deutschschweiz.
Dort wird ein Maximalbetrag von 300 Franken
jährlich für 5 Kurstage pro Person gewährt. Allerdings
wird für Lernende eine Pauschale von 200 Franken pro
Jahr für Ausbildungskurse entrichtet. Andere GAV verlangen
eine Rückerstattung der Kurskosten, wenn der Arbeitnehmende
aus dem Unternehmen ausscheidet: Bis zu 5
Tage bezahlten Bildungsurlaub pro Jahr umfasst der GAV
Weiterbildung
bei vollem
Lohn: Das
muss möglich
sein.
für Waadtländer Garagen (Art. 32). Der Arbeitgeber kann
aber eine Bestimmung vorsehen, wonach Arbeitnehmende,
die das Unternehmen innerhalb einer bestimmten
Frist verlassen, die Kurskosten ganz oder teilweise
zurückbezahlen müssen (Art. 30.1). Interessant ist auch,
dass dieser GAV einen Fonds für berufliche Umschulungen
für Arbeitnehmende vorsieht, die aufgrund ihres
Alters oder anderer Umstände keine neue Ausbildung
erwerben können. Über diesen Fonds wird eine Rente ausgerichtet,
welche die Lohneinbusse ausgleicht, die durch
die Änderung der beruflichen Tätigkeit hingenommen
werden muss.
Der GAV der schweizerischen Uhren- und Mikrotechnikindustrie
verlangt, dass Arbeitnehmende, die Anspruch
auf einen Weiterbildungsurlaub von jährlich maximal
3 Tagen haben, mindestens 3 aufeinanderfolgende
Jahre im selben Betrieb oder Konzern beschäftigt sind
(gültig ab 1.1.2017).
Knausrig bis nichts
Andere Gesamtarbeitsverträge sind knauseriger und
gewähren nur einen Weiterbildungstag pro Jahr, so beispielsweise
der GAV für das Schweizerische Carrosseriegewerbe
(Art. 22.1, gültig vom 1.2.2018 bis 30.06.2019).
Schlimmer noch: Einige GAV sehen überhaupt keinen
Anspruch auf Weiterbildung vor oder beschränken sich
darauf, das Gesetz zu paraphrasieren. Dies ist der Fall bei
Art. 2 des GAV der Genfer Ingenieurbüros. Eine ähnliche
Bestimmung findet sich im GAV der mechatronischen
Industrie Genf oder im GAV der Naville SA (Art. 14,
wonach der Arbeitgeber die berufliche Entwicklung seiner
Mitarbeitenden fördert und die praktischen Modalitäten
festlegt).
Einen konkreten Anspruch daraus abzuleiten, ist
schwierig. In manchen Fällen verpflichten sich die Parteien,
ein Berufsbildungsprojekt umzusetzen, was aber
nicht weiter präzisiert wird. Die Verhandler der Gewerkschaften
dürfen sich mit solch vagen Bestimmungen
nicht mehr zufriedengeben.
Wer hat, dem wird gegeben
Bereits in den Texten zeigt sich, dass man den schon gut
Ausgebildeten gerne noch Weiterbildungsmöglichkeiten
gewährt (siehe Grafiken auf Seite 15): Kader im Baugewerbe
(Poliere und Werkmeister) können 5 Tage nutzen,
Art. 18.1., bei Coop auch die Delegierten einer vertragsschliessenden
Arbeitnehmendenorganisation, die an
einem Kurs ihrer Organisation teilnehmen (Art. 42.4).
Was möglich wäre, wird nicht immer genutzt
Was in den GAV steht, sagt aber nichts aus darüber, ob die
Arbeitnehmenden diese Ansprüche tatsächlich nutzen.
Auch hier gilt es anzusetzen. Der Anteil der Arbeitnehmenden,
die bei der Kursteilnahme unterstützt wurden,
war 2015 besonders tief in den Bereichen Gastgewerbe
und Hotellerie (24 %), Immobilien (27 %) und Sonstige
Dienstleistungen (27 %). Man muss die Gründe dafür herausfinden
und Abhilfe schaffen.
Im Sektor Gastgewerbe und Hotellerie sind die Weiterbildungsausgaben
im Verhältnis zu den Personalkosten
rekordtief (0,4 %). Die Bereiche verarbeitendes Gewerbe,
Sonstige Dienstleistungen und Immobilien hinken ebenfalls
hinterher. Die direkten Ausgaben für Weiterbildungskurse
(durchschnittlich 0,8 % der gesamten Personalkosten)
sollten aber insgesamt erhöht werden, um den
Bedarf an einer lebenslangen Weiterbildung zu decken.
Ausserdem sollten die Ungleichheiten beseitigt werden.
Projekte wie die mit Movendo entwickelten «BildungsbotschafterInnen»,
die über die Weiterbildungsmöglichkeiten
und die Finanzierung für Arbeitnehmende
informieren, können helfen.Es darf nicht mehr sein, dass
11 % der Unternehmen (2015) keinerlei Investitionen in
die berufliche Weiterbildung tätigen und 58 % von ihnen
die benötigten Qualifikationen durch Neueinstellungen
abdecken … und damit einfach von den Anstrengungen
anderer oder der Mitarbeitenden profitieren.
Weiterbildung auf den Seiten der Eidgenossenschaft:
bit.ly/2jKO2e6
12
Dossier
«Alle sollten Anspruch auf fünf Tage
Weiterbildung pro Jahr haben.»
Laura Perret Ducommun, Zentralsekretärin
beim SGB für Bildung und Jugend, verlangt die
Einführung eines allgemeinen Bildungsurlaubs.
Text: Sylvie Fischer
Wenn man in den Gesamtarbeitsverträgen nach dem
Stichwort Weiterbildung sucht, stellt man fest: In vielen
GAV ist nichts oder höchstens ein Weiterbildungstag
vorgesehen. Wie denken Sie über diese Tatsache?
Im Gesetz oder in den GAV muss der Anspruch auf fünf
Tage Bildungsurlaub pro Jahr verankert werden. Als
Dachorganisation von 16 Gewerkschaften halten wir eine
solche Massnahme für voll und ganz gerechtfertigt. Sie
würde Vorstösse aufgreifen, die vor einiger Zeit lanciert
wurden, aber erfolglos blieben. Der Weiterbildung sollte
heute eine grössere Bedeutung beigemessen werden, da
man im Verlauf seines Arbeitslebens mehrmals den Beruf
wechselt. Es gibt zwar GAV, in denen Weiterbildungstage
oder -fonds vorgesehen sind. Wir wissen aber nicht,
wie gross der Anteil der Angestellten ist, die davon profitieren.
Zu diesem Thema sollte eine empirische Untersuchung
durchgeführt werden. Meiner Meinung nach fehlt
im heutigen System vor allem die Finanzierung: Angestellte
mit Familie haben keine Zeit für den Besuch einer
Weiterbildung oder ganz einfach kein Geld dafür. Gemäss
dem Weiterbildungsgesetz sind die Angestellten
prioritär selbst für ihre Weiterbildung verantwortlich, die
Arbeitgeber sollen diese begünstigen. Die Finanzierung
und Unterstützung durch die Arbeitgeber hätte im Gesetz
verbindlicher festgehalten werden müssen.
Seit dem 1. Januar 2018 gibt es neue Bundesbeiträge für
Weiterbildungen. Sie stellen fest, dass die Angestellten
schlecht informiert sind über die vorhandenen Finanzierungsmöglichkeiten.
Worum handelt es sich genau?
Drei Möglichkeiten sind zu erwähnen: Seit diesem Jahr
gibt es neu Bundesbeiträge für Kurse, die auf eine Berufsprüfung
oder eine höhere Fachprüfung vorbereiten.
Wer die entsprechende Prüfung absolviert, erhält unabhängig
vom Prüfungserfolg 50 Prozent der Kurskosten
zurückerstattet. Eine zweite Finanzierungsmöglichkeit
richtet sich an Unternehmen oder Berufsverbände, die
den Arbeitenden eine Grundbildung (Lesen, Schreiben,
Mathematik, digitale Bildung) anbieten möchten. Seit
Anfang dieses Jahres können Unternehmen Gesuche für
die Finanzierung von 20 bis 40 Lektionen, die während
der Arbeitszeit stattfinden, einreichen. Nicht zu vergessen
sind die Berufsbildungsfonds der Kantone und Branchen,
etwa der Baubranche. Gemäss Artikel 60 des
Berufsbildungsgesetzes können diese Fonds von Weiterbildungswilligen
beansprucht werden.
Weiterbildung ist in ihrer heutigen Form oft ein Spiegel
sozialer Ungleichheiten. Wer sie am meisten nötig
hätte – gering qualifizierte Personen, Teilzeiterinnen
oder solche, die nicht in der Schweiz ausgebildet
wurden –, profitiert am wenigsten davon. Wie kann
dieses Problem gelöst werden?
Man könnte sicherstellen, dass alle Erwachsenen in der
Schweiz über einen Abschluss auf der Sekundarstufe II
verfügen, der für den Arbeitsmarkt mindestens benötigt
wird. 95 % der jungen Erwachsenen besitzen einen solchen
Abschluss, bis zu 600 000 Erwachsene aber nicht.
Für Ausländerinnen und Ausländer, die in die Schweiz
Weiterbildung dient
den Einzelnen und gibt
dem Unternehmen
Konkurrenzvorteile.
kommen, müssen Vorlehren geschaffen werden: Das
neue Berufsbildungsgesetz/Weiterbildungsgesetz sieht
vor, dass die Kantone Bundesbeiträge für solche Basiskurse
erhalten, in denen die Kompetenzen für den Besuch
einer Ausbildung und die Integration in den Arbeitsmarkt
erworben werden können. Es wäre gut, wenn
die regionalen Arbeitsvermittlungszentren ihre Praxis
neu ausrichteten: Berufliche Wechsel für Erwerbslose
sollen möglich sein, ohne dass wie heute zwingend
Gründe wie eine Allergie auf bestimmte Substanzen oder
das Verschwinden eines Berufs vorliegen müssen.
Mit der Digitalisierung gehen Arbeitsplätze verloren.
Braucht es nicht eine Reform der Berufsbildung?
Die Studien zum Verlust von Arbeitsplätzen durch die
Digitalisierung gelangen zu unterschiedlichen Schlüssen.
