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akzent November '18 GB

akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN

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AKZENTE<br />

Gedenken zum 9. <strong>November</strong><br />

Die Initiative Stolpersteine für Konstanz beteiligt sich anlässlich der<br />

Pogromnacht an einer dezentralen Mahnwache. Am 8. <strong>November</strong><br />

werden von 18 bis 18.30 Uhr alle Stolpersteine in der Stadt geputzt.<br />

Näheres dazu bei:<br />

Initiative Stolpersteine Konstanz, c/o Katrin Brüggemann,<br />

Tel. 07531 99 14 490<br />

2 3<br />

kao‘ auf dem See erscholl, wussten wir: Jetzt<br />

wird wieder einer von unseren ‚Pensionären‘<br />

geholt. Dabei mussten wir immer auf der Hut<br />

sein, dass wir nicht von Spitzeln oder sonstigen<br />

Nazis beobachtet wurden.“<br />

Grenzen zu!<br />

Die Schweizer Regierung hatte im August<br />

1942 ihre Grenze für jüdische Flüchtlinge offiziell<br />

geschlossen und erklärt, Juden seien nicht<br />

politisch verfolgt und daher nicht asylberechtigt.<br />

Bei illegaler Einreise mussten sie mit sofortiger<br />

Ausweisung oder mit der Auslieferung<br />

an die SS rechnen. Tatsächlich orientierte sich<br />

die eidgenössische Flüchtlingspolitik im Zweiten<br />

Weltkrieg mit wenigen Ausnahmen direkt<br />

an der nationalsozialistischen Rassenpolitik:<br />

Immer dann, wenn im Deutschen Reich oder<br />

in den besetzten Ländern neue antisemitische<br />

Maßnahmen ergriffen wurden, verschärfte die<br />

Schweiz ihre Asylbestimmungen. Die Schweizer<br />

Fluchthelfer ließen sich davon nicht abhalten.<br />

So gewährte der sozialdemokratische<br />

Schaffhauser Regierungsrat Ernst Bührer 5<br />

nach der Grenzschließung einzelnen Flüchtlingen<br />

Einlass, obwohl die Kantonsregierung<br />

bald auf den restriktiven Kurs der Bundesbehörden<br />

einschwenkte.<br />

Der Kommandant der Kantonspolizei St. Gallen,<br />

Paul Grüninger, hat Hunderten, vielleicht<br />

auch Tausenden vor allem jüdischen Flüchtlingen<br />

die Aufnahme im Kanton St. Gallen<br />

ermöglicht. Er gab, entgegen der Weisungen<br />

des Eidgenössischen Polizei- und Justiz-Departements,<br />

Befehl, sie nicht zurückzuweisen,<br />

hat Flüchtlingszahlen frisieren und Einreisedaten<br />

fälschen lassen, holte Flüchtlinge im<br />

Dienstwagen über die Grenze und hat Juden<br />

und Jüdinnen mit der Zusicherung einer Einreiseerlaubnis<br />

aus Dachau befreit. Als alles<br />

bekannt wurde, wurde Grüninger fristlos entlassen<br />

und erhielt eine Geldstrafe. Erst 1971<br />

wurde er in die Liste der „Gerechten unter den<br />

Völkern“ aufgenommen. Ein Jahr später starb<br />

er, verarmt.<br />

Übrigens folgte auch die Geschichte der<br />

Fluchthelfer im Nationalsozialismus der Agenda<br />

der Nationalsozialisten: Je schlimmer die<br />

Lage für die Verfolgten wurde, desto mehr<br />

Fluchthelfer finden sich in den entsprechenden<br />

Dossiers.<br />

Flucht aus Österreich<br />

Im Sommer 1938 begann nach dem „Anschluss“<br />

ans Deutsche Reich die große Massenflucht<br />

aus Österreich, was die Schweizer<br />

Behörden sehr beunruhigte. An der Schweizer<br />

Grenze hatten Flüchtlinge wie Fluchthelfer<br />

damals weniger die deutsche als die schweizerische<br />

Grenzwache zu fürchten, denn: Die<br />

Deutschen wollten die Juden loswerden, und<br />

die Schweizer wollten sie nicht übernehmen.<br />

In dieser Zeit brachten junge Männer im<br />

Rheintal Flüchtlinge aus Österreich in die<br />

Schweiz. Der damals knapp zwanzigjährige<br />

Jakob Spirig rettete zwischen 100 und 150<br />

Menschen, indem er sie bei Diepoldsau über<br />

den Rhein führte. Bis eines Nachts im Mai<br />

1942, als er mit fünf älteren jüdischen Damen<br />

durch ein Loch im Grenzzaun steigen wollte.<br />

Die Gruppe wurde von Grenzwächtern gestellt,<br />

vier der Frauen von der Gestapo gefasst.<br />

Und Spirig am darauf folgenden Tag<br />

von Schweizer Beamten verhaftet. Er landete<br />

vor dem Militärgericht und musste drei Monate<br />

Gefängnis absitzen.<br />

Die Reihe der Namen ist selbstverständlich<br />

unvollständig: Es gab auf allen Seiten noch<br />

sehr viel mehr „stille Helden“. Dabei sahen sie<br />

sich selbst gar nicht als Helden. Sie handelten<br />

oft spontan und empfanden dies als Selbstverständlichkeit.<br />

Für die Schweiz galten sie<br />

als Straftäter – bis 2004, als das Land anfing,<br />

verurteilte Fluchthelfer zu rehabilitieren. 137<br />

erhielten eine späte Würdigung. Die meisten<br />

erlebten sie nicht mehr.<br />

TEXT: CLAUDIA ANTES-BARISCH<br />

FOTOS: (1) JÜDISCHES MUSEUM HOHENEMS ;<br />

(2) STADTARCHIV KONSTANZ, Z1.ALTD211-44 ;<br />

(3) STADTARCHIV DORNBIRN, PHOTOARCHIV DER<br />

J.-A.-MALIN-GESELLSCHAFT; ORIGINAL IM ARCHIV DER<br />

FINANZLANDESDIREKTION FÜR VORARLBERG, FELDKIRCH<br />

(CHRONIK DES HAUPTZOLLAMTES FELDKIRCH, BAND I);<br />

(6) FORTEPAN /ARCHIV FÜR ZEITGESCHICHTE ETH ZÜRICH /<br />

AGNES HIRSCHI /; FOTO STOLPERSTEIN: ANKAWÜ (WIKIME-<br />

DIA COMMONS, CREATIVECOMMONS-LIZENZ)<br />

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