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Ostbayern-Kurier_Juli-2018_NORD

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14 Reportage<br />

www.ostbayern-kurier.de<br />

2734 Kilometer Pilgerfahrt<br />

Jürgen Schossig (65) radelt ohne Fremdsprachenkenntnisse nach Santiago de Compostela<br />

Amberg. Wie viele hört<br />

man sagen „Den Jakobsweg<br />

bis Santiago de<br />

Compostela, den würde<br />

ich auch mal gerne gehen,<br />

aber....“ Der Rentner Jürgen<br />

Schossig (65 Jahre)<br />

aus Amberg machte aus<br />

dem „würde“ ein „werde“!<br />

War er in den vergangenen<br />

Jahren bereits mit seinem<br />

Schwager per Velo - mit<br />

reiner Muskelkraft und<br />

nicht etwa mit einem E-Bike<br />

auf - Tour nach Paris, Rom<br />

und Amsterdam gegangen<br />

(wir berichteten), so machte<br />

er sich in diesem Jahr bewusst<br />

allein auf diese ganz<br />

besondere Reise. Und das<br />

ohne jegliche Kenntnisse<br />

der französischen und spanischen<br />

Sprache. Mit nur ein<br />

paar Wörtern Englisch, dafür<br />

aber mit umso mehr Mut und<br />

Vertrauen im Gepäck machte<br />

sich der Radl-Rentner auf<br />

die Pilgerreise. Er hat dem<br />

<strong>Ostbayern</strong>-<strong>Kurier</strong> von seinen<br />

Erlebnissen und Erkenntnissen<br />

auf dem Jakobsweg von<br />

Amberg nach Santiago de<br />

Compostela erzählt.<br />

Wir veröffentlichen<br />

hier Auszüge aus dem<br />

Tour-Tagebuch des Radl-<br />

Rentners. Die Erfahrungen<br />

den kompletten, 33<br />

Tage dauernden Reise<br />

lesen Sie online auf www.<br />

ostbayern-kurier.de unter<br />

der Rubrik „Reportage“.<br />

Tag 1 / Montag, 14.05.<br />

Abfahrt um 8.30 Uhr in Amberg<br />

mit dem Trekking-Rad,<br />

beladen mit 30 kg Gepäck.<br />

Tag 4 / Donnerstag, 17.05.<br />

ch <br />

Augen und denke mir, als ich<br />

so an der Zeltwand hochschaue,<br />

seltsam, was hat<br />

das Zelt nur für komische<br />

braune Flecken? Als ich<br />

aus dem Zelt krabble sehe<br />

ich die Bescherung – das<br />

Zelt ist übersät mit Nacktschnecken,<br />

30-40 an der<br />

Zahl! Würg... Handschuhe<br />

an und die ekligen Besucher<br />

entfernen. Nach dieser<br />

„Kammerjäger-Tätigkeit“<br />

fahre ich ohne Frühstück los<br />

(verständlich, oder?).<br />

Am Ziel: Mit seiner freundlichen, offenen Art ist Jürgen Schossig auch ohne Spanischoder<br />