Das geht von einer Einbusse von 47 % der Stellen in
10 bis 20 Jahren in den USA (Frey, Osborne) und 54 % der
Arbeitsplätze in Europa (Bruegel) bis hin zu einem Verlust
von 12 % der Stellen in Deutschland (ZEW) oder nur
9 % (OECD). Auf jeden Fall aber muss die Berufsbildung
auch am Arbeitsplatz an die neuen technologischen
Kompetenzen angepasst werden. Unternehmen, die über
hoch qualifiziertes Personal verfügen, haben einen Wettbewerbsvorteil:
Sie können den Produktionsprozess optimieren
und Innovationen vornehmen. Gut ausgebildete
Angestellte bleiben dem Unternehmen auch länger
treu (manche Ausbildungen bedingen, dass man eine
bestimmte Zeit im Unternehmen verbleibt oder die Kurskosten
teilweise zurückbezahlt).
Was ist weiter zu tun?
Interessant wäre eine Bilanz der Kompetenzen, die für
Arbeitnehmende ab 40 alle fünf Jahre erstellt würde.
Und eine kostenlose Umschulung, wenn ein Beruf verschwindet.
Allgemein sollten Mittelkürzungen im Bereich
der Aus- und Weiterbildung, insbesondere auf
Ebene Kanton, vermieden werden.
skbf-csre.ch/de/bildungsmonitoring/bildungsbericht-2014
Dossier
Hast du was dazugelernt, oder
bist du nur arbeitsmarktfähig?
13
Lebenslanges Lernen könnte faire Chancen für
alle und ein interessanteres Leben bringen.
Wenn sich denn die Gewerkschaften ernsthaft
darum kümmern.
Text: Bo Humair
Mit der Weiterbildung ist das eine merkwürdige Sache.
Wir lernen ein Leben lang dazu. Ob wir wollen oder nicht.
Ein natürlicher Vorgang, denn unser Überleben hängt davon
ab. Doch darüber hinaus teilen die meisten von uns
den Wunsch, ein bisschen klüger zu werden. Versteht
man die Dinge, lebt es sich besser.
Also kultivieren wir uns. Wir lernen im Austausch, wir
bauen soziale Netze. Nicht erst seit Renaissance und Aufklärung
gilt: Wissen, Können und Kooperation emanzipieren
uns von Zwängen. Nichtwissen aber zwingt uns in
Abhängigkeiten. Mechanikerinnen tüfteln, Informatiker
diskutieren rund um die Uhr über Blockchains, gute Ärztinnen
verfeinern ihr Gehör, Lehrer ihre Neugierde. Und
es gibt sie tatsächlich, die Ekstase des Erkennens, der
Moment, da es uns wie Schuppen von den Augen fällt. Dagegen
kommt nicht einmal die Verblödungsmaschine der
Unterhaltungsindustrie an.
Permanente Weiterbildung ist unsere zweite Natur.
Das ist das eine. Doch irgendetwas hat sich da verschoben,
in den letzten Jahrzehnten. Wir lernen immer seltener,
was uns interessiert und uns reicher macht. Umso
häufiger aber, was uns «arbeitsmarktfähig» hält. «Skills»
eben. Wir sind gehalten, durch «livelong learning», lebenslanges
Lernen, immer neue Skills zu erwerben. Indem
wir die Mühen der Weiterbildung auf uns nehmen,
investieren wir in unser «Humankapital». Wir betreiben
Selbstvermarktung, machen uns zum Produktionsfaktor.
Wer seine Haut auf den Stellenmarkt trägt, «benchmarkt»
sich, tritt also in Konkurrenz zu andern Skills-Trägern
und -Trägerinnen.
Viele dieser Skills sind dummes Wissen. So ziehen wir
etwa keinen Nutzen daraus, wenn jemand monatelang
einen besonders ausgeklügelten Algorithmus entwickelt,
um die «Dichte» unserer Arbeit (sprich: den Druck) zu
er höhen. Oder wenn sich jemand durch das Erlernen
einer Kommunikationssoftware zum Heimarbeiter qualifiziert
– und degradiert. In diesem Mehr-Wissen liegt
keine Befreiung von Zwängen mehr.
Auffallend ist, wie genau diese veränderte Vorstellung
von lebenslangem Lernen die veränderten Produktionsformen
der kapitalistischen Wirtschaft und die globalisierte
Konkurrenz spiegelt. Die Anforderung, dauernd
neue «Skills» zu erwerben, geht Hand in Hand mit immer
unsichereren Jobs.
Wenn wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter
also ein «Recht auf Weiterbildung» einfordern, stellen
sich ein paar Fragen. Wer bestimmt die Inhalte der Weiterbildung?
Wer die Formen? Wer richtet sie aus? Wer
finanziert sie, und wer gibt die Zeit dafür? Wir tun gut daran,
etwas genauer hinzuschauen.
Mit Karacho in die Unwissensgesellschaft
Das Recht auf Weiterbildung setzten die französischen
Gewerkschaften schon 1968 durch. Es war Teil des Kompromisses
zwischen Regierung und Gewerkschaften, der
die Mai-Revolte beendete. Dieses Recht brachte Frankreich
auf einen der vorderen Plätze in der Rangliste der
Länder mit hohem Weiterbildungsanteil. In der Praxis
wurde dieses Recht zuletzt in ein persönliches Bildungskonto
gekleidet: Pro Jahr Vollzeitarbeit werden den
Viele der «Skills»,
die wir lernen sollen,
sind dummes
Wissen ohne Wert.
14
Dossier
Arbeitnehmenden in den ersten fünf Jahren 24 Stunden
Weiterbildung gutgeschrieben, in den Folgejahren
12 Stunden. Maximal können so 150 Stunden gesammelt
werden. Nur braucht der Besuch einer Weiterbildung die
Zustimmung des Unternehmens. Verweigert es diese über
sechs Jahre, wird das Konto um 100 Stunden erhöht. Der
zuständige, paritätisch geführte Fonds sagte in den vergangenen
zwei Jahren rund 700 000 Weiterbildungen zu.
Doch nun hat Präsident Emmanuel Macron einen neoliberalen
Big Bang und die weitgehende Privatisierung der
Weiterbildung angekündigt. Künftig sollen die Unternehmen
allein über die Weiterbildung entscheiden.
1968 war auch das Jahr, in dem das Buch «Die Wissensgesellschaft»
von Robert Maynard Hutchins erschien. Im
Kern meint der Begriff, der entscheidende Rohstoff für
moderne Ökonomien seien weder Öl noch Mineralien,
sondern Wissen. Das blieb lange eine akademische Debatte.
Aber seit den 1980er Jahren explodiert die Bildung
zum weltumspannenden Milliardenmarkt.
Das Business mit dem «LLL»
Inzwischen haben ungezählte Experten Zehntausende
von Berichten zur Weiterbildung verfasst, sämtliche internationalen
Organisationen wie die OECD oder die
UNO-Organisationen verfügen über eigene Abteilungen,
und es gibt kaum ein Land, auch nicht das ärmste, das
nicht dickbäuchige Lifelong-Learning-Strategien ausgerufen
hätte. In der EU sind ganze Heerscharen mit «LLL»
befasst. Darum herum scharen sich Bildungskonzerne,
deren Umsatz exponentiell steigt. Die Szene – mit ihren
Ländermodellen – ist längst unübersichtlich geworden.
«Macht mal Pause mit dem LLL-Geschwätz», findet
Sharon Gewirtz vom Londoner Kings College. Wer sich in
den Niederungen der Weiterbildung umschaut, sehe ein
ernüchterndes Bild. In einer Grossstudie machte die Bertelsmann-Stiftung
im Februar 2017 eklatante Mängel in
der EU fest. In zehn Ländern gab es keinerlei Anstrengungen,
«die finanziellen oder personellen Ressourcen für lebenslanges
Lernen bereitzustellen.» Und in kaum einem
Land wurde die starke Diskriminierung der Arbeiterschichten
bei der Bildung angepackt. Von Ausländern gar
nicht zu reden. Schlusslicht ist das durchprivatisierte
Grossbritannien.
Dieser Befund deckt sich mit Erhebungen der EU, der
Internationalen Arbeitsorganisation ILO und der OECD.
– Länder, deren Bildungssysteme öffentlich finanziert
sind und die über starke sozialpartnerschaftliche Mechanismen
verfügen, liegen bei der Weiterbildung vorne
(Dänemark, Schweden, Belgien …). Besonders wichtig,
schreibt die ILO, ist der «soziale Dialog». Dagegen
hängen Länder mit privat finanzierten Bildungssystemen
weit zurück. Die USA geben mehr als zwei BIP-Prozentpunkte
weniger für Bildung aus als etwa Frankreich.
«Macht mal Pause
mit dem LLL-
Geschwätz» Sharon Gewirtz
– Konzerne tun wenig für Weiterbildung, ausser für die
eigenen Belange. Dabei werden höher Qualifizierte
bevorzugt. Diese Strategie verschärft Bildungsunterschiede.
Wollen Gewerkschaften lebenslanges Lernen durchsetzen,
sollten sie auf starker öffentlicher Finanzierung und
sozialpartnerschaftlicher Organisation beharren. Die
Programme müssen prioritär auf Ausgleich der Chancen
zielen und vor Jobverlust schützen. Die Grundlagen werden
bei der Berufsbildung gelegt (lernen zu lernen). Vor
allem aber sollten sie eine starke eigene, innovative
Bildungsoffensive entfalten. Ziel: Emanzipation durch
kooperatives Lernen.
Institut Gewerkschaftsforschung:
boeckler.de
Fotostrecke
Das Titelfoto, die Bilder des Dossiers und das kleine Bild im
Inhaltsverzeichnis stammen vom Waadtländer Fotografen
Yves Leresche. Für seine Reportage über die Vermittlung von
Wissen hat er Orte kreativer Wissensproduktion ausgewählt,
das FabLab, der Makerspace und das Hackuarium (Biolabor)
in Renens und das FabLab in Zürich.
Yves Leresche hat sich einen Namen als Reportage- und
Porträtfotograf gemacht. Seine Bilder stellen die Vermittlung
und den Austausch von Wissen zwischen Lehrenden und
Lernenden ins Zentrum.
Mehr darüber unter: yvesleresche.ch
Wir danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der
FabLabs, des Makerspace und des Hackuarium für ihre
Unterstützung.
Die Digitalisierung erfordert eine Neuverteilung des Wissens, weil sonst die
weniger gut Ausgebildeten übergangen werden. Auch Ältere, Frauen, Migranten
und Migrantinnen – alle sollen Zugang zur Weiterbildung haben.
