Ostbayern-Kurier_Juni2018_SUED
Die Monatszeitung für Stadt und Kreis Regensburg
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2 Stadt Regensburg<br />
www.ostbayern-kurier.de<br />
Die heimliche Fabrik<br />
Mitten in der historischen Altstadt produzierten 350 Menschen einst Schnupftabak<br />
Regensburg. Es waren vor<br />
allem Damen, die hier die<br />
beliebteste bayerische<br />
Volksdroge gleich nach<br />
dem Bier herstellten: den<br />
Schnupftabak. Und die<br />
Frauen waren besonders<br />
reinlich, wovon zurückgelassene<br />
Schilder und eine<br />
Batterie Waschbecken<br />
zeugen, die dem Besucher<br />
einen eindrucksvollen<br />
Einblick in die Industrieproduktion<br />
des 19. und<br />
20. Jahrhunderts geben<br />
– nicht weit weg vom<br />
Haidplatz, mitten in der<br />
Stadt, in einem Haus mit<br />
stuckierten Gewölbedecken,<br />
dessen Ursprünge<br />
im Mittelalter liegen.<br />
Wirtschaftskrise wegen aus<br />
dem Westen in den wilden<br />
Südosten. Daher spricht<br />
man sie auch französisch<br />
aus. Und sie stellten fest,<br />
dass sich unweit im bayerischen<br />
Wald eine veritable<br />
Konkurrenz entwickelt<br />
hatte, die zum Binden des<br />
Schnupftabaks statt anderer<br />
teurer Stoffe einfach<br />
Schmalz verwendete – der<br />
Schmalzler war geboren.<br />
Urheberrechte waren indes<br />
noch nicht erfunden, und<br />
so fand neben diversen duftenden<br />
Essenzen, die in der<br />
Alchemistenküche destilliert<br />
wurden, auch Schweineschmalz<br />
seinen Einzug in die<br />
Gesandtenstraße.<br />
Die „document Schnupftabakfabrik“,<br />
für die das<br />
Tourismusbüro der Stadt<br />
Führungen vermittelt, liegt in<br />
der Gesandtenstraße und jedermann<br />
aus <strong>Ostbayern</strong>, der<br />
ab und an in der Oberpfälzer<br />
Hauptstadt weilt, ist schon<br />
hundert Mal vorbei gelaufen.<br />
Sperrt einem aber ein Stadtführer<br />
wie Michaela das<br />
Allerheiligste auf, das im neu<br />
sanierten Haus Seit an Seit<br />
mit Wohnungen koexistiert<br />
und die Erinnerungen längst<br />
vergangener Jahrzehnte in<br />
mildem Tabakgeruch konserviert,<br />
dann blähen sich<br />
die Nüstern voller Wohlbehagen<br />
und der Kiefer klappt<br />
erstaunt nach unten.<br />
Die Gebrüder Bernard<br />
kamen ursprünglich der<br />
Die Tourismus Information<br />
beschreibt das Museum im<br />
Internet selber so:<br />
„Das document erstreckt<br />
sich auf zwei Etagen mit<br />
einer Gesamtfläche von 230<br />
m² und vermittelt einen authentischen<br />
Eindruck von der<br />
Kunst der Tabakherstellung.<br />
Dabei präsentiert es nicht<br />
nur museumsähnlich die<br />
originalen Gerätschaften<br />
in denkmalgeschützten<br />
Räumen, sondern lädt seine<br />
Besucher auf eine interaktive<br />
Reise ein. Große begehbare<br />
Fermentationsfässer mit<br />
einer Riech- und Hörstation<br />
ermöglichen es, direkt in<br />
das Thema einzutauchen.<br />
Eine Filmvorführung über<br />
den Produktionsprozess im<br />
Im Büro von OK-Herausgeber Hubert Süß findet sich<br />
neben dem Wolpertinger ein Glas „Schmalzler Franzl“<br />
- zu Deko-Zwecken, versteht sich.<br />
Ganzen rundet den Besuch<br />
ab. Das ehemalige Firmengebäude<br />
der Schnupftabakfabrik<br />
Bernard stellt<br />
einen der größten Komplexe<br />
Regensburger Bürgerhausarchitektur<br />
des Mittelalters<br />
dar. Seine wechselvolle<br />
Nutzung vom edlen Wohn-<br />
und Repräsentationsbau<br />
reicher Kaufleute bis hin zur<br />
Schnupftabakfabrik spiegelt<br />
die Geschichte Regensburgs<br />
wider.<br />
So zeigt die sog. „Alchemisten-Küche“<br />
als authentischer<br />
Ort die Station der<br />
feinen Mischungen der<br />
begehrten Sorten Pariser,<br />
Saarbrücker, Cardinal oder<br />
auch Offenbacher, zu denen<br />
ab 1870 der „Schmalzler“<br />
oder „Aecht Bayerischer<br />
Brasil-Tabak“ kamen. Dieser<br />
unter dem Markenzeichen<br />
„Schmalzler Franzl“ angebotene<br />
Schnupftabak war<br />
derart begehrt, dass die<br />
Fabrik vor dem 2. Weltkrieg<br />
die größte Schnupftabakfabrik<br />
in Deutschland mit ca.<br />
350 Mitarbeitern war. Der<br />
Raum wurde bewusst in seiner<br />
originalen Ausstattung<br />
belassen, zu der auch die<br />
Lichtverhältnisse und vor<br />
allem der unvergleichliche<br />
Geruch zählen.<br />
Das traditionsreiche Unternehmen<br />
Gebrüder Bernard<br />
produzierte fast 200 Jahre<br />
lang edle Tabaksorten. Ein<br />
authentischer Eindruck von<br />
der Kunst der Tabakherstellung<br />
in einem mittelalterlichen<br />
Wohnpalast, angefangen<br />
bei der Anlieferung<br />
des Rohtabaks bis hin zur<br />
Verpackung der edlen Prise<br />
wird ebenso vermittelt wie<br />
wesentliche Aspekte der Firmengeschichte<br />
der Bernard<br />
AG als erste Schnupftabakfabrik<br />
Deutschlands.<br />
Den Blick auf die Kultur<br />
des Schnupfens richtet die<br />
dem Historischen Museum<br />
übertragene Sammlung<br />
von Georg Otto Christlieb,<br />
Direktor der Firma Bernard,<br />
mit wertvollen und farbenfrohen<br />
Schnupftabaksdosen<br />
und –gläsern.<br />
Turnusführungen jeden Freitag,<br />
Samstag und Sonntag<br />
jeweils 14.30 Uhr<br />
Die Karten erhalten Sie bei<br />
Café Anna, Gesandtenstraße<br />
5.“<br />
Was die Stadt nicht aufführt,<br />
das ist die Regensburger<br />
Herzlichkeit, mit der Michaela<br />
ihre Schäfchen durch<br />
die Räume führt. Das ist<br />
manchmal ein bissl rauh,<br />
aber voller Sorgfalt und<br />
lässt niemanden unberührt.<br />
Genauso wie die aromatischen<br />
Sorten, von denen der<br />
geneigte Besucher die eine<br />
oder andere probieren darf.<br />
Eine eher seltene Attraktion,<br />
weil sie für Einheimische und<br />
Auswärtige gleichermaßen<br />
ein Erlebnis darstellt.<br />
Hubert Süß