15.06.2018 Aufrufe

Ostbayern-Kurier_Juni2018_SUED

Die Monatszeitung für Stadt und Kreis Regensburg

Die Monatszeitung für Stadt und Kreis Regensburg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

2 Stadt Regensburg<br />

www.ostbayern-kurier.de<br />

Die heimliche Fabrik<br />

Mitten in der historischen Altstadt produzierten 350 Menschen einst Schnupftabak<br />

Regensburg. Es waren vor<br />

allem Damen, die hier die<br />

beliebteste bayerische<br />

Volksdroge gleich nach<br />

dem Bier herstellten: den<br />

Schnupftabak. Und die<br />

Frauen waren besonders<br />

reinlich, wovon zurückgelassene<br />

Schilder und eine<br />

Batterie Waschbecken<br />

zeugen, die dem Besucher<br />

einen eindrucksvollen<br />

Einblick in die Industrieproduktion<br />

des 19. und<br />

20. Jahrhunderts geben<br />

– nicht weit weg vom<br />

Haidplatz, mitten in der<br />

Stadt, in einem Haus mit<br />

stuckierten Gewölbedecken,<br />

dessen Ursprünge<br />

im Mittelalter liegen.<br />

Wirtschaftskrise wegen aus<br />

dem Westen in den wilden<br />

Südosten. Daher spricht<br />

man sie auch französisch<br />

aus. Und sie stellten fest,<br />

dass sich unweit im bayerischen<br />

Wald eine veritable<br />

Konkurrenz entwickelt<br />

hatte, die zum Binden des<br />

Schnupftabaks statt anderer<br />

teurer Stoffe einfach<br />

Schmalz verwendete – der<br />

Schmalzler war geboren.<br />

Urheberrechte waren indes<br />

noch nicht erfunden, und<br />

so fand neben diversen duftenden<br />

Essenzen, die in der<br />

Alchemistenküche destilliert<br />

wurden, auch Schweineschmalz<br />

seinen Einzug in die<br />

Gesandtenstraße.<br />

Die „document Schnupftabakfabrik“,<br />

für die das<br />

Tourismusbüro der Stadt<br />

Führungen vermittelt, liegt in<br />

der Gesandtenstraße und jedermann<br />

aus <strong>Ostbayern</strong>, der<br />

ab und an in der Oberpfälzer<br />

Hauptstadt weilt, ist schon<br />

hundert Mal vorbei gelaufen.<br />

Sperrt einem aber ein Stadtführer<br />

wie Michaela das<br />

Allerheiligste auf, das im neu<br />

sanierten Haus Seit an Seit<br />

mit Wohnungen koexistiert<br />

und die Erinnerungen längst<br />

vergangener Jahrzehnte in<br />

mildem Tabakgeruch konserviert,<br />

dann blähen sich<br />

die Nüstern voller Wohlbehagen<br />

und der Kiefer klappt<br />

erstaunt nach unten.<br />

Die Gebrüder Bernard<br />

kamen ursprünglich der<br />

Die Tourismus Information<br />

beschreibt das Museum im<br />

Internet selber so:<br />

„Das document erstreckt<br />

sich auf zwei Etagen mit<br />

einer Gesamtfläche von 230<br />

m² und vermittelt einen authentischen<br />

Eindruck von der<br />

Kunst der Tabakherstellung.<br />

Dabei präsentiert es nicht<br />

nur museumsähnlich die<br />

originalen Gerätschaften<br />

in denkmalgeschützten<br />

Räumen, sondern lädt seine<br />

Besucher auf eine interaktive<br />

Reise ein. Große begehbare<br />

Fermentationsfässer mit<br />

einer Riech- und Hörstation<br />

ermöglichen es, direkt in<br />

das Thema einzutauchen.<br />

Eine Filmvorführung über<br />

den Produktionsprozess im<br />

Im Büro von OK-Herausgeber Hubert Süß findet sich<br />

neben dem Wolpertinger ein Glas „Schmalzler Franzl“<br />

- zu Deko-Zwecken, versteht sich.<br />

Ganzen rundet den Besuch<br />

ab. Das ehemalige Firmengebäude<br />

der Schnupftabakfabrik<br />

Bernard stellt<br />

einen der größten Komplexe<br />

Regensburger Bürgerhausarchitektur<br />

des Mittelalters<br />

dar. Seine wechselvolle<br />

Nutzung vom edlen Wohn-<br />

und Repräsentationsbau<br />

reicher Kaufleute bis hin zur<br />

Schnupftabakfabrik spiegelt<br />

die Geschichte Regensburgs<br />

wider.<br />

So zeigt die sog. „Alchemisten-Küche“<br />

als authentischer<br />

Ort die Station der<br />

feinen Mischungen der<br />

begehrten Sorten Pariser,<br />

Saarbrücker, Cardinal oder<br />

auch Offenbacher, zu denen<br />

ab 1870 der „Schmalzler“<br />

oder „Aecht Bayerischer<br />

Brasil-Tabak“ kamen. Dieser<br />

unter dem Markenzeichen<br />

„Schmalzler Franzl“ angebotene<br />

Schnupftabak war<br />

derart begehrt, dass die<br />

Fabrik vor dem 2. Weltkrieg<br />

die größte Schnupftabakfabrik<br />

in Deutschland mit ca.<br />

350 Mitarbeitern war. Der<br />

Raum wurde bewusst in seiner<br />

originalen Ausstattung<br />

belassen, zu der auch die<br />

Lichtverhältnisse und vor<br />

allem der unvergleichliche<br />

Geruch zählen.<br />

Das traditionsreiche Unternehmen<br />

Gebrüder Bernard<br />

produzierte fast 200 Jahre<br />

lang edle Tabaksorten. Ein<br />

authentischer Eindruck von<br />

der Kunst der Tabakherstellung<br />

in einem mittelalterlichen<br />

Wohnpalast, angefangen<br />

bei der Anlieferung<br />

des Rohtabaks bis hin zur<br />

Verpackung der edlen Prise<br />

wird ebenso vermittelt wie<br />

wesentliche Aspekte der Firmengeschichte<br />

der Bernard<br />

AG als erste Schnupftabakfabrik<br />

Deutschlands.<br />

Den Blick auf die Kultur<br />

des Schnupfens richtet die<br />

dem Historischen Museum<br />

übertragene Sammlung<br />

von Georg Otto Christlieb,<br />

Direktor der Firma Bernard,<br />

mit wertvollen und farbenfrohen<br />

Schnupftabaksdosen<br />

und –gläsern.<br />

Turnusführungen jeden Freitag,<br />

Samstag und Sonntag<br />

jeweils 14.30 Uhr<br />

Die Karten erhalten Sie bei<br />

Café Anna, Gesandtenstraße<br />

5.“<br />

Was die Stadt nicht aufführt,<br />

das ist die Regensburger<br />

Herzlichkeit, mit der Michaela<br />

ihre Schäfchen durch<br />

die Räume führt. Das ist<br />

manchmal ein bissl rauh,<br />

aber voller Sorgfalt und<br />

lässt niemanden unberührt.<br />

Genauso wie die aromatischen<br />

Sorten, von denen der<br />

geneigte Besucher die eine<br />

oder andere probieren darf.<br />

Eine eher seltene Attraktion,<br />

weil sie für Einheimische und<br />

Auswärtige gleichermaßen<br />

ein Erlebnis darstellt.<br />

Hubert Süß

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!