15
Die Die Schweiz Schweiz bildet bildet viel viel aus… aus…
Anteil Anteil der Bevölkerung der zwischen zwischen 25 und 25 64 und Jahren, 64 Jahren,
die an die Aus- an Aus- oder oder Weiterbildungen teilnimmt teilnimmt
100 % 100 %
Grundstufe Grundstufe Mittelstufe Mittelstufe Höhere Höhere Ausbildung Ausbildung
80% 80%
60% 60%
40% 40%
20% 20%
…aber …aber sie bildet sie bildet sehr sehr ungleich ungleich aus aus
Die Teilnahme Die Teilnahme an Aus- an Aus- und Weiterbildungen und variiert variiert stark stark
zwischen zwischen Leuten Leuten mit primären mit primären Abschluss Abschluss und Leuten und Leuten mit höheren mit höheren
Diplomen Diplomen (Spanne (Spanne in Prozent) in Prozent)
35% 35%
30% 30%
25% 25%
20% 20%
15 % 15 %
10 % 10 %
5% 5%
0%
0%
0%
0%
S S CH CH NL NL FL FL F F D D A A GB GB I I I EU EU
GR GR B B D D E E EU EU GB GB I I I S S F F CH CH
Quellen: Quellen: Eurostat Eurostat 2011, BFS 2011, 2016 BFS 2016
Quelle: Quelle: Eurostat Eurostat 2016 2016
Mit Mit zunehmenden Alter Alter bildet bildet man man
sich sich weniger weniger weiter weiter
Prozent Prozent der Leute, der Leute, die an die Weiterbildungsaktivitäten
an teilnehmen, nach nach Alter Alter
76,4%
69,6% 69,6%
67,7 67,7 % %
57,1% 57,1%
Indikator für den Erwerb von Wissen
In der Schweiz besuchen über 60 % der 25- bis 64-Jährigen
eine Aus- oder Weiterbildung. Einzig in Schweden und
Luxemburg scheint dieser Anteil noch höher. Doch internationale
Vergleiche sind schwierig. Die Bildungssysteme sind
verschieden, die statistische Erfassung auch. In der Schweiz
werden sämtliche Bildungsformen mitgezählt. Von privaten
Kursen über die obligatorische bis hin zur nachobligatorischen
Bildung. Wenn man, wie das BFS, die Teilnahme an
allen Lernformen als Indikator für die Weiterbildung
betrachtet, wird ihr Anteil vermutlich überschätzt.
Die Vergessenen der Weiterbildung
25–34 25–34
35–44 35–44
45–54 45–54
55–64 55–64
Jahre Jahre
Jahre Jahre
Jahre Jahre
Jahre Jahre
Quellen: Quellen: BFS, Mikrozensus BFS, Mikrozensus Weiterbildung Weiterbildung 2016 2016
Wer Wer weniger weniger ausgebildet ist, ist, bekommt weniger weniger
Weiterbildung
Durch Durch den Arbeitgeber den unterstützte Weiterbildung
Pikanterweise erachtet es der Bundesrat als eine staatliche
Aufgabe, «Weiterbildungstätigkeit unter den bildungsmässig
Benachteiligten speziell zu fördern» (Bundesrat, 2007).
Denn die Bildungschancen sind sehr ungleich verteilt:
Fast 80 % der 25- bis 34-Jährigen nehmen an der Weiterbildung
teil, während es bei den 55- bis 64-Jährigen weniger
als 60 % sind.
Grundstufe Grundstufe
31% 31%
Mittelstufe Mittelstufe
56% 56%
Höhere Höhere Ausbildung
75%
30% 30%
54% 54%
72% 72%
33% 33%
58% 58%
77% 77%
Rekordhohe Ungleichheit zwischen gut und
schlecht Ausgebildeten
In der Schweiz ist die Teilnahme am Prozess des lebenslangen
Lernens extrem ungleich verteilt. Arbeitgeber
unterstützen 75 % der schon sehr gut Ausgebildeten bei der
Weiterbildung, aber nur 31 % der Arbeitenden mit Grundstufe.
Im internationalen Vergleich ist das eine rekordhohe
Schlechterstellung derjenigen, die Weiterbildung besonders
nötig hätten. Frappant auch die Unterschiede zwischen
Männern und Frauen.
Quellen: Quellen: OFS-MRF OFS-MRF 2016, BFS 2016, 2017 BFS 2017
Behinderte bekommen weniger weniger Weiterbildung
Teilnahme Teilnahme an mindestens an einer einer informellen Weiterbildung
ohne ohne Diplom, Diplom, ganze ganze Bevölkerung
10 % 10 % 20,4% 20,4% 28,1%
Behinderte und Migranten ausgeschlossen
Der Anteil der Menschen mit einer starken Behinderung, die
an einer Weiterbildung teilnehmen, ist dreimal geringer als
jener der Menschen ohne Behinderungen. 2016 haben über
70 % der Schweizerinnen und Schweizer eine Weiterbildung
absolviert, aber nur 60 % der Ausländerinnen und Ausländer,
welche die Schule in der Schweiz besucht haben.
Menschen Menschen
Behinderte
mit starker mit starker
Menschen Menschen
Behinderung
insgesamt insgesamt
Nicht-Behinderte
Quellen: Quellen: BFS, Schweizerische BFS, Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE) (SAKE) 2011 2011
16
Eine bessere
Arbeitswelt
Das beste Mittel gegen
die Krise: höhere Löhne
Vor zehn Jahren brach die Finanzspekulation
zusammen, darauf folgte
eine globale Wirtschaftskrise. Sie hat
viele Millionen Existenzen vernichtet.
In der EU wurde die Krise verstärkt
durch die aggressive Tieflohn- und
Sparpolitik Deutschlands, in der
Schweiz durch den harten Franken
der SNB. Er zerstörte Tausende KMU.
Heute melden die meisten Länder
neuen Aufschwung. Für die Schweiz
rechnet das Seco mit 2,4 Prozent
Wachstum. Doch hinter dem Nebel
der Jubelnachrichten taucht eine brutalere
Welt auf: Das reichste 1 Prozent
hat mehr als 75 Prozent des Wohlstandes
konfisziert, der seit 2008 geschaffen
wurde. Die Gesellschaften sind ungleicher
denn je.
Auch in der Schweiz. Mit der Ungleichheit
steigt die Zahl der prekären
Jobs, der Druck, die Armut. Doch SVP
und FDP ist das nicht genug. Sie
eskalieren den Sparterror, greifen die
Sozialwerke an und wollen gegen den
Willen des Volkes noch mehr Steuergeschenke
für die Aktionäre.
Ökonomen von Verstand wissen,
welcher Hebel am besten dagegen
wirkt: Wir müssen die Erhöhung der
Löhne erzwingen. Um mindestens
drei Prozent.
Grafische Industrie: In den Verhandlungen muss nun ein guter GAV gesichert werden. (© Margareta Sommer)
wid.world und
sgb.ch
Petition: «Stopp dem
Personal abbau bei der
Swisscom»
Die Swisscom ist ein hoch rentables
Unternehmen, das jedes Jahr Milliardengewinne
schreibt. Der Bund als
Mehrheitsaktionär kassiert Dividenden
von gegen 600 Millionen Franken.
Kein Wunder, betrachtet der Bundesrat
die Swisscom durch die Brille der
Finanz und hält an seinen Gewinnvorgaben
fest. Das setzt die Swisscom unter
Druck. Infolge der technologischen
Transformation muss das
Unternehmen permanent in die Netze
investieren und neue Geschäftsfelder
entwickeln. Gleichzeitig brechen
traditionelle Geschäfte ein oder werfen
weniger Geld ab. So führte der
Spardruck in den letzten Jahren zunehmend
zu Stellenabbau, der für die
Mitarbeitenden unerträglich geworden
ist. Die Swisscom benötigt Innovationen.
Doch wie sollen Innovationen
entstehen in einem Arbeitsumfeld,
das geprägt ist von Demotivation und
Resignation? Wachsender Arbeitsdruck,
hohe Arbeitslast und die permanente
Angst vor dem Stellenverlust
haben ein unverantwortliches Mass
erreicht. Deshalb hat syndicom konzernintern
eine Petition lanciert, die
den Bundesrat auffordert, seine Eignerstrategie
unverzüglich anzupassen
und den Personalabbau zu stoppen.
(Franz Schori)
Zur Petition: bit.ly/2FhzsD9
Vergleiche auch Seite 5
«Wir machen einen grossen Schritt für mehr Transparenz
und weniger Willkür bei den Lohnerhöhungen.» David Roth
17
Lohnrechner Post:
endlich Transparenz
Die Lohnverhandlungen 2018 haben zu einem komplexen, aber
fairen Lohnabschluss geführt. Mit diesem Lohnrechner bietet
Dir syndicom eine einfache Möglichkeit, zu überprüfen, ob die
Lohnerhöhung korrekt berechnet wurde.
natürlich auch die jeweilige Firma. Bereits
über 2000 Personen haben bis
Redaktionsschluss von diesem neuen
Instrument Gebrauch gemacht.
Das ist ein grosser Schritt für mehr
Transparenz und weniger Willkür bei
den Lohnerhöhungen. Denn bislang
konnten sich Vorgesetzte hinter der
Komplexität des Lohnsystems verstecken
und haben langjährigen Mitarbeitenden
oft individuelle Lohnerhöhungen
verweigert. Mit dem
Lohnrechner können alle bis auf den
Franken genau ermitteln, wie viel die
Vorgesetzten pro Vollzeitstelle zur
Verfügung haben.
Je organisierter, umso besser
Wer beim Lohnrechner mehrere
Varianten ausprobiert und dabei die
verschiedenen Firmen miteinander
vergleicht, wird rasch feststellen, dass
die Lohnabschlüsse unterschiedlich
ausgefallen sind. Dabei ist auch offensichtlich:
Je stärker syndicom ist,
desto besser fallen die Lohnabschlüsse
aus. (David Roth)
Die Applikation
berechnet
Tausende von
Lohnvarianten
(© syndicom)
Ist meine Lohnerhöhung korrekt berechnet?
Wie viel hat mein/e Vorgesetzte/r
für individuelle Loherhöhungen
zur Verfügung? Diese Fragen
können die Belegschaften von Post,
PostAuto, PostAuto-Unternehmen,
IMS und SPS ganz einfach klären. syndicom
hat für sie einen Lohnrechner
erarbeitet, der die persönliche Lohnerhöhung
berechnen kann. Dabei werden
die drei Kategorien der Lohnerhöhung
präzise ausgewiesen. Aufgeteilt
ist das Resultat in den Pflichtanteil,
die mögliche individuelle Erhöhung
und die zustehende Einmalzahlung.
Einfache Bedienung
Hinter der einfach zu bedienenden
Oberfläche stehen Tausende von
Kombinationen. Berücksichtigt werden
dabei die Lage im Lohnband, die
Lohnstufe, die Lohnregion sowie
Die Zahlen, die diesem Rechner
zugrunde liegen, hat syndicom von
der Post verlangt. Leider hat die
Post bei IMS und PostAuto falsche
Zahlen geliefert. Dafür hat sich die
Post entschuldigt. Seit dem
23. April sind die korrekten Daten
in den Rechner eingespeist. Wer
seine Lohnerhöhung davor berechnet
hat, sollte den Lohnrechner
noch einmal ausfüllen.
syndicom.ch/lohn18
Auch der Staat ist
gefordert
Permanente berufliche Aus- und Weiterbildung
ist das Gebot der Stunde.
