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GOLF SPORTSZENE CUP 2017 – BEHINDERTENSPORT: ABENDVERANSTALTUNG TANZEN<br />

BEHINDERTENSPORT: TANZEN<br />

TANZEND AUS DEM TUNNEL<br />

FÜR ANDREA NAUMANN-CLÉMENT UND JEAN-MARC CLÉMENT<br />

SIND WALZER UND TANGO VIEL MEHR ALS NUR EIN HOBBY<br />

Zwei Jahre lang herrschte totale Finsternis. „Da habe ich Das Tanzen half dem heute 63-Jährigen schließlich<br />

überhaupt nichts gemacht“, sagt Jean-Marc Clément. „aus dem Tunnel“ heraus. Nicht nur damals, sondern<br />

Dabei war der gebürtige Schweizer stets sportinteressiert,<br />

kam sogar als Volunteer für die Fußball-Weltmeisheit<br />

ein neues Tief bescherte. Ohne die Leidenschaft,<br />

immer wieder, wenn eine Verschlechterung der Gesundterschaft<br />

1974 nach Frankfurt und blieb, weil es ihm so die er mit seiner Partnerin und heutigen Ehefrau Andrea<br />

gut gefiel. Doch die Tatsache, dass er aufgrund einer Naumann-Clément teilt, hätte er vieles nicht geschafft.<br />

schweren Krebserkrankung in jungen Jahren und deren<br />

Folgen in Zukunft im Rollstuhl würde sitzen müssen, war Kennengelernt haben sich die beiden durch das<br />

1987 schwer zu verkraften. „Das muss man erst mal Ehrenamt. Da waren sie eigentlich Konkurrenten, als<br />

akzeptieren“, sagt Clément.<br />

es um die Wahl des Pfarrgemeinderates in der Herz-<br />

Jesu-Kirche im Stadtteil Oberrad ging. „Ich habe damals<br />

gegen ihn verloren“, sagt die gebürtige Offenbacherin.<br />

„Entweder wird man dadurch zu Feinden oder man<br />

macht gemeinsame Sache.“ Sie entschlossen sich zu<br />

Letzterem und „haben tolle Sachen“ angestellt.<br />

Doch richtig nahe kamen sie einander erst später.<br />

Auf einem Straßenfest in Offenbach war Clément durch<br />

eine Vorführung aufs sogenannte Combitanzen aufmerksam<br />

geworden, bei dem Fußgänger mit Rollstuhlfahrern<br />

Paare bilden. Seine damalige Frau war nur begrenzt<br />

dafür zu begeistern. So startete er mit Andrea Naumann<br />

eine Tanzpartnerschaft.<br />

Heute haben die beiden auf Standard spezialisierten<br />

Hessen 14 deutsche Meistertitel gewonnen und durften<br />

bei Welt- und Europameisterschaften mit den Stärksten<br />

aufs Parkett. Doch der Anfang war nicht leicht. Nachdem<br />

ihnen das Formationstanzen beim Rollstuhl-Sport-<br />

Club (RSC) Frankfurt schnell zu langweilig geworden<br />

war, versuchten sie es auf sich allein gestellt. Die ersten<br />

Turniererfahrungen waren schmerzhaft, ab 2003 gab<br />

es die ersten Medaillen.<br />

Seitdem sind die Cléments aus der Szene nicht wegzudenken<br />

und haben dafür manch hemmendes Hindernis<br />

gemeistert. Die ganze Welt haben sie schon tanzend<br />

bereist. Davon sind sie wegen der anstrengenden<br />

langen Flüge abgekommen. Doch obwohl sie mangels<br />

Masse oft gegen viel jüngere Konkurrenz antreten<br />

müssen, gehören sie bei den Senioren weiter zu den<br />

Spitzenpaaren.<br />

„Wir tanzen mit guter Haltung“, erklärt Naumann-<br />

Clément. Andere seien aber schneller – auch weil der<br />

Mann dabei steht und führt. „Das ist derzeit en vogue“,<br />

Kombinationen wie die ihre eher Seltenheit. „Aber Tanzen<br />

ist sowieso immer subjektiv.“<br />

Bei der Rollstuhlvariante kommt es vor allem auf den<br />

Oberkörper an. Der muss so ausdrucksvoll agieren,<br />

dass selbst ohne Musik erkennbar ist, ob es sich gerade<br />

um Tango oder Walzer handelt. Seitwärtsbewegungen<br />

sind nicht möglich, auch wenn die speziellen, maßgeschneiderten<br />

Sportstühle, die zwischen 5.000 und<br />

6.500 Euro kosten, noch mit etwa 1.000 Euro teuren<br />

Spezialrädern ausgerüstet sind, die sich gut drehen.<br />

Der Fußgänger muss sich an die Einschränkungen anpassen,<br />

vor allem viel rückwärts tanzen, sagt<br />

Naumann-Clément. Aber den Partner nicht ziehen.<br />

Damit das harmonisch<br />

aussieht,<br />

trainieren die<br />

beiden zwei- bis<br />

dreimal in der<br />

Woche miteinander.<br />

Ein Fitnessstudio<br />

unterhalb ihrer<br />

Wohnung in<br />

Langen stellt ihnen<br />

dafür einen Raum<br />

zur Verfügung.<br />

Tipps und Tricks<br />

erhalten sie von Trainern, die sie sich selbst gesucht haben.<br />

Dabei gibt es auf ihrem Niveau kaum Spezialisten, deswegen<br />

orientieren sich die beiden an dem, was auch<br />

reine Fußgängerpaare präsentieren, und gestalten es<br />

für ihre Zwecke um. „Aber man braucht jemanden, der<br />

das kontrolliert“, sagt Naumann-Clément. Entsprechend<br />

leisteten sie sich das.<br />

Ihr eigenes Wissen und die Erfahrung, die sie sich in<br />

den vielen Jahren angeeignet haben, geben sie gerne<br />

weiter: Andrea Naumann-Clément engagiert sich als<br />

Trainerin und Fachbereichsvorsitzende im Deutschen<br />

Rollstuhl-Sportverband (DRS), ihr Mann ist dort stellvertretender<br />

Vorsitzender und Kassenwart des RSC Frankfurt.<br />

Seinen Beruf als Bankkaufmann hat er krankheitsbedingt<br />

aufgegeben. „Aber Tanzen gehört für mich zum Gesundungsprozess.“<br />

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Bilder: RSC Frankfurt: Marion Milz & Frank Wildmann

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