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28 LitArena VIII|Oktober 2017 LitArena Siegertext 2. Platz<br />

Katharina J. Ferner<br />

Neulich im Café<br />

Im Café Jelinek, das heißt kleiner Hirsch. Jelen der Hirsch<br />

und so weiter. Irgendwann einmal nehme ich dich mit, wenn<br />

du groß bist, du grinst. Ich verschütte Tee auf meinem Kleid,<br />

das macht nichts. Sei nicht so frech, pass nur auf. Du greifst<br />

nach meiner Hand, ziehst an den Fingern dass es knackt in<br />

den Knochen. Ich kann gerade noch den Aufschrei unterdrücken.<br />

Große Mädchen schreien nicht. Öffentlich. Erst später,<br />

am Abend, zwischen den Laken vergraben. Ich schäme mich.<br />

Werde nicht die Lider niederschlagen und die Wangen bleiben<br />

kalt, aber die Hand verrät mich. Ich will die Finger lösen,<br />

doch sie kleben fest, an der Hand, der weichen. Ich verschütte<br />

noch einmal Tee, er ist lauwarm und ich nass bis auf die<br />

Strumpfhose, vielleicht auch darunter. Mein Herz klopft sich<br />

in den Herzinfarkt. Atmen nicht vergessen. Ich schlucke. Die<br />

Augen perlen Tränen vom Rauch. Reiß dich zusammen, Mädchen.<br />

Ich blinzle heftig. Er wischt die Spuren achtlos von den<br />

Wangen mit der einen Hand, die andere mich immer noch<br />

fest im Griff. Wischt die Zigarettenschachtel vom Tisch. Ich<br />

denke, dass meine Finger langsam blau werden, vielleicht<br />

bleiben sie auf der Tischkante liegen, werden so zum Inventar.<br />

Wenn ich wieder hierher kommen sollte, könnte ich<br />

sagen: Das ist mein Tisch. Da sind schließlich meine Finger<br />

auf der Platte. Ja, so war das damals. Da musste man sich<br />

die Sitzplätze noch hart erkämpfen. Und dann würde ich in<br />

Gelächter ausbrechen, so wie in einem dieser Filme, in denen<br />

eine Person über ihren eigenen Witz lacht und niemand<br />

sonst. Und meine Begleitung würde nur aus Höflichkeit die<br />

Mundwinkel nach oben ziehen, sich aber denken, dass ich<br />

nun vollkommen irre geworden sei und dann sobald wie<br />

möglich das Weite suchen. Ich würde mich an den Tisch setzen<br />

und nach einer Zeitung verlangen. Und dann kämst du.<br />

Wärst doch schließlich auch ein Teil des Ganzen geworden.<br />

Nicht ganz unschuldig daran, dass meine Finger am Tisch,<br />

um nicht zu sagen: schuldig. Du würdest an meiner Stelle<br />

in der Zeitung blättern, mir manches vorlesen, anderes nur<br />

kommentieren, meine Fragen übergehen, mich manchmal<br />

zurechtweisen. Also alles wie gehabt. Ich seufze.<br />

Erst jetzt bemerke ich, dass du meine Hand losgelassen, wie<br />

ein toter Fisch liegt sie da. Ich lasse sie liegen, die Hoffnung<br />

noch nicht aufgegeben. Dass du mir einmal entgegen kommen<br />

könntest, hinterher. Sie noch einmal hochheben, sanft<br />

dieses mal. Mir einen Ring anstecken vielleicht. Du schüttelst<br />

den Kopf. Man wird doch wohl noch träumen dürfen!<br />

Du sagst: Werd endlich erwachsen. Und dass ich gar nicht<br />

weiß wie sehr. Und das Begehren brennt mir unter der eingerissenen<br />

Nagelhaut. Du sagst: Blümchen. Und ich hasse<br />

dass du das so sagst, beiläufig, hingeworfen wie ein schlechter<br />

Kosename. Denk mich grau statt bunt. In der Menge verschwunden.<br />

Bin ich. Dass mir das alles zu lange dauert und dir<br />

immer noch zu schnell. Dass ich vielleicht gierig bin. Sachte,<br />

sachte sagst du. Bremst die Lippen, legst mir die Finger so<br />

fest an den Mund, dass ich den Geschmack erahnen kann,<br />

ziehst sie schneller weg, als meine Zungenspitze. Die Zähne<br />

beginnen an der Haut zu ziehen, mich zittert. Bekomme<br />

deine Jacke, nur geliehen, betonst das extra, dass ich mich<br />

bloß nicht daran gewöhne, deinen Geruch auf meiner Haut<br />

zu tragen, nicht länger notwendig. Bietest mir den Arm an,<br />

ein echterGentleman, würde man sagen, doch ich weiß es<br />

sind nur noch wenige Schritte bis zudeiner Haustür. Ich kenne<br />

den Klingelknopf und das Treppenhaus, die Wohnungstürsogar,<br />

hast mich einmal beim Spionieren erwischt, mich auf<br />

Entzug gesetzt eine ganzeWoche lang. Ich ziehe die Schritte<br />

in die Länge, meine Finger beben zur Klingel hin,fängst sie<br />

gerade noch ein, die Knöchel knirschen, während du meine<br />

Hand nach unten drückst. Zärtlich aber bestimmt. Hauchst<br />

mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange, als wäre ich<br />

eine Bekannte, die du zufällig in der Straßenbahn. Nimmst<br />

mir den Mantel ab und ich sehe zu wie die Tür sich hinter dir<br />

schließt, warte noch ein bisschen vorm Haus herum, bis ich<br />

dich oben am Fenster winken sehe. Mein Handy vibriert und<br />

alles was du schreibst ist: Verkühl dich nicht, Liebes. Und ich<br />

weiß es ist an der Zeit in meine eigenen vier Wände, wo es<br />

nur mich gibt und ganz selten dich.<br />

Ich trödle den Nachhauseweg, bis mir wieder kalt wird und<br />

ich hoffe dass ich krank werde, die Nase zugeht. Aber selbst<br />

wenn es so wäre, wenn es noch viel schlimmer, ich eine<br />

Lungenentzündung oder etwas anderes lebensbedrohliches.<br />

Du würdest nicht kommen und mich pflegen, vielleicht würde<br />

ich es gar nicht wollen, dass du mich siehst in so einem<br />

Zustand, die Haare zerrauft von der eigenen Misere. Frage<br />

mich manchmal ob es noch Zustände gibt mit denen ich dich<br />

überraschen kann. Ob du einer, der für Überraschungen zu<br />

haben? Wohl kaum. In Gedanken erzähle ich dir, dass ich<br />

gerne Salz in Narben streue, obwohl das nicht stimmt. Zeige<br />

stolz die Unterarme, deute auf die verkrusteten Stellen,<br />

sage: hier und hier, und: hat gar nicht weh getan. Die Narben<br />

zur Schau getragen vor dir. Verhüllt vor fremden Blicken, nur<br />

manchmal schimmert es rot durch den Stoff. Dass ich im-

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