Denn Berufsbilder wandeln sich
schneller denn je. Dies kann zwei unerfreuliche
Folgen haben: auf der
einen Seite Menschen, die ihre
Arbeitsmarktfähigkeit und damit die
berufliche Perspektive verlieren. Auf
der anderen Seite Unternehmen, die
wegen des Fachkräftemangels auf dem
Arbeitsmarkt keine geeigneten Mitarbeitenden
finden. syndicom konnte
innerhalb eines Jahres zuerst im GAV
Sunrise die Aus- und Weiterbildung
stärken, wenige Monate später auch
im GAV Swisscom als Anspruch anmelden.
Die Einsicht der Unternehmen,
dass sie mehr tun müssen, steigt auch
in anderen Branchen. So ist zurzeit bei
der Neu-Verhandlung des GAV in der
Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie
die Stärkung der Bildung ein
zentrales Thema. Gefordert sind aber
nicht nur die Sozialpartner, sondern
auch der Staat. So sollte er über die
Arbeitslosenversicherung die Aus- und
Weiterbildung stärken. Sie muss greifen,
bevor Beschäftigte erwerbslos
werden – und erst recht danach. Trotz
aller Bemühungen wird es weiterhin
Menschen mit ausgeprägten Schwierigkeiten
auf dem Arbeitsmarkt geben.
Hier greift nur ein Instrument: das
Recht auf Arbeit.
Giorgio Pardini, Leiter Sektor ICT und
Mitglied der Geschäftsleitung
18 Arbeitswelt
«Das Recht auf Weiterbildung ist eine Antwort, um die
Auswirkungen der Digitalisierung abzufangen.» Matteo Antonini
Wir wollen weder 6-Tage-Woche
noch Arbeit auf Abruf!
So wehren sich Logistikarbeitende gegen Flexibilisierung:
Sie verweigern schlicht ihr Einverständis. Das ist rechtens.
Arbeitgeber versuchen, ihre Arbeitnehmenden
immer flexibler einzusetzen
und dies als selbstverständlich erscheinen
zu lassen. Dabei kann man
sich dagegen mit einfachen Mitteln
wehren, ohne dass negative Konsequenzen
drohen.
In der Logistik sind derzeit massive
Anstrengungen im Gange, die
6-Tage-Woche bei immer mehr Angestellten
durchzusetzen. Viele wissen
nicht, dass sie ihr Einverständnis dafür
verweigern können.
syndicom rät grundsätzlich davon
ab, das Einverständnis zu geben. Denn
die negativen Konsequenzen einer
6-Tage Woche sind offensichtlich: Das
private Leben lässt sich immer schwieriger
planen. Und die ohnehin schon
hohe körperliche Belastung wächst.
Genau aus diesen Gründen schützt
das Gesetz die Arbeitenden. Sie können
eine 6-Tage-Woche ablehnen.
Wenn Du weiterhin an 5 Tagen pro
Woche arbeiten möchtest, dann
kannst Du Dich weigern, die notwendige
Einverständniserklärung zu unterschreiben
(Verordnung Arbeitsgesetz,
Artikel 20). Du bist im Recht.
Viele sind sich allerdings nicht bewusst,
dass sie diese Möglichkeit haben.
Oft präsentieren Vorgesetzte die
Vereinbarungen auch als reine Formalität.
Nicht selten melden sich auch
Personen bei syndicom, die unter
Druck gesetzt werden, solche Vereinbarungen
zu unterschreiben. Das ist
absolut unzulässig, und es ist dringend
nötig, dass Betroffene sich umgehend
bei syndicom melden.
Missbrauch mit dem Pikettdienst
Noch perfider ist die Nichtbeachtung
von Regeln im Pikettdienst. Wer auf
Pikett ist, kann kurzfristig für Arbeitseinsätze
aufgeboten werden. Für diese
Bereithaltung bezahlt die Arbeitgeberin
auch eine Pikettentschädigung.
Immer öfter versuchen Betriebe diese
Entschädigungen zu sparen, indem
sie Personen auch ohne Pikettentschädigung
kurzfristig aufbieten.
Das ist in der Logistik eine nicht zulässige
Arbeit auf Abruf. Für notfallmässige,
ausserplanmässige Einsätze ist
der Pikettdienst geradezu geschaffen
worden. Wer ohne Einteilung in den
Pikettdienst kurzfristig einspringt,
schadet sich und seinen Kolleginnen
und Kollegen. (David Roth)
Nur wenn Pikettdienst abgemacht und entschädigt ist, soll man Pikett leisten. (© xavierarnau/iStock)
seco.admin.ch –> Arbeitsgesetz- und
-Verordnungen
Weiterbildung ist die
soziale Verantwortung
der Unternehmen
Das Recht auf Weiterbildung ist kurzund
mittelfristig die einzige mögliche
Antwort, um die Auswirkungen der
Digitalisierung auf Logistikberufe
abzufangen. Wir reden von der Digitalisierung
der Arbeitsweise, der Industrie
4.0, der Uberisierung der Gesellschaft.
Im Gegensatz zu früheren
industriellen Revolutionen werden
die Arbeitenden diesmal nicht in neue
Sektoren ausweichen können. Sie werden
sich während der ganzen beruflichen
Laufbahn weiterbilden müssen.
Zeit und Geld dafür müssen von
den Unternehmen bereitgestellt
werden, die auf diese Art soziale Verantwortung
übernehmen können.
Genauso von diesem Wandel betroffen
sind die «white collars», deren
Arbeitsplätze von Algorithmen und
der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz
bedroht sind. Seien wir
ehrlich: Es wird nicht leicht werden,
einen Postbeamten in einen IT-Ingenieur
zu verwandelnd oder eine Sekretärin
in eine Industrieplanerin usw.
Und die Arbeit wird stark flexibilisiert
sein. Warum sollen wir uns also weiterbilden,
wenn dies unsere Aussichten
sind?
Die Antwort ist klar: Die Umstellung
würde ohne ständige Weiterbildung
sehr viel härter ausfallen. Denn
sie zwingt die Firmen dazu, ihren
künftigen Bedarf zu planen und diese
Planung zusammen mit den eigenen
Mitarbeitenden anzugehen.
Matteo Antonini ist Leiter des Sektors Logistik und
Mitglied der syndicom-Geschäftsleitung
«Die Kolleginnen und Kollegen geben ihr Bestes, erhalten
dafür aber keine richtige Gegenleistung.» Angelo Zanetti
19
Wir wollen die grossen Firmen
in den GAV zurückholen.
(© syndicom/Margareta Sommer)
Die grafische Industrie muss gute
Arbeitsbedingungen garantieren
Der Arbeitgeberverband viscom hat den GAV für die grafische
Industrie gekündigt. Er läuft am 31. Dezember aus.
Im Juni beginnen wir mit neuen Verhandlungen.
Der landesweite GAV betrifft rund
450 Betriebe, die etwa 4000 Mitarbeitende
beschäftigen. Dabei handelt es
sich um ein wichtiges Instrument zur
Regelung der Arbeits bedingungen in
einem sich ständig wandelnden
Sektor.
In den vergangenen drei Jahren
fehlte es nicht an Fusionen von Kleinbetrieben,
Schliessungen oder auch
Konkursen. Doch gleichzeitig gibt es
Betriebe und Konzerne, die gut verdienen
und erhebliche Geldsummen investieren.
Deshalb werden wir jeden
Versuch eines weiteren Abbaus der
heutigen Arbeitsbedingungen mit
aller Kraft bekämpfen.
Dies auch deshalb, weil aus der von
unserer Branche im letzten Herbst
durchgeführten Umfrage klar hervorging,
dass die Kolleginnen und Kollegen
trotz Hiobsbotschaften ihr Bestes
geben (Flexibilität, Engagement,
Professionalität und, bei denjenigen
mit 42-Stunden-Woche, Gratisarbeit),
aber dafür keine richtige Gegenleistung
erhalten, wie etwa Lohnerhöhungen.
2017 stiegen die Preise, aber die
Löhne der Kolleginnen und Kollegen
blieben unverändert.
Bei den neuen Verhandlungen
wird auch ein besonderes Augenmerk
auf die Fortbildung gerichtet. Unser
GAV enthält diesbezüglich bereits
heute gute Bestimmungen, wenn wir
an das aktuelle Angebot von Helias
denken. Es gibt aber sicher noch
Verbesserungspotenzial, besonders
bezüglich der Umsetzung dieser Massnahmen.
Firmen in den GAV zurückholen
syndicom engagiert sich aber auch in
den Betrieben, die beschlossen haben,
auf die Sozialpartnerschaft zu verzichten.
Dazu gehören Orell Füssli, Swissprinters
und, nicht zu vergessen,
Tamedia, die nach der Schliessung
von Ringier Print in Adligenswil und
der darauf folgenden Übernahme von
deren Zeitungen und Tagesblättern
immer mehr eine Monopolstellung im
Zeitungsdruck einnimmt. Es ist klar,
dass ohne Kollektivvertrag keine
Gewähr mehr für gute Arbeitsbedingungen
besteht. Deshalb kämpfen wir
an der Seite der Arbeitnehmenden
dafür, dass diese Betriebe auf ihrem
Weg wieder kehrtmachen.
Nur die Mobilisierung bringt Erfolg
Bei solchen Gelegenheiten kommt
den Arbeitnehmenden, die dem GAV
unterstehen, eine ganz wichtige Rolle
zu. Denn es reicht nicht aus, sich mit
Forderungen und einer kompakten,
kämpferischen Delegation an den
Verhandlungstisch zu setzen. Wir
benötigen auch die Unterstützung
und Mitwirkung all jener, die in diesen
450 Betrieben arbeiten.
Mitwirkung bedeutet konkret, sich
mit den Kolleginnen und Kollegen im
Betrieb zu solidarisieren. Es bedeutet,
sich die Zeit zu nehmen, um die
Zwischenergebnisse der Verhandlungen
zu diskutieren. Nach jeder
Verhandlungsrunde wird ein Newsletter
verschickt werden. Mitwirkung
bedeutet auch, an Versammlungen
oder Aktionen teilzunehmen, die die
GAV-Strategiegruppe organisiert. Kurz,
es braucht Solidarität.
(Angelo Zanetti)
syndicom.ch/branchen/giv/
20 Arbeitswelt
«Über Bildung können wir Berufsleute die Zukunft unserer
Arbeitswelt entscheidend mitgestalten.» Michael Moser
Das Unwesen mit den Praktika
Praktika grassieren. Immer mehr junge Menschen müssen vor der Lehre ein Praktikum ablegen.
