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akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN
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AKZENTE<br />
Gedenken zum 9. <strong>November</strong><br />
Die Initiative Stolpersteine für Konstanz beteiligt sich anlässlich der<br />
Pogromnacht an einer dezentralen Mahnwache. Am 8. <strong>November</strong><br />
werden von 18 bis 18.30 Uhr alle Stolpersteine in der Stadt geputzt.<br />
Näheres dazu bei:<br />
Initiative Stolpersteine Konstanz, c/o Katrin Brüggemann,<br />
Tel. 07531 99 14 490<br />
2 3<br />
kao‘ auf dem See erscholl, wussten wir: Jetzt<br />
wird wieder einer von unseren ‚Pensionären‘<br />
geholt. Dabei mussten wir immer auf der Hut<br />
sein, dass wir nicht von Spitzeln oder sonstigen<br />
Nazis beobachtet wurden.“<br />
Grenzen zu!<br />
Die Schweizer Regierung hatte im August<br />
1942 ihre Grenze für jüdische Flüchtlinge offiziell<br />
geschlossen und erklärt, Juden seien nicht<br />
politisch verfolgt und daher nicht asylberechtigt.<br />
Bei illegaler Einreise mussten sie mit sofortiger<br />
Ausweisung oder mit der Auslieferung<br />
an die SS rechnen. Tatsächlich orientierte sich<br />
die eidgenössische Flüchtlingspolitik im Zweiten<br />
Weltkrieg mit wenigen Ausnahmen direkt<br />
an der nationalsozialistischen Rassenpolitik:<br />
Immer dann, wenn im Deutschen Reich oder<br />
in den besetzten Ländern neue antisemitische<br />
Maßnahmen ergriffen wurden, verschärfte die<br />
Schweiz ihre Asylbestimmungen. Die Schweizer<br />
Fluchthelfer ließen sich davon nicht abhalten.<br />
So gewährte der sozialdemokratische<br />
Schaffhauser Regierungsrat Ernst Bührer 5<br />
nach der Grenzschließung einzelnen Flüchtlingen<br />
Einlass, obwohl die Kantonsregierung<br />
bald auf den restriktiven Kurs der Bundesbehörden<br />
einschwenkte.<br />
Der Kommandant der Kantonspolizei St. Gallen,<br />
Paul Grüninger, hat Hunderten, vielleicht<br />
auch Tausenden vor allem jüdischen Flüchtlingen<br />
die Aufnahme im Kanton St. Gallen<br />
ermöglicht. Er gab, entgegen der Weisungen<br />
des Eidgenössischen Polizei- und Justiz-Departements,<br />
Befehl, sie nicht zurückzuweisen,<br />
hat Flüchtlingszahlen frisieren und Einreisedaten<br />
fälschen lassen, holte Flüchtlinge im<br />
Dienstwagen über die Grenze und hat Juden<br />
und Jüdinnen mit der Zusicherung einer Einreiseerlaubnis<br />
aus Dachau befreit. Als alles<br />
bekannt wurde, wurde Grüninger fristlos entlassen<br />
und erhielt eine Geldstrafe. Erst 1971<br />
wurde er in die Liste der „Gerechten unter den<br />
Völkern“ aufgenommen. Ein Jahr später starb<br />
er, verarmt.<br />
Übrigens folgte auch die Geschichte der<br />
Fluchthelfer im Nationalsozialismus der Agenda<br />
der Nationalsozialisten: Je schlimmer die<br />
Lage für die Verfolgten wurde, desto mehr<br />
Fluchthelfer finden sich in den entsprechenden<br />
Dossiers.<br />
Flucht aus Österreich<br />
Im Sommer 1938 begann nach dem „Anschluss“<br />
ans Deutsche Reich die große Massenflucht<br />
aus Österreich, was die Schweizer<br />
Behörden sehr beunruhigte. An der Schweizer<br />
Grenze hatten Flüchtlinge wie Fluchthelfer<br />
damals weniger die deutsche als die schweizerische<br />
Grenzwache zu fürchten, denn: Die<br />
Deutschen wollten die Juden loswerden, und<br />
die Schweizer wollten sie nicht übernehmen.<br />
In dieser Zeit brachten junge Männer im<br />
Rheintal Flüchtlinge aus Österreich in die<br />
Schweiz. Der damals knapp zwanzigjährige<br />
Jakob Spirig rettete zwischen 100 und 150<br />
Menschen, indem er sie bei Diepoldsau über<br />
den Rhein führte. Bis eines Nachts im Mai<br />
1942, als er mit fünf älteren jüdischen Damen<br />
durch ein Loch im Grenzzaun steigen wollte.<br />
Die Gruppe wurde von Grenzwächtern gestellt,<br />
vier der Frauen von der Gestapo gefasst.<br />
Und Spirig am darauf folgenden Tag<br />
von Schweizer Beamten verhaftet. Er landete<br />
vor dem Militärgericht und musste drei Monate<br />
Gefängnis absitzen.<br />
Die Reihe der Namen ist selbstverständlich<br />
unvollständig: Es gab auf allen Seiten noch<br />
sehr viel mehr „stille Helden“. Dabei sahen sie<br />
sich selbst gar nicht als Helden. Sie handelten<br />
oft spontan und empfanden dies als Selbstverständlichkeit.<br />
Für die Schweiz galten sie<br />
als Straftäter – bis 2004, als das Land anfing,<br />
verurteilte Fluchthelfer zu rehabilitieren. 137<br />
erhielten eine späte Würdigung. Die meisten<br />
erlebten sie nicht mehr.<br />
TEXT: CLAUDIA ANTES-BARISCH<br />
FOTOS: (1) JÜDISCHES MUSEUM HOHENEMS ;<br />
(2) STADTARCHIV KONSTANZ, Z1.ALTD211-44 ;<br />
(3) STADTARCHIV DORNBIRN, PHOTOARCHIV DER<br />
J.-A.-MALIN-GESELLSCHAFT; ORIGINAL IM ARCHIV DER<br />
FINANZLANDESDIREKTION FÜR VORARLBERG, FELDKIRCH<br />
(CHRONIK DES HAUPTZOLLAMTES FELDKIRCH, BAND I);<br />
(6) FORTEPAN /ARCHIV FÜR ZEITGESCHICHTE ETH ZÜRICH /<br />
AGNES HIRSCHI /; FOTO STOLPERSTEIN: ANKAWÜ (WIKIME-<br />
DIA COMMONS, CREATIVECOMMONS-LIZENZ)<br />
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