Französischkenntnisse in Santiago angelangt.<br />

Tag 7 / Sonntag, 20.05.<br />

Der ständige Regen macht<br />

ch mürbt.<br />

Hilft ja alles nichts,<br />

ich breche auf Richtung<br />

Besancon. Inzwischen ist<br />

das Wetter besser und auch<br />

meine Stimmung hellt sich<br />

auf. Hier grüßen sich die<br />

meisten Radfahrer. Werde<br />

gerade überholt: „Bonjour,<br />

sprechen sie deutsch“,<br />

werde ich gefragt. „Nix<br />

anderes“, ist meine Antwort!<br />

Der Angesprochene kippt<br />

vor Freude fast vom Rad. Er<br />

ist Rentner aus Österreich<br />

und mit einem Kollegen<br />

unterwegs. Sie fragen nach<br />

meinem Ziel. Als ich es ihnen<br />

sage, sind sie erst mal<br />

sprachlos... da wollen sie<br />

auch hin! Ein paar Kilometer<br />

fahren wir gemeinsam bei<br />

netter Unterhaltung, dann<br />

trennen sich unsere Wege<br />

wieder. Habe die beiden Österreicher<br />

noch zweimal auf<br />

<br />

gab immer ein großes HAL-<br />

LO, obwohl ich sehr gerne<br />

allein unterwegs bin und<br />

meine Gedanken ungestört<br />

schweifen lassen kann.<br />

Tag 8 / Montag, 21.05.<br />

Nun bin ich schon eine<br />

Woche unterwegs. Ich spüre<br />

schon jetzt die Anstrengung,<br />

kann mich aber trotz des<br />

vielen Regens immer wieder<br />

motivieren, möchte unbedingt<br />

mein Ziel erreichen.<br />

Tags darauf ging es nun<br />

laufend bergauf-bergab, bin<br />

ganz schön gefordert, aber<br />

das wird in den kommenden<br />

Tagen bestimmt noch<br />

schlimmer.<br />

Tag 10 / Mittwoch, 23.05.<br />

Das Wetter wird schlechter,<br />

Gewitterwolken ziehen auf.<br />

Bin plötzlich mit meinen<br />

Kräften total am Ende, kann<br />

mich kaum noch auf dem<br />

Rad halten – bergauf-bergab!<br />

Als ich am Campingplatz<br />

ch<br />

Schlag! Das ist eine durch<br />

den Regen aufgeweichte<br />

Wiese mit WC und Duschkabine.<br />

Kein Mensch vor Ort<br />

und es regnet weiter in Strömen,<br />

Zeltaufbauen unmöglich!<br />

Nach 1,5 Stunden mit<br />

abwarten immer noch keine<br />

Wetterbesserung. Was tun?<br />

Ich nehme mein Gepäck und<br />

begebe mich in die Duschkabine,<br />

die ist sauber und<br />

trocken. Luftmatratze und<br />

Schlafsack dazu und fertig<br />

ist mein Nachtlager.<br />

Tag 11 / Donnerstag, 24.05.<br />

Wie immer in den Städten<br />

Fast so toll wie die Hochzeit<br />

zu Kanaan: Der Brunnen, der<br />

Wein und Wasser von sich<br />

gibt.<br />

ist mein Navi überfordert,<br />

schaltet sich ab oder schickt<br />

mich mal nach rechts, mal<br />

nach links. Ich navigiere<br />

mich mit dem Kompass<br />

aus der Stadt. Weiter geht’s<br />

- aber nicht lange. Straße<br />

gesperrt, Baustelle! Egal,<br />

Absperrung umfahren und<br />

weiter geht’s - habe ich in<br />

Deutschland auch schon<br />

so gemacht. Aber pssssst,<br />

nicht weitersagen! Es geht<br />

bergab, wunderbar.... bis<br />

zur nächsten Absperrung!<br />

Brücke abgerissen, kein<br />

Durchkommen! Also wieder<br />

zurück, so eine Sch....!<br />

Tag 14 / Sonntag 27.05.<br />

Heute sehe ich die erste<br />

Fußpilgerin, eine ca. 60<br />

h <br />

ihren Weg geht. Ich dagegen<br />

fühle mich heute sowas von<br />

schlapp ...<br />

Tag 15, Montag 28.05.<br />

Es ist eine herrliche<br />

Ruhe, manchmal sehe<br />

ich 45 Minuten lang keine<br />

Menschenseele.<br />

Viele unbekannte Vogelstimmen<br />

begleiten mich<br />

durch meine Gedanken, ich<br />

durchlebe meine Kindheit,<br />

Jugendzeit, mein ganzes<br />

Leben noch einmal, spüre<br />

Schmerz und Freude beim<br />

ch eignisse<br />

aus der Vergangenheit,<br />

male mir die Zukunft<br />

aus, was wird das Leben<br />

wohl noch an Freude, aber<br />

auch Leid für mich bereit<br />

halten?<br />

Dabei kommt mir immer wieder<br />

der Song von Haindling<br />

in den Sinn, dessen Text sowohl<br />

das Leben als auch die<br />

Streckenführung auf meiner<br />

Pilgerreise beschreibt:„Es<br />

geht runter und es geht wieder<br />

rauf. Wieder nach unten<br />

und nochmal geht’s auf.<br />

Es fängt von vorn an und<br />

es hört wieder auf. Es geht<br />

wieder runter, doch dann<br />

wieder rauf“. (...)<br />

Nach einigen Regenschauern<br />

erreiche ich Perigueux,<br />

eine Partnerstadt von<br />

Amberg.<br />

Kurz überlege ich, ob ich<br />

im Rathaus dort den Bürgermeister<br />

besuche und<br />

mich von diesem zu einem<br />

Abendessen einladen lasse.<br />

Aber in meiner Radlerklamotte<br />

will ich ihm das dann<br />

doch nicht zumuten. Er<br />

kann die Einladung aber<br />

gerne aussprechen, wenn er<br />

einmal wieder zu Besuch in<br />

Amberg ist ... *grinssssssss<br />

Tag 16 / Dienstag, 29.05.<br />

Nach einer Mittagspause<br />

geht es auf einem Radweg<br />

weiter - kilometerlang hohe<br />

Büsche links und rechts. Da<br />

kann man schon mal etwas<br />

von seiner Aufmerksamkeit<br />

verlieren und mit den<br />

Gedanken ganz wo anders

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