In Wahrheit handelt es sich oft nur um eine üble Form der Ausbeutung.
Eigentlich sollten Praktika beim Berufseinstieg
helfen – nach der Lehre
oder einem Studium. Doch in den letzten
Jahren kam ein neues Phänomen
auf: Vorlehrpraktika. Dabei werden
Jugendliche für bis zu einem Jahr zu
Niedriglöhnen im Betrieb eingesetzt.
Angeblich um den Beruf kennenzulernen.
Vor allem im Sozial- und Gesundheitsbereich,
aber auch in Coiffeurbetrieben,
wird immer öfter verlangt, vor
der Lehre ein Praktikum zu absolvieren.
Doch diese Praxis hat es in sich.
Vergangenen Sommer berichteten
beispielsweise zwei junge Frauen in
der Unia-Zeitung «work» von den Arbeitsbedingungen
als Praktikantinnen
in einer Kita. Mit 16, ohne Ausbildung
und zum Praktikumslohn von
900 Franken im Monat, sollten sie dieselbe
Arbeit wie ausgelernte Berufsfachleute
leisten. Eine Lehrstelle war
dabei nicht garantiert. Einer der beiden
jungen Frauen wurde gar erst
nach einem halben Jahr gesagt, dass
in Wahrheit nur zwei Lehrstellen für
fünf Praktikantinnen zur Verfügung
stünden.
Fronarbeit für nix und gar nichts
Um eine Ausbildung handelt es sich
dabei nicht. Die jungen Frauen haben
kaum Instruktionen erhalten, beuschten
keine Schule, und es gab statt
Lernzielen nur harte Arbeit. Aufgrund
solcher Fälle hat die Unia Jugend eine
Kampagne gegen Vorlehrpraktika gestartet,
die mit der Vergabe eines
«Apprentice Simply Ignored-Award»
an einen Coiffeurbetrieb gipfelte. Der
Coiffeur verlangt von allen künftigen
Lernenden, ein Jahr unbezahlt und
ohne Aussicht auf eine Lehrstelle ein
Praktikum zu absolvieren. Mehr noch:
Wer die Lehre in einem anderen Betrieb
absolviert, schuldet 1500 Franken
für die angebliche Ausbildung. Es
ist klar: Das ist reine Ausbeutung junger
Menschen.
Und in den syndicom-Branchen?
Noch sind Vorlehrpraktika nicht
üblich. Dass diese unsozialen, ausbeuterischen
Anstellungen bei uns
nicht einreissen, dafür setzt sich die
syndicom in ihren Branchen ein. Besonders
die IG Jugend, die Interessenvertretung
aller unter 31 bei syndicom.
(Dominik Fitze)
Arbeit zum Praktikumslohn von 900 Franken, ohne garantierte Lehrstelle. (© fotolia)
alt.workzeitung.ch/tiki-read_article.php?articleId=2952&topic=1
Wenn Bildung etwas
Eigenes ist
Wenn Arbeit nicht einfach etwas Vorgeschriebenes
ist, sondern ein Beruf,
dein Beruf, dann hat die Tätigkeit, die
wir ausüben, um unseren Lebensunterhalt
zu verdienen, plötzlich eine
andere Bedeutung. Man erledigt nicht
für Geld eine Aufgabe, sondern man
stellt für Lohn seine Fähigkeiten zur
Verfügung. Was ein fundamentaler
Unterschied ist.
Die Grundbildung der grafischen
Industrie wird seit der Gründung des
Typographenbundes 1858 zwischen
den Arbeitenden und den Arbeitgebern
ausgehandelt, paritätisch erarbeitet
und in der Branche umgesetzt.
Das heisst, Berufsleute bestimmen
mit, was in ihren Berufslehren, wie
etwa dem Drucktechnologen oder neu
dem Interactive Mediadesigner, ausgebildet
wird.
Somit wird nicht einfach vorgegeben,
was zu tun ist, sondern wir schaffen
uns die Möglichkeiten und die
Grenzen unseres Handwerkes selbst.
So können wir als Berufsleute über
Bildung die Zukunft unsere Arbeitswelt
entscheidend mitgestalten.
Am Schluss profitieren sogar die
Unternehmungen. Sie haben auf den
ersten Blick zwar weniger Macht bei
sich selbst, dafür aber Berufsleute in
ihrer Branche, die ihr Handwerk eigenständig
erweitern und so zu immer
neuer Blüte treiben können.
Michael Moser, Zentralsekretär Sektor Medien
pbs-opf.ch
«Dass Migrantinnen und Migranten ohne Abschluss eine
Ausbildung mit EFZ absolvieren, ist eine gute Sache.» Patrizia Mordini
21
Wenn die Erfahrung
zählt – die Chance
einer späten Lehre
Als Migrantin oder Migrant ohne Abschluss
bereits viele Jahre in einem Betrieb
tätig und nun Lust auf einen Lehrabschluss?
Die Nachholbildung nach
Artikel 32 Berufsbildungsverordnung
macht es möglich. Sie richtet sich an
alle Erwachsenen, die beispielsweise
aus familiären oder Altersgründen keine
Lehre mehr machen können, aber
dennoch eine vollständige Ausbildung
mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis
(EFZ) absolvieren möchten.
Wenn jemand zum Beispiel mindestens
fünf Jahre Berufserfahrung in
einem Betrieb wie der Post gesammelt
hat, wovon drei im Bereich Logistik,
kann er/sie innert zweier Jahre den Abschluss
als Logistiker/Logistikerin Distribution
erlangen. Als berufliche Erfahrung
gilt die Summe aller
nachgewiesenen beruflichen Tätigkeiten
im Logistikbereich. Und bereits absolvierte
Grundbildungen können angerechnet
werden. Über die Zulassung
zum Qualifikationsverfahren entscheidet
das kantonale Amt für Berufsbildung
des Wohnorts. Verschiedene Berufsschulen
bieten diese Lehrgänge an.
Eine gute Sache. Sprich deinen Arbeitgeber
auf diese Möglichkeit an. Wir bieten
dabei gerne Unterstützung.
Die Website www.logistiker-logistikerin.
ch/art-32-bbv/ bietet einen Überblick.
Patrizia Mordini, Leiterin Gleichstellung,
Mitglied der Geschäftsleitung
Der neue GAV Swisscom im Urteil
von 250 Angestellten
Erstmals hat syndicom «GAV-Infolunches» durchgeführt. An
rund 30 Veranstaltungen wurde der neue Gesamtarbeitsvertrag
erläutert und diskutiert. Einen regen Austausch gab es etwa
über den Anspruch auf fünf Weiterbildungstage pro Jahr.
Am 3. April nahmen in Liebefeld in der
Nähe von Bern 19 Personen an der
letzten der rund 30 Informationsveranstaltungen
teil, die in Form von
«GAV-Infolunches» von Bern bis Basel,
von Bellinzona, Lausanne, Biel, Freiburg
bis Luzern, Thun und Chur, von
Genf über Zürich bis nach Sion organisiert
wurden, um die Neuheiten des
GAV Swisscom vorzustellen. Dieser
tritt am kommenden 1. Juli in Kraft.
Insgesamt hatten rund 250 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter Gelegenheit,
in Form von Anträgen ihre
Wünsche für die künftige Weiterentwicklung
des GAV zu äussern und diejenigen
Anträge zu unterstützen, die
ihnen am sinnvollsten erschienen.
Allerdings ist noch nicht alles geregelt.
Der neue Anspruch auf fünf Weiterbildungstage
pro Jahr für alle Mitarbeitenden
kann erst ab Januar 2019
geltend gemacht werden. Bis dahin
muss das Kriterium der Arbeitsmarktfähigkeit,
das Anspruch auf diese Weiterbildungen
erst verleiht, enger definiert
werden. Davon wird abhängen,
für welche Art von Weiterbildungen
diese fünf Tage bezogen werden können
– Lernende beispielsweise haben
keinen Anspruch darauf. In keinem
anderen GAV in der Schweiz sind ähnlich
fortschrittliche Bestimmungen
vorgesehen.
Das Recht auf Abschalten
Eine weitere wichtige Neuerung: Der
Ferienanspruch wird gestaffelt nach
Alter ab dem 35. Lebensjahr erhöht.
Ausserdem sieht der GAV das Recht
vor, während der Freizeit nicht gestört
zu werden (Recht auf Nichterreichbarkeit).
Der Mutterschaftsurlaub wird
von 17 auf 18 Wochen erhöht und die
Väter haben Anspruch auf drei statt
zwei Wochen Urlaub. Zudem umfasst
der GAV einen besseren Kündigungsschutz
für Personal- und Gewerkschaftsvertreter.
Lunch-Teilnehmer Georg schätzt
den «direkten Kontakt mit der Gewerkschaft»,
den diese Veranstaltungen ermöglichen.
Er bedauert, dass der Anspruch
auf Weiterbildung eher für
Junge bestimmt ist: «Wir werden nicht
mehr gefragt, obwohl wir diese ebenso
oder noch mehr benötigen würden.»
Marianne ist der Auffassung, dass
in einem künftigen GAV ein Kündigungsschutz
für die ältesten Arbeitnehmenden
vorgesehen werden soll,
«denn da sie am meisten kosten, sind
sie auch als erste betroffen». Sie rechnet
mit einer besseren Regelung für
das Homeoffice im Einvernehmen mit
dem Arbeitgeber, um die «Ungleichbehandlungen»
in diesem Bereich aus
der Welt zu schaffen. Daniel bedauert,
dass der Anspruch auf Weiterbildung
noch nicht klar geregelt ist. Er wisse
zum Beispiel nicht, ob er auch für Umschulungen
gilt.
(Sylvie Fischer)
syndicom.ch/branchen/telecom/swisscom/
Swisscom-Angestellte diskutieren ihre Visionen für die Weiterentwicklung des GAV. (© Alexander Egger)
22 Politik
Aus und Weiterbildung
im digitalen Zeitalter
Alles geht schnell, zu schnell.
Vor allem in der Arbeitswelt.
Das Bildungs system, von der
Schule bis zur Weiter bildung,
muss sich rasch anpassen.
Sonst besteht die Gefahr,
dass Generationen von
heutigen und künftigen
Arbeitnehmenden auf der
Strecke bleiben. Aber welche
Kompetenzen und Instrumente
braucht es heute?
Welche Rolle kommt bei
dieser Transformation den
Gewerkschaften zu?
Text: Marc Rezzonico
Bilder: Johan Mouchet/unsplash
Diese Fragen, welche die Digitalisierung
für die Weiterbildung aufwirft,
lassen sich auf zwei Arten beantworten:
Man kann die unzähligen Studien,
Statistiken und Artikel lesen, die
es über die Bildung im digitalen
Zeitalter gibt. Oder man kann – wie
es Platon in seinem Höhlengleichnis
beschreibt – mithilfe einer
Lichtquelle die Schatten betrachten,
die sich an den Wänden abzeichnen,
und dadurch allmählich begreifen,
was geschieht. Wir wählen
die zweite Möglichkeit – und als
Lichtquelle die Lebensläufe!
Das Ende des CV
An die Stelle des
CV tritt das digitale
Dossier – und sein
Algorithmus.
Bildung, Arbeitswelt, Technologie
und Digitalisierung folgen parallel
verlaufenden Wegen. An ganz bestimmten
Orten kreuzen sich diese
aber regelmässig: in den Büros der
Personalverantwortlichen.
Personalverantwortliche wissen,
was die Berufswelt verlangt und welche
Aus und Weiterbildungsziele,
Technologien und Kernkompetenzen
gefordert sind.
Im Zentrum der Arbeit der Rekrutierer
steht der Lebenslauf, der
CV. «Lebensläufe sind grässlich»,
sagte Laszlo Bock, ehemaliger HR
Chef bei Google. «Sie erfassen nicht
die ganze Person. Bestenfalls liefern
sie Informationen über ihre frühere
Tätigkeit. Sie sagen aber nichts darüber
aus, was sie jetzt kann oder
künftig beherrschen wird. Auch zur
Persönlichkeit eines Bewerbers, zu
seinem Charakter, seiner Überzeugungskraft
und Kommunikationsfähigkeit
sowie zu seinen allgemeinen
Arbeitgeber nutzen Softwareprogramme und digitale Dossiers, um unsere Kompetenzen zu
ermitteln. Und bald ist die Bewerbung passé: Es wird die Arbeit sein, die den Arbeitssuchenden
findet. Jetzt muss massiv in eine Aus und Weiterbildung investiert werden, die wieder sämtliche
Arten von Intelligenz aufwertet, damit wir auf die angelaufenen Veränderungen vorbereitet sind.
23
Kompetenzen erfahren wir praktisch
nichts.»
Die Unternehmen suchen deshalb
nach anderen Methoden, um
Mitarbeitende auszusuchen. Einige
nutzen Persönlichkeitstests. Andere
entwickeln immer ausgeklügeltere
Softwareprogramme, um die
gesuchten Kompetenzen herauszufiltern.
Bei allen diesen Prozessen
besteht ein hohes Risiko der Persönlichkeitsverletzung.
Dem müssen
die Vertreter der Arbeitnehmenden
entgegenwirken.
Unilever etwa verlangt von Kandidierenden
gar keine Lebensläufe
mehr und setzt stattdessen auf eine
Kombination von spielerischen Formen
von Evaluationen, Videointerviews
und Problemlösungsübungen.
Hier endet die glänzende Karriere
des Lebenslaufs, wie man ihn kennt.
An seine Stelle tritt ein digitales
Dossier. Algorithmen analysieren
das Dossier sowie die sozialen
Medien und «matchen» Stellen mit
Nutzerprofilen. Die passenden
Nutzer werden dann eingeladen,
sich zu bewerben. In naher Zukunft
wird es also die Arbeit sein, die die
Arbeitssuchenden findet.
Zusammenfassend lassen sich
zwei Phänomene festhalten: Die
Personalverantwortlichen interessieren
sich nicht mehr so sehr für
die Vergangenheit der Bewerber als
vielmehr für ihr Potenzial in der
Zukunft. Und es ist nicht mehr der
Arbeitssuchende, der nach einer
Beschäftigung Ausschau hält, sondern
umgekehrt.
Heute ist oft schon gestern
Werfen wir einen Blick auf einige
aktuelle Fakten:
– Heute reichen oft nur fünf Jahre,
bis eine technische Idee, ein neuer
Beruf oder neue ökonomische
Modelle Alltag werden. Man denke
zum Beispiel an die Kryptowährungen,
die Plattformwirtschaft
oder Berufe wie «Big Data Architect»
und «ZumbaLehrer» (in der
LinkedIn Rangliste 2014 der Berufe,
die sich in den letzten fünf
Jahren am stärksten verbreitet
haben, steht der ZumbaLehrer an
dritter Stelle!).
– 2016 haben in der Schweiz fast
80 % der 25 bis 34Jährigen in
den vorangegangenen zwölf
Monaten eine Weiterbildung besucht.
Bei den 35 bis 54Jährigen
waren es 69 %, bei den 55 bis
64Jährigen 57 %. Sagt das Bundesamt
für Statistik.
– Die Lebensdauer einer Fachkompetenz
ist von 30 Jahren in den
80erJahren auf gerade 5 Jahre gesunken
(DeloitteBericht).
– Rund 30 % der Erwerbstätigen aller
Arbeitsgruppen, aber 42 % der
unter 30Jährigen ziehen eine berufliche
Umschulung in Betracht.
– In der Schweiz gibt es beispielsweise
neu die berufliche Weiterbildung
zum Solarinstallateur
oder Solarteur. Er ist qualifiziert,
die Beratung, Projektierung, Installation,
Inbetriebnahme und
Wartung in den Bereichen Photovoltaik,
Solarthermie und Wärmepumpen
zu koordinieren und
durchzuführen.
– Crowdworking (Arbeiten über eine
digitale Plattform) betrifft in
irgendeiner Form bereits mehr als
eine Million Personen in der
Schweiz (gemeinsame Studie der
Universität Hertfordshire und des
Unternehmens Ipsos MORI, in Zusammenarbeit
mit der Foundation
for European Progressive Studies,
UNI Europa und syndicom, siehe
syndicom magazin 1).
Wie man sehen kann, ist der Verkehr
in der Welt der Arbeit und der
Aus und Weiterbildung dichter und
komplexer geworden als je zuvor.
Gelenkt wird er von den Personalverantwortlichen,
die zunehmend
digitale Werkzeuge einsetzen. Bis
zum Tag, wo «die Arbeit den Arbeitssuchenden
finden wird», ohne
menschliche Beteiligung. Und hier
zeigt sich nun die Rolle, die die Gewerkschaften
wahrnehmen müssen.
Neue Gewerkschaftsstrategien
Gewerkschaften
müssen energisch
Investitionen in
Bildung fordern.
Wenn junge Berufstätige wenige Jahre
nach Abschluss ihrer Ausbildung
an eine berufliche Umschulung denken,
so liegt das häufig da ran, dass
ihr Beruf bald verschwinden wird.
Wenn die Mehrheit der Arbeitnehmenden
Weiterbildungen besucht,
tun sie das, weil sie fürchten, ihre
Kompetenzen würden schnell veralten.
Wenn ein Installateur fünf
Berufe gleichzeitig ausübt, verdrängt
er vier Personen. Wenn
digitale Plattformen für einige die
einzige Einnahmequelle darstellen,
geraten «Arbeitszeiten» und andere
wichtige Elemente des Arbeitsvertrags
unter die Räder.
Die Gewerkschaften müssen
den Arbeitenden in solchen Situationen
zur Seite stehen und auf
korrekten Arbeitszeiten und Löhnen
bestehen, etwa mit dem universellen
Arbeitsvertrag, den syndicom
fordert. Vor allem aber müssen sie
bei Staat und Unternehmen besondere
Anstrengungen bei der Ausund
Weiterbildung durchsetzen.
Transversale Kompetenzen
Es reicht heute nicht mehr aus, über
gute fachliche Kompetenzen zu verfügen
und eine Fremdsprache zu beherrschen.
Immer mehr achten die
Rekrutierer auf das Knowhow, das
es braucht, um in der Berufswelt zu
bestehen. Bei diesen sogenannten
transversalen Kompetenzen handelt
es sich beispielsweise um Führungs,
Kommunikations und Projektmanagementfähigkeiten,
Teamfähigkeit,
Zahlenverständnis,
kritisches Denken, Verhandlungsgeschick,
Informationsbeschaffung
und – am heikelsten – die Kreativität.
Diese Kompetenzen werden
schon im Kindesalter erworben und
entwickeln sich weiter. Sie ermöglichen
es, zu lernen, harmonisch zu
interagieren und sich an diverse
Lebenssitua tionen anzupassen. Im
schweizerischen Schulsystem werden
sie aber nur sporadisch geübt.
Lernen zu lernen
Hier zeichnet sich eine Antwort ab.
Die Aus und Weiterbildung im digitalen
Zeitalter muss (wieder) alle
Arten von Intelligenz aufwerten,
damit alle gleich befähigt werden,
neue berufliche Laufbahnen einzuschlagen,
um den Veränderungen
der Arbeitswelt zu begegnen.
Anders ausgedrückt: Bei dieser
Aus und Weiterbildung dürfen die
Noten in Mathematik, Deutsch oder
Französisch allein die künftigen
Berufs chancen nicht mehr beeinträchtigen.
vpodbildungspolitik.ch
24
Dank digitalen Kommunikationstechniken haben Kinder und andere Lernende
jederzeit Zugang zum Wissen. Etliche Firmen tüfteln am Lernen von morgen.
ELearning,
MOOCS und
Serious Games
Kleine Umschau in digitaler
Pädagogik
Wir kennen den Begriff ELearning,
der einfach eine Onlineschulung bezeichnet,
also die Möglichkeit, sich
im Internet auf einer rund um die
Uhr zugänglichen Plattform
weiterzubilden.
Die bekannteste Art des ELearnings
sind die MOOCS (Massive
Open Online Course), Fernschulungen,
die von vielen Teilnehmenden
gleichzeitig absolviert werden können.
Sie werden oft von Universitäten
oder anderen höheren Schulen
angeboten. Die sehr stark standardisierten
MOOCS eröffneten den Weg
zum «Adaptive Learning », also zum
personalisierten Lernen je nach
Lerntempo, Schwierigkeiten und
Vorlieben des Schülers oder der
Schülerin.
Zur Schulung von Personen,
die lieber selbstständig und fortlaufend
lernen oder das tun müssen,
gibt es die Serious Games (Spiele,
die nicht primär unterhalten sollen,
sondern der Bildung, Information,
Kommunikation und dem Marketing
dienen). Dazu zählen Projekte
wie die schulische Unterstützung
via Chat (z.B. Profenpoche). Berufsberatungstools
(z.B. Hello Charly).
Auf eine Lesedauer von 20 Minuten
zusammengefasste aktuelle Bücher
(z.B. Koober). Ein Uber des Bildungswesens,
der in wenigen Minuten
einen Lehrer ins Haus schickt (z.B.
SmartPapi). Spielerische Bildung
(Pistache) und massgeschneiderte,
anonyme Tutorials (Studypool).
Schule ohne Wandtafeln
Wie man sieht, unterliegen die
Schülerinnen und Schüler keinen
festen Stundenplänen, und die
Lehrpersonen werden zu Coaches
oder online erreichbaren Präsenzen.
Die kreative, vernetzte, partizipative
Schule von morgen kommt somit
ohne Pulte und Wandtafeln aus und
passt das Lernen dem Schüler oder
der Schülerin an – und nicht umgekehrt.
(Marc Rezzonico)
ethz.ch/de/dieethzuerich/lehre/
innovation/moocs.html
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25
Fragen an den syndicom-Rechtsdienst:
Guten Tag, seit vielen Jahren arbeite ich bei derselben
Arbeitgeberin in derselben Tätigkeit. Seit meinem Berufsabschluss
habe ich keine weiteren Ausbildungen mehr
absolviert. Nun habe ich die Befürchtung, dass ich im
Vergleich zu meinen jüngeren Kollegen als ungenügend
ausgebildet gelte und später eher auch mal von einer
Kündigung betroffen sein könnte. Damit ich mithalten kann,
möchte ich mich gerne weiterbilden lassen. Habe ich
gegenüber meiner langjährigen Arbeitgeberin einen
Anspruch auf Weiterbildung?
Ich habe mir eine berufsrelevante Weiterbildung herausgesucht,
die ich gerne besuchen möchte. Mir ist es jedoch
nicht möglich, diese selbst zu finanzieren und vollumfänglich
in der Freizeit zu besuchen. Die Arbeitgeberin würde
sich an den Kosten beteiligen. Was gilt es hier zu beachten?
Ebenfalls finden einige Ausbildungsmodule tagsüber unter
der Woche statt, und die Ausbildung ist zusätzlich mit viel
Selbststudium verbunden. Ist meine Arbeitgeberin
verpflichtet, mir hierfür frei zu geben oder auch Arbeitszeit
zum Selbststudium zu gewähren? Schliesslich profitiert sie
vom erworbenen Wissen auch mit.
Antwort des syndicom-Rechtsdienstes
Das berufliche Fortkommen muss
auch als ein von der Fürsorgepflicht
des Arbeitgebers erfasstes geschütztes
Gut anerkannt werden. Ob den
Arbeitnehmern ein generelles Recht
auf Weiterbildung zusteht, ist
differenziert anzusehen. Ein Anspruch
liegt dann vor, wenn er sich
aus dem Arbeitsvertrag oder einem
anwend baren Gesamtarbeitsvertrag
ergibt. Hingegen liegen keine
Gerichts urteile vor, die einen generellen
Anspruch als solches zuerkennen
würden. Auch das Bundesgesetz über
die Weiterbildung (WeBiG) stellt die
Verantwortung des Einzelnen in den
Vordergrund.
Ausbildungen sind nur notwendig
und deren Kosten damit zu ersetzen,
wenn sie von der Arbeitgeberin
angeordnet wurden. Die Arbeitgeber
beteiligen sich oftmals in der Praxis
dennoch an Ausbildungskosten,
sehen aber Rückzahlungspflichten
vor. Eine solche Aus- oder Weiterbildungsvereinbarung
ist jedenfalls
gültig, wenn sie den vom Mitarbeitenden
zurückzuvergütenden Betrag und
den Zeitraum fixiert, innert dem die
Kündigung eine Rückzahlungspflicht
auslöst. Oftmals wird eine abgestufte
Rückzahlungspflicht vereinbart.
Nein, nur die von der Arbeitgeberin
angeordnete Ausbildung ist als
lohnpflichtige Arbeitszeit anzurechnen.
Allfällig bezahlte Arbeitszeit
zwecks Besuche der Kurse oder
Selbststudium sind ebenfalls in der
Vereinbarung zu regeln und können
demzufolge einer Rückzahlungspflicht
unterliegen. Liegt deine
Vereinbarung vor, wende dich an uns.
Gerne beraten wir dich persönlich.
syndicom.ch/recht/rechtso
26 Freizeit
Tipps
Wenn Weiterbildung viel mehr
ist als Weiterbildung
Hanspeter Truniger erzählt in diesem
Magazin auf Seite 30, wie sehr
ihm die gewerkschaftlichen Kurse
geholfen haben, in einem Postkonzern,
der ständig umgebaut und neu
organisiert wurde, seinen Weg zu
finden. In einem Heft über Weiterbildung
gehört dies vermerkt: Die
Kurse von Movendo, Helias etc. sind
mehr als Orte der Wissensvermittlung:
Sie schaffen sozialen Zusammenhalt.
Oft finden sich lokal besonders
reizvolle Schulungsangebote, veranstaltet
von einzelnen Gewerkschaftsbünden
und Kartellen. Sich
umschauen lohnt. Kontaktadressen
findest Du auf der Seite sgb.ch unter
«Kantonale Bünde».
Weiterbildung ist inzwischen
eine gigantische Industrie geworden.
Um frustrierende oder teure
Überraschungen zu vermeiden,
holst Du Dir besser Rat bei Deinem
Gewerkschaftssekretär. Zwei
Movendo- Kurse können wir warm
empfehlen: «Frontalangriff auf das
Arbeitsgesetz» mit Luca Cirigliano
vom SGB am 29.9. in Olten. Und
«Die Krise, der Euro und die
Schweiz» mit den Ökonomen David
Gallusser und Daniel Kopp. Details
auf der Seite von Movendo.
Zwei kurze Promemoria noch:
Am 28. Juni findet in Freiburg die
grosse Tagung «Digitalisierung?
Weiterbildung!» statt.9.00 bis 16.30
Uhr, Anmeldung über movendo.ch.
Und bei Sheila Winkler erfahren
die Kolleginnen und Kollegen von
PostAuto alles über die laufenden
Kurse für PeKo-Mitglieder und Vertrauensleute.
In der gegenwärtigen
Streitlage um den Betrieb geht es
um das Elementare: Im GAV und
Gesetz und Dinge wie Zeiterfassung.
Also ums Ganze.
Sheila.Winkler@syndicom.ch
Was bleibt von 68? Ueli Mäder
malt ein Schweizer Sittenbild
1968 begann das Schweizer Fernsehen,
in Farbe zu senden. Nun sah
man auch in Bern und Wallisellen,
wie bunt die Proteste da draussen in
der Welt waren. Der Mai kam auch
in die Schweiz. Tausende demonstrierten
gegen den Vietnamkrieg.
Angehende Lehrerinnen streikten in
Locarno. Lehrlinge rebellierten
gegen autoritäre Lehrmeister.
Schülerinnen gründeten Drittweltgruppen.
Und überall brach die
Kultur auf.
50 Jahre später fragt Ueli Mäder,
der produktivste Schweizer Soziologe
(«macht.ch»), wie der Mai die
Schweiz verändert hat. Er tut dies
nicht analytisch, er befragt seine
eigene Generation. Das ist seine
soziologische Methode, die Alltagssoziologie.
Mehr als 100 Interviews
mit damaligen Protagonistinnen
und Protagonisten hat er dafür
geführt, Manche führen inzwischen
klingende Namen. Claudia Honegger,
Ruth Dreifuss, Thomas Held,
Barbara Gurtner, Peter Bichsel, Jürg
Marquard, Regula Renschler, Urs
Jaeggi ... Das liest sich, in tausend
Episoden und Tupfern zeitweise wie
ein Roman. So entsteht ein veritables
Sittenbild der Schweiz von 1968,
aber noch mehr der heutigen Befindlichkeiten.
Scheinbar nebenbei,
belegt mit vielen Dokumenten, wird
deutlich, dass manche Debatten
und Projekte von damals heute noch
die Tiefenströmungen unserer
Gesellschaft bilden. Jetzt hat man
nur noch ein dringenden Wunsch:
Dass ein 1980er dasselbe mit seiner
Generation anstellen möchte.
100 Jahre Landesstreik im
Theater
©Eve Lagger
Vom Donnerstag, 16. August, bis
Sonntag, 23. September 2018, wird
die Alte Hauptwerkstätte SBB nördlich
des Bahnhofs Olten Schauplatz
des Theaterspektakels «1918.ch –
100 Jahre Landesstreik» sein. Rund
zwanzig Theatergruppen aus allen
Landesteilen haben ihren eigenen
szenischen Beitrag in den vier Landessprachen
vorbereitet. Jeden
Abend werden zwei Szenen aus zwei
verschiedenen Kantonen die Aufführungen
ergänzen und so jeder
der 24 Aufführungen eine andere
Farbe verleihen. Diese Beiträge vervollständigen
das Hauptstück, das
unter der Regie von Liliana Heimberg
von Laienschauspielerinnen
und -schauspielern dargestellt wird.
Für dieses Projekt haben Historiker
und Fachleute mitgeholfen, die
Ereignisse von 1918 nachzuzeichnen,
als 250 000 Erwerbstätige anlässlich
des einzigartigen und einzigen
Generalstreiks in der
Geschichte der Schweiz ihre Arbeit
niederlegten. Diese vier Tage im
November 1918 haben bedeutende
soziale Errungenschaften ermöglicht.
Die vom Oltner Komitee vertretene
Arbeitnehmerbewegung forderte
unter anderem die Einführung
der AHV und des Frauenstimmrechts.
Diese wurden infolge der zunehmenden
Bedeutung der Arbeitnehmerbewegungen
schrittweise
auf demokratischem Weg eingeführt.
Das Projekt soll zeigen, dass
die ganze Schweiz davon betroffen
war. Mithilfe von Historikern wurden
lokale Geschichten und regionale
Inhalte inszeniert, welche die
Gesamtdarstellung vervollständigen.
Tickets können heute schon
über unten den stehenden Link bestellt
werden.
movendo.ch, syndicom.ch/mitgliederservice/aus-
und weiterbildung
Ueli Mäder: 68 – was bleibt? Rotpunktverlag
Zürich. 2018, 368 S. illustriert. CHF 49.90
1918.ch
1000 Worte
Ruedi Widmer
27
28 Bisch im Bild Tag der Arbeit
«Lohngleichheit. Punkt. Schluss!» Am 1. Mai forderten die Gewerkschaften die
Einhaltung des 37 Jahre alten Verfassungsgrundsatzes. Heute verdienen Frauen
im Durchschnitt noch immer 20 % weniger als die Männer.
1
2
3
5
4
1, 10 13 000 für Lohngleichheit in Zürich. Subito! (© Christian Capacoel)
2 Der 1. Mai der Buchhändler in Zürich: mehr Personal in die Läden! (© Christian Capacoel)
3, 5, 7 In Lausanne machten die Frauen klar: Ändert sich nichts, streiken wir 2019! (© Sylvie Fischer)
4 In Bern akzeptiert der Grossrat den 1. Mai immer noch nicht als Feiertag. Wir waren trotzdem da. (© Susanne Oehler)
6, 9 Lohngleichheit forderten 2500 Demonstranten in Basel – und solidarisierten sich mit Flüchtlingen. (© Frantisek Matous)
8 In Locarno hatten nicht die Funktionäre, sondern die Arbeiterinnen und Arbeiter das Wort. (© Giovanni Valerio)
29
6
7
8
9 10
30
Aus dem
Leben von ...
Hanspeter Truniger
Alles neu, immer dranbleiben
1957 in Münsterlingen TG geboren,
lernte Hanspeter Truniger Pöstler. Es
war der Beginn einer wechselreichen
Laufbahn, bestimmt durch zahlreiche
Reorganisationen der Post und
begleitet von diversen Aus- und
Weiterbildungen. Begonnen hat er als
Briefträger in Pratteln BL. Nach einigen
Jahren Zustelldienst absolvierte
Truniger die vierjährige Ausbildung zum
Betriebs beamten. Er spezialisierte sich
zum Qualitätsberater. Mit 50 erwarb er
das EFZ als Logistiker. Heute ist er Teil
des Teams Qualität im Briefzentrum
Härkingen SO. Seit der Lehre gewerkschaftlich
organisiert, präsidiert
Truniger bei syndicom den Bereich
PostMail Schweiz.
Text: Oliver Fahrni
Bild: Monika Flückiger
Weiterbildung ist und
bringt Wertschätzung
«Ich staune, was diese Maschinen
machen. Vor noch gar nicht so langer
Zeit haben wir in Basel in der
Briefausgabe per Hand sortiert, nach
120 Postbotenbezirken. Ausserdem
mussten wir 3000 Postfachkunden
kennen. Heute schafft eine Sortieranlage
32 000 Briefe bis Format B5
biegbar und 6 Millimeter Dicke in
einer Stunde.
Mein Beruf, den ich mit einem
gewissen Stolz Pöstler nenne, hat
sich in den bald 45 Jahren meiner
Laufbahn grundlegend verändert.
Sein Reiz liegt darin, die Menschen
in Verbindung zu bringen, verlässlich
und pünktlich. Es ist vorgekommen,
dass wir Briefe weitergeleitet
haben, die in Morseschrift oder in
Spiegelschrift adressiert waren. Das
ist Service public.
Ich habe die Trennung von Post
und Swisscom erlebt, die Auslagerung
von PostFinance, den Wechsel
zur Aktiengesellschaft, den wachsenden
Druck. Aus 18 Briefzentren sind
3 geworden. Die Reorganisation
dreht sich immer weiter. Jetzt will
der Nationalrat den Zustellschluss
12.30 Uhr ins Gesetz schreiben.
Damit würden rund 1500 Pöstlerstellen
zu Teilzeitjobs, von denen man
nicht leben kann. Hier hat die Post
eine soziale Verantwortung.
In meiner Aufgabe in Härkingen
versuche ich, die Qualität des Service
public in meinem Bereich hochzuhalten.
Es geht um gute Abläufe im
3-Schichten-Sortierdienst, zum Teil
mit ungelerntem oder temporärem
Personal. Am Ende dreht sich alles
um die richtige Adressierung.
Ohne die Gewerkschaft könnte
ich die Arbeit, die ich heute mache,
nicht machen. Sie hat mich in
meiner beruflichen Entwicklung
getragen. Zuerst bei meiner Ausbildung
zum Betriebsbeamten. Nebenbei
habe ich zahlreiche Kurse
besucht, bei der damaligen PTT-Union,
bei Movendo und an anderen
Orten. Mein erster Kurs war ein
Jugendkurs, 1975.
Als PeKo-Präsident habe ich
einmal meine ganze PeKo an einen
Kurs mitgenommen. Permanente
Weiterbildung ist der Schlüssel eines
erfüllten Berufslebens. Wer nicht
mit der Zeit geht, der muss mit der
Zeit gehen, sagt man. Weiterbildung
macht Lust auf mehr, eröffnet
Horizonte, weckt Neugierde und
macht das Arbeitsleben interessant.
Sicher ist das manchmal auch
beschwerlich. Ich hatte das Glück,
dass mir meine Frau half, das
Computerwissen anzueignen. Sie
hatte eine kaufmännische Bildung.
Manchmal muss man um seine
Qualifikation kämpfen. Ein Chef
wollte mich einmal nicht an einen
Movendo-Kurs lassen. Die Uniformierten
sollten dumm bleiben, die
Laufbahnen waren nicht durchlässig.
Dies hat sich zum Besseren
gewendet. Mit 50 konnte ich bei der
Post mein EFZ als Logistiker erwerben.
Das öffnet Türen. Weiterbildung
ist eine Form der Wertschätzung.
Und sie bringt dir neue
Wertschätzung.»
syndicom Post: bit.ly/2KEpek5
Impressum
Redaktion: Sylvie Fischer, Giovanni Valerio,
Marc Rezzonico, Marie Chevalley
Tel. 058 817 18 18, redaktion@syndicom.ch
Porträts, Zeichnungen: Katja Leudolph
Fotos ohne ©Copyright-Vermerk: zVg
Layout und Korrektorat: Stämpfli AG, Bern
Druck: Stämpfli AG, Wölflistrasse 1, 3001 Bern
Adressänderungen: syndicom, Adressverwaltung,
Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern
Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17
Inserate: priska.zuercher@syndicom.ch
Abobestellung: info@syndicom.ch
Abopreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für
Nichtmitglieder: Fr. 50.– (Inland), Fr. 70.– (Ausland)
Verlegerin: syndicom – Gewerkschaft
Medien und Kommunikation, Monbijoustrasse 33,
Postfach, 3001 Bern
Das syndicom-Magazin erscheint sechsmal im Jahr.
Ausgabe Nr. 6 erscheint am 6. Juli 2018
Redaktionsschluss: 28. Mai 2018.
31
Das syndicom-Kreuzworträtsel
Der Spargel wächst und Reisezeit ist
reka-Zeit: Zu gewinnen gibt es einen
Gutschein über 50 Franken, gespendet
von unserer Dienstleistungspartnerin
reka. Das Lösungswort wird in der
nächsten Ausgabe zusammen mit dem
Namen der Gewinnerin oder des
Gewinners veröffentlicht.
Lösungswort und Absender auf einer
A6-Postkarte senden an: syndicom-
Magazin, Monbijoustrasse 33, Postfach,
3001 Bern. Einsendeschluss: 10.6.18
Die Gewinnerin
Die Lösung des syndicom-Kreuzworträtsels
aus dem syndicom-Magazin
Nr. 4 lautet: SERVICE. Gewonnen hat
Erika Frei aus Uster. Sie erhält hat eine
Coop-Geschenkkarte im Wert von
40 Franken. Wir gratulieren herzlich!
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ALLES IST BESSER
GESCHÜTZT
ALS MENSCHEN AUF DER FLUCHT
Werde aktiv auf
amnesty.ch
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32 Inter-aktiv
syndicom social
Nachlässigkeit bei Twitter! 3.5.2018
Habt Ihr Euch in den letzten Tagen in
Euren Twitter-Account eingeloggt? Dann
musstet Ihr wahrscheinlich Euer Passwort
ändern. Schuld daran war ein Bug
(Daten wurden nicht verschlüsselt!), der
330 Millionen Nutzerinnen und Nutzer
betraf. Twitter beruhigte die User: Es sei
kein Hackerangriff oder Missbrauch der
Daten festgestellt worden. Tweet tweet!
Stephanie Vonarburg 4.5.2018
@SVonarburg
Ein Urteil zugunsten der Pressefreiheit:
Die 4 Journalisten von
«il caffè» sind in allen Anklagepunkten
freigesprochen worden:
Die Artikelserie über einen Arztfehler
war weder unlauterer
Wettbewerb noch eine Diffamierung.
cdt.ch/ticino/lugano/…
Welttag der Pressefreiheit 3.5.2018
Zum Welttag der Pressefreiheit sprach in Lugano Idil Eser,
Direktorin von Amnesty International in der Türkei.
syndicom hat die Veranstaltung mitorganisiert.
Adaptive Learning 17.4.2018
Am 17. April wird die Fernfachhochschule Schweiz
20 Jahre alt. Sie ist die erste eidgenössisch anerkannte
Hochschule für angewandte Wissenschaften, die ein
personalisiertes und adaptives Fernstudium anbietet.
UNI Europa Forum Brüssel 16.4.2018
Das Forum vom April war der Rolle der
digitalen Technologien in der Gewerkschaftsarbeit
gewidmet, wies aber auch
auf die grundlegende Bedeutung des
persönlichen Kontakts hin.
Social Media Gate 3.5.2018
Stoff für einen Krimi: Facebook verkauft den Zugang zu
den Daten seiner Nutzer an Cambridge Analytica, Twitter
ebenfalls, der Fall wird aufgedeckt, Cambridge Analytica
stellt den Betrieb ein und formiert sich unter dem Namen
Emerdata neu!
Sebastian Gänger @sebigaenger 2.5.2018
Wir sind ein Team: @inside_sda,
@syndicom_de, syndicom_fr und @
impressumCH. EINER für alle, alle für
einen! ! Herzl. Dank @SVonarburg & Co.!
Kompetenzen Erwachsener 4.5.2018
Weiterbildung 4.5.2018
Lust auf eine Weiterbildung oder eine Einführung in eine
digitale Aktivität? Schaut Euch unsere Kurse (für Mitglieder)
auf helias.ch und movendo.ch an.
1. «Festival de l’Éducation» in Genf 2019
Die Schweiz nimmt an der nächsten
Runde des Programms für die
internationale Erhebung der
Kompetenzen Erwachsener (PIAAC)
der OECD teil. Diese startet 2021.
Erhoben werden auch Daten zu den
grundlegenden IKT-Kenntnissen von
Erwachsenen.
educa.ch
Das «Festival der Bildung» in Genf sollte am 18. April
stattfinden. Es wurde auf Frühjahr 2019 verschoben.
Die Veranstaltung wird sich mit dem über Internet
zugänglichen Wissen und den Modellen der Wissensvermittlung
(MOOC) befassen. Im digitalen Zeitalter strebt
die Schule nach einem neuen Bildungsparadigma!
Serious Games 25.4.2018
Mit wem hat Marco Polo gechattet? Sind Smartphones
geeignet, um damit zu lernen? Mit der Lern-App «A Touch
of History» bieten die Pädagogische Hochschule Zug und
Samsung Schweiz einen spielerischen und interaktiven
Zugang zur Geschichte.